»This is me at my most masochistic.«
Bill in Kill Bill
Der letzte Dan Brown ist mir in die Hände gefallen, und ich habe ihn tatsächlich gelesen.* Es ist der erste Brown, den ich in deutscher Übersetzung in Angriff genommen habe (obwohl es sich um eines der wenigen Bücher handelt, die hierzulande auf Englisch erhältlich sind, aber dann hätte ich es eben kaufen müssen). Nicht, dass sich die Lektüre wirklich gelohnt hätte – im Sinne von: Wow, tolles Buch, mehr davon, werde ich noch lange darüber nachdenken. Trotzdem war es in mancher Hinsicht aufschlussreich, Das verlorene Symbol zu lesen. Aber zunächst einige Beobachtungen zum Leseerlebnis.
Brown strickt mal wieder nach dem gewohnten, aus Angels & Demons und The Da Vinci Code bekannten Schema. Die gesamte Handlung spielt sich in einer Stadt (hier Washington) ab. Der Held ist Robert Langdon, der völlig ahnungslos in die Ereignisse hineingezogen wird. Der Handlungszeitraum ist ultrakurz, und überhaupt ist der Plot nach dem Prinzip Schnitzeljagd aufgebaut: Langdon und seine Begleiter_innen jagen von einem Ort zum nächsten, wo sie versuchen, ein Rätsel zu lösen, welches sie zu einem weiteren Ort führt, wo sie wiederum mit einem Rätsel oder einem Geheimcode konfrontiert werden usw. Am Schluss, wenn alle Rätsel gelöst und alle Codes geknackt sind, wartet ein großes Geheimnis auf die Protagonist_innen, hinter dem auch der Bösewicht des Romans her ist. Unterstützt wird die Heldengruppe dabei meist von einer undurchsichtigen Figur, deren Loyalität sich im Laufe der Handlung als zweifelhaft herausstellt. Und natürlich endet fast jedes Kapitel mit einem Cliffhanger. So weit, so bekannt.
Gegenüber den vorherigen Langdon-Romanen fällt auf, dass Brown diesmal nicht ganz so eng am Schema klebt, sondern versucht, es leicht zu modifizieren. Ihm ist wohl auch bewusst, dass selbst die treudoofsten Fans nicht ewig die gleiche Suppe aufgekocht haben wollen. Am störendsten nimmt sich aber die Charakterdarstellung aus, weil Langdon als Heldenfigur kein bisschen weiterentwickelt wurde. Nachdem er aber schon zweimal in haarsträubende Abenteuer verwickelt gewesen sein soll, nimmt man Brown die Masche »weltfremder Professor schnallt allmählich, dass seine Forschungen auch in der wirklichen Welt eine Bedeutung haben« einfach nicht mehr ab. Aber Langdon stolpert weiterhin unverdrossen von einer geheimen Kammer in die nächste, stößt laufend auf Geheimcodes und haucht erschüttert »Das kann doch nicht sein!« – nur um den Code zu entziffern, zu merken, dass es sich keineswegs um die endgültige Lösung des Rätsels, sondern lediglich um einen Hinweis auf den nächsten Code handelt, und auszurufen: »Ich glaube es einfach nicht!« Als ob Langdon nicht bereits in den beiden Vorgängerromanen umfangreiche Erfahrungen mit derartigen Situationen gesammelt hätte, und von daher eigentlich eher mit einem souveränen »Lasst mich nur machen, Jungs« die Kammern mit den Geheimcodes betreten müsste. Nö nö, so vertrottelt kann nicht mal ein Symbolologie-Professor aus Harvard sein ...
Auffällig ist auch wieder mal, dass Brown zwar versucht, seine Romane auf eine umfangreiche Recherchebasis zu stellen, aber dafür einfach nicht über die nötige Bildung verfügt. Er haut einfach immer knapp daneben. So baut er zahlreiche Formeln, Schlüsselworte und Decknamen aus dem Lateinischen, Griechischen und Hebräischen in die Handlung ein, übersetzt sie aber mit fast schon rührender Regelmäßigkeit falsch. Brown hält Jehova für einen hebräischen Namen, spricht im Bezug auf das berühmte Dürer-Monogramm von »deutschen Buchstaben« und verortet mitten in Washington D.C. eine mittelalterliche (sic!) Gartenanlage. Meine Lieblingsverballhornung aus Brownscher Feder ist folgende ganz spezielle Etymologie aus Angels & Demons: Das englische (sic!) Wort ›Satan‹ leite sich von dem islamischen (sic!!!) Wort ›Scheitan‹ ab. In Dan Browns Universum ist ›Islamisch‹ folgerichtig wohl eine Sprache ...
