Sonntag, 19. September 2010

Rechts blöd

Yesterday I named an anonymous comment on Pat’s blog the most damn stupid thing to say about Elizabeth Moon’s Islam-baiting. I admit I've been a little hasty, because only now I came across this blog entry.

Now we have Lawrence P.* not only explaining how survivalists and libertarians benefit the whole community, but also telling us that antisemitism is worse than anti-muslim bigotry because “there are ten time [sic!] as many antisemitic hate crimes in the U.S. as anti-Islamic hate crimes.” You got it, Lawrence. Dying of lung cancer is so much worse than dying of leucemia, because it happens x-times more often.

Kidding aside, I’d say that this quantitative argument is true in one respect: Gun-wanking libertarian survivalist racist dickheads from Texas or elsewhere would still be the worst pain in the ass if there were only one of them.

* Science fiction writer and political commentar from Williamson County, Texas, according to himself.

Samstag, 18. September 2010

Elizabeth Moon: »Viele Muslime sind mit allen Tugenden zivilisierter Menschen ausgestattet«

Die SF-Autorin Elizabeth Moon hat auf ihrem Blog MoonScape ein bemerkenswertes Konglomerat aus Standortnationalismus, Manifest-Destiny-Geschleime, bourgeoisem Pseudofeminismus und rassistischem Islam-Bashing losgelassen: »Citizenship«. Der Eintrag bekam über 500 Kommentare, die mittlerweile jedoch von Moon gelöscht wurden. Weitere Kommentare soll es auf Moons Blog nicht mehr geben: »Es ist an der Zeit, den Pöbel hinauszuscheuchen und die Tür zu schließen.«

Dafür haben der World SF Blog und Pat Auszüge aus Moons Text veröffentlicht, und dort kann er weiterhin kommentiert werden. Auf dem Feminist SF Blog setzt yonmei sich ausführlich mit Moons Roman Trading in Danger im Licht ihres Blogposts auseinander. Von dort wird auch verlinkt zu Kopien der gelöschten Kommentare.

Vorurteile über muslimische Immigrant_innen zu schüren, ist allerdings nicht das einzige Anliegen von Moons Post. Sie beginnt mit der Aussage, »the business of a citizen is the welfare of the nation.« Der Nationalstaat habe nicht nur seinen Bürger_innen Rechte zu gewähren, sondern die Bürger_innen müssten Verantwortung für die Nation übernehmen. Verantwortungsbewusste Bürger_innen zeichneten sich aus, indem sie dem Wohlergehen der Nation persönliche Opfer (»personal sacrifice«) brächten und dies auch – was besonders aussagekräftig ist – von anderen, insbesondere von zukünftigen Generationen forderten. Die Gründerväter der USA hätten schließlich so gehandelt, jaja.

Moon selbst stellt allerdings vor allem Forderungen an muslimische Immigrant_innen. Persönliches Opfer ist dabei bezeichnenderweise nicht gleich persönliches Opfer. »That some [US American] Muslims died in the attacks [of 9/11] is immaterial—does not wipe out the long, long chain of Islamic hostility.« Dass bei den Anschlägen auf das World Trade Center Muslime in den Trümmern ums Leben kamen, zählt also nicht. Um das Wohlgefallen von Elizabeth Moon zu finden, ist es offensichtlich nicht ausreichend, zufällig zum Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Man muss sein Leben schon willig und bewusst auf dem Altar der Nation opfern.

Die Vereinigten Staaten hätten schon immer Probleme mit Immigrant_innen gehabt. Dafür hat Moon eine naturalistische Erklärung: Es liege in der menschlichen Natur, sich tribalistisch zu verhalten, sich in kleinen Gruppen voneinander abzuschotten. Der Staat müsse »ihre [der Immigrant_innen] eingeborene Kultur niederreißen«, sonst käme es zu Kulturkämpfen. Und das sei natürlich – natürlich – bei denjenigen am schwierigsten, die es aufgrund ihrer Geschichte am schwierigsten fänden, über ihre »Natur« hinauszuwachsen.

