Montag, 7. September 2020

Die Frau in der Kutsche

Die vorliegende Geschichte wurde in den Ausführlichen Aufzeichnungen der Taiping-Ära überliefert, die während der Song-Dynastie angefertigt wurden. Und ausführlich waren sie in der Tat, denn sie enthielten in 500 Bänden über 7.000 Geschichten. Viele davon stammten nicht aus der Song-Dynastie, sondern waren erheblich älter. So ist auch diese Geschichte in der Tang-Dynastie entstanden.

Wie gewohnt führt der Link direkt zur Geschichte, während unten ein paar Bemerkungen von mir folgen. Besser zuerst die Geschichte lesen, um sich nicht spoilern zu lassen!

»Die Frau in der Kutsche« aus der Sammlung Taiping Guangji.

Glossar:
  • Herrschaftsära: Chinesische Kaiser teilten die Jahre ihrer Herrschaft in verschiedene Perioden auf, die jeweils unter einem Regierungsmotto standen. Die Ära Kaiyuan des Kaisers Xuanzong dauerte von 713 bis 741.
  • Zhang: Längeneinheit, entspricht ca. 3,3 m.
  • Li: Längeneinheit, entspricht ca. 330 m.

Neben Held*innen wie Wei Zidong, die ganz vorbildlich auf Monsterjagd gehen und das Elixier der Unsterblichkeit vor bösen Geistern schützen, gibt es in der Jianghu selbstverständlich auch Leute, die dem Diebeshandwerk nachgehen – und zwar nicht nur zum Vergnügen, wie es die Protagonistin von »General Pan« tut. Diese Geschichte handelt von einer Bande, die auf höchst ausgeklügelte Weise einen Heist im Kaiserpalast ausführt.

Dazu kommt ihr der Naivling aus der Provinz, der über rudimentäre Qinggong-Fähigkeiten verfügt, wie gerufen. Dieser merkt nicht, dass er die Behörden auf eine falsche – seine – Fährte locken soll, bis es zu spät ist. Wie auch, wo die Diebe doch so überaus ordentlich, anständig und wohlerzogen sind, dass einer, der sein Leben lang nur die konfuzianischen Klassiker studiert hat, zutiefst beeindruckt sein muss. Immerhin ist die Chefin der Bande, die mysteriöse Frau aus der Kutsche, nicht ganz undankbar, wie sich am Ende zeigt.

Stichwort Qinggong. Auch an dieser Geschichte zeigt sich, wie wichtig die sagenumwobene Fähigkeit, sich mittels Qi schwebend leicht zu machen, von Anfang an für das Genre war. Heute begegnet man nicht selten dem herablassenden (und wirklich dämlichen) Ausdruck »Wire Fu« dafür – oft aus dem Mund von Leuten, die auch nicht davor zurückschrecken, von »Asia-Filmen« zu reden. Damit soll suggeriert werden, dass die filmische Darstellung von Qinggong mit Hilfe von Drähten »kein richtiges Kung Fu« sei. Aber was soll »richtiges Kung Fu« denn sein? Geschichten wie die hier vorgestellte zeigen, dass schon seit über 1.000 Jahren von Menschen, die schweben können, erzählt wird. Schauspieler*innen im Film schweben zu lassen, ist lediglich eine konsequente künstlerische Weiterentwicklung dessen.

Mittwoch, 19. August 2020

Wei Zidong

Die zweite klassische Wuxia-Geschichte, die ich vorstellen möchte, stammt aus der Geschichtensammlung Chuanqi des Pei Xing. Geschichten von wandernden Held*innen mit staunenswerten Fähigkeiten gibt es in der chinesischen Literatur schon seit frühester Zeit. Sie hatten zunächst meist die Form von Anekdoten, die in historiographische Werke aufgenommen wurden. Erst in der kulturellen Blüte der Tang-Dynastie (618–907) kam eine erzählende Prosaform auf, die es erlaubte, solche Geschichten unter dem Lesepublikum auch selbständig zirkulieren zu lassen. Der Name dieser Form ist identisch mit dem von Pei Xings Sammlung: chuanqi, »Erzählungen von wundersamen Ereignissen«. Im Westen wird diese Form oft schlicht als Tang-Novelle bezeichnet – ihr Name entspricht ja auch Goethes berühmter Definition der Novelle als Erzählung von einer unerhörten Begebenheit.

Pei Xings Sammlung ist zum größten Teil nicht erhalten. Unter seinen überlieferten Geschichten sind aber einige der berühmtesten Wuxia-Erzählungen überhaupt, wie »Nie Yinniang« und »Der Kunlun-Sklave«. Weniger bekannt ist die Geschichte von Wei Zidong, die ich hier wiedergebe.

Wuxia ist übrigens nicht das einzige Thema der chuanqi-Gattung. Weitere beliebte Sujets waren Liebesgeschichten, historische Ereignisse und Begegnungen mit Wesen aus der buddhistischen oder daoistischen Mythologie. Letzteres ist auch in »Wei Zidong« als Einfluss vorhanden.

Hier geht es direkt zur Geschichte:

»Wei Zidong« aus dem Chuanqi des Pei Xing (Tang-Dynastie).

Glossar:
  • Herrschaftsära: Chinesische Kaiser teilten die Jahre ihrer Herrschaft in verschiedene Perioden auf, die jeweils unter einem Regierungsmotto standen. Die Ära Zhenyuan des Kaisers Dezong dauerte von 785 bis 805, die Ära Kaiyuan des Kaisers Xuanzong von 713 bis 741.
  • Yaksha: Natur- bzw. Wildnisgeister aus der buddhistischen Mythologie.
  • Khakkara: Stab eines buddhistischen Mönchs. Daran sind Ringe aus Zinn befestigt, die ein klirrendes Geräusch machen.
  • Zhou Chu: siehe unten.
  • Bu: Längeneinheit, entspricht ca. 1,6 m.
  • Fünfte Nachtwache: zwischen drei und fünf Uhr morgens.
  • Zhang: Längeneinheit, entspricht ca. 3,3 m.

Wie schon in »General Pan, der alte Detektiv und das Mädchen« fällt in dieser Geschichte das Bemühen um historische Einordnung auf. Ereignisse werden datiert, und zum Schluss wird zur Validierung des Erzählten darauf hingewiesen, dass die Schädel der beiden erlegten Ungeheuer noch erhalten sind.

Deutlich ist, dass es sich eigentlich um zwei Geschichten um den Protagonisten Wei Zidong handelt, die sich zudem auffällig unterscheiden. Die erste Geschichte ist der geradlinige Bericht einer Monsterjagd, die zweite ist fast schon parabelhaft. Auch beruhen sie auf unterschiedlichen spirituellen Grundlagen: Die Menschen vor Ungeheuern und ähnlichen Bedrohungen zu schützen, ist ein Ideal des Mahayana-Buddhismus. Das Streben nach Unsterblichkeit spielt dagegen eine zentrale Rolle im Daoismus. Der Text zeigt, wie beide Traditionen koexistierten. Interessant auch die unterschiedliche Darstellung des religiösen Personals: Die buddhistischen Mönche leben im Kloster und beten, der Daoist braut alchimistische Tränke in einer Höhle.

Der Schlüssel zum Verständnis des Ganzen liegt meines Erachtens darin, dass Wei Zidong von Duan mit Zhou Chu verglichen wird. Das ist als Lob gemeint, denn Zhou Chu (eine historische Person) galt als exemplarische Gestalt. Aber der Fortgang der Erzählung zeigt, dass Wei Zidong wesentlich anders handelt als Zhou Chu.

Zhou Chu war ein berühmter General aus der Zeit der Sechs Dynastien. Im Neuen Bericht von den Geschichten der Welt des Liu Yiqing wird eine Sage über Zhou Chus Jugend erzählt: Als junger Mann sei Zhou Chu ein streitsüchtiger Schlägertyp gewesen. Die Menschen seines Heimatortes Yixing wurden damals von den Drei Plagen heimgesucht. Um Zhou Chu loszuwerden, forderten sie ihn auf, die Drei Plagen zu besiegen. Zhou Chu tötete die erste Plage, einen menschenfressenden Tiger. Er tötete die zweite Plage, einen Jiao-Drachen. Dann merkte er, dass er selbst die dritte Plage war. Zhou Chu suchte zwei konfuzianische Gelehrte auf, die ihn im rechten Weg unterwiesen. Darauf wurde er zum General und Beamten, der für seine unbeugsame Ehrlichkeit bekannt war.

Letzteres führt von der Sage zur Historie. Als Zhou Chu einmal sogar einen kaiserlichen Prinzen der Korruption anklagte, intrigierte dieser gegen ihn. Der Prinz erreichte, dass Zhou Chu den Befehl erhielt, mit nur 5.000 Soldaten ein einfallendes Barbarenheer aufzuhalten. In stoischem Gehorsam zog Zhou Chu gegen die 20.000 Mann starke feindliche Streitmacht und starb auf dem Schlachtfeld. Er wusste, dass man ihn beseitigen wollte, hielt die Pflicht zum Gehorsam aber für wichtiger.¹

Indem die Erzählung Wei Zidong mit Zhou Chu vergleicht, vergleicht sie einen Wuxia-Helden mit einem regulären Helden. Zhou Chu fängt zwar als Monsterjäger an, macht dann aber eine im konfuzianischen Sinne vorbildliche Karriere als Staatsdiener. Noch heute steht sein Name sprichwörtlich für einen Menschen, der sein Leben völlig umkrempelt.

An derlei Dingen hat Wei Zidong nicht das geringste Interesse. Statt eine Karriere anzustreben, jagt er lieber dem Traum der Unsterblichkeit nach. Zwar hat auch er kein Problem damit, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber er entscheidet selbst, wo und wann er das tut. Er handelt aus einem selbstbestimmten Altruismus.

Die Kritik des Konfuzianismus setzt sich fort im zweiten Teil der Erzählung. Wei Zidong durchschaut mühelos, dass die Schlange und die Frau mit der Lotosblüte Dämoninnen sind. Erst als er anfängt, selber in konfuzianischen Bahnen zu denken, scheitert er in seiner Aufgabe, das Elixier zu bewachen. Der dritte Dämon tritt als gebildeter Mann auf, der Gedichte rezitieren kann, und das ist leicht mit Tugendhaftigkeit im (neu-)konfuzianischen Sinn zu verwechseln.² Wei Zidong verhält sich ihm gegenüber unwillkürlich ehrerbietig – und verliert.

Oder besser gesagt: Er erlangt (wahrscheinlich) nicht die Unsterblichkeit. Die Reste des Elixiers,³ die Wei Zidong und der Daoist mit Quellwasser vermischt trinken, verwandeln ihn immerhin in eine Art magisches Kind. Das mag mit einer besonderen Langlebigkeit einhergehen oder auch nicht, denn was aus Wei Zidong später wurde, lässt die Erzählung ja offen.

So kommt es, dass eine nicht einmal sonderlich lange Wuxia-Geschichte eine subversive Diskussion der Drei Lehren der chinesischen Philosophie – Buddhismus, Daoismus, und Konfuzianismus – enthält.

¹ Die Geschichte lässt sich in Richard Wilhelms Chinesischen Märchen nachlesen.
² Ich bin der Auffassung, dass die Erzählung sich nicht gegen Konfuzius selbst richtet. »Konfuzianismus« meint hier eher die Weltanschauung der (sehr klassenbewussten) chinesischen Gelehrten-Beamten. Diese hatte natürlich ihre Grundlage im Werk des Konfuzius, unterwarf es aber einer fundamentalen Neuinterpretation.
³ Elixier der Unsterblichkeit, Drachen-und-Tiger-Elixier sowie Goldener Trank sind Synonyme.

Dienstag, 4. August 2020

7 Assassins (2013)

Alternativtitel: Glory Days · Deutscher Titel: Seven Assassins – Iron Cloud’s Revenge · Regie: Hung Yan-yan · Drehbuch: Chun Tin-nam u.a. · Musik: Henry Lai · Kamera: Pakie Chan · Schnitt: Marco Mak.

Von diesem Film war ich zunächst gar nicht angetan und habe ihn abgebrochen. Wenige Tage später habe ich ihn noch einmal von Anfang bis Ende geschaut und hatte einen etwas positiveren Eindruck – der dann allerdings nicht lange vorhielt. Ich war selbst etwas verwundert, dass mir 7 Assassins nicht besser gefallen hat, denn eigentlich erzählt er eine Geschichte ganz nach meinem Geschmack: Ein kleines Häuflein von Revoluzzer:innen versteht es, sich mit List und Wagemut gegen eine Übermacht zur Wehr zu setzen.

Kurz vor der Revolution von 1911: Tie Yun (Felix Wong) transportiert mit einigen Genossen eine Ladung Gold durch die Wüste. Damit sollen die Aktivitäten der revolutionär-republikanischen Bewegung finanziert werden. Ein militaristischer Qing-Prinz (Ray Lui) beauftragt die Banditin Man Tianhong (Ni Hongjie) und ihre Räuber, das Gold zu stehlen. Der Überfall gelingt, und Tie Yun entkommt nur knapp mit Hilfe des Gouverneurs Zhuo (Ti Lung), der mit den Revolutionär:innen sympathisiert.

Zhuo schickt Tie Yun ins Goldene Tal. Dort liegt ein Dorf, in dem zahlreiche Überlebende früherer Aufstände Zuflucht gefunden haben. Der Dorfvorsteher Meister Miao (Eric Tsang), selbst ein Veteran der Boxer-Rebellion, stellt Neuankömmlingen nur eine Bedingung: dass sie ihre revolutionäre Vergangenheit hinter sich lassen.

Durch Tie Yuns Ankunft wird die Brüchigkeit dieses Arrangements deutlich. Der Prinz will das Gold nämlich unterschlagen, um damit moderne Waffen und Uniformen für seine Soldaten zu bezahlen. Damit ihm niemand auf die Schliche kommt, sollen weder Tie Yun noch die anderen Bewohner:innen des Goldenen Tals mit dem Leben davonkommen.

Meister Miao bleibt nichts anderes übrig, als sein Dorf verteidigungsbereit zu machen. Auch reaktiviert er, von Tie Yun aufgerüttelt, seine alten revolutionären Kontakte, um den Prinzen und seine Truppen direkt anzugreifen.

Der Filmtitel hat übrigens nicht sonderlich viel mit dem Inhalt zu tun, sondern ist als Anspielung auf The Magnificent Seven gedacht. Zahlreiche Szenen sind deutlich von Western-Ästhetik inspiriert.

7 Assassins ist als Ensemble-Film angelegt. So treten neben Ti Lung eine ganze Reihe weitere Legenden des Hongkong-Kinos als Charakterdarsteller:innen auf, u.a. Kara Hui, Chen Kuan-tai, Dick Wei und Bryan Leung. So etwas funktioniert natürlich nur, wenn man dem Cast entsprechend Raum zur Entfaltung lässt. Das geschieht hier leider nicht, da Eric Tsang sich auf geradezu penetrante Weise immer wieder in den Vordergrund drängt und den ganzen Ansatz des Films konterkariert.

