Montag, 5. Juli 2021

Varney-Liveblog: Kapitel 6–10

Ich muss gestehen, dass ich die ersten fünf Varney-Kapitel spannender als erwartet fand. Wie viele Vampirgeschichten des 19. Jahrhunderts funktionieren sie ähnlich einem Krimi, wenn auch nach dem Motto »Who bit her?« anstelle von »Who done it?«. Was mir allerdings wie schon bei früherer (kursorischer) Lektüre des Romans auffiel, ist die ungeschickte Art, wie die Figuren eingeführt werden. Besonders im ersten Kapitel rätselt man beim Lesen ständig, wer eigentlich wer ist. Augenscheinlich wussten die Autor:innen selbst kaum etwas über ihre Figuren, als sie mit dem Schreiben begannen.

Zum Glück scheint ihnen das selber aufgefallen zu sein, denn in Kapitel VI folgt eine Vorstellung der Familie Bannerworth. Wir erfahren, dass die Bannerworths der leisure class angehören, im Lauf der letzten hundert Jahre aber den größten Teil ihres ererbten Besitzes verloren haben. Zu allem Überdruss war Floras, Henrys und Georges Vater spielsüchtig und hat den letzten Rest des Familienvermögens verzockt. Ich sage »war«, denn Mr. Bannerworth ist kurz vor Beginn des Romans auf mysteriöse Weise verstorben: Man fand ihn tot im Garten, in der Hand ein Bleistift und ein Notizbuch, in das er (offenbar im Augenblick seines Todes) die unvollständige Bemerkung »Das Geld ist –« gekritzelt hatte.

Nun ist gemäß patriarchaler Sitte Henry das Familienoberhaupt und hat jede Menge Probleme am Hals. Natürlich hat die Familie ihre zunehmende Verarmung vor den Nachbar:innen verborgen gehalten. Das geschah mit Hilfe eines entfernten Verwandten, der den Geschwistern jährlich hundert Pfund zukommen ließ. Mit diesem Geld konnten Flora, Henry und George jedes Jahr eine standesgemäße Reise auf den Kontinent unternehmen. Auf der letzten dieser Reisen lernte Flora in Italien den jungen Künstler Charles Holland kennen und verlobte sich mit ihm. Aber auch der wohltätige Verwandte ist vor einer Weile gestorben, und seitdem ist endgültig Ebbe in der Kasse der Bannerworths.

Henry bleibt jetzt eigentlich nichts weiter übrig, als Bannerworth Hall zu verkaufen und den Erlös als Startguthaben für den Einstieg in einen Beruf zu verwenden. Aber er zögert, sich von dem alten Familiensitz zu trennen. Hinzu kommt, dass Flora Charles nach ihrer ersten (und einzigen) Begegnung in Italien nach Bannerworth Hall eingeladen hat, um ihre Verlobung auf etwas offiziellere Füße zu stellen. Also muss der Verkauf des Hauses ohnehin warten, bis Charles seine Aufwartung gemacht hat.

Doch der Druck auf Henry steigt: Ein Londoner Anwalt will das Haus im Namen eines ungenannten Klienten kaufen, oder, falls das nicht möglich ist, es mieten. Dafür macht er Henry ein großzügiges finanzielles Angebot, das natürlich die Rettung vor dem endgültigen gesellschaftlichen Abstieg wäre. Bei Henry lässt die Sache aber eher das merkwürdige Gefühl zurück, dass irgendjemand sich etwas zu sehr für das Anwesen seiner Familie interessiert. (Wenn dahinter mal nicht der bislang kaum in Erscheinung getretene Sir Francis Varney steckt.)

Auch über Mr. Marchdale klärt das Kapitel auf: Er ist ein alter Verehrer Mrs. Bannerworths aus der Zeit, bevor sie den zockenden Tunichtgut Mr. Bannerworth heiratete. Seit dessen Tod ist Mr. Marchdale Dauergast in Bannerworth Hall.

Einige Leser:innen von Varney the Vampire empfinden das sechste Kapitel als langweilig und störend (hier ein Beispiel). Mir hat es gefallen. Man lernt die Figuren etwas näher kennen, und es ist ja nicht ganz uninteressant, dass die Bannerworths neben Floras ungebetenem Besucher noch andere Probleme haben. Ein Vampir allein macht schließlich keinen Roman – vor allem keinen so umfangreichen wie diesen. Außerdem bringen die Autor:innen bei der Beschreibung des verarmten Adels der Bannerworths einen unterhaltsamen Sarkasmus auf, den man ihnen gar nicht zugetraut hätte.

Den beiden folgenden Kapiteln kann ich dagegen leider kein Lob aussprechen. Henry, George, Mr. Marchdale und Mr. Chillingworth suchen die Familiengruft der Bannerworths auf, um zu überprüfen, ob das Grab des Vorfahren, den sie des Vampirismus verdächtigen, leer ist. Die Gruft befindet sich in der nahegelegenen Dorfkirche, aber bis die vier Vampirjäger dort ankommen, gibt es ein handlungsverzögerndes Hin und her, dass es zum Seufzen ist. Zu allem Überdruss fügen die Autor:innen an dieser Stelle auch noch ein Lamento über den Niedergang der englischen Kirchenarchitektur ein. Ich habe ja nichts gegen Abschweifungen, aber das ist echt zu viel des Guten.

Das wenig überraschende Ergebnis der Untersuchung: Das Grab ist leer. Mr. Chillingworth bestätigt in seiner Eigenschaft als Mediziner, dass der Sarg keine organischen Überreste enthält. Der Familienarzt spielt übrigens die Rolle des Skeptikers. Weder jetzt das leere Grab, noch zuvor die Wiederbelebung im Mondlicht überzeugen ihn, dass er es wirklich mit einem Vampir (und nicht mit einem elaborierten Schwindel) zu tun hat. Die Autor:innen legen ihm in den Dialogen des öfteren aufklärungsphilosophische Gedanken in den Mund. Die Gegenposition dazu vertritt Mr. Marchdale.

Unbedingt erwähnen muss ich den Lapsus memoriae, der den Autor:innen beim Schildern der Grabesöffnung unterläuft. Der besagte Vorfahre hieß zunächst Sir Runnagate Bannerworth. Jetzt wird er plötzlich Marmaduke Bannerworth (ohne Sir) genannt. Das, oder die vier Helden haben versehentlich das falsche Grab aufgebrochen.

Kapitel IX und X wenden sich zu meiner Erleichterung Flora zu, die mit ihrer Mutter in Bannerworth Hall zurückgeblieben ist. Einige Stunden, nachdem Floras Brüder sowie Mr. Marchdale und Mr. Chillingworth in Richtung Kirche davongetrabt sind, steigt der Vampir ein zweites Mal durchs Fenster ein. Aber Flora fackelt nicht lang. Sie hat sich Henrys Pistolen geliehen und feuert sie beide auf den Eindringling ab. Getroffen stürzt der Vampir aus dem Fenster. (Es ist sehr erfrischend, dass Flora diesmal nicht als hilflose damsel in distress auftreten muss.)

In diesem Augenblick trifft Floras geliebter Charles (ein wenig verdächtig, wenn man mich fragt) zu seinem lang angekündigten Besuch ein. Wenig später stürzen auch Henry, George und Mr. Marchdale hinein, die auf dem Rückweg waren und die Pistolenschüsse gehört haben. Es gibt ein allgemeines Durcheinander, zumal Mrs. Bannerworth in Ohnmacht gefallen ist, aber interessanterweise wird sogleich deutlich, dass Charles und Mr. Marchdale sich nicht leiden können.

Nun würden mir persönlich eine Unmenge ausgesprochen banaler Gründe einfallen, warum man jemanden nicht leiden kann. Aber nach den ehernen Regeln der viktorianischen Unterhaltungsliteratur bedeutet die Abneigung, die die beiden Figuren einander entgegenbringen, dass eine von ihnen ein Schurke sein muss.

Ich überrasche mich selbst, aber ich will wissen, wie es weitergeht.

Mittwoch, 30. Juni 2021

Varney-Liveblog: Kapitel 1–5

»Art thou a spirit of health or goblin damned?«
Die Ausgabe, die ich lese, ist das E-Book von Project Gutenberg. Es beruht auf der Buchausgabe von Varney the Vampire, die im Herbst 1847 nach der Erstveröffentlichung im Penny-Dreadful-Format erschien. Insgesamt gab es 109 Hefte, von denen es anscheinend nicht alle in die Buchausgabe geschafft haben. Ich denke aber, mit 748 E-Book-Seiten hat die Buchausgabe auch so genug zu bieten.

Dem ersten Kapitel vorangestellt ist ein kurzes Vorwort, das behauptet, der Roman sei aus »authentischen Quellen« zusammengestellt. Was für Quellen das sein sollen, wird leider nicht weiter ausgeführt. Beteuert wird jedoch, dass die Titelfigur Varney eine historische Person und im Jahr 1713 gestorben sei. Eine Art Herausgeberfiktion also.

Interessant finde ich folgende Bemerkung:
A belief in the existence of Vampyres first took its rise in Norway and Sweden, from whence it rapidly spread to more southern regions, taking a firm hold of the imaginations of the more credulous portion of mankind.

Warum ausgerechnet Norwegen und Schweden? Tatsächlich stammten die ersten Berichte über Vampire, die im 18. Jahrhundert die europäischen Metropolen erreichten, vom Balkan – genauer gesagt, aus Serbien. Entsprechend spielen bedeutende Vampirgeschichten, die etwas früher als Varney  entstanden, auf dem Balkan: So etwa La Guzla von Prosper Mérimée oder A. K. Tolstois »Famille du Vourdalak«. Die allererste Vampirgeschichte in Prosa, Polidoris The Vampyre (sofern man nicht das Fragment Byrons, auf dem sie basiert, als die wirklich und wahrhaftig erste Vampirgeschichte betrachten will) beginnt und endet zwar in England, die dazwischen angesiedelte Schlüsselepisode spielt jedoch ebenfalls auf dem Balkan.

Hier jedoch wird die Herkunft des Vampirstoffs aus Skandinavien behauptet. Möglicherweise wird damit auf die zahlreichen lebenden Toten angespielt, die in der altnordischen Literatur (z.B. in den isländischen Sagas) vorkommen. Die Frage nach dem Warum ist damit natürlich nicht beantwortet. Ich kann es mir nur so erklären, dass damit die Anwesenheit eines Vampirs bzw. eines Vampirglaubens im England des frühen 18. Jahrhunderts plausibel gemacht werden soll. 

