Montag, 29. November 2010

Vanitatum vanitas

Literaturbetrieb ist Eitelkeit. Um sich davon zu überzeugen, muss man nicht erst Fritz J. Raddatzens kürzlich publizierte Tagebücher lesen, in denen er in unnachahmlich eitler Manier die Eitelkeit der Literati bloßlegt. Nein, es reicht völlig, einen Blick in die Literaturbeilage einer beliebigen Zeitung zu werfen. Da kann man dann zum Beispiel lesen, wie gerührt Michel Houellebecq darüber ist, dass ihm der Prix Goncourt verliehen wurde. So gerührt nämlich, dass er, der sich bislang gar nicht genug echauffieren konnte, wie sehr er in der Heimat doch gehasst, verfolgt und missverstanden wird, plötzlich seine Liebe für’s Vaterland entdeckt: Er habe sich geirrt, er möge Frankreich doch und spiele mit dem Gedanken der Remigration.*

Dabei hatte Houellebecq noch vor wenigen Jahren, in einem gemeinsam mit dem Philosophendarsteller Bernard-Henri Lévy veröffentlichten (und unweigerlich von Matthias Matussek mit Lob beschleimten) Debattenbuch, laut und pathetisch über Selbstmord nachgedacht. Damit dürfte es erstmal vorbei sein. Anlässlich der Preisverleihung rutscht – wenn man der Berichterstattung Glauben schenken darf – der gesamte französische Literaturbetrieb vor Houellebecq auf den Knien und vergeht sich sogar so weit, ihn mit Balzac und Zola in eine Reihe zu stellen.

Oder hofft Houellebecq insgeheim etwa, durch eine Rückkehr nach Frankreich seiner eitlen Existenz doch noch ein frühzeitiges Ende setzen zu können? Etwa, indem er wie Jean-Baptiste Grenouille von der entfesselten Masse seiner Bewunderer einfach aufgefressen wird? Immerhin hat Houellebecq den Goncourt für einen Roman erhalten, in dem sein Alter ego blutrünstig ermordet wird. Aber nein, das wäre untypisch. Deutscherseits inszeniert Thilo Sarrazin sich auf ganz ähnliche Weise als verfolgte Unschuld (und auch er wird mit einer bildungsklassizistisch triefenden Aura umgeben), macht aber realiter ebensowenig Anstalten, von der Bildfläche zu verschwinden, wie der Kollege aus Frankreich.

Außerdem ist Houellebecq, wie man weiß, ein Sympathisant des Raelismus. Die Anhänger_innen dieser Lehre suchen bekanntlich nach dem Rezept für die irdische Unsterblichkeit. Ein durchaus bedrohliches Szenario, wenn man mich fragt: Zu hoffen bleibt, dass die Raelist_innen den Stein der Weisen erst nach Houellebecqs physischem Ableben finden. Und die Hoffnung stirbt, zumindest der Theorie nach, bekanntlich immer zuletzt.

* Houellebecq lebt, von der Kritik an seinem 1988er Roman Elementarteilchen zutiefst getroffen, in Irland und auf Lanzarote im Wahl-Exil.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.