Mittwoch, 4. März 2009

Torture Porn – ein Nachfahre des Splatterfilms?


Vorsicht, enthält massenhaft Film-Spoiler!

Ältere Semester erinnern sich bestimmt mit Behagen an den sogenannten Splatterfilm. Für die jüngeren Semester sei lediglich kurz bemerkt: Die Technik des Splatterfilms funktionierte etwa so wie die platzenden Gummivampirköpfe in From Dusk till Dawn. Das Gute daran war, dass man sich die exzessiven Gewaltdarstellungen des Splatterfilms ansehen und sie in zweierlei Hinsicht analysieren konnte – man konnte sich a) fragen, wie die Filmleute das gemacht haben und sich über das Ergebnis amüsieren, und b) konnte man überlegen, welche Aussagen der Regisseur damit treffen wollte. Die Spannweite solcher Aussagen reichte von der treffsicheren Gesellschaftskritik George A. Romeros in den Dead-Filmen bis hin zu dem quirligen »Seht her, explodierende Schafe und Zombies, die es auf einem Besenstiel aufgespießt miteinander treiben, sind ein einziger, fröhlicher Spaß!« Peter Jacksons in Bad Taste und Braindead.

Doch solche unschuldigen Zeiten sind längst vorbei. Die bekanntesten Splatterfilmer, Sam Raimi und Peter Jackson, sind im Mainstream gelandet. Die echte Splatter-Atmosphäre gibt es fast nur noch als nostalgische Referenz, etwa in Robert Rodriguez’ Planet Terror und dem bereits erwähntem From Dusk till Dawn (mitsamt Sequels) — oder als misslungenes Remake, wie Zack Snyders Dawn of the Dead. Natürlich, George A. Romero filmt unverdrossen weiter und ist dabei ebenso beständig finanziell erfolglos. Einen Untergrund wird es sicherlich auch geben, über den ich mangels Kenntnissen nichts sagen kann. Ansonsten spricht alle Welt von einem neuen Filmgenre namens Torture Porn, bzw. behauptet, ebendieses Genre sei eigentlich gar kein eigenes Genre, sondern vielmehr eine aktuelle Weiterentwicklung des alten Splatterfilms. »I don’t get the torture porn films,« sagt dagegen Altmeister Romero in einem Interview mit der New York Times, »they’re lacking metaphor.« Grund genug, sich die Sache einmal genauer anzusehen.

Im Mainstream-Kino angekommen ist Torture Porn nicht erst mit Filmen wie Saw und Hostel, denn im Grunde nimmt bereits David Finchers Sieben aus dem Jahre 1995 das wesentliche Moment des neuen Genres vorweg. Dieses wesentliche Element, das sei sogleich gesagt, ist in meinen Augen die Deutung von Gewalt als Erlösungsweg. Gewalt findet im Torture Porn in der Regel so statt, dass Menschen gefoltert oder aber in eine Zwangslage versetzt werden, die sie dazu zwingen soll, andere Menschen zu töten oder grausam zu verletzen. Und wie um es auf die Spitze zu treiben, hat diese Form der Gewalt eine religiöse Funktion. Natürlich nicht immer. Man kann das Genre auch augenzwinkernd behandeln, wie Quentin Tarantino es in Death Proof tut. Aber auffallend ist doch, dass in Torture-Porn-Filmen Gewalt sehr häufig die Form religiöser Handlungen annimmt.

Sieht man sich einen Film wie Sieben an, muss man gar nicht erst auf der moraltheologischen Symbolik der sieben Hauptlaster (oft fälschlicherweise für Todsünden gehalten) herumreiten, um das zu erkennen. Der psychopathische Killer, gespielt von Kevin Spacey, ist in Sieben ein Allerweltsmensch, der sich selbst als erlösungsbedürftig erkennt und, gut individualistisch, sich selbst erlösen will. Dies tut er, indem er eine Reihe von Morden begeht, die nach dem Muster der sieben Hauptlaster angeordnet sind. Beispielsweise zwingt er einen fettleibigen Mann, sich zu Tode zu fressen, und inszeniert auf diese Weise das Laster der Völlerei. Am Ende kommt der ermittelnde Polizist (Brad Pitt), dem Mörder auf die Spur. Dieser schickt dem Ermittler den abgetrennten Kopf seiner Frau per Paketlieferdienst; der Polizist erschießt ihn. Der Killer sah sich dem Laster des Neides verfallen und inszeniert dies durch den Mord an der Ehefrau des Ermittlers. Die Erlösung von seinem Laster ist der Tod, den er sich aus der Hand des Polizisten geben lässt. Ganz nebenbei wird der Polizist, seinerseits zum Mörder geworden, zur Personifikation eines weiteren Lasters: Zorn. Gemäß Paulus im Römerbrief:
Durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde.
(Röm 3,20b)