Eigentümlich finde ich auch die Bemerkung, der Vampirglaube habe sich im leichtgläubigeren Teil der Menschheit verbreitet. Ich hätte eher erwartet, dass die Existenz von Vampiren im Sinne einer suspension of disbelief eigens betont wird. Das Vorwort erklärt aber weiter, der Roman überlasse »the question of credibility« ganz den Leser:innen und denke gar nicht daran, selber Stellung zu nehmen. Mal sehen, ob das im Roman dann auch wirklich so ist.

Nun geht es endlich los. Varney the Vampire beginnt mit einer genretypischen Szene: Ein alterwürdiges Landhaus, nachts. Eine junge Frau (»formed in all fashions of loveliness«) liegt schlafend im Bett. Eine finstere Gestalt erscheint am Fenster und verschafft sich Einlass. Die junge Frau erwacht, doch die Kehle ist ihr wie zugeschnürt. Die Gestalt beugt sich über sie, hypnotisiert sie mit ihrem Blick. Und dann:

With a plunge he seizes her neck in his fang-like teeth—a gush of blood, and a hideous sucking noise follows. The girl has swooned, and the vampyre is at his hideous repast!

Eine Szene also, wie man sie dutzendfach, wenn nicht hundertfach, in Vampirfilmen gesehen hat. Nur: In Varney the Vampire kommt sie, die sich so übermäßig weit verbreitet hat, zum ersten Mal in ihrer typischen Form vor. Die Autor:innen, wer immer sie waren, haben die vampirische Szene par excellence erfunden.

Es ist zugleich die Szene des Romans, über die sich am meisten lustig gemacht wird. Das liegt nicht nur daran, dass sie als Eingangsszene so leicht aufzufinden ist. Es hat tatsächlich etwas Komisches, wie sehr sie durch erzählerische Verzögerungen in die Länge gezogen wird. Allein die Schilderung des kurzen Weges, den der Vampir vom Fenster bis zum Bett zurücklegt, nimmt mehrere Absätze ein. Zweimal bleibt er stehen, um ein abgrundtief böses Gesicht zu machen, und jedes Mal wird es ausführlich beschrieben. Dennoch ist der Beginn von Varney the Vampire ein exzellentes Beispiel dafür, wie der an sich obskure Roman im Vampirgenre bis heute fortwirkt.

Nicht verschweigen will ich das markante Äußere des Vampirs:

[The face] is perfectly white—perfectly bloodless. The eyes look like polished tin; the lips are drawn back, and the principal feature next to those dreadful eyes is the teeth—the fearful looking teeth—projecting like those of some wild animal, hideously, glaringly white, and fang-like.

Außerdem erfahren wir, dass der Vampir ungewöhnlich groß ist und lange, klauenartige Fingernägel hat – natürlich, möchte man sagen. Es wird gelegentlich behauptet (hier zum Beispiel), in Varney werde zum ersten Mal ein Vampir mit spitzen Fangzähnen beschrieben. Das stimmt nicht ganz. Vanderhausen, der grausige untote Ehemann in Sheridan Le Fanus »Strange Event in the Life of Schalken the Painter« hat nämlich »two long, discoloured fangs, which projected from the upper jaw, far below the lower lip«. Vanderhausen wird zwar nicht explizit als Vampir bezeichnet, aber sein Aussehen spricht für sich. Da Le Fanus Erzählung erstmals 1839 erschien, kommt sie zuerst.

Zurück zu Varney. Der jungen Frau, die übrigens Flora Bannerworth heißt, gelingt es schließlich doch noch, um Hilfe zu schreien. Ihre Brüder Henry und George sowie Mr. Marchdale, der eine Art väterlicher Freund der Familie zu sein scheint, stürmen ins Zimmer. Der Eindringling entkommt durchs Fenster. Mr. Marchdale und Henry gelingt es, ihn mit zwei Pistolenschüssen zu treffen, aber scheinbar unberührt klettert er über die Gartenmauer und verschwindet.

Flora, so wird ausdrücklich vermerkt, hat zwei kleine Wunden am Hals. Das scheint mir wiederum eine Premiere zu sein. In früheren Vampirgeschichten (nicht aber in der Folklore!) werden Bisswunden am Hals erwähnt, aber meines Wissens taucht hier zum ersten Mal die vor allem aus Filmen bekannte Vorstellung von zwei durch die Eckzähne entstandenen Punktierungen auf. Natürlich stehen die Bannerworths (zu denen auch die Mutter der Geschwister Flora, Henry und George gehört) und Mr. Marchdale zunächst vor einem Rätsel: Flora hat viel Blut verloren, aber abgesehen von ein paar kleinen Flecken auf der Bettwäsche ist davon keine Spur zu sehen.

Alle erwarten eine Erklärung von Mr. Marchdale, der offenbar weit gereist und gebildet ist. Eine Erklärung liefert er auch, aber erst später, gegenüber Henry, unter vier Augen. Er ist überzeugt, dass der Eindringling ein Vampir ist. Henry und Mr. Marchdale beschließen, dies zunächst für sich zu behalten, um Flora nicht zu erschrecken. Flora dann natürlich, als Henry sie das nächste Mal sieht: »It was a vampyre.« Und Henry: »Good God, who told you so?« Tja, Henry. Ein nächtlicher Eindringling – ein Biss in den Hals – starker Blutverlust. Wie konnte Flora da nur auf einen Vampir kommen?

Unterstützt wird die Vermutung dadurch, dass in Bannerworth Hall ein Bild hängt, das den mysteriösen Eindringling darzustellen scheint. Henry zufolge zeigt es Sir Runnagate Bannerworth, einen verruchten Vorfahren, der von eigener Hand gestorben sein soll.

Am nächsten Morgen wird Flora von Mr. Chillingworth, dem Arzt der Familie, untersucht. (Hier zeigt sich übrigens, wie eilig die Autor:innen es hatten. Denn warum eine Figur ausgerechnet Chillingworth nennen, wenn es bereits die Bannerworths gibt?) Der Arzt glaubt nicht an die Vampirhypothese und vermutet stattdessen, dass Flora von einem Insekt gestochen wurde. Außerdem trifft ein Brief von einem neuen Nachbarn namens Sir Francis Varney ein, der von Floras ›Krankheit‹ gehört hat und seine Unterstützung anbietet. Das ist das erste Mal seit dem Vorwort, dass namentlich von der Titelfigur die Rede ist.

Am Abend versuchen Henry, Mr. Marchdale und Mr. Chillingworth dann, den Fluchtweg des Eindringlings nachzuvollziehen. Zu ihrer Überraschung sehen sie jenseits der Gartenmauer in einiger Entfernung einen Toten auf der Erde liegen – jedenfalls scheint es ein Toter zu sein, da er völlig bewegungslos ist. Aber kaum fallen die ersten Strahlen des Vollmonds auf den Leichnam, beginnt er sich zu regen und flieht.

Wenn etwas die zeitgenössischen Leser:innen davon überzeugen sollte, dass es hier um Vampirismus geht, dann dieses Motiv. Heute sind wir weitgehend an die Vorstellung gewöhnt, dass Vampire unsterblich sind, sofern sie nicht auf eine bestimmte Art und Weise getötet werden. Am bekanntesten ist natürlich der Pfahl durchs Herz, aber auch Köpfen oder Verbrennen werden häufig genannt. Während des ersten Vampir-Booms zur Zeit der Romantik (und Varney ist ein Spätprodukt dieses Booms) konnten Vampire aber durchaus sterben, und taten es häufig. Allerdings erwachten sie jedes Mal, wenn sie vom Mond beschienen wurden, wieder zum Leben. Dieses Motiv spielt sowohl in Polidoris Vampyre als auch in Uriah Derick D’Arcys Black Vampyre (beide 1819) eine prominente Rolle. 

Übrigens handelt es sich dabei (ebenso wie bei den Fangzähnen und dem Biss in den Hals) um ein literarisches Motiv, das in der Vampirfolklore meines Wissens keine Vorbilder hat. Variiert wurde es insofern, als manchmal (wie in Varney) ausschließlich dem Vollmond eine revitalisierende Wirkung zugeschrieben wird, manchmal aber auch der Mondschein einer beliebigen Nacht für ausreichend erklärt wird.

Am Ende von Kapitel V beschließen Henry, Mr. Marchdale und Mr. Chillingworth, in der Familiengruft der Bannerworths nachzuschauen, ob der der Leichnam des verdächtigen Vorfahren dort ruht, oder, sollte er fort sein, vielleicht als Vampir umgeht.

Mal schauen, wie es weitergeht.

Dienstag, 18. Mai 2021

Graf Dracula (beißt jetzt) in Oberbayern (1979)

Regie: Carl Schenkel · Drehbuch: Grünbach & Rosenthal · Musik: Gerhard Heinz · Kamera: Heinz Hölscher · Schnitt: Jutta Hering · Produktion: Barthonia Film.

Der Münchner Erotikfotograf Stani (Gianni Garko) kehrt in sein Heimatdorf zurück. Im alten Stammschloss seiner Familie will er eine Disco und ein Hotel eröffnen. Als Publikumsmagnet bringt er vier Fotomodelle aus München mit: Mausi (Bea Fiedler), Lilo (Linda Grondier), Laurie (Laurence Kaesermann) und Georgia (Georgina Steer), die fortan in Stanis Disco strippen.

Stanis Mutter, die Gräfin (Herta Worell), ist von den Geschäftsideen ihres Sohnemanns nicht sehr angetan. Sie befürchtet, seine Pläne für das Schloss könnten »die Toten wecken«. Und in der Tat: Tief unten in den Gewölben des Schlosses regen sich Stanis untote Urgroßeltern, Graf Stanislaus (ebenfalls Gianni Garko) und Gräfin Olivia (Betty Vergès), sobald die Disco-Beats an ihre Ohren dringen.

Stanislaus und Olivia hatten eigentlich versprochen, ihre Gruft nicht mehr zu verlassen. Im Gegenzug wurden sie von Schlossverwalter Boris (Ralf Wolter) mit geklauten Blutkonserven versorgt. Aber Boris wird bei seinem letzten Beutezug auf frischer Tat ertappt, und dem gräflichen Paar knurrt der Magen.