Am schwierigsten fällt es in Moons Augen, wie sich offenbar von selbst versteht, migrantischen Muslimen, über ihre Natur hinauszuwachsen. Muslime sind in den USA anscheinend nicht nur allesamt eingewandert – in den USA geborene, englischsprachige Muslime scheint es nicht zu geben –, sie sind auch noch eine Art Naturwesen, durch ihre Geschichte dazu angehalten, sich gemäß ihrer wilden Eingeborenenbräuche zu verhalten. Dass dies ein klassischer, aber sehr präsenter rassistischer Topos ist, brauche ich nicht weiter auszuführen. Moon schreibt zynisch: »We have always had trouble with immigrants (the native peoples had the most troubles with immigrants!).« Sie identifiziert also auf abenteuerliche Weise die weiße, christliche Mehrheitsbevölkerung der USA (»We«) mit der nahezu ausgerotteten nordamerikanischen Urbevölkerung. Damit stilisiert sie nicht nur ihre eigene WASP-Binnengruppe zu unschuldigen Opfern des »trouble with immigrants«, sie unterstellt den eingewanderten Muslimen auch noch, sie seien fähig einen Völkermord zu begehen (der eigentlich auf das Konto der Binnengruppe geht, was aber zwischen den Zeilen verborgen bleibt).

In der Folge führt Moon aus, wie falsch es sei, »to let Muslims believe stuff that unfits them for citizenship«, wie Muslime mehr nähmen als gäben, dass man von ihnen zu verlangen habe, sich unauffällig zu benehmen, der weißen Mehrheitsbevölkerung am besten gar nicht erst aufzufallen. Dies sei notwendig, damit Muslime sich die staatsbürgerlichen Rechte verdienen könnten, welche die Nation ihren Bürger_innen verleiht. Dass solche Rechte de facto nicht allen Menschen frei und gleichermaßen zukommen, illustriert Moon auf beeindruckend abstoßende Weise, indem sie das Recht, Rechte zu haben, an Verdienste koppelt und mit ihrer rassistisch-naturalistischen Argumentation proklamiert, dass einige von »Natur« aus besser geeignet seien, solche Rechte zu besitzen und auszuüben. Wohl entgegen ihrer Absichten exemplifiziert sie damit den Bankrott linksliberaler citoyen-Ideologien, bzw. deren Unfähigkeit, Rassismus und Ausgrenzung etwas wirkmächtig entgegenzusetzen.

Zum Schluss noch Auszüge aus dem dümmsten und dem klügsten Kommentar, die ich bislang zu Moons Eintrag gelesen habe, beide bei Pat’s Fantasy Hotlist abgegeben. Der erste erschien anonym:
I will read her books now, knowing that she is smarter than 99% of today’s authors, which consist of completely unrealistic bleeding heart radical lefties.
Da bleibt mir doch nur übrig, angenehme Lektüre zu wünschen und vielleicht noch einmal neu darüber nachzudenken, warum diese unsägliche Military SF (wie Moon sie schreibt) eigentlich so viel produziert und gelesen wird. Liegt es am Rassismus der Autor_innen oder an den intellektuellen Fähigkeiten der Leser_innen? Der zweite stammt von  Eric M. Edwards:
She’s cloaking racism of a dangerous sort – one linked to her own illogical faith which hasn’t a leg to stand on when it comes to intolerance, violence, and rubbing people the wrong way – with a flawed defense of an America that doesn’t exist, based on American history that never was.
Wohl wahr.

Sofern die Zitate im Titel und im Eintrag ins Deutsche übertragen wurden, stammt die Übersetzung von mir.