Tsang hat bei 7 Assassins eine Doppelfunktion als Darsteller und Produzent. Regisseur Hung Yan-yan (oder Xiong Xinxin auf Mandarin) hat eine lange Karriere als Stuntman, Schauspieler und Kampfchoreograph vorzuweisen, ist aber auf dem Regiestuhl noch recht unerfahren. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Tsang die Produktion auf eine Weise dominiert hat, die dem Film überhaupt nicht gut tut.*

Ausnahmen gibt es zwar auch. So ist Kara Huis Auftritt sehr schön anzusehen. Insgesamt ist der Film aber ein Durcheinander von kaum entwickelten Figuren und jede Menge pathosgeladenen Szenen mit Tsang.

Schade. Ich wollte diesen Film wirklich mögen.

* Es gibt noch weitere Gründe, Eric Tsang unsympathisch zu finden. Er ist, kurz gesagt, so etwas wie der Harvey Weinstein von Hongkong.

Montag, 27. Juli 2020

General Pan, der alte Detektiv und das Mädchen

Noch unbekannter als moderne Wuxia-Romane sind außerhalb der Sinosphäre die klassischen Wuxia-Geschichten, wie sie in der Tang-Dynastie entstanden (und seither nie ganz verschwunden) sind. Für das Genre haben sie nach wie vor Bedeutung, denn hin und wieder entstehen Filme, die den Stoff solcher Geschichten als Ausgangsmaterial nehmen. Meinem Empfinden nach lesen sie sich auch sehr gut und sind keineswegs nur von historischem Interesse.

Ich will einiger dieser Geschichten sozusagen in deutschen Nacherzählungen hier einstellen. In den meisten Fällen dürften sie bisher nicht auf Deutsch erschienen sein. Ich sage bewusst Nacherzählung, denn leider sind mir die Originale sprachlich nicht zugänglich. Ich stütze mich also selber auf englische Übersetzungen der chinesischen Originaltexte. Sinolog*innen mögen mir verzeihen. Ich versuche, nichts hinzuzufügen oder wegzulassen – jedenfalls nicht mehr oder weniger, als das bei Nacherzählungen zwangsläufig passiert.

Den Anfang mache ich mit folgender Geschichte:

»General Pan, der alte Detektiv und das Mädchen« aus der Sammlung Jutanlu des Kang Pian (Tang-Dynastie).

Anschließend noch einige Anmerkungen von mir (die Geschichte aber bitte zuerst lesen, sonst Spoilergefahr!). Erklärungsbedürftige Wörter habe ich im Text mit einem Sternchen versehen:
  • Dharma-Stätte: ein buddhistisches Lehr- und Gebetshaus.
  • Zhang: Längeneinheit, entspricht ca. 3,3 m.
  • Kang: ein Ofenbett

Dieser Geschichte liegt ein wohlbekanntes Motiv aus Wuxia-Erzählungen zugrunde: die Heldin, die nicht erkannt werden möchte. Normalerweise sind Wuxia-Held*innen dem Ruhm überhaupt nicht abgeneigt. Oft suchen sie Zweikämpfe allein deshalb, um sich einen Namen zu machen. Es gibt aber auch das genaue Gegenteil: Held*innen, die um jeden Preis namenlos bleiben wollen. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Oft handelt es sich um Personen, die vor politischer Verfolgung in die Jianghu geflohen sind. Manchmal entspricht die Anonymität aber auf einfach einer individuellen Vorliebe.

Letzteres scheint in dieser Geschichte der Fall zu sein. Die namenlose Heldin könnte sich mit Hilfe ihrer Qinggong-Fähigkeiten alle Schätze dieser Welt zusammenräubern, aber sie will es offenbar nicht. Nur manchmal klaut sie für sich und ihrer Mutter ein paar Leckereien aus der Palastküche. Wenn sie etwas Wertvolles stiehlt, dann nur zum Vergnügen und um es wieder zurückzugeben.

Was auffällt, ist die quasi-historische Rahmung der Geschichte. Die Erzählerin gibt zu Beginn ihre Wissenslücken zu (sie weiß nicht, wie General Pan wirklich heißt). Und am Ende nennt sie ihre Quelle: Ein Bürgermeister stellt Nachforschungen über Personen aus der Jianghu an, die unerkannt in der Hauptstadt leben. Er hat die Geschichte aus dem Mund zweier unmittelbar Beteiligter, nämlich Pan und Wang Chao, erfahren. Dass der Name der Heldin bis zum Ende nicht genannt wird, heißt wohl, dass der General und der Detektiv über ihre Identität Verschwiegenheit bewahrt haben.

Das aus zahlreichen Wuxia-Filmen bekannte Qinggong gibt es übrigens tatsächlich. Natürlich können Menschen, die Qinggong beherrschen, nicht wirklich schweben, weil, nun ja, die Schwerkraft existiert. Aber echtes Qinggong kann schon auch ganz beeindruckend aussehen, wie folgendes Video zeigt:

Dienstag, 30. Juni 2020

One-Armed Against Nine Killers (1976)

Alternativtitel: One-Armed Swordsman vs. Nine Killers · (Rassistischer) deutscher Titel: Der Foltergarten der gelben Schlange · Regie: Hsu Tseng-hung · Drehbuch: Yao Ching-kang · Musik: Huang Mao-shan · Kamera: Chiang Hong-hin, Li Shih-chieh · Schnitt: Kwok Ting-hung.

Wenn das Einarmigen-Subgenre des Wuxia-Films in Form von The One-Armed Swordsmen mit einem Knall zu Ende ging, dann spielt sich der gleiche Vorgang in One-Armed Against Nine Killers mit einem Wimmern ab. Beide Filme erschienen im gleichen Jahr, in beiden spielt (natürlich) Jimmy Wang Yu mit. Bei beiden Filmen war Wang nicht nur als Hauptdarsteller in den kreativen Prozess involviert.* Aber während Swordsmen spannend und verrückt ist, ist Nine Killers ein durchsichtiger Versuch, noch ein paar Peseten mehr aus dem Einarmigen-Motiv herauszuschinden.

Der Film trägt seine gesamte Handlung im Titel: Der einarmige Liu (Jimmy Wang Yu) latscht durch die Gegend und eliminiert der Reihe nach die neun Mörder, die seine Familie umgebracht haben.

Sehr unangenehm ist, dass die meisten Kontrahent:innen Lius als in irgendeiner Weise effeminiert oder abjekt dargestellt werden, was der Film mit der robusten Männlichkeit seines Protagonisten kontrastiert. Eine unfreiwillig komische Ausnahme bildet der Typ, der mit einem zwei Meter langen Riesenschwert auf Liu losgeht. Dazu fällt mir allerdings auch nur ein: Manchmal ist ein Phallussymbol eben nur ein Phallussymbol.

Wang agiert den ganzen Film hindurch bemerkenswert lustlos. Lediglich in der klimaktischen Kampfszene kommt er etwas in Fahrt. Das wiederum bringt nicht viel, denn die Kampfszenen des Films sind (in der englisch synchronisierten Fassung jedenfalls) zu großen Teilen der Zensur zum Opfer gefallen. Gekürzt wurden sie auf eine so dilettantische Weise, wie ich es selten gesehen habe.

Was soll ich sagen? Es ist schade um das Zelluloid, das für diesen Film verschwendet wurde.

* Bei One-Armed Swordsmen führte er gemeinsam mit Co-Hauptdarsteller David Chiang Regie; bei Nine Killers war er Produzent.

Dienstag, 19. Mai 2020

Heroes Among Heroes (1993)

Alternativtitel: Fist of the Red Dragon · Regie: Yuen Woo-ping · Drehbuch: Lau Tai-muk u.a. · Musik: William Wu · Kamera: Ma Koon-wa, Stephen Poon · Schnitt: Kwok Ting-hung.

Wong Feihung (1847–1925) war ein legendärer kantonesischer Kampfkünstler. In den Geschichten, die über ihn erzählt werden, sind Sage und Historie untrennbar vermischt. Belegt ist aber dies: Schon sein Vater, Wong Keiying, war ein berühmter Kämpfer, der zu den Zehn Tigern von Kanton gehörte. Wong junior begleitete schon im Kindesalter seinen Vater, wenn dieser auf den Straßen und Plätzen seine Kampfkunst zur Schau stellte.

Als Erwachsener eröffnete Wong eine Klinik für traditionelle chinesische Medizin in einem Örtchen, das heute zur Stadt Guangzhou gehört. Zugleich unterrichtete er seine Kampfkunst. 1924 brannte Wongs Klinik nieder, als es zu Kämpfen zwischen der Händlervereinigung von Guangzhou und Guomindang-Truppen kam. Wong erholte sich nicht von diesem Schlag und starb im Jahr darauf.

Umfangreicher als diese dürren Fakten sind die zahlreichen Sagen, die sich um Wongs Person ranken. So soll er der Guerilla der Schwarzen Flaggen angehört haben, die in Vietnam gegen den französischen Kolonialismus kämpfte. Eine der beliebtesten Geschichten über Wong erzählt, dass er von Bettler So, einem Freund seines Vaters, einen legendären Kampfstil gelernt haben soll.

So Chan, genannt Bettler So, war wie Wong senior einer der Zehn Tiger von Kanton.* Er war ein Meister des trunkenen Faustkampfs (in Kung-Fu-Filmen meist Drunken Style genannt). In diesem Stil werden die Bewegungen Betrunkener imitiert und für den Kampf genutzt. Die Sage machte daraus, dass die Praktizierenden des trunkenen Faustkampfs unablässig Wein trinken müssen, da sie im nüchternen Zustand kampfunfähig seien. Es heißt, Bettler So habe Wong Feihung im trunkenen Faustkampf unterrichtet.

Yuen Woo-pings Filmographie ist eine Art Kompendium der Sagen und Legenden, die sich um die chinesischen Kampfkünste angesammelt haben. Die Figur des Bettler So fasziniert Yuen ganz besonders. Schon sein zweiter Film Sie nannten ihn Knochenbrecher (1978) widmete sich der Begegnung zwischen So und Wong.

Ganz wie Yuens weitere Frühwerke war Sie nannten ihn Knochenbrecher eine vom klassischen Slapstick-Humor beeinflusste Kung-Fu-Komödie. Darin ist Wong (Jackie Chan) ein jugendlicher Draufgänger, der von So (Simon Yuen, der Vater des Regisseurs) auf reichlich brutale Art diszipliniert wird.**

Fünfzehn Jahre später widmete sich Yuen in Heroes Among Heroes noch einmal dem gleichen Stoff, aber auf ganz andere Weise. Hier ist Meister Wong (Wang Jue) ein erwachsener Mann und So (Donnie Yen) ein Jugendlicher. Außerdem flicht Yuen die Handlung in einen historischen Hintergrund ein, nämlich die Ereignisse, die zum Ersten Opiumkrieg (1839–42) führten. Dabei schert Yuen sich nicht groß um die Chronologie, denn zu dieser Zeit war der historische Wong ja noch gar nicht geboren.

Die Handlung von Heroes Among Heroes setzt mit einer weiteren historischen Person ein: dem Beamten Lin Zexu (Pau Fong), der vom Daoguang-Kaiser beauftragt wird, gegen den illegalen Opiumhandel vorzugehen. Im 19. Jahrhundert verkaufte die British East India Company massenhaft Opium nach China. Dadurch flossen beträchtliche Mengen chinesisches Kapital in die Taschen der Company.

Im Film begibt sich Lin nach Guangzhou. Er bittet seinen Freund Wong, ihm im Kampf gegen das Opium beizustehen. Fortan unternehmen Wongs Schüler an der Seite von Lins Soldaten Razzien in Opiumhöhlen und durchsuchen westliche Handelsschiffe.

Es gibt aber einen, der mit ganz anderen Plänen in der Stadt eintrifft: Prinz Barac (Hung Yan-yan), der Bruder des Kaisers, will den Opiumhandel legalisieren und staatlich monopolisieren. Er verbündet sich ebenfalls mit einem Kampfkunst-Klan, dem Feuerlotus,*** um Lins Politik zu durchkreuzen.

So Chan als Protagonist ist ein junger Mann aus vermögender Familie. Er wächst bei seinem Vater (Ng Man-tat) und seiner Tante (Sheila Chan) auf. Heimlich gehört So der Bettlersekte an, deren Meister (Kwan Hoi-san) ein Ersatzvater für ihn ist.

Die Bettlersekte hält sich aus den Auseinandersetzungen ums Opium heraus, ist aber mit dem Feuerlotus verfeindet. Als So eine Schlägerei mit dem Feuerlotus provoziert, kommt es versehentlich zu einer Explosion. Zahlreiche Unbeteiligte werden verletzt, die Meister Wong in seiner Klinik behandeln lässt. Zornig fordert Wong von So, er möge die Verletzten um Entschuldigung bitten. So, der Inbegriff des hochmütigen jungen Kämpfers, verweigert das.

Mehr Erfolg bei So hat Prinzessin Yiteh (Fennie Yuen), einer Nichte Prinz Baracs. Die Prinzessin wuchs in Großbritannien auf. Sie trägt westliche Männerkleidung, gibt eine Zeitung heraus, engagiert sich gegen den Opiumhandel und für Frauenbildung.

Prinz Barac will verhindern, dass So sich dem Anti-Opium-Lager anschließt. Er wanzt sich an den Jungen heran und packt ihn bei seiner Eitelkeit: Nur Schwächlinge seien gegen Opium. Charakterstarke Menschen könnten dagegen so viel rauchen, wie sie wollen, ohne süchtig zu werden. Und So lässt sich verlocken und verfällt dem Opium ...

Yuen stellt So Chan in diesem Film als übermäßig selbstsicheren »jungen Meister« dar, der sich erst einmal seiner Grenzen bewusst werden muss, bevor er zum wahrhaft rechtschaffenen Helden wird. Meister Wong und der Meister der Bettlersekte treten dabei als seine Mentoren auf.

Ich mag Yuen Woo-pings Filme aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre (wie Tai Chi Master ‒ samt der losen Fortsetzung Tai Chi Boxer ‒ und Iron Monkey) sehr. Das trifft grundsätzlich auch auf Heroes Among Heroes zu. Allerdings hat dieser Film ein ziemliches Problem: Auch nachdem er sich Mitte der achtziger Jahre vom Genre der Kung-Fu-Komödie verabschiedete, baute Yuen gern komödiantische Elemente in seine Filme ein. Das ist mal mehr, mal weniger gelungen, in diesem Fall allerdings völlig misslungen.

Es sind Sos Vater und Tante, die als comic relief dienen sollen, aber mit jedem einzelnen Auftritt einfach nur an den Nerven kratzen. Leider sind sie auch kein bisschen in die restliche Handlung integriert, was die Irritation noch erhöht. Angesichts eines sonst sehenswerten Films ist das sehr schade.