Graf Stanislaus stellt fest, dass die Disco-Mädels die ekstatischen Gefühle, die sein Biss auslöst, sehr zu schätzen wissen. Ungehemmt knabbert er sich durch die Partyszene, die durch Stanis Aktivitäten ins beschauliche Oberbayern gelockt wurde. (Gattin Olivia tut sich etwas schwerer damit, sich in den siebziger Jahren zurechtzufinden.)

In der nahegelegenen Dorfschule unterrichtet Ellen van Helsing (Ellen Umlauf), Tochter eines prominenten Vampirjägers. Stanis Disco ist ihr ein Dorn im Auge, denn sie befürchtet, dass sie die Moral der Jugend verdirbt. Aber nie hätte sie gedacht, dass sie noch einmal den alten Familienberuf werde ausüben müssen ...

Das Subgenre der westdeutschen Vampirklamotte mit Softsex-Anteil, das mit Beiß mich Liebling! (1970) und Gebissen wird nur nachts (1971) seinen Anfang nahm, war ganz für sich schon eine etwas merkwürdige Angelegenheit. Ende der siebziger Jahre meinte irgendwer offenbar, dem noch einen draufsetzen und es mit dem Lederhosen-Sexfilm kombinieren zu müssen. Und die (Doppel-)Hauptrolle mit Italowestern-Veteran Gianni Garko zu besetzen.

Das eigentlich Bizarre ist aber, dass Regisseur Schenkel zwischendurch immer mal wieder die Lust verließ, stets nur Intimbehaarung und Discokugeln ins Bild zu nehmen. Sein Film verirrt sich hier und da in Szenen, die an echten Horror erinnern – zum Beispiel eine, die als Hommage an Hitchcocks Duschszene gesehen werden muss. Angst vor der Inkongruenz kann man Schenkel nicht vorwerfen, obwohl sich nach wenigen Minuten unweigerlich alles wieder in Klamauk auflöst.

Am Ende wird es Olivia und Stanislaus zu viel, ständig als Touri-Attraktion herhalten zu müssen, und sie flüchten entnervt in die Urheimat Transsilvanien. Folgerichtig war dieser Ausflug nach Oberbayern das letzte Mal, dass sich ein Filmstudio an diese Stilblüte von einem Subgenre heranwagte.

Die VAMPYRS: Graf Stanislaus und Gräfin Olivia.

Freitag, 30. April 2021

Varney-Liveblog

Er ist fast 800 hastig geschriebene Seiten dick. Sein Stil ist so logorrhöisch, dass aus jedem noch so banalen Handgriff, den seine Figuren tun, ein mehrere Zeilen umfassendes Ereignis wird. Wer ihn geschrieben hat, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Er ist voller Anachronismen und kann sich oft nicht mal die Namen seiner Figuren merken. Aber er hat vielleicht mehr Konventionen des Vampirgenres etabliert als irgendein anderer Text vor Bram Stoker – Varney the Vampire; or, the Feast of Blood, der Inbegriff des Penny Dreadful.

Varney the Vampire erschien zwischen 1845 und 1847 in wöchentlichen Heften. Das war die übliche Publikationsweise für die Penny Dreadfuls der viktorianischen Ära. Es erklärt zugleich die Hast, in der sie geschrieben wurden (man brauchte jede Woche was Druckfertiges), und ihre Länge (so lange die Leute es kauften, konnte man immer noch ein Heft dranhängen). Im deutschsprachigen Raum entstanden damals die Kolportageromane auf ähnliche Weise.

Varney the Vampire wird wahlweise James Malcolm Rymer und Thomas Peckett (oder Preskett) Prest zugeschrieben – und manchmal auch beiden. Rymer und Prest arbeiteten für den Verleger Edward Lloyd, in dessen Schreibfabrik Romane im Akkord entstanden. Prests Spezialität waren Dickens-Plagiate, die unter dem Pseudonym »Bos« erschienen und Titel wie Oliver Twiss und David Copperful hatten. Rymer und Prest verfassten gemeinsam den Roman A String of Pearls, in dem der teuflische Barbier Sweeney Todd seinen ersten Auftritt hatte.

Vielleicht schrieben Rymer und Prest Varney the Vampire, vielleicht auch nicht. Möglicherweise waren auch noch weitere Angestellte des Hauses E. Lloyd beteiligt. Die Frage der Autorschaft ist bei einem Werk wie diesen letztlich unbedeutend. Es kommt allein darauf an, dass es sich um »a romance of exciting interest« handelt, wie das Cover verspricht!

Interessant ist Varney the Vampire tatsächlich. Das heißt nicht, dass es sich um einen vergessenen Klassiker handelt, der auf Wiederentdeckung wartet. Dieser Roman ist unfassbar weitschweifig und nicht selten unfreiwillig komisch. Das weiß man schon nach wenigen Seiten. Aber er hatte eben auch einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Genres, der bis heute spürbar ist.

Um einen Eindruck vom Stil des Romans zu vermitteln, hier die ersten Zeilen:
The solemn tones of an old cathedral clock have announced midnight—the air is thick and heavy—a strange, death like stillness pervades all nature. Like the ominous calm which precedes some more than usually terrific outbreak of the elements, they seem to have paused even in their ordinary fluctuations, to gather a terrific strength for the great effort. A faint peal of thunder now comes from far off. Like a signal gun for the battle of the winds to begin, it appeared to awaken them from their lethargy ...

Und so geht es weiter, Seite um Seite. Man beachte den willkürlichen Tempuswechsel und den großzügigen Gebrauch des Adjektivs terrific. Überhaupt, die Adjektive. Ein »outbreak of the elements«, der nur »terrific« ist, reicht offenbar nicht aus. Er muss mindestens »more than usually terrific« sein!

Penny-Dreadful-Autor:innen wurden nach Zeilen bezahlt. Viktorianische hack writers, die für Verleger wie Lloyd arbeiteten, waren deshalb Profis im Erfinden überflüssiger Details und im Ausschmücken von Sätzen, die an sich recht simple Vorgänge beschreiben. Der Effekt des Ganzen ist, ich kann es nicht besser beschreiben, dass Varney the Vampire sich langatmig und atemlos zugleich liest.

Da ich versuchen möchte, Varney the Vampire (zum für mich ersten Mal) komplett durchzulesen, will ich hier regelmäßig über meinen Lesefortschritt berichten. Dieser Plan steht natürlich einerseits unter dem Motto »I read it so you don’t have to«. Andererseits möchte ich aber auch niemanden davon abhalten, es mit diesem in mancher Hinsicht überwältigenden alten Schinken zu versuchen. Vielleicht sieht die eine oder der andere das hier ja sogar als Anregung?

Samstag, 17. April 2021

Dracula Reborn (2012)

Regie: Patrick McManus · Drehbuch: Patrick McManus · Musik: Greg Nicolett · Kamera: Cira Felina Bolla · Schnitt: Maui Toca · Produktion: Halcyon International Pictures.

Vladimir Sakarny (Stuart Rigby) – stinkreich und aalglatt – lässt sich von Immobilienmakler Jonathan Harker (Corey Landis) ein leerstehendes Gebäude vermitteln. Das befindet sich in einem Stadtteil von Los Angeles, der unter der Kontrolle einer Latino-Straßengang steht. Sakarny betont jedoch, das Gebäude sei genau das richtige für ihn. Als Jonathan zur Unterzeichnung des Kaufvertrags in Sakarnys luxuriösem Anwesen eintrifft, bemerkt er, dass ein Gemälde an der Wand seine Frau Lina (Victoria Summer) zu zeigen scheint. Jonathan unterdrückt jedoch seine Zweifel, denn der Abschluss des Geschäfts bedeutet finanzielle Sicherheit für ihn und Lina.

Kaum ist die Tinte trocken, wird Jonathan auf der Straße von einem gewissen Quincy Morris (Krash Miller) angesprochen. Der behauptet, Sakarny habe seine Freundin Lucy (Linda Beller) ermordet ...

Wie man sieht, hatte irgendjemand die Idee, die Handlung von Dracula in das Los Angeles der Gegenwart zu verlegen. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Im Roman kauft Graf Dracula Häuser in und um London auf, weil er seine Wirkungsstätte von Transsylvanien in die »dichtbelebten Straßen« des damaligen Weltmittelpunkts verlegen will. Er geht schlicht und einfach da hin, wo er den besten Zugriff auf die von ihm benötigten human resources hat. Warum aber sollte Draculas alter ego in diesem Film, Sakarny, eine leerstehende Immobilie in Los Angeles kaufen, wo er doch ohnehin schon in Los Angeles ansässig ist? Das wird nirgends erklärt und bewirkt, dass die weitere Handlung keinen Sinn ergibt. Sakarny eine zur Verlegung des Plots in die Gegenwart passende Motivation zu unterstellen, wurde schlicht und einfach vergessen.

Nur unzureichend übertüncht wird dies durch die Aufnahme des aus den Verfilmungen von Dan Curtis und Francis Ford Coppola bekannten Motivs, dass Dracula/Sakarny der Reinkarnation seiner verstorbenen Frau, hier Lina (sic!) Harker, begegnet. Plausibler wird die Geschichte vom Immobilien-Deal im Gangsterviertel dadurch auch nicht.

Neben den bereits genannten Figuren treten auch Entsprechungen zu Renfield (Ian Pfister), Holmwood (Preston James Hillier), Seward (Dani Lennon), van Helsing (Keith Reay) und Hawkins (Christianna Carmine) auf. Die schauspielerischen Leistungen überzeugen allesamt nicht – was nicht zuletzt daran liegen mag, dass man die wackeren Mimen Dialogzeilen sprechen lässt, die geradezu erschütternd einfältig wirken. Hinzu kommt noch, dass die Darstellung der Latino-Gangster zum Fremdschämen klischeehaft ist.

Dracula Reborn ist ein Film aus der »So schlecht, dass es schon wieder schlecht ist«-Schule. Er verfügt über keinerlei Qualitäten, die dieses Urteil irgendwie abmildern könnten. Dass er im gleichen Jahr wie Dario Argentos Dracula 3D erschien, legt die Vermutung nahe, dass er als Mockbuster konzipiert wurde.

Der VAMPYR: Vladimir Sakarny.

Mittwoch, 14. April 2021

Wolfsbane: Eisenhut oder Arnika?