Freitag, 17. September 2010

Die Geisterseher

Bemerkenswert ist an Kai Meyers Die Geisterseher aus dem Jahre 1995 vor allem eines: Meyer dürfte — neben Cornelia Funke — der in der englischsprachigen Welt bekannteste deutsche Fantasy-Autor der Gegenwart sein, seine frühen Romane (zu denen Die Geisterseher zählt) verraten aber ausgerechnet den profunden Einfluss deutschsprachiger Trivialliteratur auf Meyers Werk.* Sein frühes Werk, sollte ich vielleicht präzisieren, denn die YA-Trilogien, mit denen Meyer gegenwärtig Erfolge feiert, habe ich gar nicht gelesen.

Stichwort Trivialliteratur. Angesichts der Tatsache, dass deutschsprachige Fantasy überwiegend tief im Schatten angloamerikanischer Vorbilder steht, und nur ab und an mal augenblinzelnd ein paar Schritte ins grelle Licht hinauswagt, lohnt es sich vielleicht, etwas näher darauf einzugehen. Die Geisterseher ist zunächst eine Imitation der sogenannten Bundesromane, von denen Ende des 18. Jahrhunderts etwa 200 Stück erschienen und eine heute kaum mehr beachtete Popularität entwickelten. Es handelte sich gewissermaßen um die deutsche Variante der englischen Schauerromane. Ihren Namen haben sie daher, dass die Handlung meist von einem mächtigen, im Hintergrund agierenden Geheimbund vorangetrieben wird. Die Wirkungsgeschichte des Bundesromans sollte germanistische Nasen zum Rümpfen bringen: An dem Genre entzündete sich nämlich nicht nur E.T.A. Hoffmanns Schreiblust, der gleich zwei Bundesromane im Manuskript verfasste, bevor er als Schriftsteller bekannt wurde, sie aber nie veröffentlichte. Darüber hinaus inspirierten sie auch Schiller zu seinem einzigen Romanfragment Der Geisterseher (das natürlich Meyers Vorbild ist) und beeinflussten Goethes Wilhelm Meister.

Auch die Abenteuer- und Kolportageromane des 19. Jahrhunderts haben bei Meyer ihren Niederschlag gefunden. Ähnlich ist hier vor allem das umfangreiche Figurenensemble, die mit Vorliebe in die Handlung eingeflochtenen historischen Personen (na ja, bei Meyer sind es häufig eigentlich eher historische Wachspuppen) und die oberflächliche Charakterzeichnung, die die handelnden Figuren nur in ihrer Funktion für die Handlung beleuchtet und ihre Motivation dabei oft genug im Halbdunkeln lässt. Letzteres ist etwas, was sich in einigen späteren Romanen Meyers erhalten hat.

Der Autor verhehlt seine Einflüsse nicht, lehnt sich sich eher durch einen bewusst archaisierenden Schreibstil noch enger an die Tradition an. Dieser Stil fällt bei ihm übrigens weniger peinlich aus, als das oft der Fall ist. Um Authentizitätseffekte kümmert er sich ansonsten aber herzlich wenig, und so ist sein klassisches Deutschland besiedelt von Crossdressern, polnisch-patriotischen Schwarzkünstlern und Cagliostro-Fans, die mitten in Warschau in ihrer nicht ganz geheimen Loge eine ägyptisch geschminkte Scharade aufführen und in Las-Vegas-mäßigen Pharaonengewändern den Geheimrat Goethe in Weimar besuchen.**

Auf den Plot will ich hier nicht näher eingehen, das wäre ohne Spoiler schwer möglich. Es kommen Giftmorde, begehrte Manuskripte, kaltblütige Killer und jede Menge Geheimgesellschaften vor. Das eigentliche Thema des Romans ist jedoch, würde ich sagen, der Literaturbetrieb und das Schriftstellersein, von Meyer bissig und unterhaltsam dargestellt: Am Ende entwirft er eine trivialliterarische Utopie des Schreibens und tritt damit jeglichem Geniekult und der feuilletonistischen Kritikerbourgeoisie mit Schmackes gegen’s Schienbein. Allein deshalb lohnt es sich, Die Geisterseher zu lesen.

