Samstag, 15. Dezember 2012

Kaspereien in der schönen neuen Welt

Das Totengespräch kann auf eine ehrwürdige literarische Tradition zurückblicken. Als Erfinder der Gattung gilt Lukian von Samosata, der manchmal (auf reichlich anachronistische Weise) zum Vater der Science Fiction erklärt wird. Bemerkenswerterweise ist die antike Gattung in der Neuzeit anhaltend beliebt. Goethe nutzte sie, um Sturm-und-Drang-Flegeleien gegen Wielands Rokoko-Stil zu formulieren. Poe ließ die Toten Konversation über die Zerstörung der Erde durch einen Kometen betreiben. Maurice Joly verfasste mit den Gesprächen in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu eine Streitschrift gegen Napoleon III., die in völliger Verkehrung ihrer Grundaussage zu den infamen Protokollen der Weisen von Zion umgearbeitet wurden – einer der seltenen und zugleich erschreckenden Fälle, in denen Literatur Geschichte geschrieben hat.

Sprechen die Toten oftmals Wahrheiten aus, die den Lebenden aufgrund von Zensur, Bigotterie oder schlichter Humorlosigkeit versagt waren,* müssen sie sich manchmal auch Sophismen in den Mund legen lassen, die ehrliche Tote in ihren Gräbern rotieren lassen. Wehren können sie sich ja nicht.** So auch in Peter Kreefts Totentrialog Dienstanweisung für eine schöne neue Welt. Dieser hat zum Ausgangspunkt, dass C.S. Lewis, Aldous Huxley und John F. Kennedy am gleichen Tag, nämlich am 22. November 1963, gestorben sind. In Kreefts Buch treffen die drei sich kurz nach ihrem Tod im Purgatorium, wo sie Gespräche über das Christentum führen (bzw. das Gespräch darf Lewis führen, während Huxley und Kennedy gelegentlich eine treudoofe Zwischenbemerkung einwerfen) und schließlich, nachdem Lewis seine beiden Gefährten erfolgreich zur Konversion überredet hat, in Richtung Himmel aufbrechen.

Peter Kreeft ist christlicher, genauer: katholischer Apologet und als solcher gewissermaßen eine Schrumpfversion von Chesterton, Tolkien und Lewis. Besonders an letzteren hat er einen Narren gefressen. So veröffentlichte er nicht nur ein Pastiche zu Lewis’ Screwtape Letters, sondern auch ein dubioses Kompendium namens The Philosophy of Tolkien, in dem er den Versuch unternimmt, den religiösen Gehalt von Tolkiens Werk mit Hilfe von Lewis-Zitaten herauszuarbeiten – eine Art Inklings-Evangelienharmonie, mit Kreeft als Apostel. Man fragt sich, warum Charles Williams außen vor bleiben musste, der hätte dem Ganzen noch einen netten rosicrucianischen Touch verleihen können.

So ist es nicht verwunderlich, dass Lewis unter den drei Trauerfällen, die in Kreefts Roman versammelt sind, ganz klar im Mittelpunkt steht. Er redet nicht nur am meisten, seine Dialogzeilen bestehen auch fast vollständig aus Zitaten und Paraphrasen des echten Lewis. Huxley und Kennedy sind dagegen Pappkameraden. Kreeft interessiert sich nicht für Huxleys Werk oder Kennedys persönliche und politische Anschauungen, sondern verzeichnet sie zu reinen Typen, die als Negativfolie für Lewis’ Ausführungen dienen. Huxley steht dabei für eine mystisch-pantheistische Weltanschauung und Kennedy für eine Haltung, die in Jesus ein (rein menschliches) Vorbild für humanistische Werte sieht. Beide sind so simpel gezeichnet, dass sie gar nicht anders können, als sich überreden zu lassen.

