Montag, 25. Juni 2012

In den Vereinigten Staaten von Afrika

In den Vereinigten Staaten von Afrika zahlt man mit der AfriCard, holt sich Fastfood bei McDiouf, studiert an der Langston-Hughes-Universität in Harar und lauscht dem Gesang des gefeierten Liedermachers Robert Marley. Seriöse Internetauftritte enden stets auf .afr und Hilfsorganisationen setzen sich dafür ein, dass fair gehandelte Bananen aus Nebraska mit einem werbewirksamen Qualitätssiegel versehen werden. Wenn man den Fernseher anmacht, kann man den emeritierten Professor Garba Huntingabwe hören, der polternd »die Behauptung aufstellt, die Vereinigten Staaten von Afrika könnten nicht länger das Elend der ganzen Welt aufnehmen«. Denn dem Rest der Welt, oder besser gesagt: dem Nordwesten der Welt, geht es schlecht. In Kanada toben ethnische Konflikte, die von blutrünstigen Warlords angeheizt werden. Die Schweiz bemüht sich aufgrund des in ihren Grenzen herrschenden Sprachwirrwarrs vergeblich, zu einem modernen Staat zu werden. In Frankreich setzen seperatistische Bewegungen der Zentralregierung zu. In Japan hungern die Kinder, weil die Regierung Unsummen für Rüstungsgüter ausgibt, statt etwas gegen die Lebensmittelknappheit zu tun. In dieser Situation wird der afrikanische Kontinent »von den halb verhungerten Boat People auf dem nördlichen Mittelmeer« schier überschwemmt, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind und »verzweifelt den Mörsern und Granaten zu entkommen versuchen, die ihre dunklen Schatten über die leidgeprüften Landstriche Euramerikas werfen«. Kein Wunder, dass Zeitungen wie Bilad el Sudan und der Lagos Herald meinen, Afrika könne diesen Ansturm von Fremden nicht verkraften, und deshalb anfangen, populistische Parolen auszugeben: »Schweinehirten übers Mittelmeer!«

In den Vereinigten Staaten von Afrika von Abdourahman A. Waberi ist Swiftsche Satire reinsten Wassers. Seine Botschaft lautet nicht »Denkt mal drüber nach, dass die Welt auch ganz anders sein könnte« und schon gar nicht »Denkt immer daran, wie gut es euch geht«. Er entwirft auch keine afrozentrische Utopie. Was er schildert, ist in jedem Detail unsere Welt, wie wir sie zu kennen meinen – nur eben auf den Kopf gestellt. Es geht Waberi darum, die Betriebsblindheit zu verspotten, mit der der Status quo als Selbstverständlichkeit hingestellt wird, und er bedient sich dazu genau der Ausdrucksweise, mit der diese Selbstverständlichkeit erst etabliert wird. Noch ein Zitat gefällig?
Prostituierte allerlei Geschlechts, monegassische, vatikanische und andere, stranden an den Stränden Djerbas und der kobaltblauen Bucht von Algier. Diese armen Teufel sind auf der Suche nach Brot, Milch, Reis oder Mehl, die von den [...] Wohltätigkeitsorganisationen verteilt werden. Französische, spanische, flandrische oder luxemburgische Schulkinder [...] verdanken ihr Überleben allein den Nahrungsmittelüberschüssen vietnamesischer, nordkoreanischer oder äthiopischer Landwirte, und das seit Anbeginn der Welt. Jene Stämme mit ihren kriegerischen Sitten, ihren barbarischen Gebräuchen und ihrem hinterhältigen, zügellosen Gebaren hören nicht auf, die schon verbrannte Erde der Auvergne, der Toscana oder Flanderns weiter zu brandschatzen, wenn sie nicht gerade das Blut ihrer Erbfeinde, der Teutonen, Gasconger, rückständigen Iberer und der ganzen restlichen Bagage, vergießen, wegen jeder Bagatelle und jeder Lappalie ...
Wer schon immer mal den Duktus einer Reportage von Peter Scholl-Latour in seiner ganzen Lächerlichkeit aufgespießt haben wollte, muss einfach Waberi lesen. Oder wie steht es mit den in Interviews und Millionensellern zum besten gegebenen Weisheiten des um Volk und Vaterland besorgten Ex-Bundesbankers? Hier sind sie, in der Waberi-Version:
Die neuen Einwanderer mit den galoppierenden Geburtenraten verbreiteten ihren jahrtausendealten Dreck, ihren mangelnden Ehrgeiz, ihre rückschrittlichen Religionen Protestantismus, Judaismus und Katholizismus, ihren althergebrachten Chauvinismus und ihre endemischen Krankheiten. Kurzum, sie schleppten hinterrücks die Dritte Welt in die Vereinigten Staaten von Afrika ein.
Waberi trifft den Ton stets perfekt. Die Story tritt demgegenüber in den Hintergrund. Sie dient vor allem dazu, die Leser_innen durch die auf dem Kopf stehende Welt zu führen. In Kürze: Maya wurde in Frankreich geboren, aber von einem wohlmeinendem Ehepaar aus Asmara (Vater Arzt) adoptiert. Als sie vom spurlosen Verschwinden eines Schweizer Einwanderers (»in einer verseuchten Favela der Region Zürich geboren«) erfährt, beginnt sie, sich in der globalisierungskritischen Bewegung zu engagieren. Schließlich will sie ihrer Herkunft auf die Spur kommen und reist nach Europa, wo sie ihre leibliche Mutter Célestine trifft. Der Roman endet mit Mayas paternalistisch-wohlmeinendem Entschluss, dem jungen Franzosen Tito, der sie durch ihr Geburtsland geführt hat, ein Studium zu finanzieren.