Auf ganz andere Weise für Irritation mag ein Wendepunkt im Plot sorgen, den zu verraten sicherlich kein arger Spoiler ist: Natürlich schafft So es im Laufe des Films, seine Opiumsucht wieder los zu werden. Dies geschieht mit Hilfe des Meisters der Bettlersekte. Die eine oder der andere wird es reichlich problematisch finden, auf welche Weise der Meister seinen Zögling kuriert ‒ nämlich indem er ihm das Saufen beibringt.

Das wirkt auf den ersten Blick so, als würde eine Sucht durch die andere ersetzt. Im realen Leben wäre es natürlich auch so. Der Film übernimmt aber einfach nur die typische Darstellung von Alkoholkonsum, wie es im Genre üblich ist. Die sieht kurz gesagt so aus, dass es als heroisch gilt, möglichst große Mengen alkoholischer Getränke in sich hineinschütten zu können, ohne dadurch allzu betrunken zu werden. Wer viel verträgt, ist auch ein guter Kämpfer oder eine gute Kämpferin. Konsequenterweise kommen in Wuxia-Romanen und -Filmen (wie auch in Kung-Fu-Filmen) regelmäßig Figuren vor, die erst im Suff zur Höchstform auflaufen.

Anders als im Film ging es im tatsächlichen Verlauf der Geschichte für den Anti-Opium-Beauftragten Lin Zexu übrigens nicht gut aus. Großbritannien entfesselte den Ersten Opiumkrieg, der mit einer bitteren Niederlage für China endete. Das Reich der Mitte wurde gezwungen, fünf Häfen für den Opiumhandel zu öffnen und Hongkong an das Empire abzutreten. Das Geschäft mit dem Opium ging also unvermindert weiter. Der Daoguang-Kaiser machte Lin zum Sündenbock und gab ihm die Schuld an dem Fiasko: Sein harter Kurs gegen den Opiumhandel, den der Kaiser zuvor selbst gebilligt hatte, habe den Krieg erst provoziert.

* Er ist das historische Vorbild aller Wuxia-Helden, die im Bettlergewand durch die Lande streifen.
** Die schiere Anzahl der gewalttätigen und autoritären Vaterfiguren in Yuens Filmen, dazu noch manchmal von Yuens Vater selbst gespielt, ist besorgniserregend. 
*** Der Feuerlotus-Klan steht hier für die historische Bewegung des Weißen Lotus.

Montag, 11. Mai 2020

Jin Yong auf Deutsch – und wer ist Jin Yong?

Jin Yong ist in der chinesischsprachigen Welt der meistgelesene und meistverkaufte Autor des 20. Jahrhunderts. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass seine Bücher von Millionen gelesen werden. Selbst wer sie nicht liest, kennt in der Regel die Namen seiner bekanntesten Figuren. In der Tat sind einige von Jin Yongs Protagonist:innen so sehr Teil der alltäglichen Kommunikation geworden, dass in der Politik und den Medien regelmäßig Anspielungen auf sie gemacht werden.

Es wäre falsch zu sagen, Jin Yong sei »in China« ein Phänomen. In den diversen chinesischen Diaspora-Gemeinschaften ist sein Werk ebenso präsent wie in der Volksrepublik, in Hongkong und Taiwan. Dieser Allgegenwart in der Sinosphäre entspricht seine nahezu vollständige Unbekanntheit in der restlichen Welt. Das könnte sich nun ändern, denn Heyne hat für den Herbst den ersten Teil einer Übersetzung von Jin Yongs Hauptwerk Legends of the Condor Heroes angekündigt. Übersetzt von Karin Betz, die bereits Cixin Liu ins Deutsche übertragen hat, soll der Band Titel Die Legende der Adlerkrieger heißen.

In Großbritannien ist schon seit 2018 eine englische Übersetzung in Arbeit. Die ersten drei einer auf zwölf Bände angelegten Ausgabe sind bei MacLehose Press erschienen (der vierte Band soll im kommenden Jahr folgen). Zur Erläuterung: Legends of the Condor Heroes ist eine Trilogie, die aus den Romanen The Legend of the Condor Heroes, The Return of the Condor Heroes und The Heaven Sword and Dragon Saber besteht. Die drei Romane sind wiederum in je vier Bände aufgeteilt. Man wird sehen, wie weit der englische und der deutsche Verlag mit der Übersetzung der gesamten Trilogie kommen. (Bisherige Übersetzungen von Wuxia-Romanen in westliche Sprachen sind notorisch unvollständig.)

Jin Yong hieß eigentlich Louis Cha. Wie viele Autoren der beiden Wuxia-Blütezeiten im 20. Jahrhundert folgte er der klassischen chinesischen Tradition, seine Romane unter einem nom de plume zu veröffentlichen. Geboren wurde er 1924 im republikanischen China. Er stammte aus der Gelehrtenfamilie Zha, die schon in der frühen Qing-Dynastie einige namhafte Literaten hervorbrachte.

Jin Yongs Leben war davon geprägt, zwischen den Fronten zu stehen. Als Jugendlicher flog er von der Schule, weil er die autokratischen Tendenzen der Guomindang-Regierung kritisierte. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei Chinas wiederum wurde sein Vater in einer Säuberungsaktion ermordet. Jin Yong ging darauf nach Hongkong, wo er als Journalist arbeitete und nebenher Drehbücher für Filmstudios schrieb. 1959 gründete er gemeinsam mit einem Freund aus Schulzeiten die Tageszeitung Ming Pao, die heute noch erscheint.

Unterdessen hatte Jin Yong den Wuxia-Autor Liang Yusheng kennengelernt. Schon von Kindheit an hatte er gerne Wuxia gelesen. 1955 begann er, selber Romane im Genre zu schreiben. Die erschienen, wie damals üblich, als Fortsetzungsromane in Zeitungen. Sobald Jin Yong mit Ming Pao seine eigene Zeitung hatte, verfügte er über das ideale Publikationsmedium für seine Romane (ohne sich indes darauf zu beschränken).

Jin Yongs literarisches Werk belief sich schließlich auf 14 Romane und eine Erzählung. Diese schrieb er in einem Zeitraum von nur 15 Jahren. Das aber reichte aus, ihn zum Superstar des Genres zu machen. Jin Yong bildete gemeinsam mit Liang Yusheng und Gu Long die Speerspitze der »neuen Schule« des Wuxia-Romans, aber sein Ruhm überstrahlte schnell den seiner beiden Weggefährten.

Nach 1970 schrieb er keine neuen Geschichten mehr. Statt dessen überarbeitete er sein Werk zwei Mal und gab es jeweils in neuen Editionen (in Buchform) heraus. Mit der ersten Überarbeitung war er von 1970 bis 1980 beschäftigt, mit der zweiten von 1999 bis 2006. Unter Fans ist bis heute heiß umstritten, welche der drei Fassungen seiner Romane vorzuziehen sei. Für Jin Yong selbst hatten die Überarbeitungen aber einen ganz konkreten Anlass: In der ersten, der Zeitungsausgabe stammen einige Passagen seiner Romane von Ghostwriter:innen. Befand sich der Autor einmal im Ausland oder war anderweitig verhindert, ließen die Zeitungsredaktionen seine Geschichten einfach weiterlaufen. Mit den Überarbeitungen wollte Jin Yong die kreative Kontrolle über sein Werk zurückgewinnen.

Bemerkenswerterweise war Jin Yongs Werk sowohl in der Volksrepublik als auch in Taiwan jahrzehntelang verboten. Beide Regimes warfen dem Autor vor, dem jeweiligen Gegner nahezustehen. Gleichzeitig kursierten in beiden Ländern Raubdrucke im Untergrund. Erst 1979 (in Taiwan) bzw. 1980 (in der Volksrepublik) konnten offizielle Ausgaben erscheinen.

Seit den 1980er Jahren war Jin Yong berühmt genug, um sowohl an der Ausarbeitung der Hongkonger Verfassung (dem Basic Law) als auch am Vorbereitungskomitee zur Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China beteiligt zu sein. Auch dies lief aber nicht ohne Konflikte ab: Die Mitarbeit am Basic Law legte er nach der brutalen Niederschlagung der Tiananmen-Proteste 1989 nieder.

Im hohen Alter promovierte Jin Yong zwei Mal und erwarb einen Doktortitel in chinesischer Geschichte (2010) und einen in Literaturwissenschaft (2013). 2018 starb er im Alter von 94 Jahren in Hongkong.

Heute gibt es nicht nur ein Jin-Yong-Museum, auch die akademische Auseinandersetzung mit seinem Werk ist an chinesischen Universitäten fest verankert. Auszüge aus seinen Romanen erscheinen in Lesebüchern für den Schulunterricht. Diese Wirkung wird aber durch das Eigenleben, dass seine Condor Heroes angenommen haben, noch übertroffen.

Anlässlich der Übersetzungen ins Englische und Deutsche wird Jin Yong als »der Tolkien Chinas«, die Trilogie als »als chinesischer Herr der Ringe« angepriesen. Das ist ein nachvollziehbarer Vergleich, allerdings mit dem Problem, dass es sich fast schon um ein Understatement handelt. Aufgrund der (in China weit verbreiteten) nichtlizenzierten Ausgaben ist es schwer, die Verkaufszahlen der Condor Heroes einigermaßen genau anzugeben. Eine Schätzung beläuft sich aber auf 300 Millionen verkaufte Exemplare in der Originalsprache. Damit übertreffen sie die Verkaufszahlen des Lord of the Rings ziemlich genau um das Doppelte.

Und nicht nur das. Die Trilogie ist mehrfach fürs Kino verfilmt worden, u.a. von den Shaw Brothers. Wong Kar-wais Ashes of Time stellt ein inoffizielles Film-Prequel dar (sehr zum Unmut des Autors übrigens). Es gibt mindestens zehn Fernsehserien, die auf der Trilogie basieren, und eine Manhua-Serie mit 38 Bänden. Wer in der Sinosphäre die Bücher nicht gelesen hat, kennt die Verfilmungen oder die Comics.

Von daher ist es wohl verständlich, dass die Erwartungen an die englische Übersetzung von MacLehose Press gewaltig sind. Schließlich gibt es eine große sinoamerikanische und sinokanadische Diaspora, die die Trilogie oder ihre Adaptationen bereits kennt. Als sehr kontrovers hat sich bereits die Entscheidung Anna Holmwoods erwiesen, für den ersten englischen Band A Hero Born die chinesischen Namen der Figuren teilweise zu übersetzen.

Vergleichbare Reaktionen sind im deutschen Sprachraum, wo Jin Yong kaum bekannt ist, nicht zu erwarten. In der Tat hat die Ankündigung des Heyne Verlags hierzulande bislang kaum Reaktionen hervorgerufen. Um so gespannter bin ich, wie die ersten Rezensionen ausfallen werden. Hier hoffe ich zunächst, einen gewissen Eindruck davon vermittelt zu haben, was für ein literarisches Ereignis Jin Yong in der Sinosphäre darstellt.

Und worum geht es in Legends of the Condor Heroes? Ich fürchte, das einigermaßen konzis darzustellen, würde den Rahmen sprengen.* Erwähnt sei nur: Im Mittelpunkt stehen zwei Schwurbrüder, die sich auf verschiedenen Seiten eines gewaltigen Konflikts wiederfinden. Die Handlung erstreckt sich über Generationen, und Dschingis Khan persönlich kommt auch vor.

* Wer meine Rezension von Little Dragon Maiden, einer Verfilmung von The Return of the Condor Heroes, gelesen hat, wird gemerkt haben, wie schwer es mir fiel, die Filmhandlung und ihren Hintergrund zusammenzufassen. Wer sich jetzt nicht für den ersten Roman der Condor Heroes spoilern lassen will, sollte die Filmrezension übrigens nicht noch mal lesen.

Dienstag, 5. Mai 2020

Iceman (2014)

Deutscher Titel: Iceman ‒ Der Krieger aus dem Eis ‧ Regie: Law Wing-cheung ‧ Drehbuch: Lam Fung, Shum Sek-yin, Mark Wu ‧ Musik: Christof Unterberger, Wong Ying-wah ‧ Kamera: Edmond Fung, Kenny Tse ‧ Schnitt: Alan Cheng, Matthew Hui, David M. Richardson.

Iceman wurde im Westen als Captain-America-Rip-off wahrgenommen: Der Protagonist überlebt Jahrhunderte eingefroren im Eis, und als er aufwacht, hat er »Superkräfte«. Aber die Ähnlichkeit täuscht. Die vermeintlichen Superkräfte entpuppen sich als Schwertkampf-, Akupressur- und Qinggong-Fähigkeiten, wie sie für Wuxia-Held:innen ganz normal sind. Der genrehistorische Hintergrund ist auch ein ganz anderer: 1989 kam es in Hongkong zu einem schnelllebigen Trend von Filmen, in denen Krieger aus der Vergangenheit ins gegenwärtige China zeitreisen. Einer davon war Der Krieger des Kaisers. Ein anderer war The Iceman Cometh von Clarence Fok. Iceman ist ein Remake dieses letzeren Films.

Eine zu nahe Anlehnung an das Marvel Cinematic Universe ist (anders als bei League of Gods) nicht das Problem dieses Films. Das Problem ist, dass Iceman ein einziges Schlamassel darstellt.

Der Ming-Offizier He Ying (Donnie Yen) hat den Auftrag, eine Zeitmaschine von Indien nach China zu bringen. Sie ist ein Geschenk indischer Mönche an den Kaiser. An einem Gebirgspass stellen sich ihm Soldaten in den Weg, darunter He Yings Schwurbrüder Sao (Wang Baoqiang) und Niehu (Yu Kang). He Ying erfährt, dass er als Verräter verhaftet werden soll. Da er aber weiß, dass er verleumdet wurde, nimmt er den Kampf mit seinen Schwurbrüdern auf. Der Gefechtslärm löst eine Schneelawine aus und begräbt die drei Krieger unter sich.

Schnitt ins heutige Hongkong. Die drei Krieger haben tiefgefroren die Jahrhunderte überlebt. Ein Lastwagen, der sie heimlich außer Landes bringen soll, hat einen Unfall, und He Ying, Sao und Niehu erwachen aus ihrem eisigen Schlaf. He Ying verschlägt es zu der Sexarbeiterin Mei (Eva Huang) und ihrem gay best friend Slender (Mark Wu). May muss für die Kosten des Altersheims aufkommen, in dem ihre Mutter untergebracht ist. Da hilft es, dass He Ying die Taschen voller Gold hat.

Sao und Niehu schließen sich einer Straßengang an. Sie suchen fieberhaft nach He Ying, den sie immer noch für einen Verräter halten. Und dann ist da noch Cheung (Simon Yam), der stellvertretende Commissioner der Hongkonger Polizei, der aus ganz eigenen Motiven hinter den drei Eismännern her ist. Und wo ist eigentlich die Zeitmaschine geblieben?