Eine auffällige Veränderung, die Universals Dracula (1931) gegenüber der Romanvorlage vornimmt, ist die, dass Professor van Helsing den Grafen nicht mit Knoblauch im Schach zu halten versucht, sondern mit »wolfsbane«. Eine Pflanze dieses Namens spielt auch in Universals späterem Film The Wolf Man (1941) eine Rolle, und zwar in Form eines ominösen Reims:

Even a man who is pure in heart, and says his prayers by night;
May become a wolf when the wolfsbane blooms and the autumn moon is bright.

Hier wird also ein Zusammenhang zwischen »wolfsbane« und Lykanthropie hergestellt. Aber welche Pflanze ist damit überhaupt gemeint?

Es gibt zwei Pflanzen, die früher »wolfsbane« genannt wurden: Eisenhut und Arnika. Das hochtoxische Eisenhut wurde (behauptet jedenfalls Wikipedia) früher verwendet, um Wölfe zu vergiften. Das deutet darauf hin, dass in The Wolf Man tatsächlich Eisenhut gemeint ist.

Was Tod Brownings Dracula betrifft, hatte ich dagegen den Verdacht, dass sich »wolfsbane« auf Arnika bezieht. Arnika gehört zu den traditionellen Zauberpflanzen. Nicht zu Unrecht, denn äußerlich angewendet wirkt Arnika entzündungshemmend. (Leider kommt es im sogenannten alternativmedizinischen Milieu immer wieder zu innerlichen Anwendungen. Davon ist strikt abzuraten, denn auch Arnika ist giftig; wenn auch nicht so sehr wie Eisenhut.)

Ebenfalls spielt Arnika im katholischen Marienkult eine Rolle. Zu Mariä Himmelfahrt ist es Brauch, einen Strauß aus verschiedenen Pflanzen mit in die Kirche zu nehmen. Eine dieser Pflanzen ist Arnika. Der Brauch steht möglicherweise mit einer Legende in Verbindung, laut der in Marias leeren Grab (nach katholischem Glauben ist sie ja leiblich in den Himmel aufgefahren) ihre Lieblingsblumen und -kräuter wuchsen.

Da ist es nicht verwunderlich, dass Arnika eine apotropäische Wirkung nachgesagt wurde. Bauern steckten Arnikabüschel an die Ecken ihrer Getreidefelder. Sie sollten die Bilwisse, die Korndämonen, davon abhalten, die Ernte zu zerstören.

Warum sollte, was gegen Bilwisse hilft, nicht auch vor Vampiren schützen? Zumal Arnika in den Karpaten offenbar reichlich wächst. Der Gedanke ist verlockend, dass das Team von Brownings Dracula in irgendeiner Weise von der Folklore beeinflusst war, die sich um die Arnikapflanze rankt.

Ein Gedanke, der sich bei näherem Hinschauen allerdings nicht bestätigt. Universal ließ 1931 bekanntlich zwei Versionen von Dracula drehen: den bekannteren Film von Browning und eine spanischsprachige Fassung, bei der George Melford Regie führte. Melfords Film hält sich in vielen Details genauer an das Drehbuch. 

Das lässt einen eindeutigen Befund zu: Van Helsing (Eduardo Arozameno) bezeichnet seine Pflanze im spanischen Film als acónito, Eisenhut. Dazu erklärt er, dass mit dieser Pflanze Wölfe zum Verstummen gebracht werden können.

Damit wäre geklärt, dass es sich bei dem »wolfsbane« im Universal-Kanon um Eisenhut handelt. Ob es wirklich gegen Vampire hilft – wer weiß.

Montag, 5. April 2021

La cripta e l’incubo (1964)

Deutscher Titel: Ein Toter hing am Glockenseil · Regie: Camillo Mastrocinque · Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Tonino Valerii · Musik: Carlo Savina · Kamera: Julio Ortas · Schnitt: Roberto Cinquini · Produktion: MEC.

Auf dem Hause Karnstein scheint ein Fluch zu lasten. Immer wieder kommen Familienangehörige auf mysteriöse Weise ums Leben. Schlimmer noch: Jeden dieser Tode erlebt die junge Laura Karnstein (Adriana Ambesi) im Traum mit. Auch sonst liegt bei der adeligen Sippe einiges im Argen. Lauras Vater, Graf Ludwig Karnstein (Christopher Lee), hat eine Affäre mit dem Dienstmädchen Annette (Véra Valmont). Die Beziehung der beiden ist deutlich von Inzestphantasien geprägt – Annette wünscht sich, Graf Ludwigs Tochter zu sein. Und dann ist da noch die Haushälterin Rowena (Nela Conjiu), die in der Gruft unter dem Familienschloss satanistische Rituale zelebriert.

Graf Ludwig lädt den jungen Historiker Friedrich Klauss (José Campos) aufs Schloss ein. Denn einen Fluch gibt es in der Geschichte der Familie tatsächlich: Vor Jahrhunderten wurde eine Karnstein von ihren eigenen Angehörigen als Hexe hingerichtet. Kurz vor ihrem Tod am Kreuz (!) kündigte sie an, sie werde sich an allen Nachfahren ihres Hauses grausam rächen. Ludwig befürchtet, Laura könne vom Geist der toten Ahnin besessen sein. Friedrich soll nun das Familienarchiv durchforsten, um herauszufinden, ob man etwas dagegen tun kann. Er macht sich sofort an die Arbeit, findet zwischendurch aber auch immer wieder Zeit, Laura anzuschmachten.

Mitten in diese Szenerie, die an sich ja schon seltsam genug ist, platzt Ljuba (Ursula Davis) hinein, ein Mädchen in Lauras Alter. Ihre Mutter (Carla Calò) muss angeblich in einer dringenden Angelegenheit verreisen und bittet Graf Ludwig, ihre Tochter unterdessen bei sich aufzunehmen. Denn Ljuba sei von zarter Gesundheit. Und Laura glaubt, in Ljuba eine Seelenverwandte gefunden zu haben ...

Laut den Autoren Ernesto Gastaldi und Tonino Valerii (der später bei einigen bedeutenden Spaghetti-Western Regie führte) wurde das Drehbuch für La cripta in nur ein bis drei Tagen fertiggestellt. Das lag daran, dass die beiden dem Studio weisgemacht hatten, sie hätten bereits ein fertiges Script vorliegen. So wollten sie möglichst schnell grünes Licht für den Film erhalten.
 
Ich frage mich nur, was genau die beiden da gepitcht haben? »Wir verfilmen ›Carmilla‹, aber so, dass es wie La maschera del demonio aussieht« vielleicht? Denn dass die Idee mit der als Hexe verurteilten Vorfahrin, die ihre Familie heimsucht, direkt aus Mario Bavas Genre-Klassiker übernommen wurde, springt förmlich ins Auge.

Dem offensichtlichen Plagiat zum Trotz vermag La cripta es auf überraschende Weise, immer interessant zu bleiben. Gastaldi und Valerii müssen das Drehbuch in einer Art écriture automatique verfasst haben, denn der Film steckt voller ausgesprochen bizarrer Elemente. Am meisten fasziniert hat mich Rowena, die satanistische Mamsell.
 
Gewöhnlich steht Satanismus im Horrorfilm entweder für das Fortleben der archaischen, heidnischen Vergangenheit (etwa in J. Lee Thompsons Eye of the Devil), für aristokratische Dekadenz (wie bei Roger Cormans Fürst Prospero) oder für das schlechthin Böse (wie in zahlreichen Filmen der siebziger Jahre). Hier aber, in La cripta, wird die Satansjüngerin als Sympathieträgerin dargestellt – und zwar ohne jede Komik. Sie feiert ihre Riten, bei denen sie u.a. Leichenteile verwendet, wie ähnlich gezeichnete Figuren in anderen Filmen ganz harmlos aus Kristallkugeln lesen mögen.

Damit geht einher, dass der Plot nicht sonderlich kohärent ist. Wer da welche Motivation zum Handeln hat, bleibt häufig im Dunkeln. Ich frage mich zum Beispiel, warum Graf Ludwig die Vorstellung, seine Tochter könne besessen sein, solche Sorgen bereitet. Der ganze Film zeigt die Karnsteins und ihren Haushalt als völlig (und nicht unsympathisch) durchgedreht. Ob die Tochter des Hauses besessen ist oder nicht, sollte dann doch eigentlich auch nicht mehr sonderlich ins Gewicht fallen.

Andere merkwürdige Details mögen Budget-Erwägungen geschuldet sein. Warum wird die Karnstein-Hexe gekreuzigt, und nicht etwa verbrannt oder ertränkt? Sicher deshalb, weil es einfacher (also kostengünstiger) darzustellen war. Aber es scheint dem Filmteam gar nicht aufgefallen zu sein, dass damit ein unterhaltsamer Hauch von Blasphemie in die Handlung Einzug hält.

Für die Regie war eigentlich Genre-Spezialist Antonio Margheriti vorgesehen, der aber mit anderen Projekten beschäftigt war. So kam es, dass der Komödienregisseur Camillo Mastrocinque einen Horrorfilm drehte. Ungewöhnlich ist auch, dass Christopher Lee hier in einem Vampirfilm auftritt, ohne den Vampir zu spielen. Zudem wird Lee keineswegs als Star des Films herausgestellt. Stand er vielleicht nur für wenige Drehtage zur Verfügung?

Die zeitgenössische Kritik reagierte stark ablehnend auf La cripta e l’incubo. Nicht zu unrecht – denn ja, der Film ist ein Plagiat, und ja, er ist verworren erzählt. Ich finde aber, dass man ihn heute, fast 60 Jahre nach dem italienischen Gothic-Horror-Boom, aus einem Blickwinkel ansehen kann, der seine (gelinde gesagt) ungewöhnlichen Elemente würdigt.

Freitag, 26. März 2021

L’ultima preda del vampiro (1960)

Deutscher Titel: Das Ungeheuer auf Schloß Bantry · Regie: Piero Regnoli · Drehbuch: Piero Regnoli · Musik: Aldo Piga · Kamera: Aldo Greci · Schnitt: Mariano Arditi · Produktion: Film Selezione.

Die Varieté-Tänzerinnen Vera (Lyla Rocco), Katja (Maria Giovannini), Ilona (Marisa Quattrini), Magda (Corinne Fontaine) und Erika (Erika Dicenta) tingeln mit dem Kleinbus durch Ungarn. Begleitet werden sie von ihrem windigen Manager Lukas (Alfredo Rizzo) und dem Pianisten Ferenc (Leonardo Botta). Ein Unwetter zwingt die Truppe, in einem abgelegenen Schloss Zuflucht zu suchen. Dort lebt Graf Gabor Kernassy (Walter Brandi) mit seiner Haushälterin Frau Balasz (Tilde Damiani) und dem hinkenden Knecht Zoltan (Antoine Nicos). Der Graf nimmt die durchnässten Fremden nur äußerst unwillig auf. Das Hauspersonal zeigt sich sogar noch abweisender.

