Mittwoch, 23. Januar 2013

Links vom Gutmenschen

Trigger-Warnung: Die mit Kreuzchen versehenen Links führen zu einem Diskussionsthread, in dem rassistische Sprache verwendet wird.

Der Tiefstpunkt einer Debatte, die an sich schon einen Tiefpunkt darstellt, ist für mich Jan Fleischhauers Kolumne »Auf dem Weg zur Trottelsprache«.* Natürlich meint der Titel nicht, dass der Kolumnist selber mit starr nach vorne gerichteten Blick auf diesem Weg marschiert. Tut er zwar (sofern ich mein Verständnis, was ein Trottel ist, zugrundelege), aber natürlich ist die Verschwörung linker Gutmenschen gemeint, die uns alle mit Hilfe ihrer Sprachpolitik gefügig machen wollen. Dennoch lässt sich der Titel im Sinne einer Freudschen Fehlleistung lesen, denn Fleischhauers Text, der eigentlich so richtig von oben herab formuliert sein wollte, ist vom ersten bis zum letzten Satz eine weinerliche Tirade. Um seinem Klientel entgegenzukommen, nimmt Fleischhauer die Perspektive des verängstigten Kleinbürgers ein, der von der Komplexität der Welt heillos überfordert ist: Sprache verändert sich? Eine Zumutung! Und nicht mal im Ausland ist man vor Veränderungen sicher, denn auch in anderen Ländern verändert sich Sprache, und manchmal (Schock!) bevorzugen die Menschen dort andere Wörter. Fleischhauers Fazit: »Man kommt schnell in Untiefen, wenn man sich auch sprachpolitisch als Kosmopolit erweisen will.« Tja, kleiner Jan, da hilft nur eins: Zuhause bleiben und die Fresse halten.

Aber Spaß beiseite: Diese Perspektive ist eine nur Rolle, in die Fleischhauer schlüpft. Er würde sich nicht in ähnlicher Weise überfordert geben, wenn es darum ginge, dass man heute Radio (und nicht mehr Rundfunkempfänger) oder Club (und nicht mehr Tanzlokal) sagt. Hier gilt, was sich auch von der Debatte insgesamt sagen lässt: Das empörte Geschrei gegen die Überarbeitung eines Kinderbuchs wird von Weißen erhoben, die sich den Gebrauch ganz bestimmter Wörter nicht nehmen lassen wollen – nämlich rassistischer. Deutlich wird dies, wenn man sich die (allen Beteuerungen zum Trotz, dass es doch einzig und allein um die Integrität literarischer Texte gehe) inflationäre Verwendung des N-Wortes in Schlagzeilen, Foren und Social Networks vor Augen führt. Die Debatte wird genüßlich ausgenutzt, um sich in genau der Terminologie zu ergehen, deren Gebrauch die übermächtige Gutmenschen-Partei doch angeblich unter Strafe gestellt hat. So lautet nämlich der Vorwurf†: Die Gutmenschen übertünchen mit ihrer Sprachpolitik den eigenen Rassismus. Rassistisch? Ich? Nein! Die Gutmenschen, die mit ihrem PC-Wahn, die sind viel schlimmer als ich.