Die Arbeit an Iceman litt an einem explodierenden Budget. Vorgesehen waren Produktionskosten in Höhe von 100 Millionen Hongkong-Dollar. Am Ende verschlang der Film die doppelte Summe. Die klimaktische Actionszene von Iceman spielt auf der Tsing-Ma-Brücke in Hongkong. Das Filmteam erhielt dort allerdings keine Dreherlaubnis. Statt auf einen anderen Drehort auszuweichen, entschloss man sich für einen gigantischen Studio-Nachbau der Brücke, der allein 50 Millionen Hongkong-Dollar verschlang.

Der Plot steckt so voller Löcher, dass man sich denken kann: Das Drehbuch wurde zig Mal umgeschrieben, um den stetig steigenden Kosten entgegen zu kommen. Auch die Kampfszenen, obwohl von Donnie Yen selber choreographiert, machen wenig Spaß. Sie leiden daran, dass 3D-Technik in denkbar einfallsloser Weise eingesetzt wird. Ich weiß halt auch nicht, wer permanent auf die Kamera zufliegende Gegenstände braucht.*

Schauspielerisch geben Donnie Yen und Eva Huang sich alle Mühe, den Film zu retten. Was soll ich sagen? Es ist vergebens.

Iceman und sein Sequel Iceman: The Time Traveler (lief 2018 an) wurden Rücken an Rücken gedreht. So kommt es, dass der erste Film zu allem Überdruss am Ende auch noch wie eine überlange Einleitung zur Handlung des zweiten Films wirkt.

* Wobei ich generell der Ansicht bin, dass 3D in Wuxia-Filmen nichts zu suchen hat.

Mittwoch, 15. April 2020

Exorcist Master (1992)

Regie: Wu Ma · Drehbuch: Cheng Man-wah, Chiu Lo-kong · Musik: Huang Chi-yuan · Kamera: Che Chang-gin, Chun Chung-yin, James Wu · Schnitt: Chow Tak-yeung, Liu Wo-hau, Wong Jing-cheung.

Irgendwo im republikanischen China: Im Turm einer katholischen Kirche schlägt der Blitz ein. Das Kreuz fällt vom Dachknauf und durchbohrt den Priester. Der, ein englischer Missionar, verwandelt sich darauf in einen (westlichen) Vampir.

Dem ortsansässigen Daoisten (Lam Ching-ying) ist es ganz recht, dass die Kirche zur Ruine zerfällt. Nicht nur argwöhnt er, dass es darin spukt. Er steht auch generell jeder Tendenz zur Verwestlichung mit unerbittlichem Groll gegenüber. Aber nach 20 Jahren will der Franziskanerpater Wu (Wu Ma) die Kirche wieder eröffnen.

Der Bürgermeister (Teddy Yip) redet den Anwohner:innen ein, mit dem Christentum werde der Fortschritt im Ort einziehen. Dabei haben er und sein aalglatter Sohnemann David (Yang Tzu-yu) etwas ganz anderes im Sinn: Sie wollen im großen Stil Opium schmuggeln und die Kirche heimlich als Depot benutzen.

Aber weder der naive Pater Wu noch das gerissene Vater-und-Sohn-Syndikat haben mit dem blutsaugenden Bewohner des alten Gemäuers gerechnet. Da muss der Daoist her, der allerdings in ziemliche Bedrängnis gerät. Keins der traditionellen Mittel gegen chinesische Vampire (Hundeblut, Amulette, Pfirsichholzschwert) hilft gegen den katholischen Untoten ...

Exorcist Master erschien zu einer Zeit, als die von Mr. Vampire (1985) etablierte Formel »Daoist schlägt sich mit Vampiren herum« längst abgenutzt war. Lam Ching-ying in seiner bekannten Rolle als Daoist mit zusammengewachsenen Augenbrauen muss für allerhand schlappe Witze herhalten. Nicht mal eindrucksvolle Kampfszenen gönnt man ihm. Die werden weitgehend Collin Chou überlassen, der den Schüler des Daoisten gibt.

Auch Wu Ma, hier als Regisseur wie als Darsteller vertreten, spielt den Franziskanerpater nicht gerade überzeugend. Allerdings, das muss bemerkt werden, steht er im Mittelpunkt der einzigen wirklich witzigen Szene des Films: Der würdige Pater wird vom Bürgermeister zu einem Abendessen mit den örtlichen Notabeln eingeladen und merkt partout nicht, dass es sich um die Bordellchefin, den Casinobesitzer und den Wirt der Opiumhöhle handelt.

Seinem Namen erweist der Film übrigens Ehre, indem er den Vampir einen Franziskanerbruder mit grüner Erbsensuppe vollkotzen lässt. Das war es dann aber auch schon wieder, was sehenswerte Momente betrifft.

Sonntag, 29. März 2020

The Eight Dragon Swords (1972)

(Rassistischer) deutscher Titel: Die acht Drachenschwerter des gelben Teufels · Regie: Chin Sheng-en · Drehbuch: Chin Sheng-en · Kamera: Cheng Chieh · Schnitt: Sung Ming.

»Doktor« Hua Lichun (Chiang Pin) ist ein Arzt ganz eigener Art. Der wandernde Kämpfer besiegt Schurken, wo er sie findet. Dann zwingt er sie, ihn so lange zu begleiten, bis er sie von ihrer Neigung zum Bösen »geheilt« hat.

Der Film beginnt damit, dass Lichun erst einen Vergewaltiger, dann einen notorischen Falschspieler bezwingt. Beide müssen sich ihm wohl oder übel anschließen. Und Lichun haut ihnen ordentlich auf die Finger, sobald sie versuchen, ihrem Hang zur sexuellen Gewalt bzw. zum Spielbetrug nachzugehen.

Lichun ahnt jedoch nicht, dass die beiden Schurken dem gleichen Kampfkunst-Klan angehören. Sie schaffen es, dem Meister ihres Klans heimlich ein Signal zu senden. Prompt taucht der schwarz maskierte Meister auf und fordert Lichun zum Duell. Der Verlierer muss dem Sieger einen Wunsch erfüllen, oder er ist des Todes.

Lichun verliert den Zweikampf. Der Meister fordert von ihm, die Magische Feuerdrachenperle zu stehlen. Dieses Kleinod ist ein Familienerbstück des alten Meisters Hua Shiyin (Yen Chung), das noch aus der Han-Dynastie stammt. Es vermag, die Wirkung von Gift zu neutralisieren.

Von diesem Moment an ändert sich die Erzählweise des Films auf drastische Weise. Von der geradlinigen Abenteuergeschichte verwandelt er sich in eine Art Krimi mit Anleihen beim Whodunit und bei Poes berühmten »Purloined Letter«.

Lichun begibt sich zum Haus Meister Huas. Dort befinden sich außerdem Hua Yumei (Violet Pan), die Tochter des Meisters, und ihr Cousin Feng (Chen Hung-lieh). Der Cousin stellt Yumei nach. Er hofft, sie heiraten zu können und zum Erben der Feuerdrachenperle zu werden. Darauf hat Yumei allerdings nicht die geringste Lust. Und der greise Meister Hua erklärt, es sei besser, die Perle verschwinde mit ihm im Grab, als dass sie einem Menschen von schlechtem Charakter in die Hände fiele.

Yumei traut auch Lichun nicht. Sie konfrontiert ihn immer wieder mit dem Verdacht, er wolle die Magische Feuerdrachenperle für sich selber haben. Und die Identität des mysteriösen Meisters mit der schwarzen Maske, der ebenfalls hinter der Perle her ist, ist noch immer ungeklärt. Am Ende sind alle Beteiligten im Haus der Huas versammelt ...

Eine Eigenheit von Eight Dragon Swords besteht darin, dass fast alle Figuren mit skurrilen Waffen kämpfen, die an Gadgets aus James-Bond-Filmen erinnern. Es treten auf, u.a.: Ein mit verborgenen Klingen ausgestatteter Regenschirm. Eine hölzerne Krücke, in der ein Stockdegen verborgen ist. Ein Speer, der zugleich ein Flammenwerfer ist. Lichun selbst ist mit Dolchen bewaffnet, deren Klingen (wie bei einem Springmesser) aus den drachenförmigen Griffen hervorschnellen.

Letztere Waffen sind natürlich die »Drachenschwerter« aus dem Titel des in Taiwan entstandenen Streifens. Darüber hinaus wartet der Film in den Kampfszenen mit phantasievollen Stunts auf.

Sehenswert, besonders die zweite Hälfte mit ihrem »Rätselhafte Verbrechen in der Villa«-Thema.

Dienstag, 17. März 2020

The Close Encounter of the Vampire (1986)

Alternativtitel: The Close Encounter of Vampire · Regie: Yuen Woo-ping · Drehbuch: Yuen Clan · Musik: Tang Siu-lam · Kamera: Kuo Mu-sheng, Lam Chi-wing · Schnitt: Chen Po-yen.

In einem chinesischen Dorf muss ein daoistischer Priester alle 50 Jahre ein Bannritual vollziehen. Andernfalls stehen die Toten des Dorfes aus ihren Gräbern auf und gehen als Vampire umher. Da ist es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis ein Priester das Ritual verbockt. So gesehen, so geschehen. Ein Mann und ein kleiner Junge wühlen sich aus der Friedhofserde und suchen die Leute heim.

Zum Glück kommt ein wandernder Vampirjäger vorbei, der gleich zum nächsten Bambushain eilt und sich spitze Pflöcke schneidet. Leider gehört der Hain zu einem buddhistischen Nonnenkloster. Eine ansässige Nonne hält den wackeren Vampirjäger für einen Spanner und verprügelt ihn erst mal kräftig.

Damit ist auch schon das Wichtigste über den Charakter des Vampirjägers gesagt. Durch eigenes Ungeschick oder die Dummheit der Leute gerät er immer wieder in Situationen, die mit blauen Flecken enden. Nicht gerade beste Voraussetzungen für die Jagd nach Untoten.

Ein zweiter Handlungsstrang dreht sich um eine erfolglose Schauspielschule. Deren Besitzer hat vier Waisenkinder aufgenommen, um sie die Schauspielkunst zu lehren. Aber der Chef widmet sich oft lieber dem Weinkrug als der Ausbildung seiner vernachlässigten Zöglinge.

Die Kinder stoßen auf den Vampirjungen und halten ihn für ein normales, lediglich etwas begriffsstutziges Kind. Sie geben ihm den Spitznamen Dummer Junge und verstecken ihn in der Schauspielschule. Natürlich versucht auch der Nachwuchsvampir, sich von Menschenblut zu nähren. Allerdings fehlt ihm die Erfahrung im Blutsaugen, und so geht die Sache – zum Glück für seine Umgebung – meist schief.

The Close Encounter of the Vampire ist ein typischer Schnellschuss, der nach dem Erfolg von Mr. Vampire flugs abgedreht und ins Kino gebracht wurde. Mitte der Achtziger hüpften die Jiangshi (chinesische Vampire) bekanntlich reihenweise über die Leinwand. The Close Encounter ist denn auch kein Film Yuen Woo-pings, den man unbedingt gesehen haben muss.

Dennoch sei allen, die die Filmografie Yuens möglichst vollständig kennen wollen, gesagt, dass The Close Encounter durchaus einige bemerkenswerte Elemente enthält. Der Vampir (gespielt von Ma Chin-ku) sieht mit seinem Make-up und seiner Mandarinkleidung prächtig aus. Und die Szene, in der ein an eine Säule gefesselter Vampirjäger gegen den Jiangshi kämpft, ist durchaus spannend und, wie man es von Yuen Woo-ping erwarten kann, hervorragend choreographiert.

Solche Höhepunkte gehen in der Handlung, die auf mitunter sehr zweifelhafte Weise komödiantisch ist, aber leider unter. Zweifelhaft in dem Sinne, dass man etwa einen Kinderdarsteller vor der Kamera eine Zigarette rauchen ließ, um ein paar Lacher zu erzeugen. So etwas war auch vor 35 Jahren nicht in Ordnung.

Donnerstag, 5. März 2020

The One-Armed Swordsmen (1976)

Regie: David Chiang, Jimmy Wang Yu · Drehbuch: Ku Long · Musik: Stanley Chow · Schnitt: Kwok Ting-hung.

Eine Räuberbande will ihre Beute aufteilen. Ihr Anführer, der mysteriöse Bruder Drache, hat seine eigenen Vorstellungen, was ›aufteilen‹ bedeutet, und bringt seine Spießgesellen kurzerhand um. Bevor er sich mit dem Raubgut davon machen kann, wird er von dem Polizisten Chin Chuying (Chang Yu) gestört. Im Zweikampf schlägt Bruder Drache dem Polizisten einen Arm ab. Gerettet wird Chin in letzter Minute von einem einarmigen Schwertkämpfer, der wie aus dem Nichts auftaucht und Bruder Drache ebenfalls einen Arm abschlägt.

Damit hat sich die lokale Einarmigen-Population um zwei erhöht (oder so hat es den Anschein ...). Denn Bruder Drache kann trotz seiner Verletzung entkommen. Da er stets eine Maske trägt, kennt niemand seine Identität. Chin Chuying wiederum kann seinem Retter kaum danken, da macht auch der sich schon wieder aus dem Staub.

Chin hängt seinen Beruf an den Nagel und beschäftigt sich fortan mit einem Handbuch für einarmige Schwertkunst. Doch er wird ermordet – natürlich von einem maskierten Einarmigen, was auch sonst? Der Täter flieht unerkannt und nimmt das Handbuch mit. Nur zweierlei ist über ihn bekannt: Er hat ein Muttermal an seiner verbleibenden Hand. Und Chin erklärt mit seinen letzten Worten, es sei nicht Bruder Drache gewesen.

Meister Wan der Fuchs (Lo Lieh), der Bruder des Toten, verkündet, er werde den Mörder zu finden. Doch das ist nicht so leicht. Gleich zwei berühmte einarmige Schwertkämpfer sind in der Gegend unterwegs: Der rauhbeinige Fong Ping (Jimmy Wang Yu) hat einen Groll auf den Charmeur Li Hao (David Chiang), denn der hat eine On-and-off-Beziehung mit Fongs Schwester Tingling (Liu Meng-yan). Meister Wan der Fuchs verkleidet sich – was auch sonst – als einarmiger Schwertkämpfer, um an Fong und Li heranzukommen.

Wir erinnern uns: 1967 kam Chang Chehs One-Armed Swordsman in die Kinos (deutscher Titel: Das goldene Schwert des Königstigers). Der Film brachte den Shaw Brothers jede Menge Geld (und Chang Cheh den Spitznamen »der Eine-Million-Dollar-Regisseur«) ein und avancierte neben Come Drink with Me und Die Herberge zum Drachentor zu einem der drei kanonischen Klassiker des neuen Wuxia-Films der sechziger Jahre. Chang Cheh bescherte den Shaw Brothers mit Return of the One-Armed Swordsman (1969) und The New One-Armed Swordsman (1971) noch zwei Fortsetzungen, die gemeinsam die offizielle Trilogie um den einarmigen Schwertkämpfer bilden.

