Es gibt so viele Dinge, die man gerne tot sagt. Oder tot redet. Doch sie erfreuen sich nach wie vor eines sehr umtriebigen Lebens und führen alles andere als ein Nischendasein, wie gerne mal kolportiert wird. Das Buch gehört dazu.Dem stimme ich zu. Ich fühle mich erinnert an Umberto Eco, der in Glossen und Interviews gerne die Anekdote erzählt, wie er mitten in der weitläufigen, geschäftigen Ausstellungshalle einer Buchmesse von einem Journalisten gefragt worden sei, was er zum Ende des Buches zu sagen habe. Das Buch, so Eco, sei eine Erfindung, die nicht weiter perfektioniert werden könne. Also gibt es auch nichts, was das Buch in seiner Bedeutung ersetzen kann. Mittlerweile ist man bei der Erkenntnis angelangt, dass Lesen am Computerbildschirm die Augen rötet und das Buch trotz reichlich vorhandener digitaler Texte seine Existenzberechtigung nicht verloren hat. Die Klage, dass die heutige Jugend ja nur noch vor dem Fernseher oder im Internet herumhänge, während sie früher (als alles besser war™) ihre Zeit mit der Lektüre von Schiller und Fontante verbracht habe, ist auch schon ziemlich abgestanden. So einfältig wie in Ecos Anekdote wird das Schicksal des Buches heute nur noch selten beschworen.
Aber wie die Geschichte, die von der Tragödie zur Farce übergeht, verlaufen auch kulturkritische Debatten: Sobald der elegische Ton der Verfallstheorie seine Wirkungslosigkeit offenbart, werden die Hemmungen abgelegt und der Vulgärdarwinismus tritt in den Diskurs ein. Es heißt nun nicht mehr, das Buch sei tot, sondern verschiedene Buchformate machten sich in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf gegenseitig das Leben unsicher. Buchreport.de läutete kürzlich die »Totenglocken für das Taschenbuch«, wenn auch nur in Form eines Fragesatzes. E-Books und Paperbacks knabberten am Taschenbuchmarkt, so der Artikel in einer Zwischenüberschrift, obwohl gleich darauf zahlreiche Verlagsmenschen betonen, dass die Sache so wild gar nicht ist. Es wäre ja auch ziemlich respektlos, die Glocken bereits vor dem endgültigen Ableben zu läuten. Beziehungsweise, falls das Taschenbuch doch schon tot sein sollte, kann ich dazu nur sagen: Es schadet eventuell (sofern man kein Ghul oder Zombie ist) der eigenen Gesundheit, an einer Leiche zu knabbern.
Wie immer sich das Verhältnis zwischen Paperbacks und Taschenbüchern in Zukunft auch gestalten wird, die meisten Leser_innen wird es wahrscheinlich ohnehin nicht berühren, da den wenigsten unter ihnen der Unterschied, den der Buchmarkt zwischen PBs und TBs trifft, überhaupt bewusst sein dürfte. Bei E-Books sieht die Sache schon anders aus. Die haben immerhin eine sinnliche Qualität, die sie von gedruckten Büchern unterscheidet.
Die Ausbreitung des E-Books legt deshalb Vergleiche mit der Entwicklung anderer Kunstformen und ihrer Speichermedien nahe. Pohl geht in seiner Kolumne auf solche Vergleiche ein und nennt als Beispiel u.a. die Ablösung der Schallplatte durch die CD. Diese mit dem zwischen gedruckten Büchern und E-Books herrschenden Verhältnis gleichzusetzen, sieht er als Irrtum an. Bei Vinyl und CD überwögen die Gemeinsamkeiten, bei Büchern aus Papier und E-Books die Unterschiede. Fazit:
E-Books werden das gedruckte Buch weder verdrängen noch beerdigen. Weil sie nicht miteinander zu vergleichen sind. Hätten manche nur gerne. Aber die vergleichen auch gerne Äpfel mit Birnen. Beides ist Obst. Die einen mögen das eine, die anderen das andere, manche mögen beides.Auch hier stimme ich zu. Allerdings sehe ich den Schallplatte-CD-Vergleich mit etwas anderen Augen. Die CD hat die Schallplatte nämlich gar nicht abgelöst, zumindest nicht wirklich. Die Verbreitung der CD hat eher die besondere Schönheit der Schallplatte zur Geltung gebracht. Schallplattencover sehen wegen ihrer Größe toll aus. Die Schwere des Vinyls fühlt sich gut an, es macht Spaß, die Scheibe auf den Plattenspieler zu legen. Viele Menschen bevorzugen auch den Klang von Schallplatten gegenüber CDs. Kurz, Vinyl ist durch die Einführung der CD nicht ausgestorben, sondern eher zum geschätzten Sammelobjekt für Nerds und Aficionad@s geworden. Das Problem ist hier eher, dass man sich solche teuren Späße erst mal leisten können muss. Ebenso ist es mit schön gestalteten Buchausgaben.
