Die taz hat zwei interessante Artikel über Alan Moore gebracht, den Mann, der ewig Pech mit seinen Verfilmungen hat: Der eine beruht auf einem Telefoninterview, während der andere (von Georg Seeßlen) die Neuausgabe von From Hell zum Anlass hat. Seeßlens Interpretation des Ripper-Comics als Kommentar zum »Höllenfeuer der Moderne« ließ mich wieder einmal an die andere Bearbeitung des Ripper-Stoffs denken, die kürzlich neu erschienen ist: Kim Newmans Alternativweltroman Anno Dracula. Der Kutscher Netley, in Moores Graphic Novel ein Komplize des Rippers, ist einer der zahlreichen Charaktere, die Newman sich für sein gaslampenbeleuchtetes Allstar-Szenario ausgeborgt hat.
Seeßlen arbeitet den in From Hell dargestellten »Kurzschluss zwischen dem Über-Ich und dem Es« heraus, in dem die Interessen Königin Victorias mit denen des Rippers konvergieren: Der sadistische Mörder hilft mit, die Schwängerung eines Mädchens aus der Unterschicht durch Victorias Sohn Eduard blutig zu vertuschen. Für Seeßlen drückt sich hierin die Ambivalenz der Moderne und ihres Fortschritts aus, deren Mythologisierung – das sei eine weitere Aussage Moores – konsequenterweise nur wahnhafte Züge tragen könne.
In Newmans Alternativgeschichte wird Graf Dracula nicht von Van Helsing & Co. getötet, sondern kann seinen Plan, die Welthauptstadt London zu erobern, in die Tat umsetzen. Er heiratet Königin Victoria und herrscht fortan als Prinzgemahl über das Empire. Nach seiner Vertreibung durch eine geschickt angelegte Intrige, in der wiederum Jack the Ripper eine Rolle spielt, flieht er nach Deutschland, wo er in Kürze zum Reichskanzler aufsteigt und die Hölle des Ersten Weltkriegs entfesselt. Newmans Dracula ist begeistert von Erfindungen und technisch-bürokratischen Kinkerlitzchen wie Luftschiffen und Eisenbahnfahrplänen. Schwärmerisch verherrlicht er die Industrialisierung und Kommodifizierung menschlicher Lebenswelten, nur um in entscheidenden Momenten bruchlos in die blutrünstigen Verhaltensweisen eines frühneuzeitlichen Kriegsherren zurückzufallen. Fortschrittsgläubigkeit und Barbarei gehen eine perfekte Symbiose ein. Im Laufe der Erzählung wird Dracula, der die ersten Konzentrationslager Europas einführt, zum typologischen Vorbild der großen Massenmörder des 20. Jahrhunderts, der Hitlers und Stalins. Und während die Romane des Anno-Dracula-Zyklus stets so aufgebaut sind, dass ein aus der Popkultur oder der Mythengeschichte der Moderne bekannter Serienkiller eine tragende Rolle spielt, so ist dieser doch stets nur eine vergleichsweise unbedeutende Spielfigur, ein Produkt der Verhältnisse, die dafür sorgen, dass ein Dracula an die Schalthebel der Macht gelangen kann.
Beide, Moore wie Newman, haben Kunstwerke geschaffen, die es vermögen, Spuren der »höllenproduzierenden Moderne« (Franz J. Hinkelammert) freizulegen. Es lohnt sich, diesen Spuren nachzugehen.
Seeßlen arbeitet den in From Hell dargestellten »Kurzschluss zwischen dem Über-Ich und dem Es« heraus, in dem die Interessen Königin Victorias mit denen des Rippers konvergieren: Der sadistische Mörder hilft mit, die Schwängerung eines Mädchens aus der Unterschicht durch Victorias Sohn Eduard blutig zu vertuschen. Für Seeßlen drückt sich hierin die Ambivalenz der Moderne und ihres Fortschritts aus, deren Mythologisierung – das sei eine weitere Aussage Moores – konsequenterweise nur wahnhafte Züge tragen könne.
In Newmans Alternativgeschichte wird Graf Dracula nicht von Van Helsing & Co. getötet, sondern kann seinen Plan, die Welthauptstadt London zu erobern, in die Tat umsetzen. Er heiratet Königin Victoria und herrscht fortan als Prinzgemahl über das Empire. Nach seiner Vertreibung durch eine geschickt angelegte Intrige, in der wiederum Jack the Ripper eine Rolle spielt, flieht er nach Deutschland, wo er in Kürze zum Reichskanzler aufsteigt und die Hölle des Ersten Weltkriegs entfesselt. Newmans Dracula ist begeistert von Erfindungen und technisch-bürokratischen Kinkerlitzchen wie Luftschiffen und Eisenbahnfahrplänen. Schwärmerisch verherrlicht er die Industrialisierung und Kommodifizierung menschlicher Lebenswelten, nur um in entscheidenden Momenten bruchlos in die blutrünstigen Verhaltensweisen eines frühneuzeitlichen Kriegsherren zurückzufallen. Fortschrittsgläubigkeit und Barbarei gehen eine perfekte Symbiose ein. Im Laufe der Erzählung wird Dracula, der die ersten Konzentrationslager Europas einführt, zum typologischen Vorbild der großen Massenmörder des 20. Jahrhunderts, der Hitlers und Stalins. Und während die Romane des Anno-Dracula-Zyklus stets so aufgebaut sind, dass ein aus der Popkultur oder der Mythengeschichte der Moderne bekannter Serienkiller eine tragende Rolle spielt, so ist dieser doch stets nur eine vergleichsweise unbedeutende Spielfigur, ein Produkt der Verhältnisse, die dafür sorgen, dass ein Dracula an die Schalthebel der Macht gelangen kann.
Beide, Moore wie Newman, haben Kunstwerke geschaffen, die es vermögen, Spuren der »höllenproduzierenden Moderne« (Franz J. Hinkelammert) freizulegen. Es lohnt sich, diesen Spuren nachzugehen.
2 Kommentare:
Nachdem ich nun auch mit dem ersten Newman (Anno Dracula) durch bin, kann ich nur bestätigen was du schreibst. Wirklich ein gelungenes Buch mit einer dichten, lebendigen Atmosphäre und vielen bekannten Namen.
Das Aufeinanderprallen einer relativ modernen Gesellschaft mit der Barbarei von Dracula und seinem Gefolge ist schon ein schwerer Happen.
Ich bin gespannt auf Bloody Red Baron.
Yay, ein neuer Newman-Fan!
Falls du auch gern mal was kürzeres von Newman lesen würdest, kann ich übrigens »Coppola’s Dracula« wärmstens empfehlen. Wenn ich nur den Anfang lese (»Wallachia ... shit!«), kriege ich das Grinsen kaum mehr aus dem Gesicht ...
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