Eine weitaus durchschlagendere Wirkung hatten jedoch die zahllosen Imitationen, die der ursprüngliche Erfolgsfilm hervorrief. Etwa zehn Jahre lang hielt die Welle von Einarmigen-Filmen an. Zu den immer mehr werden einarmigen Schwertkämpfern gesellten sich bald einarmige Schwertkämpferinnen und einarmige Faustkämpfer (ganz zu schweigen von zweiarmigen Kämpfern, die nur so tun, als ob sie einarmig wären).

The One-Armed Swordsmen ist ein Spätprodukt dieses Trends, aber ein bemerkenswertes. Es handelt sich um eine gemeinsame Regiearbeit von Jimmy Wang Yu und David Chiang, die auch die Hauptrollen spielen. Dazu sind die beiden prädestiniert, waren sie doch die Stars von Chang Chehs ursprünglicher Trilogie. In diesem Film nun toben Wang und Chiang sich richtig aus und pfeifen auf sämtliche Beschränkungen, die die Plausibilität ihnen auferlegen würde. Als Drehort diente Taiwan.

Für einen Wang-Yu-Film ist die Handlung erstaunlich wenig actionlastig. Das liegt daran, dass der Film einem klassischen Whodunit-Plot folgt. Schließlich gilt es, jede Menge Rätsel zu lösen: Wer verbirgt sich hinter Bruder Draches Maske? Wer ist der Einarmige, der Chin zu Hilfe kam? Wer ist Chins Mörder? Und natürlich die Frage aller Fragen: Wie viele Einarmige kommen in diesem Film überhaupt vor?

Ohne letzteres spoilern zu wollen, möchte ich hier verraten: Es sind insgesamt nur (›nur‹) vier. Trotzdem finden sich im Netz zahlreiche Rezensionen, in denen von bis zu sieben Einarmigen die Rede ist. Das liegt daran, dass der Film erzählerisch ein überaus geschicktes Verwirrspiel darstellt. Es kommen Einarmige vor, die sich als Zweiarmige ausgeben, und Zweiarmige, die sich als Einarmige ausgeben. Und eine Schlüsselszene zeigt die Perspektive eines unzuverlässigen Erzählers. Ich selbst habe einige Zeit überlegen müssen, ob nicht doch drei oder fünf die richtige Antwort ist ...

Wenn ich sage, der Film ist vergleichsweise wenig actionlastig, heißt das natürlich nicht, dass es in den Kampfszenen nicht richtig zur Sache geht. Im Gegenteil, der Kontrast zwischen Wangs rohem Kampfstil und Chiangs Eleganz ist äußerst sehenswert. Und ist es nicht besonders zu würdigen, dass der finale Kampf gegen den endlich entlarvten Oberbösewicht ausgerechnet in einem Hühnerstall stattfindet? Ich finde schon.

Weitere Verrücktheiten, mit denen der Film aufwartet: Ein Gasthaus, in dem Fong und Li sich mit Reiswein zuprosten, wird unversehens von einer Horde Schwertkämpfer überfallen, deren Kostüme so aussehen, als seien sie der Requisitenkammer eines Barbar:innen-Trashfilms der Achtziger entnommen. Und als ob der Genremix aus Whodunit und Kung Fu nicht schon abgedreht genug wäre, ist die Filmmusik von Stanley Chow auch noch die nahezu perfekte Imitation eines Morricone-Soundtracks.*

* Chow war in den 1970 für den Score von hunderten Filmen verantwortlich. Dabei bediente er sich gern großzügig bei Komponisten wie Ennio Morricone und Riz Ortolani.

Samstag, 22. Februar 2020

The Robbers (2009)

Deutscher Titel: Die Schlacht der Warlords · Regie: Yang Shupeng · Drehbuch: Yang Shupeng · Musik: Hu Doudou · Kamera: Shu Chou · Schnitt: Lei Fang.

Der deutsche Filmtitel Die Schlacht der Warlords ist wirklich selten daneben.* Weder tauchen in diesem Film irgendwelche Warlords auf, noch werden epische Schlachten geschlagen. Es handelt sich im Gegenteil um einen durch und durch antiheroischen Film.

Die beiden Räuber Xue Shisan (Hu Jun) und Chen Liu (Jiang Wu) treffen in einem Dorf mit dem sprechenden Namen Bitterer Bambus ein. Als sie sich gerade daran machen, den Dorfbewohner Ma Qi (Sa Li) um seine Habseligkeiten zu erleichtern, taucht ein Trupp Soldaten auf. Als einer von ihnen versucht, Ma Qis Tochter Luo Niang (Wang Xiao) zu vergewaltigen, greifen die Räuber ein. Sie töten zwei der Soldaten und vertreiben die übrigen.

Allerdings haben sie nicht mit dem Dorfvorsteher (Lee Li-chun) gerechnet. Der ist ein unverbesserlicher Paragraphenreiter und Gernegroß, der behauptet, von einem Helden aus der Geschichte der Drei Reiche abzustammen. Er beharrt darauf, dass Shisan und Liu »nach den Tang-Gesetzen«** als Mörder der beiden Soldaten der Obrigkeit übergeben werden müssen und lässt sie von den Männern des Dorfes festsetzen. Kurz vor einem weiteren Angriff marodierender Soldaten können die beiden sich befreien, um das Dorf erneut zu verteidigen.

Liu möchte im Dorf bleiben, da er sich in Luo Niang verliebt hat. Damit ist Shisan wiederum gar nicht zufrieden, obwohl auch er ein Techtelmechtel hat, mit Ying Ge (Yu Xiao-lei), der schweigsamen Metzgerin des Dorfes. Aber sämtliche Unstimmigkeiten zwischen den beiden finden ein jähes Ende, als der Dorfvorsteher (der es immer noch nicht kapiert hat) heimlich das Dorf verlässt und eine größere Einheit Soldaten herbeiführt. Die kümmern sich nicht weiter um den Unterschied zwischen Dorfbevölkerung und Räubern, sondern beginnen unverzüglich, Häuser in Brand zu stecken und Menschen zu massakrieren.

Regisseur Yang Shupeng (der interessanterweise Feuerwehrmann war, bevor er sich der Filmkunst zuwandte) legt hier eine Art Anti-Wuxia-Film vor. Wäre es in einer klassischen Wuxia-Geschichte unabdinglich für die Ehre der Helden, das Dorf vor Unrecht zu schützen, werden Shisan und Liu eher versehentlich zu Verteidigern der Entrechteten, (und wissen im Grunde selbst nicht genau, was sie wollen). Anders als die Soldaten werden sie zwar nicht als grausam und gewaltgeil dargestellt, aber die meiste Zeit handeln sie doch ziemlich amoralisch.

Die Männer des Dorfes lassen sich willenlos von ihrem Vorsteher manipulieren. Mit Verstand sind einzig die Frauen ausgestattet – wobei ich sagen muss, dass ich die Darstellung von Gewalt gegen Frauen, mit der der Film aufwartet, ziemlich abstoßend und überflüssig finde.

Ästhetisch ist Regisseur Yang deutlich von einigen Klassikern des japanischen Samurai-Kinos beeinflusst (die Ähnlichkeit zu den Sieben Samurai liegt auf der Hand). Das zeigt sich auch an den Kampfszenen, die alles andere als elegant, sondern blutig und dreckig sind.

Ich bin zwiegespalten. Einerseits ein (von gewissen Redundanzen in der Handlung abgesehen) sehenswerter Film, dessen antiheroische Perspektive auf das Genre man nicht einfach ignorieren kann. Andererseits ist mir die Botschaft doch zu plakativ, mit zu wenig Selbstreflexion rübergebracht.

Auf Dauer ist dieser stets-nur-grimmige Blick auf die Welt und die Menschen (ganz wenige Szenen strahlen ein wenig Hoffnung aus) einfach nicht so meins. Falls Yang Shupeng hier etwas mit dem, was Akira Kurosawa mit Yojimbo und Die sieben Samurai geschaffen hat, vergleichbares im Sinn hatte, ist es ihm jedenfalls nicht gelungen. Aber das wäre wahrscheinlich ohnehin ein zu hoher Anspruch.

* Ich vermute, der Titel wurde in Anlehnung an Peter Chans Kriegsfilm The Warlords von 2007 gewählt.
** Der Film spielt in der Tang-Dynastie, die als Blütezeit der chinesischen Geschichte gilt. Der Film stellt sie bewusst als korrupt und niederträchtig dar.

Sonntag, 16. Februar 2020

League of Gods (2016)

Regie: Koan Hui · Drehbuch: Cherryyoko, Samson Sun · Musik: John Debney · Kamera: Arthur Wong.

Es ist das 11. Jahrhundert vor Christus. König Zhou von Shang (Tony Leung Ka-fai) bedroht ganz China mit Krieg. Er selbst ist von einem schwarzen Drachen besessen, während seine Lieblingskonkubine Daji (Fan Bingbing) eine unsterbliche Fuchsdämonin ist. Des Königs kriegerische Unternehmungen werden angeführt von General Shen Gong Bao (Louis Koo), der auf einem riesigen Panther reitet.

Ji Chang (Zu Feng), der Herzog von Zhou,* und sein Sohn Ji Fa (Andy On) stellen sich dem König, seiner Konkubine und seinem General entgegen. Ji Changs Ratgeber Jiang Ziya (Jet Li) schickt den jungen Leizhenzi (Jacky Heung) auf eine Queste. Er soll das Schwert des Lichts finden. Dieses Schwert vermag den Drachen, der von König Zhou Besitz ergriffen hat, zu besiegen, wenn es von einem Helden namens Goldener Drache geschwungen wird. Allerdings muss sich mit Hilfe des Schwertes erst noch herausstellen, wer Goldener Drache ist ...

Leizhenzi macht sich auf den Weg. Begleitet wird er von den beiden Göttern Nezha (Wen Zhang) und Erlang Shen (Huang Xiaoming). Leizhenzi selber ist ein Unsterblicher, letzter Überlebender eines geflügelten Himmelsvolks. Leizhenzis Leute waren einst von Shen Gong Bao, dem Kriegsherrn, angegriffen worden. Leizhenzi, noch ein Kind, konnte als einziger fliehen, musste aber mit ansehen, wie Shen Gong Bao seinem Vater die Flügel ausriss. Seitdem kann auch Leizhenzi nicht mehr fliegen. Aufgewachsen ist er am Hof Ji Changs, wo Prinz Ji Fa sein brüderlicher Freund wurde.

Um den Erfolg von Leizhenzis Queste zu verhindern, konstruiert Shen Gong Bao aus Holz ein lebensecht aussehendes künstliches Mädchen, Lan Die (Angelababy). Leizhenzi verliebt sich in Lan Die, die sich der Heldengruppe anschließt. Sie weiß nicht, dass Shen Gong Bao aus der Ferne Zugang zu ihren Gedächtnisinhalten hat.

League of Gods basiert auf dem Shenmo-Roman Die Investitur der Götter von Xu Zhonglin. Dieses Werk aus der Ming-Dynastie stand immer etwas im Schatten der Reise in den Westen, bietet aber tatsächlich einiges an Stoff für einen epischen Film, in dem Götter und Sterbliche sich die Bühne teilen. League of Gods ist denn auch eine bemerkenswert aufwändige Produktion, die mich allerdings zu keinem Augenblick wirklich packen konnte.

Hier und da wird deutlich, dass Kreativität in diesen Film geflossen ist. Die Kostüme von König Zhou und seiner dämonischen Gefährtin Daji zum Beispiel sind faszinierend anzuschauen. Leider überwiegt aber der Eindruck, dass Regisseur Hui und sein Team versucht haben, einen Hollywood-Blockbuster nachzuahmen.** Überdeutliches Vorbild von League of Gods ist das Marvel Cinematic Universe – bis hin zur Mid-Credits-Szene. Die Darstellung von Leizhenzi, Nezha und Erlang Shen etwa erinnert an ein typisches Superheld:innen-Team. Louis Koo als Kriegsherr, der lebende Maschinen bastelt und gegen die Helden losschickt, hat wiederum etwas von einem Superschurken.

Shen Gong Bao ist übrigens der eigentliche Antagonist des Films. Big Tony Leung als König Zhou steht eher im Hintergrund und hat wenig zu tun. Es mag sein, dass der König von Shang für das, was der Film anstrebt, eine zu ›chinesische‹ Figur ist. König Zhou ist im kulturellen Gedächtnis Chinas nämlich zum Archetyp des dekadenten, zu Grausamkeiten und protzigen Ausschweifungen neigenden Herrschers geworden. Ihm wird die Konstruktion eines »Weinsees und Fleischwaldes« zugeschrieben: Der König habe einen künstlichen See anlegen lassen, der mit Wein gefüllt wurde. Im See habe sich eine Insel mit künstlichen Bäumen befunden, an deren Zweigen Bratenstücke steckten. So konnte man mit Booten in dem See herumfahren und sich zugleich vollfressen und volllaufen lassen. Davon ist im Film leider nichts zu sehen.

Was die übrige Besetzung betrifft, können nur Fan Bingbing und Angelababy wirklich überzeugen. Jet Li, der hier den knotterigen alten Weisen mit Rauschebart gibt, ist noch ganz amüsant gegen den Strich gecastet. Sonst haben die Darstellungen mich eher kalt gelassen. Hauptdarsteller Jacky Heung hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem jungen Jet Li, aber leider ohne dessen Charisma.

Auch beim Creature Design bricht der Film gelegentlich aus dem Blockbuster-Korsett aus, etwa bei der Darstellung von Dajis Fuchsschwänzen, die am Ende eine gezähnte Öffnung haben, die an eine Vagina dentata erinnert. Das bleibt aber eher die Ausnahme. Die meiste Zeit wirkt League of Gods eher glattgebügelt und fad, als wolle man vermeiden, allzu irritierenden Genre-Elementen Raum zu geben.

Ich frage mich, was der Zweck eines solchen Films sein soll? Ein einheimisches Konkurrenzprodukt zum MCU erschaffen? Wie soll das funktionieren, wenn das Publikum außerhalb der Sinosphäre mit dem mythologischen Stoff überhaupt nicht vertraut ist? Seinem Ausgangsmaterial wird League of Gods so jedenfalls nicht gerecht.

* Es ist etwas verwirrend, dass sowohl der König von Shang als auch Ji Changs Herzogtum den Namen Zhou tragen. Das entspricht aber den historischen Gegebenheiten.
** Der Vorwurf, dieser oder jene chinesische Film passe sich zu sehr westlichen Sehgewohnheiten an, wird natürlich ständig erhoben. Hier finde ich ihn allerdings zutreffend. 

Samstag, 15. Februar 2020

The Fatal Flying Guillotine (1977)

Deutscher Titel: 4 stahlharte Fäuste ‧ Regie: Raymond Lui ‧ Drehbuch: Raymond Lui, Sheng Yu-hsu ‧ Musik: Frankie Chan.