Es gibt auch handfestere Gründe, warum manche Medien nicht aussterben, sondern in bestimmten Nischen überleben. Das Radio ist vom Fernsehen nicht völlig verdrängt worden, weil man bei manchen Tätigkeiten das Radio laufen lassen kann, aber nicht den Fernseher. Das betrifft vor allem bestimmte Formen der Lohnarbeit, die ohne Radioberieselung unerträglich langweilig wären.
Natürlich verhält es sich nicht bei allen Speichermedien so. Manche von ihnen sterben tatsächlich aus, weil sie einfach nicht mehr gebraucht werden. MCs waren nur so lange praktisch, wie man noch keine CDs brennen oder Musikdateien kopieren konnte. Man brauchte sie in der Vinylära, um unterwegs Musik hören zu können, mit dem Walkman. Später wurde das unnötig, denn man konnte erst mit einem Discman* und dann mit einem MP3-Player Musik auf der Straße und zuhause im gleichen Format hören. Ähnlich verhält es sich mit Videokassetten und DVDs. Durch letztere erspart man sich das nervige Vor- und Zurückspulen, und die Bildqualität ist viel besser. Ich sehe das nicht als eine Form von »Leistungsoptimierung« oder ähnlichem Unsinn, sondern als Hedonismus. Es mag Menschen geben, die ihren (für mich lebenswichtigen) Hedonismus irgendwo zwischen mittäglichem Stau in der Innenstadt und spätabendlichen E-Mail-Konversationen mit dem Chef verloren haben, aber das ändert nichts an dem größeren Genuss, den Speichermedien wie DVDs gegenüber den vorher vorhandenen bieten. MCs und Videokassetten werden schlichtweg nicht mehr gebraucht. Manchmal werden ihre Einzelbestandteile neuen unterhaltsamen Zwecken zugeführt. In der sogenannten Dritten Welt spannen Kinder gern die in der Sonne glitzernden Bänder alter Kassetten quer über die Straße, um weiße Tourist_innen zu erschrecken, die glauben, sie rasten mit dem Auto auf einen Stahldraht zu und ihr letztes Stündlein habe geschlagen.
Ich glaube, dass E-Books und gedruckte Bücher auf ganz ähnliche Weise nebeneinander bestehen können wie Schallplatten und CDs. Wenn dieser Vergleich hinkt, dann eher dahingehend, dass ich keine Anzeichen dafür entdecken kann, dass in absehbarer Zeit das gedruckte Buch wie das Vinyl nur noch in überschaubaren Gruppen von Liebhaber_innen Verbreitung finden wird. Im Gegenteil, das Verlangen nach papiernen Büchern scheint nach wir vor einer der verbreitetsten Fetische überhaupt zu sein.
* Ich finde es übrigens belustigend, dass kleine Geräte, die auf Knopfdruck funktionieren, als »Männer« bezeichnet wurden.
6 Kommentare:
Ich verstehe diese künstlich aufgebauten und aufgebauschten Gegensätze schon im Ansatz nicht. Das Paperback hat ja auch nicht zum Verschwinden des Hardcovers beigetragen. Beide Formen existieren fröhlich nebeneinander her. E-Books sind eine andere Form, den Inhalt eines Buches zu transportieren, die Transportform hat Vor- und Nachteile. In Situationen, in denen ein E-Book-Reader Vorteile bietet, wird er benutzt. Das ist alles.
Für mich persönlich kann ich nicht behaupten, dass ich beim Bücherkaufen auf den Unterschied zwischen Paperback und Taschenbuch achte. Bei US-Veröffentlichungen ist das anders, weil es zwischen trade paperback und mass market edition schon einen merklichen Preisunterschied gibt.
Ich denke schon, dass das neue Medium einen deutlichen Wandel mit sich bringen wird. Ich arbeite ja in einer Buchhandlung, in der man durchaus zuweilen den Unterschied zwischen Kunden ekennt, die Bücher einfach als Transportmedium für den Inhalt begreifen und denen, für die da Buch als Artefakt ein Fetisch ist (was überhaupt nicht wertend gemeint ist, ich bin da selbst eher Fetischist).
Wer einfach nur seinen Lesestoff will, der ist mit E-books besser bedient: Nehmen keinen Platz weg, sind preiswerter, sind bequemer zu kaufen, solange man mit dem Angebot des eigenen Shops zufrieden ist ... gerade für Reihenleser toll, wenn man, sobald man mit einem Band fertig ist, nur ein paar mal Klicken muss, um den nächsten zu bekommen.
Letztlich ist das aber nur eine Weiterentwicklung weg vom Einzelhandel hin zu Online-Händlern. Für den Leser und für die Struktur des Markts ist es ja fast egal, ob Amazon mir das Buch nach Hause liefert oder auf den Reader sendet; das E-book verstärt nur noch die Vorzüge des Online-Einkaufs, also vor allem die Zeitersparnis.