Vermutlich zählt auch Anubis zu den Gutmenschen, also zu jenen, die in paternalistischer Manier anderen sagen wollen, wo’s langgeht, um ihre eigene Macht auszubauen. Schließlich vertrete ich solche Positionen. Ich könnte den Standpunkt einnehmen, dass eine Debatte, in der ausgerechnet diejenigen sich als vorbildliche Antirassist_innen gerieren, die ihren Gebrauch rassistischer Sprache als ein »die Dinge offen und ehrlich beim Namen nennen« (wie derlei Plattitüden eben lauten) verharmlosen, sich ohnehin nur noch im Strudel ihrer eigenen Absurdität dreht. Aber das wäre zu einfach. Ich bin weiß und deshalb nicht vor Rassismus gefeit. Eine Forumsdiskussion zum Thema endete mit der nachahmenswerten Empfehlung†: »Mein Rat: Taucht ein in die Szene der Betroffenen und nehmt auch mal an der einen oder anderen Demo teil. Es wird euch wie Schuppen von den Augen fallen (hoffe ich jedenfalls).« Ein erster Schritt wäre, die Äußerungen von Schwarzen und People of Colour zu dieser Debatte aufmerksam zu lesen. Die blieben bislang ziemlich unbeachtet – bezeichnenderweise, wenn man an die stürmische Begeisterung denkt, die Jan Fleischhauer auf Spiegel Online und Ulrich Greiner in der Zeit entgegenschlug. Aber es gibt sie, und wer sie nicht wahrnehmen will, ist schlicht uninformiert:
  • Der Thienemann-Verlag wurde zu den Änderungen an der Kleinen Hexe bewegt, nachdem Mekonnen Mesghena seiner Tochter aus dem Buch vorgelesen und anschließend dem Verlag einen Brief schrieb, in dem er auf rassistische und ausschließende Begriffe in Otfried Preußlers Buch hinwies. Die Zusammenhänge werden in diesem Artikel geschildert, den ich bereits in meinem vorherigen Blogpost zum Thema verlinkt habe. Mittlerweile hat Mekonnen Mesghena einen offenen Brief an Spiegel Online verfasst, in dem er klarstellt, dass Fleischhauers Kolumne nicht nur eklig, sondern auch unaufrichtig ist: »Um der Sache eine andere politische Dimension zu verleihen, verdreht Jan Fleischhauer kurzerhand die Tatsachen, in dem er behauptet, eine Institution stünde hinter der Initiative. [...] Wenn er schreibt, so sei es der ›aktuellen Zeit (zu) entnehmen‹, dann ist dies schlichtweg gelogen.«
  • Nadia Shehadeh schreibt: »Wenn man als Kind in einem Buch liest, und versteht, dass dort die eigene ›Minderwertigkeit‹ beschrieben wird, die man selber an sich nicht sieht, die man nun aber in der Fremdwahrnehmung anderer erkennt, unwiderruflich auf Papier gedruckt und damit noch mächtiger, dann setzt mit zum ersten Mal das Ohnmachtsgefühl ein, das einem noch so oft im Leben begegnen wird.«
  • Simone Dede Ayivi äußert sich im Tagesspiegel über die ach so guten Gründe, an rassistischem Vokabular festzuhalten: »Angeblich brauche man es, um Rassismus zu thematisieren. Da wurde mit dem Ausstellen von Rassismus argumentiert und damit, dass man der Gesellschaft den Spiegel vorhalten wolle. Mit Gesellschaft ist dabei die weiße Mehrheitsgesellschaft gemeint. Eine Gruppe von Leuten, die sich gegenseitig irgendwelche Spiegel vorhalten wollen. [...] Diese Gruppe bleibt unter sich und definiert für sich allein, was rassistisch ist und was nicht.«
  • Sabine Mohamed von der Mädchenmannschaft knüpft sich »Fleischhauers Trottelargumentation« vor: »Da findet analoges Denken auf Level Minus 100 statt. Jedenfalls wird bei Fleischhauer diskriminierende Sprache noch groß geschrieben, ist so herrlich unkompliziert.«
  • Publikative.org dokumentiert einen Leserinnenbrief, den die neunjährige Ishema Kane an die Zeit geschrieben hat, und lässt auch Ishemas Mutter zu Wort kommen: »Ich sehe es nicht ein, dass mir als Mutter jetzt quasi diktiert wird, ich solle meiner Tochter ›erklären‹, dass solche Wörter früher ›normal‹ waren – und sie sich bitte schön nicht verletzt fühlen soll.«
  • Der Schwarze Blog sagt: 
    Zur Beruhigung und Erinnerung: das Recht, Menschen rassistisch zu bezeichnen, besteht weiterhin. Es ist durch eine vernünftige Verlagsentscheidung nicht in Gefahr. [...] Was neuerdings wegfällt, und für viele Rassisten anscheinend schon unerträglich ist, ist lediglich das Recht, sich als Rassist bei 100% der Mehrheitsbevölkerung beliebt zu machen. Es sind jetzt ein paar Prozent weniger. Ebenso mausetot: das Recht, auf rassistische Handlungen keine Widerrede zu bekommen. Gut, dass sich Sprache ändert. Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das Wort, um das es geht, war natürlich noch nie wertfrei, Arier. Kommt drüber weg, Versager (sei doch nicht so empfindlich). Und herzlich willkommen in unserem Land, liebe neue Generation mit weniger ungefragter frühkindlicher – also tiefsitzender – rassistischer Konditionierung via Kinderbuch. Vielleicht können sich unsere Kids eines Tages auf Augenhöhe begegnen, das wäre doch mal ein wirklich schönes neues Konzept.
