Kein Zweifel: unsere Empfindungen sind abhängig vom Milieu. Auf dieser Insel [in Paris] an das Übernatürliche zu glauben, wäre der Gipfel der Torheit... Auf dem Mont Saint-Michel dagegen? Oder in Indien? Wir können uns dem oft bedrückenden Einfluß der Umgebung nicht entziehen.Der Schauplatz, das wusste Maupassant sehr gut, spielt in der phantastischen oder spekulativen Literatur eine eigene Rolle. Und es scheint einige Schauplätze zu geben, die einen besonders makabren Reiz ausüben und entsprechende Erzählungen hervorbringen. Oder verhält es sich andersherum? Ist es nicht häufig so, dass ein literarischer Schauplatz sich im lesenden Kopf so sehr verselbständigt, so massive Bilder evoziert, dass er der realen Landschaft, die ihn inspiriert hat, kaum noch bedarf?
Guy de Maupassant, »Der Horla«
Der Süden der USA ist ein solcher Schauplatz. Man muss nicht dort gewesen sein, um sofort ein ganzes Kaleidoskop von Bildern im Kopf zu haben, wenn man nur die richtigen Bücher gelesen hat: Hitze, Plantagen, Sklaverei, Bayous, Alligatoren, Familiengeschichten, Flussdampfer, Vampire, verfallene Herrenhäuser, dekadente Herrschaft und bigotte Moral.
Man kann aber durchaus noch mehr tun, um das Leseerlebnis durch die sinnliche Wahrnehmung zu verstärken. Das setzt natürlich voraus, dass man richtig liest. Also nicht während des Essens, was ungesund ist. Nur in Ausnahmefällen auf der Arbeit, weil man da nervös ist und ständig befürchtet, vom Chef erwischt zu werden. Auf keinen Fall beim Kochen, weil in der Küche aufbewahrte Bücher von den Essensdämpfen wellig und schmierig werden. Richtig liest man, wenn man sich mit einem Getränk in der einen und dem Buch in der anderen Hand auf einem Sofa, in einem Zugabteil oder im Park zurücklehnt und in einer anderen Welt versinkt. Das Getränk ist nicht nur deshalb wichtig, weil regelmäßige Flüssigkeitszufuhr die Konzentrationsfähigkeit steigert, sondern weil es wesentlich zum Leseerlebnis beitragen kann.
Es lohnt sich deshalb, darauf zu achten, in welchen Büchern was getrunken wird. Im Auenland wird mit Vorliebe Bier getrunken. In Henry Whiteheads karibischen Spukgeschichten – in denen es vor allem die schwarzen Subalternen sind, die in den Ängsten und Albträumen der herrschaftlichen Weißen herumspuken – wird typischerweise Rumpunsch getrunken, während man auf der Veranda sitzt. Es empfiehlt sich unbedingt, das Leseerlebnis zu verstärken, indem man das atmosphärisch zur Lektüre passende Getränk bereithält. Das ist natürlich nicht immer möglich, denn Butterbier oder ein guter Tropfen aus Lys dürfte schwer zu bekommen sein. Zur Not muss man improvisieren. Zu Dracula etwa passt hervorragend gepfefferter Tomatensaft. Nach Möglichkeit sollte man sich aber an die Vorgaben des Buches halten, das man gerade vor sich liegen hat.
Immer dann, wenn es sich um eine in den Südstaaten spielende Geschichte handelt, ist das Getränk der Wahl natürlich iced tea. Ich verwende hier absichtlich den englischen Begriff und nicht das deutsche Äquivalent, denn gemeint sind natürlich keine Tetrapaks von Lipton, sondern echter Eistee, der folgendermaßen zubereitet wird:
- Eine Kanne schwarzen Tee aufbrühen.
- Wenn man es gern süß mag, reichlich Zucker einrühren.
- Den Tee abkühlen lassen.
- In eine Karaffe umfüllen und über Nacht im Kühlschrank stehen lassen.
- Am nächsten Tag, wenn die Hitze zu brüten beginnt, in großen Gläsern mit viel Eis servieren.
- Dazu Zitronen- und Limonenscheibchen reichen, die man sich je nach Geschmack ans Glas steckt.
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