Schon auf der Straße warnt ein zufällig daherkommender Bauer (Enrico Salvatore), dass niemand je zu diesem Schloss geht. Spätestens da müsste eigentlich jedem Kind klar sein, dass man es in dem Gemäuer mit spinnwebverhangenen Grüften, dunklen Familiengeheimnissen und spitzen Zähnen zu tun bekommen wird. Und so ist es auch: Graf Kernassy teilt sich das Anwesen mit einem untoten Vorfahren (ebenfalls Walter Brandi). Und während der Graf in seinem unterirdischen Labor nach einem Elixier forscht, das den Ahnen vom Fluch des Vampirismus befreien könnte, ist dieser an seiner Heilung gar nicht so sehr interessiert, dafür aber entzückt über die Anwesenheit von gut durchbluteten Gästen.

L’ultima preda del vampiro war bei seinem Erscheinen als ein Film voller skandalöser Nacktszenen verschrien. Nach heutigen Begriffen macht er sich aber auf geradezu drollige Weise harmlos aus. Tatsächlich trifft auf L’ultima preda eher das zu, was dem Horrorfilmgenre insgesamt gern vorgeworfen wird: dass in ihm die metaphysische oder soziale Ordnung (was ja letztlich dasselbe ist) nur deshalb verletzt wird, um sie am Ende wieder herstellen zu können. So schlägt Katja die Warnung des Grafen in den Wind, nachts auf keinen Fall im Schloss umherzustreifen. Und warum wagt sie sich doch in die dunklen Korridore und verfallenen Türme? Weil sie das Miauen einer Katze hört, dem sie sofort nachgehen muss. Natürlich fällt sie dem Vampir zum Opfer. Die Botschaft ist klar: Frau ist irrational und muss bestraft werden, wenn sie sich nicht an die Regeln hält.

Die Handlung hat Regisseur und Autor Piero Regnoli ziemlich dreist aus dem Film L’amante del vampiro von Renato Polselli geklaut. Angeblich teilen sich beide Filme mit dem Städtchen Artena (außerhalb von Rom) sogar den Drehort. Immerhin verlegte Regnoli die Handlung von Italien nach Ungarn und machte die Sache so etwas weniger offensichtlich. An die atmosphärische Dichte, die Polselli kreierte, kommt er zu keiner Zeit heran. 
 
Dafür vermag Regnoli es, flott und ohne jeden überflüssigen Schnickschnack zu erzählen. Und seine liebevoll handgemachten Spezialeffekte sind sehr sympathisch. Man muss L’ultima preda nicht gesehen haben. Aus den zuletzt genannten Gründen will ich ihn (der fragwürdigen Moral und der Abkupferei zum Trotz) aber auch nicht ganz schlecht machen.

Dienstag, 23. März 2021

La strage dei vampiri (1962)

Deutscher Titel: Die Rache des Vampirs · Regie: Roberto Mauri · Drehbuch: Roberto Mauri · Musik: Aldo Piga · Kamera: Ugo Brunelli · Schnitt: Jenner Menghi · Produktion: Mercurfilm.

Österreich im 19. Jahrhundert. Das junge adelige Paar Louise (Graziella Granata) und Wolfgang (Walter Brandi) lässt ein altes Schloss wieder herrichten, um sich auf dem Land niederzulassen. Zum Einzug geben sie einen Ball. Dort erscheint ein mysteriöser Fremder (Dieter Eppler) und tanzt mit Louise. Der Fremde, der den ganzen Film über namenlos bleibt, ist ein Vampir, und Louise nach der Begegnung mit ihm nicht mehr dieselbe. So scheint es jedenfalls Wolfgang. In Wien konsultiert er einen Arzt (Luigi Batzella), der im Ruf steht, Experte für solche Angelegenheiten zu sein.

Ein Wiener Arzt, der zur Lösung sexueller Konflikte angerufen wird? Die Anspielung ist überdeutlich, zumal Dr. Nietzsche sich die meiste Zeit an einer Zigarre festklammert. Aber wie der Name schon sagt, liegt hier kein Porträt Freuds vor. Dr. Nietzsche ist vielmehr ein verhinderter Übermann; die perfekte Verkörperung des »Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht«. Er eröffnet Wolfgang, seine Frau sei »kontaminiert« und müsse ebenso wie der Fremde getötet werden. Mit dem gehörnten Ehemann im Schlepptau macht Dr. Nietzsche sich unverzüglich auf die Jagd.

An den Verhältnissen des Gothic Horror der sechziger Jahre gemessen, zeichnet La strage dei vampiri sich durch eine erstaunliche Ambivalenz aus. Das beginnt schon beim Titel, der »Das Gemetzel der Vampire« bedeutet. Aber wer wird gemetzelt? Sind es die Vampire, die ein Gemetzel anrichten, oder werden sie gemetzelt? Am Anfang wird gezeigt, wie eine Vampirin vom sprichwörtlichen Mob mit Mistgabeln und Fackeln förmlich geschlachtet wird. Und am Ende inszeniert der Film nicht den Vampir, sondern Dr. Nietzsche als denjenigen, der in den Schatten lauert, um aus dem Hinterhalt heraus anzugreifen.

Natürlich verletzt La strage die Konventionen seines Genres nicht allzusehr. Am Ende muss die Ordnung wiederhergestellt sein, und so kommt es auch. Aber dafür, dass Dr. Nietzsche als Vampirjäger eine Heldenfigur sein soll, erscheint er doch sehr als einer, der lustvoll-aggressive weibliche Sexualität fürchtet wie eine Krankheit. Hinzu kommen verstörende Anspielungen, dass Wolfgang einen Hang zur Pädophilie haben könnte. Auch wird die österreichische Adelsgesellschaft nicht als heile Welt dargestellt, sondern als von Klatsch und Neid geprägt.

Dieter Eppler geriet durch Zufall an die Rolle des Vampirs. Er war nach Italien gekommen, um einen Inspektor in einem Krimi zu spielen. Dieser Film wurde nie realisiert, und Eppler war frei für La strage. Ein Glücksfall, denn er spielt den Vampir auf eine Weise, die entschieden campy ist, es aber nie zu weit treibt.

Sehr zum Gelingen des Films tragen auch die Musik Aldo Pigas und der Drehort bei. Gefilmt wurde nämlich in dem mittelalterlichen Dorf Monte San Giovanni Campano, dessen Burganlage der Familie Thomas von Aquins gehörte. Die Außenaufnahmen und die Musik sorgen für eine traumartige Atmosphäre.

An La strage dei vampiri zeigt sich, dass der italienische Gothic Horror, der mit Mario Bava begann, entgegen anderslautender Behauptungen nicht auch gleich wieder mit Bava aufhörte. Warum ist dieser Film nicht schon längst ein Geheimtipp?

Donnerstag, 18. März 2021

Gebissen wird nur nachts (1971)

Regie: Freddie Francis · Drehbuch: August Rieger · Musik: Jerry van Rooyen · Kamera: Gérard Vandenberg · Schnitt: Alfred Srp · Produktion: Aquila Film.

Elisabeth von Rabenstein (Pia Degermark) hat als »Betty Williams« in Hollywood Karriere gemacht. Jetzt kehrt sie in ihre Heimat Transsylvanien zurück, wo sie das Schloss ihrer Familie geerbt hat. Im Schloss wird sie vom Faktotum Josef (Ivor Murillo) empfangen, dem vor Schreck das Wort im Hals stecken bleibt, als er Elisabeth sieht: Sie ist ihrer Ahnin, der Baronin Clarimonde Catali, wie aus dem Gesicht geschnitten. Clarimonde, erklärt Josef, war eine Hexe und Vampirin. Ihre Opfer suchte sie sich unter den Mönchen des Klosters, das direkt unterhalb des Schlosses liegt.

Elisabeth ist von der Atmosphäre des Schlosses, das auch über eine gut ausgestattete Folterkammer verfügt, recht angetan. Sie beschließt, es ihrer Urgroßmutter nachzutun und einen Mönch zu verführen. Dazu guckt sie sich Bruder Martin (Joachim Kemmer) aus. Als der sich nachts aus dem Kloster schleicht, nimmt ihn allerdings nicht Elisabeth in Empfang, sondern die aus ihrem Sarg gestiegene Clarimonde (ebenfalls Pia Degermark).

Die untote Urgroßmutter erkennt sofort die Möglichkeiten, die sich aus der Ähnlichkeit mit ihrer Nachfahrin ergeben. So kommt es zu zahlreichen weiteren Verwechslungen, die mal bewusst von Clarimonde, mal versehentlich von Elisabeth herbeigeführt werden.

Es fällt mir schwer, diesen Film rundheraus als »schlecht« zu bezeichnen. Gebissen wird nur nachts macht keinen Hehl daraus, dass sein einziger Daseinszweck ist, Hauptdarstellerin Degermark (und ein Heer von Nebendarstellerinnen) zu möglichst vielen Gelegenheiten oben ohne zu zeigen. Weshalb man darauf verfallen ist, dazu ausgerechnet Théophile Gautiers »Morte amoureuse« zu verhunzen, ist mir allerdings ein Rätsel. Gebissen wird nur nachts ist nun wirklich kein Film, der irgendwelche Prätentionen erkennen lässt, eine Literaturverfilmung zu sein. Im Grunde lässt er überhaupt keine Prätention erkennen, außer der, Brüste in allen Größen und Formen zu präsentieren.

Zum Ende hin wartet Gebissen wird nur nachts mit einem Gastauftritt von Ferdy Mayne als Graf Dracula auf, der Mayne hoffentlich peinlich war. Ansonsten gibt es eine Statistin zu bewundern, die bei all ihren Auftritten ihre Vampirzähne mit der Hand festhält, damit sie ihr nicht aus dem Mund fallen. Und den wohl am unechtesten aussehenden Styroporfelsen der Filmgeschichte. Ein ganz nettes Detail ist hingegen, dass als Kulisse für Schloss Rabenstein die Schauburg Kreuzenstein in Österreich dient. Das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert errichtete Gemäuer ist in zahlreichen Szenen zu bewundern.

Die VAMPYRIN: Baronin Clarimonde Catali.

Donnerstag, 25. Februar 2021

El buque maldito (1974)

Deutscher Titel: Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen · Regie: Amando de Ossorio · Drehbuch: Amando de Ossorio · Musik: Antón García Abril · Kamera: Raúl Artigot · Schnitt: Petra de Nieva · Produktion: Belén Films.
 
CN: Vergewaltigung.

Model-Agentin Lillian (Maria Perschy) leiht zwei ihrer Modelle an den Werbefuzzi Howard Tucker (Jack Taylor) aus. Der hat sich eine gewagte Aktion ausgedacht, die als Werbung für ein neues Motorboot dienen soll: Die beiden Models Katja (Blanca Estrada) und Lorena (Margarita Merino) werden in dem Boot auf hoher See ausgesetzt, sollen einen Schiffbruch simulieren und sich medienwirksam ›retten‹ lassen. (Warum ausgerechnet ein Schiffbruch Werbung für das betroffene Boot sein soll, bleibt Tuckers Geheimnis.) Katjas Mitbewohnerin Noemi (Bárbara Rey) hält die Aktion für gefährlich und droht, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Tucker lässt sie deshalb von Sergio (Manuel de Blas), seinem Mann fürs Grobe, kurzerhand entführen. Noemi wird von Sergio vergewaltigt.

Draußen auf dem Meer geraten Katja und Lorena in einen dichten Nebel. Ihr Boot kollidiert mit einem jahrhundertealten Segelschiff, das scheinbar verlassen dahintreibt. Der Funkkontakt zum Festland bricht ab. Lillian und Tucker fragen Professor Gruber (Carlos Lemos) um Rat, der ihnen von früheren Sichtungen des mysteriösen Schiffs im Nebel erzählt.

Katja und Lorena stoßen indessen tief im Innern des Schiffs auf Särge, denen untote Templer entsteigen. Die dürstet es natürlich nach Blut ...

Lillian, Tucker, Sergio, Noemi und Gruber brechen mit einer Jacht auf, um die beiden Schiffbrüchigen zu suchen. Unterwegs überlegen Lillian und Tucker bereits, wie sie die Angelegenheit vertuschen können, falls Katja und Lorena nicht überlebt haben sollten. Sergio wiederum ist begierig darauf, an Bord des alten Schiffs Schätze zu finden. 

Der dritte Teil der Filmreihe um die untoten, geblendeten Tempelritter geht leider die morbide Faszination, die die ersten beiden Filme ausstrahlen, völlig ab. Die Enttäuschung fängt mit der hirnrissigen handlungsauslösenden Idee der fingierten Seenot an. Sie gipfelt darin, dass gleich drei der Figuren (Lillian, Tucker und Sergio) ausgemachte Arschlöcher sind. Warum sollte man mit solchen mitfiebern, während sie den bluttrinkenden Rittern zu entkommen versuchen?
 
Hinzu kommt, dass Regisseur de Ossorios Dauerproblem, die Unterfinanzierung seiner Filme, in El buque maldito besonders zu Buche schlägt. In einer klimaktischen Szene versinkt das Spukschiff brennend im Meer. Aber zur Umsetzung dieser Szene gönnte das Studio dem Regisseur nur ein winziges Modellschiffchen, das in einem Wassertank vor sich hin kokelt.

Auch für historische Flashbacks, wie sie in den ersten beiden Filmen zu sehen sind, hat es offenbar nicht gereicht. Das Schiff wird ausdrücklich mit dem Fliegenden Holländer identifiziert. Da wäre es ja durchaus interessant gewesen, zu erfahren, wie die Tempelritter an den Holländer kamen. Leider Fehlanzeige.

Auch nicht schön: Die wackelige Kameraarbeit. Amando de Ossorio hätte seine blinden Untoten nach La noche del terror ciego und El ataque de los muertos sin ojos besser mal in ihren Gräbern ruhen lassen sollen.

Donnerstag, 11. Februar 2021

The Devil Bat (1940)

Alternativtitel: Killer Bats · Regie: Jean Yarborough · Drehbuch: John Thomas Neville · Musik: David Chudnow · Kamera: Arthur Martinelli · Schnitt: Holbrook N. Todd · Produktion: PRC.

Kosmetik-Mogul Martin Heath (Edward Mortimer) und sein Partner Henry Morton (Guy Usher) haben mit den Kreationen des Chemikers Dr. Paul Carruthers (Bela Lugosi) ein Vermögen gemacht. Carruthers hingegen wurde mit lumpigen 10.000 Dollar abgespeist.

Carruthers tut in dieser Situation das, was wir wohl alle tun würden. Er stimuliert die Hormondrüsen einer Fledermaus mit Stromstößen, bis das Tier auf eine furchteinflößende Größe herangewachsen ist. Zugleich entwickelt er ein neues Aftershave, das eine geheime Zutat enthält: eine Substanz aus Tibet, die bei Fledermäusen einen Angriffsimpuls auslöst.

Unter dem Vorwand, sein neues Produkt testen zu wollen, verteilt Carruthers Gratisproben des Aftershaves an Heaths Söhne Tommy (Alan Baldwin) und Roy (John Ellis) sowie an Mortons Sohn Don (Gene O’Donnell). Allen dreien schlägt die Riesenfledermaus unverzüglich die Fangzähne in den Hals, nachdem sie sich diesen mit dem Aftershave eingerieben haben. Und natürlich hofft Carruthers, seine alten Partner Heath und Morton auf die gleiche Weise zu erwischen ...

The Devil Bat ist eines jener B-Movies, bei denen man sich sehnlich wünscht, der Schurke möge am Ende den Sieg davontragen. Es ist einfach zu schön anzusehen, wie Lugosi seine überdimensionierte Fledermaus auf die selbstgefälligen Geschäftsmänner und ihre geschniegelte Brut ansetzt. Aber natürlich wäre das nach damaligen Hollywood-Gesetzen ganz und gar unmöglich. Gut und Böse mussten klar getrennt sein und am Ende der Bösewicht zur Strecke gebracht werden.

Dabei lässt The Devil Bat sich geradezu als Parabel auf Lugosis Hollywood-Karriere ansehen. Trotz seiner ikonischen Rolle als Dracula wurde Lugosi von den Universal-Bossen immer wieder auf seinen Platz verwiesen. Das Studio sah nämlich Boris Karloff als seinen eigentlichen Horror-Star an. Selbst bei Filmen wie The Black Cat (1934), in dem Lugosis Rolle ebenso wichtig ist wie Karloffs, wurde stets Karloff als Hauptdarsteller präsentiert. Mit der Zeit relegierte man Lugosi sogar auf Nebenrollen, in denen er mitunter nicht einmal Dialogzeilen hatte.

Woran auch immer es lag – ob es Vorurteile wegen Lugosis ausländischer Herkunft waren oder seine zunehmende Abhängigkeit von Opiaten –, die Chefetage von Universal verhielt sich höchst unfair gegenüber Lugosi. Nichts zeigt das deutlicher als die Tatsache, dass das Studio sich weigerte, ihm nach Tod Brownings Dracula (1931) weiterhin seine Paraderolle zu überlassen. In den ersten Fortsetzungen zu Brownings Film tauchte Dracula als Person gar nicht auf. Später, in Universals infamer Trilogie von »monster rally«-Filmen, erhielt John Carradine die Rolle. Nur in der Komödie Abbott and Costello Meet Frankenstein (1948) durfte Lugosi noch einmal den Grafen geben.

Die Konsequenz war, dass Lugosi schon aus Geldnot Rollen in Produktionen der abschätzig so genannten »poverty row«-Studios wie Monogram und PRC annehmen musste. Die hatten sich darauf spezialisiert, Genre-Flicks im Akkord zu drehen, natürlich ohne die vergleichsweise üppigen Budgets, die bei Universal oder RKO üblich waren.

Nicht immer zeitigte die Zusammenarbeit zwischen Lugosi und den Filmschmieden der »poverty row« ein so glückliches Ergebnis wie hier. Die Rolle des Dr. Carruthers ist Lugosi auf den Leib geschrieben, und Lugosi trägt den Film. Es gibt auch, wie gesagt werden muss, nicht viel, was den Film sonst tragen könnte. Das Drehbuch strotzt vor plot holes. In der Nacht spielende Szenen mit der Fledermaus wurden sichtlich bei Tageslicht aufgenommen.

Bemerkenswerterweise macht The Devil Bat sich auch noch lustig über die naiven Spezialeffekte, die seit jeher in B-Movies verwendet werden. In einer Nebenhandlung versucht der Pressefotograf One-Shot McGuire (Donald Kerr) erfolglos, die Riesenfledermaus vor die Linse zu bekommen. Schließlich bestellt er sich beim Tierpräparator eine Fledermaus-Atrappe aus Filz, hängt sie an einem Draht auf und schießt das gewünschte Foto. Den Draht retuschiert er sorgfältig weg – nur um festzustellen, dass das fertige Bild einen am Filz angebrachten »Made in Japan«-Aufnäher zeigt.

The Devil Bat war PRCs erster Horrorfilm und so erfolgreich, dass das Studio nicht nur zahlreiche weitere folgen ließ, sondern den Streifen 1945 gleich noch mal im Kino laufen ließ. 1946 folgte dann die Fortsetzung Devil Bat’s Daughter, allerdings ohne Lugosi.

Ich weiß nicht, ob Lugosi über seine Rolle hinaus in die Entstehung des Films eingebunden war. Angesichts der Eile, in der Streifen dieser Art produziert wurden, ist das wohl eher unwahrscheinlich. Deshalb darf man sich The Devil Bat nicht unbedingt als bewussten Kommentar zu Lugosis Enttäuschung über Universal vorstellen. Aber in der »poverty row« arbeitete wahrscheinlich eine ganze Anzahl von Leuten, die ebenfalls Erfahrungen mit dem Snobismus gemacht hatten, der in den gediegeneren Häusern Hollywoods vorherrscht. Lugosi sieht jedenfalls so aus, als habe er einiges Vergnügen an dieser Rolle gehabt.

Der VAMPYR: Dr. Paul Carruthers.

Mittwoch, 3. Februar 2021

Drácula contra Frankenstein (1972)

Deutscher Titel: Die Nacht der offenen Särge · Regie: Jess Franco · Drehbuch: Paul d’Ales, Jess Franco · Musik: Bruno Nicolai · Kamera: José Climent · Schnitt: María Soriano · Produktion: Fénix Films.