Der Mandschu-Fürst Hong Hee hat sich zum Kaiser von China ernannt. Nach der verlorenen Schlacht am Tigerfluss erlahmt der Widerstand der Han. Shen Mo Chao (Chen Sing) wurde in der Schlacht schwer verletzt. Er zieht sich in das Tal des Todes zurück, wo er seine Wunden mit Schlangengift behandelt. Fortan lebt er im Tal und kultiviert seinen Hass auf die siegreichen Mandschu und auf überhaupt alle, die ihn in seiner selbstgewählten Einsamkeit stören.

Und gestört wird er häufig. Shen Mo Chao ist nämlich der Erfinder der Todesglocke – einer fliegenden Waffe, die durch ein rotierendes Sägeblatt wie von einem Propeller angetrieben wird und Menschen auf große Entfernung zu köpfen vermag. Prinz Hong Chu, der vierte Sohn des neuen Kaisers, möchte diese Waffe nur zu gerne in seine Finger bekommen.

Der Film spielt im Jahr 1675. Hong Hee ist der persönliche Name des Kangxi-Kaisers, des dritten Herrschers der mandschurischen Qing-Dynastie. Hong Chu, der während seiner Verwicklung in diverse Nachfolge-Intrigen tatsächlich stets nur »der vierte Sohn« genannt wurde, ist als der Yongzheng-Kaiser sein Nachfolger. Unter seinen Ära-Namen kennen wir den »vierten Sohn« bereits als Antagonisten der offiziellen Flying-Guillotine-Filme aus dem Hause Shaw Brothers.

Damit präsentiert The Fatal Flying Guillotine sich als inoffizielles Prequel, das ein wenig am Erfolg der Filme mitverdienen möchte. Jimmy Wang Yu hatte ein Jahr zuvor gezeigt, wie es geht, indem er mit Master of the Flying Guillotine ein Crossover mit seiner eigenen Figur, dem einarmigen Boxer, drehte. Dieser Film hat mit der Zeit Kultstatus erreicht, während The Fatal Flying Guillotine einen eher schlechten Ruf genießt. Unverdient, wie ich meine, denn Regisseur Raymond Lui arbeitete zwar mit sichtlich geringem Budget, fügt der Saga aber doch einige interessante Nuancen hinzu.

Shen Mo Chaos Sohn Shen Piao (Carter Wong) kennt seinen Vater nicht. Seiner Mutter ist er aber (gemäß der konfuzianischen Tugend der kindlichen Pietät) treu ergeben. Als sie schwer erkrankt, macht er sich auf den Weg ins Shaolin-Kloster. Die Mönche haben in ihrer Bibliothek ein Buch, in dem Therapien für scheinbar unheilbare Krankheiten aufgezeichnet sind.

Um das Buch einsehen zu dürfen, hat Shen Piao aber drei Prüfungen zu bestehen: Er muss allein und unbewaffnet zunächst gegen eine Übermacht von Schwertkämpfern, dann gegen eine Übermacht von Stockkämpfern, und schließlich gegen einen Shaolin-Meister im Zweikampf antreten. (Warum die Mönche ihr medizinisches Wissen nicht einfach so teilen, verrät der Film nicht. Wahrscheinlich, weil sie sich dann keine unterhaltsamen Kampfkunst-Prüfungen mehr ausdenken könnten.)

Shen Piao trickst ein wenig. Er trägt einen Gürtel aus hölzernen Gliedern, der sich ähnlich einem Nunchaku verwenden lässt, und einen Körperpanzer, der vor Akupressur-Attacken schützt. Aber da er seine Gegner auf äußerst virtuose Weise verprügelt, sehen die Mönche nachsichtig lächelnd über die kleine Schummelei hinweg und händigen ihm das Buch aus.

Auf dem Heimweg wird Shen Piao aus dem Hinterhalt überfallen. Der maskierte Angreifer tauscht das Buch gegen eine Fälschung aus, und Shen Piaos Mutter stirbt qualvoll. Zornig und trauernd sucht er erneut das Kloster auf. Dort stellt sich heraus, das der Buchdieb kein anderer als Cao Wei ist, der Shaolin-Meister, dem Shen Piao sich im Zweikampf zu stellen hatte. Cao Wei ist ein Mandschu und Spion des »vierten Sohnes«.

Das Buch hat der abtrünnige Meister gestohlen, um es dem Kaisersohn zu bringen. Der plant, das Buch Shen Mo Chao als Geschenk zu überreichen (damit er nicht mehr auf die Eigentherapie mit Schlangengift angewiesen ist), sofern dieser bereit ist, in Hong Chus Dienste zu treten. Mit Hilfe der Todesglocke will der »vierte Sohn« die Macht an sich reißen. Abgesandte Hong Chus sind bereits unterwegs zum Tal des Todes.

Sogleich macht sich eine Gruppe von Shaolin-Kämpfern ebenfalls auf zum Tal, um den Schergen des Kaisersohnes zuvorzukommen. Immer noch nicht ahnend, dass es um seinen Vater geht, schließt Shen Piao sich ihnen an.

Es wird niemanden überraschen, dass die ganze Handlung auf einen tödlichen Zweikampf zwischen Vater und Sohn zuläuft. Auch der Erzählbogen dahin ist von unterhaltsamen Kampfszenen geprägt. Carter Wong ist für die Rolle des stoischen Helden wie geschaffen. Chen Sing als mieser alter Giftgreis, der in seinem Tal hockt und einen Kopf nach dem anderen rollen lässt, gibt wiederum einen formidablen, campy Schurken ab.

Der Film schließt damit, dass die berüchtigte Todesglocke tatsächlich an den Kaiserhof gebracht wird, wo aber niemand mit ihr umzugehen vermag. So fügt sich das inoffizielle Prequel mit geschickter Ironie in die Saga ein. Man kann sich gut vorstellen, dass Kaiser Yongzheng während seines Aufstiegs mit einer fliegenden Waffe (der Todesglocke) in Berührung kam, die in ihm die fixe Idee reifen ließ, selber über eine vergleichbare Waffe (die fliegende Guillotine) zu verfügen. Lässt man sich auf die Skurrilität der Ausgangsidee ein (was unabdingbare Voraussetzung ist, um diese Filme überhaupt ansehen zu können), ist das alles durchaus amüsant.

Notwendig ist eine Bemerkung zur deutschen Synchronfassung. Wer immer die verbrochen hat, vermochte offenbar auf Rassismus nicht zu verzichten. Nach der Eröffnungsszene wird eine Texttafel eingeblendet, auf der es heißt: »Asiens Karate Killer schlagen zu ‒ GELB, BRUTAL und UNERBITTLICH«. Auf so einen Scheiß muss man erst mal kommen, möchte man meinen, aber leider sind solche Sprüche für die deutsche Rezeption chinesischer Martial-Arts-Filme in den siebziger und achtziger Jahren typisch. Und dass man sich nicht die Mühe machte, chinesische und japanische Kampfkunst zu unterscheiden, ist eine Dreingabe an Ignoranz.

Montag, 27. Januar 2020

The Knight of Shadows: Betweeen Yin and Yang (2019)

Regie: Yan Jia (als Vash) · Drehbuch: Liu Boham · Musik: Zhai Jinyan, Zhao Zhao · Kamera: Choi Yeong-hwan · Schnitt: Wong Hoi.

Der Jackie-Fanclub ist nicht amüsiert. »The most lousy Jackie Chan movie«, »incredibly horrible«, »cannot see any positive aspect«, heißt es in den Bewertungen auf IMDb. Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht gibt es immer noch Leute, die auf die drölfzigste Buddy-Cop-Komödie mit Jackie Chan warten? Der schlechteste Film, den er je gemacht hat (und er hat in seiner langen Karriere ja nicht wenig Zelluloidmüll fabriziert), ist The Knight of Shadows wirklich nicht. Würde ich den Film empfehlen? Das allerdings auch nicht.

Da die Dämonen es auf der Erde allzu arg treiben, sendet der Himmel den unsterblichen Gelehrten Pu Songling (Jackie Chan), der mit seinem Yin-und-Yang-Pinsel die Dämonen in ein Buch zu bannen vermag. Da Meister Pu ein vergleichsweise sanftmütiger Dämonenjäger ist, hat er nichts dagegen, sich mit gutartigen Wesen aus der Geisterwelt anzufreunden. Gleich vier knuddelige, hochgradig alberne CGI-Dämonen fungieren als seine Sidekicks auf der Jagd nach gefährlicheren Wesen.

Pu Songling ist eine historische Person. Der Schriftsteller der Qing-Dynastie veröffentlichte die wohl bekannteste Sammlung chinesischer Erzählungen des Übernatürlichen, die Seltsamen Geschichten aus dem Liao-Studierzimmer. Martin Buber übersetzte eine Auswahl dieser Geschichten ins Deutsche, und Jorge Luis Borges nahm einige von ihnen in seine Bibliothek von Babel auf. Dem Wuxia-Kino haben die Seltsamen Geschichten immer wieder zur Inspiration gedient: Filme wie Ein Hauch von Zen, A Chinese Ghost Story und Painted Skin beruhen auf Stoffen, die sich in Pu Songlings Sammlung finden.

Die Idee ist also, dass Pu Songling nicht nur übernatürliche Geschichten für sein Buch sammelt, sondern tatsächlich übernatürlichen Wesen begegnet und sie in sein Buch bannt (wo sie gewissermaßen zu Geschichten werden). Die Haupthandlung des Films besteht folgerichtig darin, wie eine dieser Geschichten entsteht, und zwar Pu Songlings bekannteste überhaupt: die vom schönen Gespenstermädchen Nie Xiaoqian, das in einem verlassenen Tempel in der Stadt Jinhua spukt. Die Geschichte, auf der schon der frühe Shaw-Brothers-Streifen The Enchanting Shadow sowie A Chinese Ghost Story (samt Remake) basieren.

Dass es sich um die erneute Verfilmung eines klassischen Stoffs handelt, ist nicht das Problem von The Knight of Shadows. Beliebte Geschichten immer wieder neu umzusetzen, gehört zum chinesischen Kino dazu (im Westen wundert sich ja auch niemand, wenn Grimmsche Märchen eine Vielzahl an Verfilmungen erfahren). Das Problem ist, dass der Film es nicht schafft, die Geschichte von Nie Xiaoqian (Elane Zhong) und ihrem sterblichen Geliebten Ning Caichen (Ethan Juan) auf gescheite Weise zu erzählen. The Knight of Shadows versucht, dem Stoff einen revisionistischen Twist zu verleihen, ohne sich allerdings die nötige Zeit dafür zu lassen, das erzählerisch vorzubereiten.

Denn da ist der gute Jackie davor. Der blüht sichtlich auf in seiner Rolle als pinselschwingender Geisterjäger. Die clowneske Seite seines Talents kommt gut zum Tragen, lässt aber leider nicht viel Raum für weiteres. Besser wäre es gewesen, sich weniger komplexes Quellenmaterial aus dem Fundus des Liao-Studierzimmers auszusuchen. Nie Xiaoqians Geschichte wird The Knight of Shadows einfach nicht gerecht. Weniger (d.h. einfach nur ein geradliniger Flick mit Jackie Chan als knuffigem Dämonenjäger) wäre hier mehr gewesen.

Mittwoch, 22. Januar 2020

Flying Guillotine 2 (1978)

Alternativtitel: Palace Carnage · Deutscher Titel: Die fliegende Guillotine 2 · Regie: Hua Shan, Cheng Kang · Drehbuch: Cheng Kang, I Kuang, Lee Wing-cheung · Musik: Chen Yung-yu · Kamera: Cheung Tak-wai · Schnitt: Chiang Hsing-lung, Henry Cheung.

Flying Guillotine 2 ist die offizielle Fortsetzung von The Flying Guillotine (1975) aus der Produktion der Shaw Brothers. Nachdem andere Studios sich an die Idee mit der kuriosen Waffe dranhängten und Master of the Flying Guillotine (1976) und The Fatal Flying Guillotine (1977) auf den Markt warfen, warteten die Shaw Brothers 1978 endlich mit einem echten Sequel auf. Damit kamen sie allerdings zu spät, denn Master of the Flying Guillotine, der erste der beiden Mockbuster, übertrifft die Bekanntheit des ursprünglichen Films heute bei weitem.

Ma Teng (Ti Lung), der im ersten Film der fliegenden Guillotine entkam, ist ob dieser Tat zum Helden der Opposition gegen den Yongzheng-Kaiser (Ku Feng) geworden. Doch Ma Teng befindet sich ständig auf der Flucht vor den kaiserlichen Häschern.

Besorgt, dass Ma Tengs Überleben Schule machen könnte, lässt der Kaiser einen tibetischen Lama (Ching Miao) kommen, der die fliegende Guillotine zur fliegenden Doppelguillotine weiterentwickelt. Die wartet mit einem zweiten Köpf-Mechanismus auf, der zum Einsatz kommt, wenn man dem ersten erfolgreich ausgewichen ist.

Um dem Treiben Einhalt zu gebieten, hat sich eine kleine Gruppe von Schwertkämpfer_innen zusammen gefunden. Die Schwierigkeit besteht darin, Zugang zum Palast zu erhalten. Nach zwei gescheiterten Attentatsversuchen tut sich eine Möglichkeit auf, an den Kaiser heranzukommen. Die heimliche Anführerin der Oppositionsgruppe ist nämlich Na Lan (Shih Szu), die Tochter des Kriegsministers. Da noch niemand den Umgang mit der neuen, verbesserten Guillotine des Lamas beherrscht, meldet Na Lan sich freiwillig, eine aus Frauen bestehende Guillotinen-Einheit aufzustellen. Die soll vor den Augen des Kaisers trainieren, nur um dann gegen ihn zum Einsatz zu kommen. Doch mit ihrem Doppelspiel bringt Na Lan ihren Vater, den Minister, in höchste Gefahr ...

Für die Fortsetzung wurde der Cast ausgetauscht. Der Yongzheng-Kaiser wird hier von Ku Feng gespielt, der im ersten Film noch den Erfinder der fliegenden Guillotine gab. Das schwächt den Film ziemlich, denn während Yongzheng in The Flying Guillotine als eiskalt kalkulierender, machtbewusster Herrscher gezeichnet wurde, ist Ku Fengs Darstellung reichlich over the top (was natürlich nicht nur am Schauspieler, sondern auch an den Vorgaben von Regie und Script liegt). Der Kaiser erscheint hier als mandschurischer Barbar, der aus reinem Vergnügen seine Han-Untertanen quält, aus keinem anderen Grund als dem, dass sie Han sind.

Auch Ma Teng bekommt mit Ti Lung einen neuen Darsteller, der seine Aufgabe wiederum recht brav erfüllt. Liu Wu-chi, die im ersten Teil Ma Tengs Gefährtin Yu Ping spielte, ist leider nicht mehr mit von der Partie. (In der Tat verschwand Liu just während der Dreharbeiten an Flying Guillotine 2 auf mysteriöse Weise und bleibt bis heute vermisst.)