strebt der Killer danach, alle in das Laster miteinzubeziehen, es aufzudecken, wo er kann. Er macht sich zum Vollstrecker des göttlichen Gesetzes, welches die vom Laster stimulierte Sünde bestraft. Dabei hat er allerdings nicht das Ziel der Erlösung aller vor Augen, sondern die eigene Erlösung, die er durch die Ausweitung der Lasterhaftigkeit auf alle bewerkstelligen will. Seine strafenden, das göttliche Gesetz vollstreckenden Mordtaten, die selbst Außenstehene wie die Ehefrau des Polizisten treffen könnten, sind notwendig, denn »wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung« (Röm 4,15b), also kein Laster. Und wo kein Laster ist, kann der Killer nicht sein göttliches Strafgesetz vollstrecken. Er kann nicht Gott spielen. Indem er aber den Polizisten zur Verkörperung des Zorns macht, rechtfertigt sich nachträglich die Einbeziehung eigentlich Unschuldiger, wie des Polizisten und seiner Frau, in das göttliche Strafgericht, in dem der Killer, gleichzeitig göttlicher Vollstrecker und Opfer, zum Erlösten wird.

Die Selbsterlösung des Killers in Sieben mündet darin, dass er Gott spielt. Dieses Gott Spielen ist es, was das religiöse Element im Torture Porn ausmacht. Strafen und Morden wie Gott, die Menschen in ihren Handlungen steuern wie Gott. Mithin eine ganz andere Erfahrung als die Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein, die in unserer Zeit die conditio humana ausmachen. Das Motiv des strafenden, gottgleichen Mörders ist Allgemeingut in Filmen wie Sieben. In einem anderen frühen Vorläufer des Torture-Genres, dem kanadischen Kultfilm Cube, wird eine Gruppe von Menschen in einen riesigen Würfel gesperrt, ein gigantisches Folterwerkzeug voller perfider Fallen, von unsichtbarer – göttlicher! – Hand nach mathematischen Prinzipien gesteuert. Nur einer aus der Gruppe überlebt den Würfel, der Autist Kazan. Am Ende schreitet Kazan rein und unschuldig auf das Licht (den Ausgang aus der Foltermaschine) zu. Er ist erlöst, während alle anderen ob ihrer Falschheit einen blutigen Tod finden. In Saw aus dem Jahre 2004, der eine ganze Welle von Torture-Porn-Filmen auslöste, foltert der krebskranke Killer seine Opfer und zwingt sie dazu, sich gegenseitig umzubringen, um aus ihnen von Dankbarkeit für das Leben erfüllte Geschöpfe zu machen.

Den bisherigen Höhepunkt des Torture Porn stellt allerdings Die Passion Christi Mel Gibsons dar. Der Antisemit und Ultratraditionalist Gibson lässt in mehreren seiner Filme einen folternden bzw. gefolterten Erlöser auftreten oder verkörpert ihn gleich selbst, doch in der Passion ist die religiöse Intensität der Gewalt besonders hoch. Dieser Film dringt in Bereiche vor, wohin die oben genannten Filmbeispiele nicht zu gehen wagten. Denn in ihnen identifizieren sich die ZuschauerInnen meist mit einem Opfer, während wir in der Passion die Perspektive der Folterer einnehmen. Wir dürfen dabeisein, wenn die Peitschen dem Messias das Fleisch zerreißen und wenn sich die Dornen in seine Kopfhaut drücken. Die Folterer handeln im Auftrag Gottes, denn der ist es schließlich, der die qualvolle Opferung seines Sohnes inszeniert. Im Film nehmen die Folterknechte nahezu die Stelle des abwesenden Tyrannengottes ein, die Werkzeuge sind eins mit der Hand, die sie führt. Und da wir den Film aus der Perspektive der Folterer sehen, dürfen wir uns selbst ein klein wenig als sadistisch-göttliches Werkzeug fühlen. Die Passion Christi gipfelt darin, dass einer der Folterknechte sich ekstatisch unter einer aus dem Leib Christi strömenden Blutfontäne windet, wie eine Pornodarstellerin, die am Ende jeder Szene mit weitgeöffnetem Mund den segnenden Sperma-Sprühregen auf ihrem Gesicht empfängt.