Meyers Charakterzeichnungen haben es dagegen so rein gar nicht in sich. Die im Roman auftretenden historischen Persönlichkeiten werden meist auf eine einzige Eigenschaft reduziert geschildert: Hoffmann ist der unzuverlässige Säufer, Jacob Grimm ist der kühl kalkulierende Logiker, sein Bruder Wilhelm dagegen spontan und impulsiv etc. Das macht wenig Spaß. Trostpflaster ist lediglich die Darstellung von Literaturplatzhirsch Goethe, der als eiskalter, für seine ›höheren Ziele‹ über Leichen gehender Strippenzieher geradezu zum Proto-Nazi gerät. Ein ganz netter Seitenhieb ist auch der Gastauftritt von Carl Grosse, der — als Unterhaltungsschriftsteller geschmäht — in deutschen Literaturgeschichten eher selten auftaucht.

Mit Die Winterprinzessin ist 1997 eine Fortsetzung erschienen, die aber dem Stoff nichts mehr abgewinnen kann und an dem zunehmend unübersichtlichen Figurenensemble krepiert. Muss man sich nicht reinziehen. Erwähnenswert ist vielleicht eher, dass es mittlerweile auch ein preisgekröntes Geisterseher-Hörspiel gibt. Für Hörspielfans — was ich leider nicht bin — sicherlich eine feine Sache.

Die Geisterseher. Ein unheimlicher Roman aus dem klassischen Weimar ist 1995 bei Rütten & Loening (Hardcover) und neu 2003 bei Bastei (Taschenbuch) erschienen. 1996 und 2009 gab es auch Ausgaben im Aufbau-Taschenbuchverlag. Der Roman hat 361 Seiten.

* Auch innerhalb des deutschen Sprachraums wird Meyer häufig als Beispiel für einen Fantasy-Autor genannt, der bereit ist, in seinem Werk ungewöhnliche Wege zu beschreiten. So z.B. in der SFF-Rundschau des Standard. Ich stimme dem zumindest insoweit zu, als dass ich Meyer jedenfalls für einen lesenswerteren Vertreter der deutschsprachigen Fantasy halte. Allerdings kann ich nicht finden, dass allein schon ein vom ausgefransten pseudo-mittelalterlichen Setting abweichendes Worldbuilding ausreichend ist, um der deutschsprachigen Fantasy neue Impulse zu geben.

** Die rassistische Tradition, die hinter dem Motiv der als Afrikaner_innen kostümierten Weißen steht, scheint Meyer zu entgehen, oder — was schlimmer wäre — er ignoriert sie bewusst.

Donnerstag, 16. September 2010

Mind Meld

SF Signal hat einer Reihe von Autor_innen folgende Fragen gestellt: Who are the best female characters in Science Fiction/Fantasy and/or Horror? What makes them the best?

Unter den Befragten sind Nnedi Okorafor, David Anthony Durham (dessen Pride of Carthage, das ich kürzlich gelesen habe, den Bechdel-Test übrigens definitiv nicht besteht), N.K. Jemisin und Elizabeth Hand. Und das beste ist: per Kommentarfunktion kann man seine eigenen Lieblingscharaktere nennen.

Dienstag, 7. September 2010

Märchenmond II

Weiter geht's mit meinem Wolle-H.-Leseprojekt:

S. 112: Die Truppen des Bösewichts Boraas (die mit dem principle of evil swordsmanship) werden im Roman meist als »die Schwarzen« bezeichnet. Nähere Beschreibung eines von ihnen: »Der Körper [...] war nicht menschlich. Schwarzes, drahtiges Haar bedeckte einen muskulösen, affenartigen Körper. Kim schauderte, als er die gebogenen Klauen an den Händen sah. Das Gesicht war flach und ausdruckslos...« Schwarze sind Affen sind böse? Geh denken, Wolle.

S. 113ff.: Kim ist wirklich ein Held. In kürzester Zeit lernt er reiten wie ein Apatsche.

S. 128ff.: Die Truppen des Bösen leiden anscheinend auch an einem principle of evil horsemanship. Im Vergleich zu Kims neuerworbenen Reitkünsten machen sie zu Pferde jedenfalls einen ziemlich belämmerten Eindruck.