Im Mittelpunkt des Films steht ganz klar Shih Szus Rolle als Tochter des Ministers und heimliche Verschwörerin gegen den Kaiser. Der Charakter der Na Lan wäre gelungen, wenn man ihm ausreichend Raum gelassen hätte. Junge Frauen mit doppelter Identität – höhere Töchter bei Tag und furchtlose Schwertkämpferinnen bei Nacht – sind schließlich eine typische Wuxia-Figur, die immer wieder zu faszinieren weiß, von Come Drink with Me bis Tiger and Dragon.

Leider widmet Flying Guillotine 2 den Figuren und der zwischen ihnen herrschenden Dynamik ziemlich wenig Aufmerksamkeit. Auf langwierige Weise wird dagegen die Planung und Durchführung der verschiedenen Attentate sowie die Bastelei an der Doppelguillotine abgehandelt. Zwischendurch geht es immer wieder um Ma Tengs Flucht, und natürlich ist von Anfang an klar, dass der Held des ersten Films und die gegen den Kaiser verschworene Gruppe irgendwann aufeinander treffen. Das allein ist aber viel zu wenig, um den Film zu tragen.

Montag, 13. Januar 2020

The Flying Guillotine (1975)

Deutscher Titel: Die fliegende Guillotine · Regie: Ho Meng-hua · Drehbuch: I Kuang · Musik: Wang Fu-ling · Kamera: Tsao Hui-chi · Schnitt: Chiang Hsing-lung.

Die Qing-Dynastie konsolidiert ihre Macht über China. Der Yongzheng-Kaiser (Chiang Yang) herrscht mit eiserner Faust. Beamte und Gelehrte, die es wagen, dem Kaiser zu widersprechen, werden ausnahmslos hingerichtet. Aber die öffentlichen Hinrichtungen stacheln die Wut auf das Regime immer weiter an. Der Kaiser beauftragt deshalb Xin Kang (Ku Feng), eine Waffe zu erfinden, mit der sich unbequeme Würdenträger unauffällig beseitigen lassen.

In den Straßen der Hauptstadt beobachtet Xin Kang Akrobat:innen, die Teller auf Stäben kreisen lassen und Tricks mit dem Diabolo vorführen. Das bringt ihn auf die Idee der fliegenden Guillotine, mit der man einen Menschen aus 30 Meter Entfernung köpfen kann. Dem Kaiser gefällt die Idee. Er befiehlt die Aufstellung einer Elitetruppe von zwölf Attentätern, die an der fliegenden Guillotine ausgebildet werden.

Die zwölf Rekruten werden im Palast untergebracht, wo sie allen Komfort genießen. Sie ahnen nicht, dass einer der ihren, der linientreue Ah Kun (Frankie Wei), sie im Auftrag des Kaisers bespitzelt. Kaum ist das Training abgeschlossen, beginnen die heimlichen Anschläge.

Den Attentätern entgeht nicht, dass die meisten ihrer Opfer integre Persönlichkeiten sind. Bei einigen von ihnen regt sich das Gewissen. Als Luo Peng (Lin Wei-tu) bei der Ausführung eines Attentats Skrupel zeigt, ergeht der Befehl an die anderen, ihn zu töten.

Ma Teng (Chen Kuan-tai) hat genug von dem blutigen Handwerk und flieht mit Hilfe der Straßenmusikerin Yu Ping (Liu Wu-chi) aus der Hauptstadt. Der Kaiser setzt Ah Kun auf ihn an, und eine gnadenlose Verfolgungsjagd beginnt.

Bedenkt man, wie campy die Idee ist, die diesem Film unterliegt, handelt es sich um ein erstaunlich ernsthaftes Werk. Schließlich geht es darum, wie Menschen in ein despotisches Herrschaftssystem kooptiert werden und dagegen aufbegehren. Die Welle von Fortsetzungen, die The Flying Guillotine auslöste, spielt dann natürlich voll und ganz den Aspekt der Campiness aus, aber dieser erste Teil gibt sich noch als hohe Tragödie. Das macht ihn auf eine ganz andere Weise interessant.

Ho Meng-hua, einer der fleißigsten Regisseure der Shaw Brothers, hat hier gute Arbeit geleistet. Chiang Yang überzeugt als fieser Kaiser, und Liu Wu-chi als Straßenmusikerin ist eine Augenweide.

Die sagenhafte Waffe soll es übrigens zur Zeit des Yongzheng-Kaisers wirklich gegeben haben. Allerdings weiß niemand, wie sie funktionierte – oder ob überhaupt.

Sonntag, 12. Januar 2020

Ching – Das Geheimnis des schwarzen Schwertes (1970)

Alternativtitel: Ching – Das Geheimnis des blutigen Schwerts · Englischer Titel: The Darkest Sword · Regie: Lung Chien · Drehbuch: Ge Tien · Musik: Eddie Wang · Kamera: Liao Wan-wen.

Sobald der alte Meister mit dem Schmieden des Schwarzen Schwertes fertig ist, wird es ihm von seinem fiesen Schüler Ching (Yi Yuan) geklaut. Der fühlt sich mit der mächtigen Waffe unbesiegbar. Doch der alte Meister ruft Ching eine Warnung nach, als er zum Unheilstiften in die Welt hinauszieht: Noch mächtiger als das Schwarze Schwert ist das Goldene Schwert. Dieses werde eines Tages Chings Untergang sein.

Ching verbündet sich mit Jiang und seinen Kämpfern. Sie planen, den Tempel eines rivalisierenden Kampfkunst-Klans zu attackieren, und Ching bereitet die Aussicht auf Blutvergießen Freude. Als immer mehr Kämpferinnen und Kämpfer des Tempels Ching und seinem Schwert zum Opfer fallen, macht Siu Chen (Chang Ching-ching) sich auf die Suche nach Kuan, dem Champion des Klans. Sie trifft ihn bei der Wildhuhnjagd an und kehrt mit ihm zurück.

Es ist aber noch kein Aufatmen angesagt. Zurück im Tempel, wird Kuan von Tengo zum Duell gefordert. Der rivalisiert mit Kuan um Siu Chens Gunst. Kuan will nicht gegen einen Klan-Bruder kämpfen, muss sich aber notgedrungen verteidigen und verstümmelt Tengo unwillentlich. Der wutentbrannte Klan-Patriarch, Siu Chens Vater, verurteilt Kuan zum Tode. Siu Chens Mutter ist weitsichtiger als ihr Mann und befreit den besten Kämpfer des Klans heimlich aus dem Kerker.

Aber Kuan hat der unglückliche Kampf gegen Tengo so erschüttert, dass er schwört, der Kampfkunst für immer zu entsagen. Als er sein Schwert zerbricht, steht ihm plötzlich Ching gegenüber ...

Die simple, aber effektive Story hätte das Zeug, Ching zu einem soliden Wuxia-Filmchen zu machen. Leider stammt der in Taiwan entstandene Streifen aus der Zeit, in der Martial-Arts-Flicks am Fließband produziert wurden. Um das Budget möglichst niedrig zu halten, wurden für die Kampfszenen anstelle von aufwändiger Akrobatik Schnitte eingesetzt. Das wäre an sich nicht schlimm, wenn es denn gut gemacht wäre. Leider sieht das Ergebnis alles andere als überzeugend aus, und die wackelige Kameraarbeit gibt der Sache den Rest.

Während die Auseinandersetzungen in Siu Chens Klan noch einigermaßen zu interessieren vermögen, geht dem Film, sobald es zum Kampf kommt, regelmäßig die Luft aus. Nach einer Weile wird dann auch die restliche Handlung immer dünner und zieht sich immer mehr. Als dann endlich das zu Beginn versprochene Goldene Schwert auftaucht, ist meine Geduld schon längst am Ende.

Freitag, 10. Januar 2020

Little Dragon Maiden (1983)

Alternativtitel: The Brave Archer 5 · Regie: Hua Shan · Drehbuch: Ning Tan, Tsai Nai-pin · Musik: Stephen Shing, Su Chen-hou · Kamera: Nico Wong · Schnitt: Chiang Hsing-lung, Henry Cheung.

Little Dragon Maiden benutzt den zweiten Band von Jin Yongs Trilogie Legends of the Condor Heroes als Ausgangsmaterial. Als Verfilmung eines bekannten (wenn nicht des bekanntesten überhaupt) Wuxia-Romanzyklus sind dem anvisierten Publikum des Films die Figuren bereits bekannt. Kennt man die Trilogie nicht, ist es schwierig, in die Filmhandlung einzusteigen. Ich gebe deshalb im Folgenden einige Informationen, die der Film nur in Form von Flashbacks oder Hinweisen in den Dialogen präsentiert.

Die beiden Kämpfer Guo Jing (Chen Kuan-tai) und Yang Kang (Leslie Cheung) sind Schwurbrüder. Yang Kang verrät ihren Bund jedoch und wendet sich gegen Guo Jing. Guo Jing und seine Frau Huang Rong (Leanne Liu) besiegen Yang Kang in einem Duell, das mit seinem Tod endet.

Little Dragon Maiden setzt damit ein, dass Yang Kangs Sohn Yang Guo (ebenfalls Leslie Cheung) krank und hungrig als Bettler durch die Lande irrt. Wie sein Vater starb, weiß er nicht. Er begegnet dem wahnsinnigen Kung-Fu-Meister Ouyang Feng (Lo Lieh), der ihm einige Bewegungen seiner exzentrischen Kröten-Kampfkunst beibringt. Eines Tages läuft er Guo Jing und Huang Rong über den Weg, die ihn als den Sohn ihres zum Feind gewordenen Freundes erkennen. Sie nehmen Yang Guo in ihr Haus auf und pflegen ihn gesund.

Damit der Junge eine ordentliche Kung-Fu-Ausbildung erhält, beschließt Guo Jing, ihn als Schüler in das daoistische Quanzhen-Kloster auf dem Berg Zhongnan zu geben. Bei der Ankunft im Kloster wird Guo Jing von zweien der dortigen Kampfkunstlehrer, Meister Zhao (Wong Lik) und Meister Yin (Hung San-nam) angepöbelt und beleidigt. Als gleich darauf der mongolische Fürst Huodu (Ku Kuan-chung) mit seinen Kämpfern das Kloster angreift, vermag Guo Jing als einziger, den Mongolen Paroli zu bieten. Zhao und Yin werden für ihr Verhalten vom Abt getadelt und fühlen sich gedemütigt.

Yang Guo wird Meister Zhao als Schüler zugeteilt. Der lässt seine Wut gnadenlos an dem Jüngling aus. Die rüpeligen Mönche merken, dass Yang Guo eine Zielscheibe ist, und haben ihren Spaß daran, ihn beim Training regelmäßig zu verprügeln.

Ebenfalls auf dem Zhongnan-Berg befindet sich eine Höhle, in der ein weiterer Kampfkunst-Klan, die Sekte des Alten Grabes, ihren Sitz hat. Die Sekte des Alten Grabes nimmt nur Frauen auf und legt großen Wert auf die Wahrung ihrer Geheimnisse. Den Quanzhen-Mönchen ist es verboten, sich der Höhle zu nähern.

Bei einem Schaukampf wehrt Yang Guo sich mit Hilfe des Kröten-Kung-Fu gegen die übertriebenen Attacken der Mönche. Er flieht aus dem Kloster und betritt unwissentlich die Höhle der Sekte des Alten Grabes. Xiaolongnü (Mary Jean Reimer), die Meisterin der Sekte, bricht mit der Tradition und nimmt Yang Guo als Schüler an. Während sie Yang Guo in die Geheimnisse des Jungfrauen-Kung-Fu einweiht, verlieben sich die beiden Jungspunde.

Yang Guos erster Meister, der wahnsinnige Ouyang Feng, kommt Yang Guo besuchen. Er erlaubt sich einen üblen Scherz mit Xiaolongnü, indem er sie vorübergehend lähmt. Meister Yin aus dem Quanzhen-Kloster nutzt Xiaolongnüs Hilflosigkeit aus und vergewaltigt sie. Xiaolongnü hält irrtümlich Yang Guo für den Täter. Die beiden trennen sich und ziehen in die Welt hinaus.

Im Haus Guo Jings und Huang Rongs findet eine Versammlung der Wulin statt. Die Kämpferinnen und Kämpfer wollen einen gemeinsamen Anführer wählen, um im Fall einer mongolischen Invasion vereint zuschlagen zu können. Xiaolongnü und Yang Guo treffen unabhängig voneinander auf der Versammlung ein und versöhnen sich.

Auch Fürst Huodu taucht auf der Versammlung auf. Er will durchsetzen, dass sein Meister, der buddhistische Mönch Jinlun (Lung Tien-hsiang) zum Anführer gewählt wird. Um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen, hat er den bärenstarken Kämpfer Da’erba (Eddy Ko Hung) mitgebracht. Die Versammlung entscheidet sich jedoch für Huang Rongs Vater Huang Yaoshi (Chan Lau) als Anführer. Als Huodu und Da’erba daraufhin versuchen, ihr Ziel mit Gewalt durchzusetzen, werden sie von Yang Guo und Xiaolongnü besiegt.

Die Kämpferinnen und Kämpfer lassen die beiden zunächst hochleben. Als jedoch deutlich wird, dass Yang Guo eigenmächtig die Schule gewechselt hat und zudem unverheiratet mit seiner Meisterin zusammenlebt, wird Missbilligung laut. Yang Guo und Xiaolongnü müssen sich nun entscheiden: Wollen sie weiter zusammen ihren Weg gehen und aus der Wulin verbannt werden, oder geben sie ihre Liebe auf? Zudem muss Yang Guo herausfinden, warum sein Vater getötet wurde, und Xiaolongnü an ihrem Vergewaltiger Rache üben. Und auch der Zorn Huodus und seines Meisters Jinlun auf das junge Paar ist groß ...

Zu Legends of the Condor Heroes sind Dutzende von Filmen und Fernsehserien entstanden, die sich einzelner Teile der Romantrilogie annehmen. Darüber hinaus hatte sie aber auch prägenden Einfluss auf das gesamte Wuxia-Genre. Figuren und Gruppen aus Jin Yongs Werk tauchen in zahlreichen Filmen auf, teilweise in recht eigenständigen Interpretationen. So ist Ashes of Time eine Art Film-Prequel der Romantrilogie. In Wong Kar-wais Film spielt Leslie Cheung eine jugendliche Version von Ouyang Feng, der in Little Dragon Maiden als verrückter alter Lehrer von Leslie Cheungs Figur auftritt.

Als Einstieg in Jin Yongs Trilogie und ihre Adaptationen eignet sich Little Dragon Maiden aber nicht gerade. Der Film setzt in medias res ein und verlässt sich darauf, dass das Publikum die Figuren und ihre Schicksale in Grundzügen bereits kennt.