Womit wir beim zweiten maßgeblichen Stichwort wären: Es ging ausgiebig um Folter, aber wie ist es um den Porno bestellt? In Tarantinos Death Proof antwortet Ranger Earl McGraw seinem Sohn Edgar auf die Frage nach dem Motiv des sadistischen Killers Stuntman Mike (gespielt von Kurt Russell; er führt absichtlich Auffahrunfälle herbei, in denen junge Frauen schier in Fetzen gerissen werden), es habe wohl etwas mit Sex zu tun. In der Tat gibt es strukturelle Parallelen zwischen Torture Porn und echtem Porno, denn während ersterer die Dialektik von Strafe, Opfer und Erlösung aufnimmt, wie sie für westliche Religiosität kennzeichnend ist, steht letzterer für die kultisch-orgiastische Seite der Religion. Kennzeichnend für diese ist, dass die Restriktionen des Alltags in kathartischer Funktion aufgehoben sind. Für den Augenblick darf die Betrachterin, der Betrachter (selbstverständlich mit nur zu klar verteilten Gender-Rollen) sich vorstellen, so ... äh, dehnbar oder so potent zu sein wie die, die sich da im grellen Licht rituell begatten. Man darf ein Myste sein, der in einen dionysischen Kult eingeführt wird, und am Eingang des Tempels die Frage (nach dem Alter: 18+) richtig beantworten muss, um teilhaben zu können an den Weihespielen des sexuellen Ausnahmezustands.

Auch den grabentiefen Abstand zur Alltagserfahrung haben die filmischen Foltergeschichten und die Weihespiele der Pornografie im Grunde gemein: Denn wie uns allen (einige gänzlich orientierungslose männliche Jugendliche vielleicht ausgenommen) klar ist, dass wir nicht die Fähigkeit haben, das Vögeln zu beherrschen wie im Porno, so fühlen wir uns auch in unseren Lebenswelten und materiellen Reproduktionstätigkeiten eher selten als sadistische Tyrannengötter, die Menschen so lange an Marionettenfäden herumführen, bis sie nur noch deformierte Fleischklumpen sind. Treten können wir, egal in welchen Schichten der Gesellschaft wir uns bewegen, höchstens mal nach unten, aber im Allgemeinen müssen wir nach oben buckeln. Das Gefühl, in Sachen Sex und Gewalt an etwas Außergewöhnlichem teilhaben zu dürfen, ist uns nur kurz vergönnt, wenn wir Die Passion Christi oder Beverly Hills Copulator ansehen. Heiliges und Profanes gehen hier nur insoweit ineinander über, als dass die mystischen Erlebnisse vor dem Bildschirm uns die Zumutungen des Alltags leichter ertragen lassen, also Opium fürs Volk sind.

Zurück zu meinen einleitenden Bemerkungen. Gehören Splatterfilme und Torture Porn einem einzigen Genre an? Ich plädiere dafür, Torture Porn als eigenständiges Genre anzusehen, das eigene Akzente setzt. Während die Gewaltdarstellung im Splatterfilm sozialkritischer Kommentar oder überdrehter Spaß war, ist sie im Torture-Film im hohen Maße religiös aufgeladen, ebenso wie die Sexualität in der Pornografie. Sowohl Torture-Film als auch herkömmlicher Porno befriedigen kathartische Bedürfnisse, für die im kapitalistischen Alltag kein Raum ist, die aber von den Bedingungen, die auch den Alltag formen, geprägt sind und ihn in ihrer Wirkung letztlich affirmieren.

Keine Kommentare:

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.