Interessant sind die sprechenden Namen der Hauptfigur: Nach ihrer Geburt wurde ihr der autochthon-französische Name Marianne gegeben. Ihre Adoptiveltern rufen sie bei dem afrikanischer klingenden Namen Malaïka, aus dem schließlich der Spitzname Maya wird. In der hinduistischen Religionsphilosophie ist Maya der Name für das Prinzip, dass die Welt eine Illusion, eine bloße Täuschung darstellt. Eine Illusion ist natürlich die auf dem Kopf stehende Welt, die Waberi sich ausmalt. Aber indem er sich dafür eine Sprache ironisch aneignet, wie sie tagtäglich in Diskussionen und Reportagen über »die Dritte Welt« gebraucht wird, lässt er keinen Zweifel daran, wo die eigentliche Täuschung, die echte Unwahrheit zu finden ist: im kopfschüttelnden, besserwisserischen Reden des Nordens über den Rest der Erde.

Noch eine Anmerkung zur deutschen Ausgabe des Buches. Sie wurde von der Übersetzerin Katja Meintel mit einem Nachwort versehen, das eine Ahnung davon vermittelt, welche Ansprüche Waberis überaus anspielungsreicher Stil an eine Übersetzung stellt. Es gibt jedoch ein unstimmiges Detail in der Übersetzung, von dem ich kaum glauben kann, dass es Meintels Augen entgangen ist: Waberi schreibt auf Französisch, innerhalb seiner Erzählung gilt Französisch jedoch als obskure »Stammessprache«, die in den Vereinigten Staaten von Afrika so gut wie niemand beherrscht. Da liest es sich etwas seltsam, dass Meintel die fiktiven Straßennamen, die Waberi erfindet, stets im Original belässt und nicht eindeutscht. Was leicht möglich gewesen wäre – aus Rue Toussaint Louverture mach Toussaint-Louverture-Straße. So entsteht beim Lesen der Übersetzung der Eindruck (seltsam angesichts des Status, den Frankreich in der Erzählung hat), die Vereinigten Staaten von Afrika seien eine frankophone Gesellschaft.

Aber genug der Einwände. In den Vereinigten Staaten von Afrika ist bissig, unterhaltsam und anregend. Nicht jeder Roman, der auf einer guten Idee beruht, kann von sich behaupten, dass auch die Umsetzung gelungen sei. Waberi dagegen streift diesen Verdacht mit Leichtigkeit von sich ab.

Abdourahman A. Waberis In den Vereinigten Staaten von Afrika (159 Seiten, inklusive Nachwort und Glossar) ist 2007 in der Edition Nautilus erschienen. Die Übersetzung aus dem Französischen besorgte Katja Meintel.

3 Kommentare:

Fremdling hat gesagt…

Das klingt ja nach einem durchaus interessanten Büchlein - ich finde solche Ansätze ja immer sehr reizvoll.

Falls du mal darüber stolpern solltest (was ich allerdings eher bezweifle, da es eine ORF-Produktion ist): der Film "Das Fest des Huhnes" verfolgt einen vergleichbaren Ansatz. Darin besuchen afrikanische Ethnologen die oberösterreichische Provinz und analysieren das dortige Verhalten. Nicht nur ein wirklich witziger Film, sondern er schafft diese Veränderung des Blickwinkels wirklich gut rüberzubringen.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Von dem Film habe ich sogar schon mal gehört, gesehen habe ich ihn aber in der Tat nicht.

Übrigens erwähnt Peggy Piesche in einem ihrer Beiträge im Sammelband Mythen, Masken und Subjekte (Münster ²2009), dass bereits 1983 eine schwarze Ethnologin, Diana Bonnelamé, an der Kölner Uni eine Dissertation über die Initiationsriten evangelischer Deutscher verfasste und in beträchtliche Schwierigkeiten mit dem Wissenschaftsbetrieb geriet, einfach nur weil sie ethnologische Kategorien auf Weiße anwandte.

Bekannter als diese Beispiele ist aber sicherlich Umberto Ecos kurze Geschichte über einen Ethnologen aus der Südsee, der in Italien Feldforschung betreibt (aus Platon im Striptease-Lokal, wenn ich mich recht erinnere).

Fremdling hat gesagt…

Ah, vielen Dank für die weiteren Hinweise!

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.