    Im gleichen Beitrag findet sich auch eine beachtenswerte Liste mit Wortmeldungen, »die sich nicht aus Angst, Hass, Rassismus und einer Fehldeutung des Begriffs ›Zensur‹ speisen«.
  • Mel Evil M schreibt: »Wenn Worte belanglos wären, dann könnte sich ja keine_r derer, die jetzt von Sprachpolizei rumeumeln, darüber aufregen, daß sie dafür Rassist_innen genannt werden.«
  • Ein Interview, das die taz mit der Journalistin Hadija Haruna führte, zeigt, dass es geht: Man kann Rassismus thematisieren, ohne ständig in stupider Weise das N-Wort auf den Lippen zu führen.
Eine andere Perspektive, die aus der Debatte weitgehend ausgeblendet wurde (und die man ebenfalls eine der »Betroffenheit« nennen könnte), ist die von Eltern, insbesondere Müttern, die laut Zweifel an dem wohlfeilen Ratschlag äußern, man könne Kindern beim Vorlesen doch einfach erklären, was Rassismus ist und was es mit manchen Wörtern auf sich hat.
  • Dr. Mutti schreibt in einem schon etwas älteren Beitrag: »Man sieht die Szene direkt vor sich: Gemütlich sitzen da Kind und Eltern beisammen, das aufgeschlagene Buch vor sich, sie reden über Alltagsrassismus, das Kind lauscht aufmerksam den Ausführungen der Eltern mit ihren kultur- und sozialwissenschaftlichen Studienabschlüssen. Schließlich hat das Kind verstanden, es steht dem unterschwelligen Rassismus des Textes jetzt kritisch gegenüber, nun greift es wieder zum Buch und liest genussvoll weiter. Die Eltern trinken zufrieden ihren Tee und knabbern noch ein Stück fair gehandelte Schokolade. Was, unrealistisch? So geht es bei Ihnen zu Hause NICHT zu?«
  • Das Fuckermothers-Blog weist darauf hin, dass man erst mal klar haben sollte, was Rassismus ist – und vor allem, wie antirassistische Weiße dagegen vorgehen können: »Eine antirassistische Haltung bedeutet nicht, eine Kerze auf einer Lichterkette anzuzünden um ›ein Zeichen zu setzen‹ und sich dabei gut zu fühlen. Sie bedeutet, eigene Weltbilder und Gewohnheiten zu hinterfragen und gegebenenfalls auf Zeichen zu verzichten. Auch wenn es weh tut.«
Das Hinterfragen von eigenen Weltbildern und Gewohnheiten bleibt in weiten Teilen der Debatte um die Preußler-Neuausgabe leider aus. Es ist eine Debatte, die größtenteils von Weißen unter sich – unter uns – geführt wird, oft verbunden mit der Weigerung, auf kritisches Wissen und effektive Strategien im Umgang mit Rassismus zurückzugreifen. Sabine Mohamed beschreibt diese Art von Diskussionskultur (in einem anderen Zusammenhang, der sich aber sehr gut auf den gegenwärtigen übertragen lässt) folgendermaßen:
Was sich wie von selbst versteht, ihr selbst seid keine Rassist_innen. Werdet ihr ungebeten trotzdem so genannt, gibt es Ärger. Denn dann solidarisiert ihr Euch mit anderen Weißen. Gegenseitig schrubbt ihr Euch wieder rein und negiert Rassismus in den eigenen Reihen. Besonders perfide wird es, wenn ihr plötzlich Eure guten schwarzen Freundinnen oder Freunde aus der Schublade hervorzaubert, die das auch nicht so eng sehen. Ja, solche Zufälle soll es geben. Manchmal sagt ihr rassistische Wörter einfach aus didaktischen Gründen quasi um zu zeigen, wie es nicht gemacht werden soll. Antirassismus für Dummies. Wer es nicht versteht, ist selbst schuld. [...] Bei rassistischen Morden seid ihr schon schockiert und manchmal gibt es eine Schweigeminute oder, wie kürzlich, eine nette Feier, zu der auch die Betroffenen der NSU-Morde eingeladen werden und auf Eure Anweisung hin reden dürfen. Aber dass es schon bei Worten beginnt, das wollt ihr nicht sehen. Dass Worte Lebensrealitäten schaffen, sie uns entmenschlichen oder einfach überflüssig machen, das geht nicht in Eure weißen Köpfe. Vielleicht interessiert es Euch einfach nicht.
Der Beitrag des Schwarzen Blogs endet mit einer Aufforderung: »Für Menschen ohne Rassismuserfahrungen: das ist vor allem Ihre Debatte. Es wird sich sicherlich lohnen, Ihre Stimme zu nutzen.« Endlich einmal denjenigen zuzuhören, die es am eigenen Leib erfahren haben, ist ein Schritt. Erkennen, dass es bei dieser Debatte um den Mist in unserem eigenen Stall geht, der notwendige nächste.