S. 134: Nachdem er Boraas' Häschern entronnen ist, ruht sich Kim eine Woche lang bei einer Dachsfamilie aus. Dachse heißen in Märchenmond Taks. Bleibt zu hoffen, dass nicht auch noch Wuckinger und Salazenen auftauchen...

S. 139: Kim ist der Auserwählte. Warum, wird nicht erklärt.

Generell ist zu bemerken, dass die Hohlbeins anscheinend entschlossen sind, kein Klischee auszulassen. Angenehmerweise aber ist das Erzähltempo konstant hoch, so dass man auch weiterhin nicht von ausführlichen, von vornherein zum Scheitern verurteilten Charakterzeichnungen genervt wird. Und ach ja, ganz vergessen: Die von mir benutzte Edition von Märchenmond ist eine 2002 bei Ueberreuter in Wien erschienene Sonderausgabe.

Samstag, 4. September 2010

Märchenmond I

Die deutsche Fantasy hatte über lange Jahre hinweg ein Problem, das Wolfgang Hohlbein hieß. Der Mann veröffentlichte in manchen Jahren ein Buch pro Monat, recyclete Plots, wärmte die — in der Fantasy selten allzu fernliegende — Gut-Böse-Dichotomie wieder und wieder neu auf und wurde gelesen, gelesen, gelesen. Es ist klar, dass man in Deutschland ein Vielschreiber sein muss, um als hauptberuflicher Fantasyautor leben zu können, und Hohlbein perfektionierte die Vielschreiberei geradezu, indem er sie als Familienunternehmen aufzog. Eine ganze Generation von Leser_innen fand durch das Jugendbuch Märchenmond, von Hohlbein gemeinsam mit seiner Frau Heike verfasst, zur Fantasy. Nach der Lektüre von Märchenmond teilten sich dann in der Regel die Geister: Während die einen auf Hohlbein schwören, ergebene Fans bleiben und die Vielschreiberei ihres Herrn und Meisters geradezu als Qualitätsmerkmal betrachten,* waren die anderen des vierten oder fünften Aufgusses — vom jugendlichen Helden, der Gut und Böse kennenlernt — irgendwann überdrüssig und entdeckten, dass es Fantasy jenseits von Hohlbeins gibt.

Nun soll es hier nicht um die Frage gehen, ob Hohlbeins Werk nur schlecht ist, oder ob der Mann sein Talent totgeschrieben hat. Für mich ist vielmehr interessant, welche Wirkung er auf das Genre in Deutschland ausübte. Märchenmond ist — vielleicht mehr noch als Die unendliche Geschichte — das Buch, das gewissermaßen die Fantasy in Deutschland als eigenständiges Genre etablierte, auch wenn es technisch gesehen schon vorher deutschsprachige Fantasies gab. Wahrscheinlich haben heute andere Bücher (von Hennen oder Hardebusch) diese auslösende Rolle eingenommen, die Massen junger Leser_innen dazu bringt, sich mit Fantasy als Genre zu befassen. Aber Märchenmond stellt in dieser Hinsicht doch eine Pionierleistung dar, die auch viele, die längst mit anspruchsvollerer Literatur beschäftigt sind, weiterhin eine gewisse Wertschätzung dem Buch gegenüber empfinden lassen.

Mir geht es übrigens anders. Ich habe Märchenmond nie gelesen, und meine beginnenden Fantasy-Leseerfahrungen waren neben Tolkien eher von T.H. White, Richard Adams, Lloyd Alexander und Marion Zimmer Bradley geprägt. Und genau deshalb lese ich es heute, aus literaturgeschichtlichem Interesse quasi, und bin dabei auf die bescheuerte Idee gekommen, eine Art Leseprotokoll anzufertigen.** Und damit fange ich jetzt auch gleich mal an. Massive Spoiler werden natürlich kaum zu vermeiden sein.