Interessant ist deshalb nur das Bild, das Kreeft von seinem Idol Lewis zeichnet. Dieses ist keineswegs falsch, es ist einfach nur einseitig und unvollständig. Der wirkliche C.S. Lewis war eine Person, die stets mit dem Anspruch höchster Klarheit und Gewissheit auftrat, dabei aber voller Wiedersprüche steckte. Lewis konnte einen polternden Antimodernismus vertreten und sich im nächsten Augenblick mit Vehemenz für die Zivilehe einsetzen. Er hatte die unappetitliche Gabe, noch dem krassesten Vorurteil einen rationalen Anstrich zu verleihen, und bewies in seinem literarischen Werk doch immer wieder, dass er zu großer Einfühlsamkeit fähig war, wie sie sich etwa in dem Wunsch einer seiner Figuren zeigt, die bemerkt, dass sie Menschen nicht studieren, sondern kennenlernen möchte. Es ist wohl diese Vielseitigkeit, die bewirkt, dass Lewis auch außerhalb des konservativ-christlichen Milieus, das ihn so gern für sich vereinnahmen würde (und dafür auch genügend Anhaltspunkte findet), immer wieder auf Bewunderung stößt. Dabei macht Lewis es niemandem leicht. Seine oft abstoßend reaktionären Ansichten lassen sich nicht ignorieren, doch sollte nicht übersehen werden, dass er sich auch von rechts nur schwer auf eine Position festnageln lässt. Konservative Katholiken möchten in ihm gern einen Papisten in spe sehen, doch dagegen steht seine Weigerung, sich konfessionalistisch einengen zu lassen. Für Evangelikale, die sich aufgeschlossen und weltoffen geben möchten, ist er der exemplarische Intellektuelle, aber gleich daneben melden sich fundamentalistischere Stimmen zu Wort, die allein schon die Tatsache, dass Lewis Fantasy schrieb, als Beweis für unanständigstes Heidentum auffassen.

All diese Nuancen und Widersprüche in Person, Werk und Rezeption kommen bei Kreeft nicht vor. Sein Lewis ist ausschließlich so, wie der echte Lewis in seinen fadesten Momenten war: Missionarisch, rechthaberisch, großmäulig. Kann man Kreeft also nicht vorwerfen, ein falsches Bild von Lewis zu zeichnen, so sprechen die Züge, die er an seinem Lewis besonders hervorhebt, doch Bände und weisen auf Kreeft selber zurück. Kreeft hat noch eine Reihe weiterer apologetischer Totengespräche verfasst, in die er sich auf ungleich deutlichere Weise selbst eingezeichnet hat – in der Gestalt des toten Sokrates, der mittels hanebüchener »Kreuzverhöre« frisch verstorbene Philosophen, darunter Marx und Sartre, »widerlegt«. Solche Wächter an der Pforte zum Jenseits, wie Kreeft sie sich mit Vorliebe ausmalt, wünscht man wirklich niemandem in seinem Hinüberscheiden. Kreefts literarisches Jenseits entspricht einfach zu sehr der Hölle, wie eines seiner postmortalen Opfer sie (wiederum in einem Totengespräch) definiert. Die möchte ich hier konkretisieren: Die Hölle, das sind ... unerträgliche Zeitgenossen wie Peter Kreeft?

Dienstanweisung für eine schöne neue Welt (112 Seiten) erschien 1998 in überarbeiteter Ausgabe im Brunnen-Verlag. Eine erste Ausgabe erschien 1985 unter dem Titel Zwischen Himmel und Hölle. Was man sich beim Titel der überarbeiteten Ausgabe gedacht hat? Wahrscheinlich nichts.

* Und es spricht für sich, dass in dem genannten berüchtigten Fall, in dem Wahrheit in Unwahrheit verkehrt wurde, diese den (noch) Lebenden angedichtet wurde. Wer vor der Wahrheit zurückschreckt, tröstet sich damit, dass er die Lüge in hämischer und giftiger Weise seinem imaginierten Feind unterschiebt.
** Die Wehrlosigkeit der Toten gegenüber den Lebenden ist ein Thema in John Ajvide Lindqvists Roman So ruhet in Frieden.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.