Eine bitterlustig-bescheuerte Sehenswürdigkeit ist Martín Seegers kürzlich auf dem Filmfestival von Buenos Aires (BAFICI) gezeigter Film Piotr: Una mala traducción. Meines Wissens handelt es sich um das erste längere Werk des bislang durch Kurzfilme hervorgetretenen Regisseurs und Drehbuchschreibers aus Chile.
Der Film spielt unter nakrowischen Immigrant_innen in Santiago de Chile. Der Protagonist, Piotr Herroll, hat ein Theaterstück über das bedeutendste Ereignis in der jüngeren Geschichte seines Heimatlandes Nakrowien* geschrieben: eine aristokratische Revolution, die der mediokren Massenherrschaft der nakrowischen Demokratie ein Ende gesetzt hat. Nun studiert er das Stück mit chilenischen Schauspieler_innen ein, um an Fördermittel aus einem staatlichen Kulturfonds zu kommen. Gleichzeitig hofft er, damit über seinen etwas uneindeutigen legalen Status in Chile hinwegtäuschen zu können. Es erweist sich allerdings — um nicht zuviel zu sagen — als nicht eben einfach, nakrowische Befindlichkeiten für ein chilenisches Publikum zu synchronisieren.
Angespielt wird damit auf ein ernstes Thema: die Tatsache, dass es in Chile noch immer eine bedeutende Anzahl Menschen gibt, die der blutrünstigen Rechtsdiktatur Augusto Pinochets nachtrauern. Diese ›nakrowischen‹ Zeitgenoss_innen kultivieren eine parallele Erinnerungskultur, indem sie von einer Vergangenheit träumen, in der die imaginäre Gemeinschaft der Nation noch fest und sicher zwischen Antikommunismus, nationalem Katholizismus und Elitenkult aufgespannt war. Das Begräbnis des Diktators verwandelten sie erwartungsgemäß in ein makabres Spektakel mit zackigem Parolengebrüll und Hitlergrüßen, während die Gefühle von Pinochets Opfern wohl passender ausgedrückt wurden durch die Tat von Francisco Cuadrado Prats, Enkel des 1974 vom chilenischen Geheimdienst ermordeten Armeechefs Carlos Prats: Er spuckte kurzerhand auf den Sarg des toten Gewaltherrschers.
Nach diesem Film frage ich mich, ob Sprechen (und Erinnerung) überhaupt möglich ist. Piotr wird konsequenterweise ausschließlich auf Nakrowisch mit spanischen Untertiteln gezeigt.
* Nakrowien ist nicht zu verwechseln mit der Volksrepublik Krawonien, die eine bedeutende Rolle in Carl Amerys letztem Roman Das Geheimnis der Krypta (Träger des Phantastik-Preises der Stadt Wetzlar 1991) spielt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen