Samstag, 3. März 2012

Kalix – Fluch der Werwölfe

Fluch der Werwölfe setzt mehr oder weniger dort ein, wo der Vorgängerband Werwölfin von London endete. Kalix, die an Anorexie leidende und autoaggressive Werwölfin, lebt weiterhin in einer WG mit den Student_innen Daniel und Moonglow. Als neu hinzugekommene Mitbewohnerin tritt Vex in den Vordergrund, die Adoptivnichte Malverias, der modeverrückten Königin der Feuergeister. Vex und Kalix besuchen eine Abendschule, um Lesen und Schreiben zu lernen und sich besser an die menschliche Gesellschaft anzupassen (und weil ihre Familien anderenfalls den Geldhahn abdrehen). Ebenfalls eine stärkere Rolle als im ersten Band spielt Kalix’ einzelgängerische Cousine Dominil (bekannt als drogensüchtige, lateinische Gedichte lesende Managerin der Werwölfinnenband Yum Yum Sugary Snacks), indem sie einen Privatkrieg gegen die Werwolfjäger der Avenaris-Gilde beginnt. Hinzu kommt ein paralleler Handlungsstrang um die Feuerkönigin Malveria, die zunehmend besessen ist von ihrem Fashion-Lifestyle und sich infolgedessen eines Putschversuchs und der Intrigen Kabachetkas, der Prinzessin eines benachbarten Reiches von Feuergeistern, erwehren muss.

Um es gleich zu sagen: Fluch der Werwölfe hat mich weniger stark angesprochen als Werwölfin von London. Plotmäßig ist der zweite Band entschieden schwächer. Es braucht ungefähr 100 Seiten, damit die neuen Handlungsstränge, die sich zuvor eher zögerlich ankündigen, richtig Fahrt aufnehmen. Das Hauptproblem ist aber, dass die zentrale Figur Kalix dringend eine Entwicklung durchmachen müsste. Man kann einfach nicht einen weiteren dicken Band allein von der Idee tragen lassen, die Werwölfin von London so unterhaltsam machte: Kalix, die als Werwölfin kampfwütig ohne Ende ist, ansonsten aber sämtliche Pubertätsprobleme an sich zieht und damit alle natürlichen und übernatürlichen Wesen, die ihr über den Weg laufen, massiv überfordert und durcheinander bringt. Die Idee ist witzig, kein Zweifel, und es macht den Eindruck, als habe Millar beim Schreiben von Fluch der Werwölfe permanent mit der Versuchung gekämpft, den ersten Band noch mal zu erzählen.

Dabei deutet sich im ersten Drittel des Buches durchaus an, dass Kalix’ Charakter sich verändern darf. Aber bevor diese Andeutungen sich so richtig entwickeln können, erliegt Millar der Versuchung und gibt der Handlung eine (meiner Meinung nach recht überflüssige) Wendung, die Kalix umgehend auf ihren typischen, aus dem ersten Band bekannten Teenagerinnenweltschmerz zurückfallen lässt. Und dabei bleibt es fast bis zum Ende des Buches – definitiv eine verpasste Gelegenheit und ein einfacher Lösungsversuch, der keine Lösung ist. Partiell wettgemacht wird Millars Versäumnis dadurch, dass er wenigstens nicht auch noch die Familienfehde im Werwolfclan, die im ersten Teil die Handlung antrieb, erneut aufrollt und ausschlachtet. Es gibt im Plot von Fluch der Werwölfe durchaus neue Dynamiken, und der Subplot um Malveria und Kabachetka dümpelt zwar mehr oder weniger neben der Haupthandlung her, ist aber zumindest neu und nicht ganz einfallslos.

Die besseren Ideen hat Millar sich jedoch für die Haupthandlung aufgehoben, oder besser: für die diejenigen Teile der Haupthandlung, die nicht direkt mit Kalix zu tun haben. Hier endlich zeigt Millar seinen ganzen Witz und seine Fabulierfreude. Das betrifft zum einen Vex, die sich auf überraschende Weise als vielseitigerer Charakter erweist, als ihre – oft genug die Grenze zum Nervtötenden überschreitende – comic-relief-Funktion im ersten Band hätte vermuten lassen. Zum anderen arbeitet Millar eine brillante Idee aus, indem er den neuen Charakter Albermarle einführt. Dieser ist ein archetypisch gezeichneter männlicher Nerd, der von zahlreichen Obsessionen getrieben wird, allen voran von seiner Rachsucht: Dominil – intelligent, sexy und werwolfmäßig monströs, wie sie ist, eine feuchte Nerdfantasie ersten Ranges – hat sich nicht, wie es von einer Nerdfantasie erwartet wird, dem dicklichen, pedantischen Comicfan einfach hingegeben, sondern ihm ganz nonchalant die kalte Schulter gezeigt. Für Albermarle ist das Kränkung genug, um der Werwölfin glühenden Hass zu schwören, der in seinem neurotischen Kern jedoch nichts anderes ist als verletzte Eitelkeit und kindische Wut. Albermarle wird zu Dominils Stalker, tritt der Avenaris-Gilde bei, nervt dort alle mit seinem bürokratischen Exaktheitswahn und versucht zugleich, die Organisation für sein psycho-nerdiges Lebensziel zu nutzen: Dominil die erlittene Kränkung heimzuzahlen.

Fast wäre es mir lieber, Millar hätte an Stelle eines Sequels ein Dominil-und-Albermarle-Spin-off geschrieben, um dieser ebenso aberwitzigen wie treffenden Geschichte mehr Raum zu geben. Es scheint mir doch schade zu sein, dass angesichts dessen, was möglich gewesen wäre, Fluch der Werwölfe letztlich nur eine mittelmäßige Fortsetzung mit einigen herausragenden Momenten geworden ist.

Kurze Bemerkung zum Schluss: Millar löst einige Handlungselemente nicht auf oder belässt sie bis zum Schluss im Unklaren. Steht da etwa noch ein dritter Band aus? Nach Fluch der Werwölfe weiß ich leider nicht, ob das eine gute Idee ist.

Kalix – Fluch der Werwölfe von Martin Millar (745 Seiten) ist 2010 bei Fischer erschienen. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Eva Kemper.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.