Kaum machte Paul Naschy mit seinen am alten Universal-Grusel orientierten Filmen von sich reden, dachte Jess Franco sich: Das kann ich auch. Und wieder einmal bekam das Kinopublikum die geballte Macht des Kamerazooms zu spüren. Gedreht wurde in Portugal. 

Graf Dracula (Howard Vernon) wird von Dr. Seward (Alberto Dalbés) gepfählt. Doch der Doc hat nicht mit seinem Kollegen Dr. Frankenstein (Dennis Price) gerechnet. Der erweckt den Grafen wieder zum Leben, und der untote Untote muss ihm als henchman dienen.

Frankenstein lässt sich in Draculas Schloss häuslich nieder. Seinen buckligen Diener Morpho (Luis Balboo) und seine berühmte Kreatur (Fernando Bilbao) hat er ebenfalls dabei. Mit Draculas Hilfe will er ein »Heer von Vampiren« erschaffen, um sich die Welt zu unterwerfen.

Zum Glück für Dr. Seward ist da noch die Roma-Wahrsagerin Amira (Geneviève Robert). Die prophezeit, dass dem Doc bei seinem Endkampf gegen Frankenstein, Dracula und die Kreatur ein leibhaftiger Werwolf (Brandy) beistehen wird. Wenn das nichts ist!

Drácula contra Frankenstein hat nichts mit Francos Film Count Dracula von 1970 zu tun. Dieser orientierte sich an der Romanvorlage, jener ist eindeutig eine Imitation von Streifen wie Los monstruos del terror. Und, na ja, es ist ein Jess-Franco-Film. Ob man für die ein morbides Interesse empfindet oder sie einfach Fassungslosigkeit auslösen, ist letztlich Geschmackssache. (Bei mir hält sich beides in etwa die Waage.)

Den ersten Platz verdient hat Drácula contra Frankenstein, was die bizarren Fledermaus-Effekte angeht. Hier klatschen die Gummifledermäuse gegen Fensterscheiben und zucken an Drähten umher, was das Zeug hält. Den Höhepunkt bildet jedoch die Szene, in der Seward den Grafen in seinem Sarg pfählt. Da soll dargestellt werden, dass Dracula sich im Augenblick seines Todes in eine Fledermaus verwandelt: Es gibt einen Schnitt, und von oben erscheint eine Hand im Bild, die die Fledermaus in den leeren Sarg fallen lässt! Leider kamen in einigen Szenen auch echte Fledermäuse zum Einsatz, verbunden mit abstoßender Tierquälerei.

Beinahe ebenso speziell ist die deutsche Synchronisation des Films. Für sie wurde Graf Dracula in »Graf Satana« und Dr. Frankenstein in »Dr. Exorcio« umbenannt. Eine Stimme aus dem Off behauptet steif und fest, der Graf sei mit einem Silbernagel gepfählt worden, wo im Bild doch eindeutig ein Holzpflock zu sehen ist. Den treibt Seward dem Vampir übrigens mit Hilfe eines Reflexhämmerchens aus seiner Arzttasche durch den Brustkorb. Auch eine Leistung.

Der VAMPYR: Graf Dracula / Graf Satana.

Dienstag, 19. Januar 2021

Los monstruos del terror (1970)

Deutscher Titel: Dracula jagt Frankenstein · Regie: Tulio Demicheli · Drehbuch: Jacinto Molina · Musik: Franco Salina · Kamera: Godofredo Pacheco · Schnitt: Emilio Rodríguez · Produktion: Castilla Films.

»That’s our mission here: to study the manufacture of monsters who will destroy mankind.« — Dr. Odo Varnoff

Dr. Varnoff (Michael Rennie), ein Außerirdischer vom sterbenden Planeten Ummo, will sich die Erde unterwerfen. Er überlegt, was die Menschen am meisten fürchten, und kommt auf die Idee, dass die größte Furcht der Menschen Monster sind, die sie selbst geschaffen haben. Wie er darauf wohl gekommen ist? Durch das Anschauen alter Universal-Filme vielleicht? Mit seinen minions Maleva (Karin Dor) und Kerian (Angel del Pozo) richtet er in einem verlassenen Kloster ein Labor ein und geht auf Monstersuche.

Zuerst stößt er auf zwei Geschöpfe der Nacht, die bereits aus dem ersten Film der Reihe, La marca del hombre lobo, bekannt sind: Das Skelett des Vampirs Janos de Mialhoff (Manuel de Blas) wird in einem Gruselkabinett auf der Kirmes ausgestellt. Der hölzerne Pfahl, der den Blutsauger zur Strecke gebracht hat, steckt noch zwischen seinen Rippen. Die Aliens müssen den Pfahl nur herausziehen, und sofort beginnen sich um die nackten Knochen wieder Fleisch und Sehnen zu bilden. (Im ersten Teil wurde Mialhoff übrigens noch Mikhelov geschrieben. Ich vermute, hinter beidem verbirgt sich der Versuch, den russischen Namen Michailow wiederzugeben.)

Und dann ist da der Werwolf Waldemar Daninsky (Paul Naschy), um den sich die ganze Filmreihe ja dreht. Im ersten Teil erfuhren wir, dass Daninsky nur dann von seinem Fluch befreit wird, wenn eine ihn liebende Frau bereit ist, ihm eine Silberkugel ins Herz zu schießen. Folgerichtig endete Daninsky in La marca mit einer Silberkugel im Herz. Jetzt aber erläutert Dr. Varnoff, dass der Fluch endgültig nur loszuwerden sei, wenn eine liebende Frau dem Werwolf eine Silberkugel ins Herz schießt – und außerdem bereit ist, zusammen mit ihm in den Tod zu gehen. Sie muss sich quasi von dem Werwolf zerreißen lassen, während er in seinen letzten Zuckungen liegt. (Es ist natürlich ein altes, übles gothisches Motiv, dass Frauen sterben müssen, damit Männer ihre Erlösung finden können.) Letztere Bedingung war im ersten Film nicht gegeben, und so kann Dr. Varnoff die Kugel einfach operativ entfernen. Waldemar erwacht also wieder zum Leben.

Da beginnen die Dinge auch schon schiefzugehen. Vampir Janos wetzt sich die Fangzähne nach der schönen Maleva. Und Waldemar zerreißt seine Ketten und läuft im nahegelegenen Städtchen Amok. Aber Varnoff stöbert unbeirrt weiter Monster auf. In Ägypten lässt er die Mumie Tao-Tet (Gene Reyes) aus ihrem Grab auferstehen. Außerdem erweckt er (nach bewährtem Rezept mit Elektrizität) Farancksalans Monster (Ferdinando Murolo) zu neuem Leben – ja, richtig gelesen, aus unerfindlichen Gründen wurde Victor Frankenstein für diesen Film in »Ulrich von Farancksalan« umbenannt.

Dr. Varnoffs Monstermanufaktur bleibt natürlich nicht unentdeckt. Der Kriminalbeamte Inspektor Tobermann (Craig Hill) ist ihm auf der Spur. So lässt Dr. Varnoff den Inspektor und seine Freundin Ilsa Sternberg (Patty Shepard) kurzerhand kidnappen, um sie auf sadistische Weise zu Tode zu bringen ...

Wer meint, mit den buntesten Stilblüten des klassischen europäischen Trash-Kinos vertraut zu sein, wird merken, dass Monstruos del terror dem allen locker noch einen drauf setzt. Und wer glaubt, die aberwitzige Handlung sei entstanden, indem eilig ein paar Ideen zu Papier gebracht wurden, täuscht sich. Wie bei allen außer dem letzten Eintrag der Reihe schrieb Paul Naschy (unter seinem bürgerlichen Namen Jacinto Molina) das Drehbuch selbst. Für diesen Film wurde ihm sogar ein besonders üppiges Budget in Aussicht gestellt, weshalb Naschy in der Überzeugung schrieb, einen Film ganz nach seinen Vorstellungen realisieren zu können.

Daraus wurde natürlich nichts. Das versprochene Budget löste sich in nichts auf, und Los monstruos del terror wurde genau so hastig und schludrig produziert wie tausende andere Euro-Horrorstreifen auch. Naschy wollte als fünftes Monster einen Golem auftreten lassen und auch die UFOs der Aliens vom Ummo zeigen. Beides wurde aber aus Kostengründen gestrichen. Der eigentlich vorgesehene Regisseur, Hugo Fregonese, warf nach einiger Zeit das Handtuch und wurde durch Tulio Demicheli ersetzt. Die Meinungen gehen auseinander, ob zwischenzeitlich noch ein oder zwei weitere Regisseure daran beteiligt waren, den Brei zu verderben. Am Ende wurde der Film jedenfalls Demicheli zugeschrieben.*

So ist es nicht verwunderlich, dass Los monstruos del terror kaum einen vernünftigen Spannungsbogen hinbekommt. Ausführlich werden die Ermittlungen Inspektor Tobermanns gezeigt, obwohl das Publikum von der ersten Szene an über die Machenschaften der Aliens informiert ist. Über diesen Film zu schreiben macht definitiv mehr Spaß, als ihn sich anzusehen. Doch ich finde es einfach liebenswert, dass Naschy glaubte, mit Monstruos del terror seine Vorstellungen von einem guten Film verwirklichen zu können – und daraus die oben geschilderte Story wurde.

Ein Hinweis zum Schluss: Los monstruos del terror lief in Großbritannien und auf dem Videomarkt unter dem Titel Dracula vs. Frankenstein. Er ist nicht zu verwechseln mit Al Adamsons gleichnamiger US-Produktion aus dem Jahr 1971.

Der VAMPYR: Janos de Mialhoff.

* Fregonese und Demicheli kamen beide aus Argentinien, ebenso wie der wohl bekannteste Regisseur der Daninsky-Reihe, León Klimovsky. Das Filmstudium ist in der Republik am La Plata sehr beliebt, und in den sechziger Jahren strömten offenbar die Absolvent:innen nach Europa, um sich in der B-Movie-Industrie zu verdingen.

Samstag, 16. Januar 2021

Desert of Blood (2008)

Regie: Don Henry · Drehbuch: Don Henry · Musik: Dean Harada, Jason Moss · Kamera: Pablo Santiago · Schnitt: Matthew McArdle · Produktion: Encantado Films.