Was macht bei all dem Strunz und Strünzer letztlich die Faszination von Browns Werk aus? Meine persönliche These ist einfach, dass er es schafft, aus den langweiligen Vergnügungen des postfordistischen Zeitalters etwas Faszinierendes, Mysteriöses zu machen: Alles ist mit allem verbunden. Überall lauern Geheimnisse. Jeder Ort kann die sagenumwobene Wirkungsstätte einer jahrhundertealten Geheimgesellschaft sein. Und in den Robert-Langdon-Romanen sind diese faszinierenden Orte dann auch noch die Standard-Attraktionen von Rom, Paris und Washington, durch die Jahr für Jahr Millionen von Pauschalreisenden gezerrt werden. Aber von Brown ausreichend mystifiziert, lässt sich anscheind noch das stumpfsinnigste Fremdenführer-Geschwafel ertragen, während man gehetzt über den Petersplatz oder den Innenhof des Louvre stakst.
Browns Mystifizierungstechnik funktioniert aber nicht nur bei Pauschalreisen. Nehmen wir z.B. folgende Passage aus dem Verlorenen Symbol (S. 168f. der gebundenen Ausgabe, kursiv im Original):
Wo immer digitalisierter Content dargeboten wurde, war automatische Freigabe zu einer Standardpraxis geworden. Dabei erlaubte ein Server dem Benutzer, den vollständigen Text zu durchsuchen, gab ihm dann aber nur einen kleinen Teil davon frei — nur den unmittelbaren Kontext der gesuchten Schlüsselbegriffe. Indem der Anbieter den größten Teil des Textes unleserlich machte, vermied er Urheberrechtsverletzungen und sandte dem Benutzer zugleich eine Botschaft: Ich habe die Information, nach der du suchst, aber wenn du den Rest davon haben willst, musst du dafür bezahlen.
Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei der hier beschriebenen Technik um das Prinzip, das hinter Google Books steht. Nun ist Google Books im Alltag eine, wenn auch vielfach genutzte, Notlösung. Es ist lästig, sich durch den alle paar Seiten unterbrochenen, digitalisierten Text zu scrollen, um etwas zu finden, was vielleicht gar nicht da ist. Man hätte viel lieber das Buch vor sich liegen, um bequem darin zu blättern – am besten mit einem Stapel weiterer Bücher daneben, falls das erste die gesuchte Information nicht enthält. Google Books benutzt man deshalb, will man sorgfältig recherchieren, eigentlich nur, wenn man keine Bibliothek zur Verfügung hat. Aber wie anders sieht die Sache in den Augen Dan Browns aus! Sofort fragt man sich, wer einen da mit exklusiven, häppchenweise dargebotenen Informationen zu verführen versucht, sobald die digitalisierten Seiten verheißungsvoll auf dem Bildschirm schimmern. Ist es ein Geheimdienst, der diesen Content ins Netz gestellt hat? Eine revolutionäre Untergrundbewegung? Ein internationales Hackerkartell? Erfolgreiche Verzauberung des drögen Alltags eben, jedenfalls dann, wenn man es geschafft hat, sämtliche Gehirnzellen-Aufstände vorher niederzuschlagen.
Es gibt allerdings neben dem Wiederkäuer-Plotschema, den intellektuellen Fauxpas und der Mystifizierung des Alltags noch einen anderen roten Faden, der sich durch die Langdon-Romane zieht. Brown hat nämlich, wie immer deutlicher wird, eine Agenda: Im ersten Langdon-Abenteuer zieht er das Fazit, dass Wissenschaft und Religion sich gar nicht gegenseitig ausschließen (zumindest dann nicht, in Browns Darstellung, wenn die Wissenschaft genügend pseudowissenschaftlich und die Religion genügend New-Age-schwurbelig ist). Im zweiten Roman wird dann eine esoterische Religion vorgestellt, die sozusagen frisch aus dem Designerstudio kommt für Leute, denen Kirche zu anstrengend ist. Ironischerweise steht in ihrem Zentrum dennoch Jesus von Nazaret (gemeinsam mit Maria Magdalena natürlich), der anscheinend als Faszinosum bzw. Projektionsfläche noch lange nicht ausgedient hat. Die Botschaft des Verlorenen Symbols baut den Esoterikanteil (wenn auch ziemlich inkohärent) beträchtlich aus, hat darüber hinaus aber auch einen aktuellen Anlass, den näher zu betrachten sich lohnt.