Wie ist das Ausgangsszenario? Der präpubertäre Protagonist Kim beschäftigt sich lieber mit strunziger Military SF, als seine Hausaufgaben zu machen. Für Märchen und Sagen hat er nichts übrig, die sind für kleine Mädchen. Nun liegt aber Kims vierjährige Schwester im Koma, weil ihr Geist in einer Sekundärwelt namens Märchenmond festgehalten wird und nicht in ihren Körper zurückkehren kann (scheint mir ein reichlich dualistisches Konzept zu sein). Also muss Kim nach Märchenmond reisen, um seine Schwester zu befreien. Da wird er wohl am Ende gelernt haben, dass Märchen für alle da sind, nicht nur für kleine Mädchen, schätze ich.

Einige Punkte, die mir als protokollierenswert aufgefallen sind:

S. 28: Kims Mutter ist Hausfrau. Kims Vater nimmt sich auch dann nicht von der Arbeit frei, wenn seine Tochter im Koma liegt, weil er im Büro besser abgelenkt ist. S. 32: Kims Mutter deckt den Tisch zum Abendessen, Kims Vater sitzt derweil am Fenster und raucht. Nachher spült sie das Geschirr, während er fernsieht. Bei Hohlbeins ist die Welt noch in Ordnung.

S. 40: Der Zauberer Themistokles, der Kim auffordert, nach Märchenmond zu kommen, ist »Gandalf, Merlin und der Mann im Mond«. Sagt er selber. Klar, keine Fantasy für Jugendliche ohne Mentor.

S. 71f.: Der Zauberer Boraas, der Kims Schwester gefangenhält, ist ein Bösewicht. Das merkt man gleich daran, dass er schwarze Kleidung trägt und blaue, knisternde Blitze mit den Händen verschießt. Außerdem legt er Kim dringlich nahe, ihn zu hassen, und der Hass ist natürlich die stärkste Waffe des Bösen.

S. 79: Kim ist ein Held, denn wenn es drauf ankommt, handelt er »rein instinktiv« und macht Boraas' gepanzerte und schwer bewaffnete Gardisten im Akkord platt. Die leiden aber auch an einem besonders schweren Fall des principle of evil marksmanship (wobei, in diesem Fall eher evil swordsmanship), dass sie sich von einem Dreizehnjährigen, dessen Kampferfahrungen sich auf Auseinandersetzungen über nicht gemachte Hausaufgaben beschränken, so dermaßen übers Knie legen lassen.

So weit die erste Protokollrunde. Bis jetzt geht Märchenmond mir ja ganz gut runter. Ist irgendwie nett, als ob man einen Heftroman läse. Auf anstrengende, von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuche, Charaktere und Stimmungen zu schildern, verzichten die Hohlbeins dankenswerterweise. Statt dessen gibt's flotte Plotentwicklung. Ich melde mich dann wieder, wenn ich weitergelesen habe.

* Unglaublich, aber wahr: Siehe hier eine Rezension zu Die Nacht des Drachen.
** Eine Rezension zu Märchenmond zu schreiben wäre wohl ein eher müßiges Unterfangen.

Mittwoch, 1. September 2010

JRRT über Blok

Cor Bloks Illustrationen zum Lord of the Rings werden von Tolkien-Fans regelmäßíg verspottet. Kann ich verstehen, weil ich sie auch eher skurril als passend finde. John D. Rateliff hat nun auf seinem Blog einen Eintrag veröffentlicht, der auf Bloks Motivation und Tolkiens Meinung zu dessen Bildern eingeht, und sich außerdem an einer fantasykunstgeschichtlichen Einordnung des niederländischen Illustrators versucht.

Bloks Bilder finde ich deshalb nicht schöner, aber Rateliff erhellt Hintergründe und erleichert das Verständnis, so dass ich die Illustrationen in Zukunft vielleicht mit anderen Augen betrachten kann.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.