* Auf dem zweiten Platz dichtauf liegt Burkard Müller-Ullrich, dessen strunzdummen und hetzerischen Deutschlandfunk-Kommentar Anatol Stefanowitsch in diesem Podcast analysiert.

6 Kommentare:

JL hat gesagt…

Danke für den gut geschriebenen Beitrag mit neuen Links, insbesondere die Elternperspektive hat mir bisher noch gefehlt. Auch für die Aufarbeitung Fleischhauers, vor der ich ehrlich gesagt kapituliert habe, weil sonst mein Kopf geplatzt wäre.

Kennst Du die Sprachpolizeiakademie schon? Die fand ich sehr hilfreich, wenn jemand wieder mit Zensur-Vorwürfen kam.

Tut mir leid, wenn ich keine substantiell neuen Argumente zum Ergänzen habe. Ich verfolge das Treiben mittlerweile mit einer leicht morbiden, fast seifenoperettenhaften Faszination. Übrigens, vor fast genau einem Jahr drohte John Asht damals mit Klage wegen Falschrezension -- was ist im Januar nur los mit den Leuten? Muss vielleicht doch am Wetter liegen ... Hoffentlich geht beides wieder vorbei.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Ja, über die Sprachpolizeiakademie musste ich vorhin ganz schön lachen und sogar am Telefon daraus vorlesen.

Ansonsten habe ich im Laufe des Abends gemerkt, dass ich meine Linkliste noch ergänzen muss, aber vielleicht erst am Freitag dazu komme. Einstweilen verweise ich auf zwei weitere Linksammlungen: Diese hier von JL und diese hier vom AK Rassismuskritik.

JL hat gesagt…

Just sayin, der erste Link bin ich selbst :) Bislang hat mir den "Nick" noch niemand geklaut. Und ich habe Dich auch verlinkt.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Weiß ich, weiß ich. Bin zwar kein ganz gewiefter Internetstalker, aber zu so viel Kombinationsvermögen hat’s gereicht. ;-)

Jakob hat gesagt…

Danke für den Beitrag! Ich bin selbst nie gelassen genug, um in Internetdiskussionen zu dem Thema mal eine vernünftige Position zu formulieren, weil mir immer gleich der Hut hochgeht, wenn ich die Zensur- und Gutmenschenvorwürfe lesen muss ... jetzt kann ich auf geeigneter Stelle einfach auf deinen Blog verlinken.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Bei der Gelegenheit: Ich fand es interessant zu sehen, dass bei Verlinkungen auf meinen letzten Post zur Sache an mehreren Stellen ausführlich aus deinem Kommentar zitiert wurde. Ein schönes Beispiel dafür, dass Blogs von den Kommentaren ebenso wie von den Beiträgen leben.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.