Es geht in dem Roman ja bekanntlich um die Freimaurer (so wie in den Vorgängerromanen um die Illuminaten und die Prieuré de Sion). Diese sind laut Brown nette, etwas onkelhafte Humanisten, die der gesamten Welt die Erleuchtung bringen wollen. Und wie sie die bringen. So sehr von einem Sendungsauftrag erfüllt sein können eigentlich nur Amis, ob real oder fiktiv. Die letzten Kapitel strotzen förmlich vor Erleuchtungsgeschwafel, bei dessen Lektüre sich einem alten Schakal wie mir das Fell sträubt. Brown interpretiert die Gründung der USA als Verwirklichung der freimaurerischen Utopie, als Neues Rom in einer Neuen Welt, als Stadt auf dem Berge, der zuvor sorgfältig von den Lianen des Dschungels befreit wurde. Die Vereinigten Staaten der Freimaurer Franklin, Washington und Jefferson waren ein Paradies des holistischen Denkens, mit sorgfältig gehütetem Arkanwissen für die Eliten und homöopathisch dosierter Aufklärung für die Massen. Hat man gegenwärtig Probleme mit den USA, gibt es eine weltweite Verstimmung wegen gewisser Kriege in Afghanistan und im Irak, dann liegt das nur daran, dass das Neue Rom vom geraden Weg der maurerischen Gründerväter abgewichen ist. Die Bush-Ära war eine schändliche Verirrung, in Wahrheit aber ist es das Schicksal der Vereinigten Staaten, die Welt im milden Licht ihres utopischen Selbstverständnisses anzustrahlen und in den lauen Wassern esoterischer Phantasien zu baden.
Man könnte also sagen, dass Brown mit seinen Langdon-Romanen etwas versucht, was Philip Pullman mit His Dark Materials auf wesentlich höherem Niveau (und mit wesentlich anderem Inhalt!) durchgeführt hat: im phantastischen Gewand** eine alternative, glaubwürdige Religiosität zu präsentieren. Ob’s gelingt, zeigt wohl der Erfolg.
Kritisiert werden Browns Freimaurer übrigens nur von fanatischen Fundi-Gläubigen (weil die USA doch eigentlich eine christian nation sind) und von zickig-verbissenen Emanzen (weil sie keine Frauen in ihre Logen aufnehmen). Zu unrecht, natürlich, denn die Maurerbrüder wollen nur das Gute. Sie schütteln betrübt den Kopf über aggressive Kriegspolitik und werkeln im Verborgenen weiter am Tempel des Großen Baumeisters aller Welten. Zwei Dinge sind es allerdings, die akuten Juckreiz verursachen. Da ist zum einen die simple Frage, warum die US-Freimaurer eigentlich nicht selbst schuld sind am Kriegsimperialismus, wo sie doch Brown zufolge quasi die gesamte politische Elite des Landes, inklusvie CIA-Spitze, stellen? Und zum anderen lässt mich postkolonialen Sikarier den Dolch wetzen, mit welch beispielloser Naivität (oder Dreistheit) Brown davon ausgeht, dass die maurerischen Gründerväter ihre Utopie in ein weißes Blatt Papier namens Amerika eingezeichnet haben. War da vielleicht nicht doch der eine oder andere klitzekleine Völkermord, hm? Sich Uncle Sam als New-Age-spirituelles Unschuldslamm auszumalen funktioniert eben doch nur durch massives Dummstellen.
Das verlorene Symbol (765 Seiten) von Dan Brown ist 2009 bei Gustav Lübbe erschienen.
* Manchmal überrasche ich mich selbst – z.B. dann, wenn ich nach dem Genuss von zwei Browns noch einen dritten in die Hand nehme. Vergleiche das Zitat zu Beginn der Rezension.
** Das nenne ich jetzt einfach mal so, obwohl Brown selbst seine Romane sicherlich für akribisch recherchiert und hochwissenschaftlich hält.
2 Kommentare:
wenn man dan brown sowieso scheisse findet, sollte man ihn vielleicht nicht lesen. masochismus ist keine basis um ein buch zu bewerten.
Und wenn man Brown sowieso knorke findet, ist das eine Basis um ein Buch zu bewerten?
Kommentar veröffentlichen