Bevor Little Dragon Maiden entstand, hatten die Shaw Brothers mit The Brave Archer 1–3 bereits eine Reihe von Filmen produziert, die den ersten Band der Romantrilogie abdecken. Ein vierter Teil, der bereits in den zweiten Band hinüber führt, wurde 1982 mit The Brave Archer and His Mate fertiggestellt. Da ist es etwas überraschend, dass das gleiche Studio schon im Jahr darauf mit Little Dragon Maiden einen Streifen veröffentlicht, der die in The Brave Archer and His Mate abgedeckte Handlung noch einmal erzählt.

Aufgrund dieser zeitlichen Nähe wird Little Dragon Maiden oft als fünfter Teil der Brave-Archer-Reihe betrachtet. Das ist aber unzutreffend. Little Dragon Maiden ist eine neue Interpretation der gleichen Geschichte, die allerdings etwas komplizierter daherkommt, weil anders als bei der vierteiligen Filmreihe der Anfang nicht explizit erzählt wird.

Regisseur Hua Shans Film ist aufgrund seiner Special Effects, vor allem im Bereich Make-up und Creature Design, mit viel Häme übergossen worden. Ich halte das für nicht gerechtfertigt. Es gilt zu bedenken, dass mit dem Cinefex Workshop das erste richtige Special-Effects-Studio der Hongkonger Filmindustrie erst 1986 gegründet wurde. Vorher mussten ungewöhnliche Masken und Requisiten vom Filmteam selber gestaltet werden.

So kommt es, dass der riesige Adler, der dem Helden Yang Guo in einigen Szenen als übernatürlicher Helfer zur Seite steht, eher wie ein menschengroßes, etwas zerrupftes Huhn aussieht. Aber was macht das schon, angesichts des Wissens, dass das Adlerkostüm in liebevoller Handarbeit gebastelt wurde? Filme wie Little Dragon Maiden schaut man sich nicht an, weil man hyperrealistische Effekte erwartet, sondern weil man das Vollkommene im Unvollkommenen schätzt.

Dienstag, 7. Januar 2020

The Thousand Faces of Dunjia (2017)

Regie: Yuen Woo-ping · Drehbuch: Tsui Hark · Kamera: Choi Sung-fai.

Der Wuyi-Klan existiert seit der Zeit des Ersten Kaisers. Seine Aufgabe? Die Menschheit vor Aliens zu schützen, die im Verborgenen unter uns weilen. Die leben meistens friedlich in Menschengestalt irgendwo, wo niemand etwas von ihrer wahren Identität ahnt. Doch hin und wieder gibt es Aliens, die es einfach nicht lassen können mit dem Versuch, die Erde ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Wie man sieht, sind die Wuyi die Men in Black des alten China. Sie verfügen sogar über ein magisches Mittel, mit dem sie das Gedächtnis von Menschen löschen können, die unheimliche Begegnungen der dritten Art hatten.

Zwei mächtige feindselige Aliens, Rotes Auge und Weißer Tiger, schließen sich zusammen, um den Weltenzerstörer, eine uralte Waffe, in ihre Klauen bzw. Tentakeln zu bekommen. Großer Bruder von den Wuyi (Taike-Rockmusiker Wu Bai) reist nach Luoyang, um vor ihnen seine Hände auf den Weltenzerstörer zu legen. Er ruft die Oberhäupter von fünf weiteren Kampfkunst-Klans zusammen. Die müssen ihre Macht vereinen, um den magischen Behälter der Waffe öffnen zu können. Doch Großer Bruder ahnt nicht, dass eines der fünf Oberhäupter Rotes Auge in Menschengestalt ist ...

Getarnt als blinder Medizinstudent begibt sich Zhuge von den Wuyi (Da Peng) in das Shingji-Sanatorium. Seine hellseherischen Kräfte haben ihm verraten, dass sich unter den »unheilbaren Fällen« des Sanatoriums das Mädchen Kreis (Zhou Dongyung) befinden soll, das zur neuen Anführerin der Wuyi auserkoren ist. Zu Zhuges Überraschung stellt sich heraus, dass Kreis, die unter Gedächtnisverlust leidet, selbst ein Alien ist.

Als frischgebackener Wachtmeister tritt Dao (Aarif Rahman) seinen Dienst bei der Polizei von Kaifeng an. Gleich sein erster Ermittlungseinsatz konfrontiert ihn mit einem amoklaufenden Außerirdischen. Bei der Verfolgung des Aliens kommt es zu einer widerwilligen Zusammenarbeit mit Libelle von den Wuyi (Ni Ni). Als Dao bei einem weiteren Kampf mit einem Alien, und zwar mit Weißer Tiger persönlich, schwer verwundet wird, muss die toughe und sarkastische Libelle ihn wohl oder übel in ihre Obhut nehmen.

Der Plot von Yuen Woo-pings Film ist selbst für Wuxia-Verhältnisse außergewöhnlich verwirrend. Er springt nicht nur beständig zwischen diesen drei Handlungssträngen hin und her, das Verständnis wird auch dadurch erschwert, dass die Wuyi auf magische Weise ihr Äußeres verändern können. Diese Transformationen werden nicht immer im Bild gezeigt. Andernfalls würde man es dem Publikum ja auch allzu leicht machen.

Nicht allzu überraschend erweist The Thousand Faces sich als quietschbuntes CGI-Spektakel. Was in diesem Fall aber gar nicht so verkehrt ist. Es werden alle Möglichkeiten genutzt, um schön weird aussehende Aliens zu gestalten, die farbenprächtige Metamorphosen durchmachen.

Wobei, Aliens. Rotes Auge und Weißer Tiger erinnern von ihren Namen her verdächtig an zwei der Vier Glückbringenden Tiere der chinesischen Mythologie. Und Kreis’ Alien-Gestalt weist (zumindest in meinen Augen) Ähnlichkeit mit dem Fenghuang auf, der im Westen manchmal als chinesischer Phoenix bezeichnet wird. Mit anderen Worten: Es handelt sich eher um überirdische als um außerirdische Wesen. Tatsächlich haben sie auch keinerlei Ähnlichkeit mit Aliens, wie wir sie aus westlichen SF-Filmen kennen.

Das ist eine Stärke des Films. Das Vorbild der MiB ist zwar unverkennbar, aber es wird keineswegs versucht, einen Spoof mit halblustigen Anspielungen zu produzieren. Drehbuchautor Tsui Hark (dessen Handschrift deutlich zu erkennen ist) spielt einfach die Idee durch, wie es wohl wäre, wenn eine Geheimgesellschaft im alten China die Menschheit vor Kontakten mit unheimlichen Wesen in ihrer Mitte zu bewahren versuchte – und wie solche Wesen wohl beschaffen sein könnten.

The Thousand Faces of Dunjia kann sich ruhig mal ansehen, wer verzweigte Plots mit einer hohen Zahl an Figuren als genretypische Herausforderung begreift. Man wird auf einen sympathischen, humorvollen Film stoßen.

Sonntag, 5. Januar 2020

Der Krieger des Kaisers (1989)

Alternativtitel: Dynasty Warrior / Chin, der Krieger aus dem Jenseits · Englischer Titel: Fight and Love with a Terracotta Warrior · Regie: Ching Siu-tung · Drehbuch: Lilian Lee · Musik: Romeo Díaz, Joseph Koo, James Wong · Kamera: Lee San-yip, Peter Pau · Schnitt: Marco Mak.

Diesen Film habe ich vor Ewigkeiten im Fernsehen gesehen, völlig vergessen und nun zur Auffrischung noch einmal gestreamt. Einen sonderlich bleibenden Eindruck hat er bei mir also nicht hinterlassen (aus Gründen). Aber zunächst zur Handlung.

Der Offizier Meng Tianfang (Zhang Yimou in einer seltenen Hauptrolle) beaufsichtigt die Arbeiten am Mausoleum des Reichsgründers Qin Shi Huangdi (Lu Shuming). Als er Gelegenheit hat, den Ersten Kaiser vor einem Attentat zu retten, wird er von Shi Huangdi zum General befördert und in den Palast versetzt.

Shi Huangdis Regime ist von Zwangsarbeit, Kollektivstrafen und Bücherverbrennungen geprägt. Tianfang kann das innerlich nicht gut heißen, ist aber viel zu loyal, um gegen den Kaiser aufzubegehren.

Shi Huangdi versammelt die Alchimisten des Reiches und beauftragt sie, das Elixier der Unsterblichkeit herzustellen. Ein Versagen hat die unverzügliche Hinrichtung zur Folge. Am Ende ist nur noch ein Alchimist übrig. Der versichert dem Kaiser, das Elixier sei auf der sagenhaften Insel Penglai im östlichen Meer zu finden. Der Kaiser befiehlt, eine Expedition zur See auszurüsten, an der 500 junge Frauen aus dem ganzen Reich teilnehmen sollen.

Tianfang fällt die Aufgabe zu, die Frauen, darunter die schöne Dong’er (Gong Li), zum Palast zu bringen. Als Dong’er sich aus Verzweiflung selbst töten will, verliebt Tianfang sich in sie und weckt ihren Lebenswillen.

Dem Alchimisten ist es unterdessen gelungen, in seinem Labor eine einzige Pille des Elixiers der Unsterblichkeit herzustellen. Die Pille schenkt er Dong’er, bevor er (in der Absicht, nie zurück zu kehren) mit den anderen 499 Frauen heimlich in See sticht.* Der Kaiser lässt seine Wut an dem Liebespaar Dong’er und Tianfang aus. Bevor Dong’er bei lebendigem Leib verbrannt wird, lässt sie Tianfang mit einem Kuss die Unsterblichkeitspille zukommen.

Für Tianfang hat Shi Huangdi sich eine besonders exquisite Strafe ausgedacht: Er wird mit Ton übergossen und der Armee von Terrakotta-Soldaten im Grabmal des Kaisers beigesellt. Der Despot ahnt natürlich nicht, dass Tianfang unsterblich geworden ist und im Grab die Millennien überdauert.

Über 2000 Jahre später, in der Republik China der späten 1930er, dreht ein Filmteam einen patriotischen Schmachtfetzen über den Krieg gegen Japan. Mit dabei ist Filmsternchen Lili Chu (ebenfalls Gong Li), die reinkarnierte Dong’er. Zu ihrer Enttäuschung hat der Regisseur (Wu Tianming, im echten Leben eine Regielegende des chinesischen Kinos) für sie nur eine Nebenrolle vorgesehen.

Die Dreharbeiten sind aber nur ein Vorwand, denn in Wirklichkeit suchen der Regisseur und sein charismatischer Hauptdarsteller Bai Yunfei (Yu Rongguang) nach dem Mausoleum des ersten Kaisers. Die wertvollen Grabbeigaben wollen sie an den Meistbietenden verkaufen – entweder an das Britische Museum oder die japanische Besatzungsmacht.

Während Bai und der Regisseur sich vergeblich abmühen, stolpert Lili prompt über die monumentale Grabanlage. Damit erweckt sie Tianfang aus seinem jahrtausendelangen Schlaf. Der Krieger befreit sich von seiner Terrakotta-Ummantelung und erkennt in Lili die Reinkarnation seiner Geliebten.

Weit mehr als die Tatsache, dass er in einer Welt der Automobile und Flugzeuge erwacht ist, beschäftigt Tianfang die Tatsache, dass sein Kaiser es nicht geschafft hat, die Unsterblichkeit zu erlangen. Auch dass Lili sich charakterlich doch sehr von Dong’er unterscheidet, macht ihm zunächst zu schaffen. Um so trotziger hält er an seinem ritterlichen Ethos fest. Die Konfrontation mit dem schurkischen Bai bleibt nicht aus.

Der Krieger des Kaisers hat Potential, das aber nicht so recht zum Tragen kommt. Das mag vor allem daran liegen, dass der Film für die in Deutschland zu sehende Fassung um eine halbe Stunde gekürzt wurde. Das 145 Minuten lange Original habe ich leider nicht gesehen. Zhang Yimou, der sich in der Zeit der Qin-Dynastie noch gut macht, wirkt in dem in der Moderne spielenden Teil des Films eher deplatziert. Es fehlt ihm an komödiantischem Talent. Gong Li dagegen spielt die völlig gegensätzlichen Figuren Dong’er und Lili ganz hervorragend.

Interessant ist Der Krieger des Kaisers, weil er in starkem Kontrast zu der Darstellung Qin Shi Huangdis in Zhang Yimous eigener, 13 Jahre später entstandener Regiearbeit Hero steht. Je nach historischem Interesse gilt der Erste Kaiser als größenwahnsinniger Despot oder als »benevolent dictator«, der das harte, aber notwendige Werk der Einigung Chinas vollbrachte.

In der Geschichtsschreibung der Volksrepublik China etwa lehnte man Shi Huangdi zunächst ab – im kleinen Kreis aber prahlte Mao damit, den Ersten Kaiser an Rücksichtslosigkeit noch übertroffen zu haben. Zu Beginn der achtziger Jahre änderte sich plötzlich auch die öffentliche Darstellung Shi Huangdis. Sein Projekt der Reichseinigung galt nun als Kampf gegen die reaktionären Elemente in der Gesellschaft und als Überwindung des Feudalismus.

In Der Krieger des Kaisers (einer Hongkong-Produktion) ist Shi Huangdi jedenfalls ein grausamer und paranoider Gewaltherrscher. Der Film beruht auf einem Roman der Schriftstellerin Lilian Lee,** ebenfalls aus Hongkong, der aber bislang nicht übersetzt wurde. Übrigens ebensowenig wie weitere für Wuxia- und Xianxia-Fans interessante Romane aus ihrer Feder. Jetzt wüsste ich zwar gerne, wie sich die historisch-ideologische Rezeption Shi Huangdis in Hongkong und der Volksrepublik unterscheidet, bin bei diesem Thema aber völlig unbeleckt.

Abgesehen davon: So lange hierzulande die vollständigen 145 Minuten Film nicht zu sehen sind, ist Der Krieger des Kaisers ein Werk, das hätte sein können. Es bleiben Gong Lis schauspielerische Leistung und einige Szenen, die Lust auf mehr machen (die Szene im Labor des Alchimisten mit ihrem eindrucksvollen Filmset zum Beispiel).

Ein arger Patzer ist der deutsche Alternativtitel Chin, der Krieger aus dem Jenseits. Erstens kommt Tianfang nicht aus dem Jenseits, sondern aus der Vergangenheit. Zweitens ist Chin (eine andere Schreibweise von Qin) nicht der Name des Protagonisten, sondern der dynastische Name des Ersten Kaisers. Nun ja. Demnächst auf DVD und Blu-Ray: Robin-Hood-Verfilmung mit dem Titel »Prinz John, der edle Bandit von Nottingham«.

* Tatsächlich sandte der historische Shi Huangdi eine solche Expedition aus, deren Mitglieder in dem sicheren Wissen, dass sie im Falle eines Misserfolgs die sofortige Hinrichtung erwartete, einfach nicht wieder zurück kehrten.
** In Deutschland bekannt durch ihren Roman Lebewohl, meine Konkubine, der von Chen Kaige verfilmt wurde.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.