Ein Gringo-Tourist auf Schatzsuche (Josh Adamson) buddelt im mexikanischen Tecate versehentlich den Vampir Luis Diego (Justin Quinn) aus. Der war vor 35 Jahren von Hochwürden Hernández (Flint Esquerra) unter die Erde gebannt worden. Er macht sich unverzüglich auf den Weg zu seiner alten Liebe Sarita (Yvonne Rawn), die aber in der Zwischenzeit um dreieinhalb Jahrzehnte gealtert ist und siech darnieder liegt.

Doch zu Luis’ Entzücken ist Saritas Nichte Maricela (Brenda Romero) aus L.A. gekommen, um ihre Tante zu pflegen. Luis fackelt nicht lange und wanzt sich an Mari ran.

Was folgt, ist mit narratologischen Begriffen wie histoire und discours nur sehr unzulänglich zu beschreiben – jedenfalls mir will es nicht gelingen. Vage meine ich die Umrisse der typischen Geschichte »Vampir sucht Erlösung durch die Liebe einer sterblichen Frau« wahrzunehmen. Ansonsten verfügt dieser Film weder über eine Handlung noch über Figuren, die in irgendeiner Weise im Gedächtnis haften bleiben. 

Desert of Blood, wiewohl eine US-Produktion, richtet sich klar an ein Latin@-Publikum. Jedenfalls besteht der Cast größtenteils aus Latin@s, die Dialoge sind stellenweise in Spanisch (mit Untertiteln) gehalten, und Drehort ist der Originalschauplatz (Tecate in Baja California).

Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, ob es in den USA eine Industrie gibt, die speziell solche Filme produziert. Wenn ja, hoffe ich, dass sie nicht alle so läppisch ausfallen wie Desert of Blood.

Der VAMPYR: Luis Diego.

Donnerstag, 14. Januar 2021

The Return of Dracula (1958)

Alternativtitel: Curse of Dracula / The Fantastic Disappearing Man · Deutscher Titel: Draculas Blutnacht / Die Rückkehr des Dracula · Regie: Paul Landres · Drehbuch: Pat Fielder · Musik: Gerald Fried · Kamera: Jack McKenzie · Schnitt: Sherman Rose · Produktion: United Artists.

Nach The Vampire machte sich Paul Landres, als Regisseur eigentlich eher im Westerngenre beheimatet, unverzüglich an die Arbeit an einem zweiten Vampirfilm. Gedreht wurde mit dem gleichen Team und einem ähnlich mageren Budget wie beim Vorgänger. Aber diesmal sollte als untoter Protagonist der Prince of Cats persönlich auftreten.

Der Maler Bellac Gordal (Norbert Schiller) will aus seinem (ungenannten) osteuropäischen Land in die USA auswandern, um ein neues Leben zu beginnen. Zu Gordals Unglück wurde Dracula (Francis Lederer) soeben von einem Trupp Vampirjäger aus seiner Gruft vertrieben. Der Graf saugt Gordal aus und nimmt seine Identität an.

Angekommen im kalifornischen Städtchen Carleton, nistet Dracula sich bei Gordals Verwandten, der Familie Mayberry, ein. Gordals Cousine Rachel (Norma Eberhardt) freut sich besonders über den Besuch des vermeintlichen Malers. Sie hat selber eine künstlerische Ader, die sie jedoch nicht ausleben kann, da sie eine Ausbildung zur Krankenschwester macht.

Dracula ist indes an ganz anderen Adern interessiert. Rachels Patientin Jenny (Virginia Vincent) dient ihm als lebende Blutbank. Und natürlich hat er auch Rachel selbst als unfreiwillige Blutspenderin vorgemerkt.

Hauptdarsteller Francis (eigentlich Franz) Lederer begann seine Karriere als Bühnenschauspieler in der Tschechoslowakei. Den Grafen spielt er als zugleich öligen und boshaften Verführer mit old-world-Charme. Leider kann der restliche Cast ihm nicht das Wasser reichen.

Auch sonst verschenkt der Film einiges an Potential. Rachels Wunsch, mit Hilfe der Kunst dem Kleinstadtmuff zu entfliehen, wird vom Drehbuch nicht wirklich ernst genommen. Er dient nur als Aufhänger, um Rachel als willkommene Beute für Dracula darzustellen. So bleiben die Rollen leider sehr klar verteilt: Rachel ist das Opfer. Immerhin ist es am Ende so, dass sie sich mehr oder weniger selbst rettet; das sei festgehalten. Aber ihr Charakter bleibt eindimensional. 

So ergibt die Performance Lederers einen ganz interessanten Film-Dracula abseits der ›großen‹ Darsteller wie Lugosi, Lee und Langella. Das allein vermag jedoch schwerlich den ganzen Film zu tragen, dem es dann, wenn Lederer nicht in der Szene ist, allzuoft an Atmosphäre und Spannung mangelt. 

Ein etwas überraschendes Handlungselement bilden die zu Anfang eingeführten Vampirjäger, die Dracula natürlich bis nach Kalifornien verfolgen. Diese wirken im Fortgang der Handlung immer mehr wie eine weltweit agierende Geheimpolizei, die mit wenig Respekt für civil liberties auftritt. Angesichts der Tatsache, dass Landres’ Film sich mit seinem Einwanderungsthema große Mühe gibt, die USA als Land der Freiheiten hochleben zu lassen, kommt man mit dieser Darstellung (wohl unabsichtlich) den internationalen Machenschaften der CIA zu Zeiten des Kalten Krieges doch sehr nahe.

Eine interessante Anekdote zu Hauptdarsteller Lederer muss ich zum Schluss erwähnen: Franz Lederer war Jude. Während der Machtübernahme der Nazis hielt er sich anlässlich eines Theaterengagements in Los Angeles auf. Lederer beschloss kurzerhand, nicht nach Europa zurückzukehren. Diese Entscheidung rettete ihn vor den Nazis.

Nun schlüpfte Lederer nach The Return of Dracula 1971 noch einmal in die Rolle des transsylvanischen Grafen. In einer Episode von Rod Serlings Fernsehserie Night Gallery legen sich die Nazis mit dem von Lederer gespielten Dracula an – und ziehen natürlich den Kürzeren. Es war einer von Lederers letzten Auftritten.

Der VAMPYR: Graf Dracula / Bellac Gordal.

Mittwoch, 6. Januar 2021

The Vampire (1957)

Alternativtitel: Mark of the Vampire · Deutscher Titel: Immer bei Anbruch der Nacht · Regie: Paul Landres · Drehbuch: Pat Fielder · Musik: Gerald Fried · Kamera: Jack MacKenzie · Schnitt: John Faure · Produktion: United Artists.

Mit seinem letzten Atemzug drückt der Wissenschaftler Dr. Campbell (Wood Romoff) Paul Beecher (John Beal) ein Fläschchen mit Pillen in die Hand. Beecher ist ein gutmütiger Kleinstadtarzt und alleinerziehender Vater, der nur ein Problem hat: Er leidet an Migräne. Das Unheil beginnt, als Beecher Campbells Pillen mit seinen Kopfschmerztabletten verwechselt und eine davon schluckt.

Beecher merkt schnell, dass die mysteriösen Pillen süchtig machen. Er findet heraus, woran der verstorbene Dr. Campbell in seinem Labor arbeitete: an Mitteln und Wegen, wie sich im modernen Menschen tierische Instinkte wecken ließen. Und das Ergebnis dieser Bemühungen sind Beechers Pillen, die Campbell aus dem Blut von Vampirfledermäusen herstellte – kein Wunder, dass Beecher plötzlich Blackouts hat und Sheriff Donnelly (Kenneth Tobey) Leichen mit Bissspuren am Hals findet ...

Dafür, dass The Vampire nur ein Fünziger-Jahre-B-Movie unter vielen ist, gehen die Meinungen über diesen Film erstaunlich weit auseinander. Fangoria erklärte ihn zu einem der besten Horrorfilme der fünfziger Jahre. Halliwell’s Film Guide sah dagegen einen »dummen Versuch« darin, den Vampirmythos mit den Mitteln der Science Fiction zu erklären.

Ich würde nun nicht behaupten, dass The Vampire ein guter Film ist. Dazu enthalten die Dialoge zu viel langwieriges pseudowissenschaftliches Gerede. Und die Maske, die John Beal in den Vampirszenen trägt, sieht eher wie eine Fango-Schlammpackung als wie ein Filmaccessoire aus. Man merkt dem Streifen einfach an, dass er innerhalb weniger Wochen entstanden ist.

Und doch ist The Vampire ein ungewöhnliches Werk. Bis dahin war der Vampirmythos in den USA vor allem mit den ikonischen Filmmonstern von Universal Pictures verbunden. Aber Universal selbst hatte seine Figuren für allerlei Blödeleien missbraucht und so dafür gesorgt, dass niemand sie mehr ernst nehmen konnte.

Das Team hinter Paul Landres fragte sich ganz einfach, wie ein zeitgemäßer Vampirfilm der fünfziger Jahre aussehen konnte, und kam auf die naheliegende Antwort: Die Menschen der Nachkriegszeit hatten allen Grund, gegenüber Laboratorien skeptisch zu sein, denn aus ihnen kamen Massenvernichtungswaffen und bewusstseinsverändernde Drogen. Es war die Zeit nicht nur der Atombombentests, sondern auch von CIA-Programmen wie MKUltra, bei dem einer großen Menge (oft unfreiwilliger) Proband:innen LSD verabreicht wurde, um zu erforschen, ob Gehirnwäsche möglich ist.

Folgerichtig war im Horrorkino der Fünfziger (neben der durch nukleare Strahlung mutierten Bestie) der mad scientist die Angstfigur par excellence. Und anders als der alte Victor Frankenstein wollen diese Wissenschaftler nicht Leben schaffen, sondern Leben vernichten. The Vampire spielt dieses Thema konsequent aus, indem sie den Vampir als unwissendes Opfer eines skrupellosen Experiments darstellt. Passend dazu verzichtet der Film nahezu komplett auf gothische Elemente.

Das Pech dieses Films war, dass zur gleichen Zeit Terence Fisher und Hammer Film Productions mit einer ganz anderen Idee aufwarteten: klassische Horrorstoffe in leuchtenden Farben zu fotografieren. In Fishers Filmen wie The Curse of Frankenstein (1957) und Dracula (1958) kehrte der Gothic Horror mit Macht zurück. Landres’ immerhin beachtlicher Versuch, dem Vampirmythos eine neue Richtung zu geben, geriet dagegen in Vergessenheit.

Der VAMPYR: Dr. Paul Beecher.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.