Das Aufsuchen von Fachgeschäften wird dadurch wahrscheinlich einfach mehr und mehr zu dem, was es jetzt schon ist: Einer Mittelschichtsveranstaltung für Leute, die während der Ladenöffnungszeiten überhaupt noch Freizeit haben und in deren Weltbild es ein kulturelles Kapital darstellt, Schallplatten-, Film- oder eben Buch-Liebhaber zu sein. Und letztere werden sicher auch weiter in erster Linie gedruckte Bücher kaufen.
Das ist in meinen Augen erst mal weder gut noch schlecht, obwohl für mich persönlich die Aussicht, dass bald nur noch "Liebhaber" als Kunden infrage kommen, natürlich beunruhigend ist. Ich vermute tatsächlich, dass in der Folge der Taschenbuchmarkt stark schrumpfen wird. Vielleicht werden Hardcover dann aber auch endlich mal ein bisschen günstiger, um als "gediegene" Alternative zum E-book eine Chance zu haben. Wäre wiederum wünschenswert.
Dass das Analoge Buch ausstirbt, kann ich mir dagegen auch nicht vorstellen, dafür hat es als Medium einfach zu viele Vorzüge. Ein gedrucktes Buch kann man im Notfall immerhin sogar noch weiterlesen, wenn es einem in die Badewanne gefallen ist (auch, wenn es dann als Liebhaberartefakt nicht mehr so viel hermacht ...).
Hier und an dieser Stelle kann ich ja was dazu sagen. Ich würde es an der Stelle, aus der das Ganze hervorgegangen ist, nie sagen oder erläutern.
Die Beispiele an Vergleichen, die ich brachte, kommen nicht von mir. Das sind aber "Argumente", die von E-Book-Fetischisten immer weider gerne gebracht werden. Es dürfte nicht erstaunlich sein, dass solche Niedergangsgesänge de gedruckten Buches in erster Linie von jenen kommen, die selbst nur E-Books schreiben. Weil sie, aus welchem Grund auch immer, nie dazu kommen, ein gedrucktes Buch zu veröffentlichen. Die müssen ganz einfach auf das E-Book schwören und können das gedruckte Buch nicht wirklich anerkennen.
Veröffentlichungsplattformen wie Amazon & Co. sind deren "Heilige Kühe".
Und natürlich, es ist eine Kolumne! Die manchmal übertreibt, manchmal sehr einseitig und in der Regel sehr subjektiv ist.
Hm, den Ausführungen zu Vinyl und CD kann ich nicht ganz folgen. Ich persönlich habe eine Menge alter Schallplatten zu Hause und habe die immer wieder mal abgespielt, genau wie natürlich CD´s. Aber neue Schallplatten habe ich mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr zugelegt (eine Ausnahme, da habe ich mir eine gebrauchte Platte gekauft). Ich bin da aber schon eher altmodisch. Ich kenne aus meinem Bekanntenkreis niemand, der sich seit dem CD Zeitalter eine Schallplatte gekauft hat, die meisten haben enweder gar keinen Schallplattenspieler oder verwenden ihn praktisch nicht mehr.
Daher kann man schon sagen, die CD hat das Vinyl verdrängt.
Das Aufkommen von youtube und Konsorten dagegen hat dazu geführt, dass es eigentlich keinen besonderen Grund gibt, CD´s zu kaufen und ich denke, das ist ein Grund der doch recht frischen Renaissance der Schallplatte.
Mit der Schallplatte hat man das Gefühl, wieder etwas zu besitzen. Eine CD ist trotz gut gemachtem Booklet ja doch nur ein moderner Datenträger und nicht mit einer Platte vergleichbar.
Aber trotzdem hat die Schallplatte doch ein Schattendasein und ist nicht gleichberechtigt mit dem digitalen Datenträger, oder?
Ich konnte das die letzten zwanzig Jahre auf jeden Fall nicht beobachten.
Beim Buch dagegen gibt es doch viele Argumente, die gegen eine ebook Reader sprechen und für das gedruckte Buch.
Bücher sind generell günstig zu erwerben (auch und vor allem auf dem Gebrauchtmarkt). Dazu nehmen viele Bücher um sie zu zeigen (Privatbibliothek, oft ja gebundene Ausgaben) und um sie zu verschenken.
Da wird es meiner Meinung nach schwierig für das ebook, sich ähnlich durchzusetzen wie die CD. Der Gelegenheitsleser wird sich keinen ebook Reader kaufen und ausschließlich dort lesen. Er muss den Reader kaufen, der kann kaputt gehen, die Batterie ist tendentiell leer und man weiß nie, wie lange der Reader hält.
Nö, ich sehe nicht, warum das gedruckte Buch sterben sollte.
Was die Schallplatten angeht: Kann natürlich sein, dass mein Blick da etwas getrübt ist. Ich kannte zu den Hochzeiten der CD halt eine nicht unbeträchtliche Anzahl Leute, die auf Vinyl schworen, Flohmärkte nach Platten durchstöberten etc. Aber da waren auch einige DJs, Hobbymusiker_innen und Indie-Plattenladenbetreiber_innen dabei. Na gut, ich bin der erste, der zugeben würde, dass so etwas klassen- und milieubedingt ist.
Kommentar veröffentlichen