Donnerstag, 12. August 2010

Der Boom, das Genre und die Snobs

Kürzlich, als ich vor das Fantasy-Regal der Bahnhofsbuchhandlung treten wollte, fand ich die Sicht versperrt durch eine breitschultrige, langhaarige Gestalt im schwarzen, mit gekreuzten Schwertern bedruckten Sweatshirt.
Was hat das zu bedeuten? Wird aus der gesamten Fantasy-Familie nur die Romantasy erfolgreich bleiben, während der Rest tatsächlich wiederum nur von Rollenspielern und Metal-Fans gelesen wird?
So hätte es mir in diesem Moment wohl durch den Kopf schießen sollen. Sobald ich mich jedoch durchgedrängelt hatte, bewegte mich schon etwas anderes: Meine kurzsichtigen Augen interpretierten einen aufrecht im Regal stehenden Titel fälschlicherweise als Die Berber, und ich fragte mich einen Moment lang verwirrt, wo solche denn bei Tolkien erwähnt werden. Recht bald erkannte ich allerdings meinen Irrtum und fand auch für die Anwesenheit des Metallers die befriedigende Erklärung, dass gerade — von mir unbemerkt — Wacken-Wochenende war.

Darüber hinaus wollte ich mich mit Andrea Bottlingers Artikel »Die Zukunft der Fantasy — was bleibt?« eigentlich gar nicht auseinandersetzen. Dass der Text genre-historisch etwas unklar ist, wurde bereits bemerkt. Diskutiert wird über den Artikel aller Orten (hier, hier und hier auch). Dann ist mir beim zweiten Lesen des Essays und beim Überfliegen der Diskussionen folgendes aufgefallen: Andrea Bottlinger fragt, ob der Fantasy-Boom bald ein Ende haben wird. Ich frage mich darauf erneut etwas, was mir schon seit längerem im Hinterkopf herumspukt: Von welchem Fantasy-Boom reden wir eigentlich? Bottlingers Text lässt mich in dieser Hinsicht etwas ratlos zurück:
In den letzten 10 Jahren haben sich die großen, die wirklich großen Fantasy-Bestseller beinahe lückenlos aneinandergereiht. „Harry Potter“ und die neue Übersetzung des „Herrn der Ringe“ haben den Boom begonnen. Dann kamen „Eragon“, die Tintenwelt-Trilogie und zuletzt die „Bis(s)“-Reihe.
Konkret frage ich mich, welche Induktionsleistung vollbracht werden muss, um diese Aufzählung von Phänomenen als zusammenhängenden ›Fantasy-Boom‹ wahrnehmen zu können? Wahr ist natürlich, dass J.K. Rowling und Stephenie Meyer jeweils einen Boom ausgelöst und eine Welle von Imitationen hervorgerufen haben. Man kann wohl auch sagen, dass das Erscheinen dieser beiden Autorinnen wesentlich zur Konsolidierung eines neuen Marktsegments beigetragen hat, welches wahlweise als Young-Adult- oder All-Age-Literatur bezeichnet wird. Darunter könnte man dann sicherlich auch Eragon und die Tintentrilogie subsummieren.

Andererseits lässt sich wohl kaum behaupten, dass die Neuübersetzung des LotR eine vergleichbare Entwicklung ausgelöst hätte. Tolkien-Fans kritisierten Wolfgang Kreges Übersetzung heftig. Sie erschien jedoch nahezu zeitgleich mit der Verfilmung durch Peter Jackson und war für diejenigen, die nach den Filmen den Roman erstmals oder erneut lesen wollten, viel leichter erhältlich als die alte Übersetzung, die zeitweilig nur noch antiquarisch verfügbar war. Vor dem Hintergrund der LotR-Verfilmung muss man wohl auch die Welle der sogenannten Völkerromane sehen, die marketingtechnisch kaum ohne Tolkien-Bezug auskamen, inzwischen aber ein beträchtliches Eigenleben entwickelt haben.

Nun bin ich weder Marktforscher noch im Verlagswesen tätig, aber irgendwie bezweifle ich stark, dass jugendliche Fans von Harry Potter oder der Bis(s)-Romane sich als Teil eines allgemeinen Fantasy-Booms verstehen bzw. sich als Konsument_innen auch nur entsprechend verhalten würden. Oder sollte es tatsächlich vorkommen, dass Leute in Buchhandlungen sagen, »Ich habe mich gerade von den Fantasy-Romanen Stephenie Meyers hervorragend unterhalten gefühlt und habe gehört, dass J.R.R. Tolkien ein klassischer Vertreter des Genres sei. Da würde ich gerne mal reinlesen...« ? Gibt es Leute, die en masse auf Markus Heitz umgestiegen sind, nachdem sie die Bände von Lemony Snicket oder J.K. Rowling ausgelesen haben? Und wenn nicht, wie kann man dann von einem allgemeinen Fantasy-Boom reden? Im Kino mag das ja seine Berechtigung haben, mit Verfilmungen von Tolkien und Lewis bis hin zu Funke und Paolini, aber darüber hinaus doch wohl kaum. Niemand würde aus den augenscheinlich unzusammenhängenden Tatsachen, dass einerseits die Romane Umberto Ecos beständig neu aufgelegt werden, und dass andererseits zahlreiche Menschen allsonntäglich ihren Tatort gucken, einen ›Krimi-Boom‹ konstruieren.

Müsste die Frage also nicht eher lauten, welche Fantasy gegenwärtig boomt oder auch nicht? Vor dem Hintergrund dieser neuen Fragestellung könnte man dann auch getrost darauf verzichten, anhand der von einzelnen Autor_innen ausgelösten Hypes — die wohl immer wieder vorkommen werden — den Aufstieg oder Niedergang eines ganzen Genres zu prophezeien. Etwas ähnliches meint wohl auch Andrea Bottlinger zum Ende ihres Artikels:
[D]ie gesellschaftliche Akzeptanz des Genres [ist] gestiegen. Eine ganze Generation ist mit „Harry Potter“, „Tintenherz“ und „Bis(s) zum Morgengrauen“ aufgewachsen.  Die Chancen, dass diese Generation immer wieder gelegentlich zum Fantasy-Roman greifen wird wie viele Leute heutzutage zum Krimi – ohne sich groß etwas dabei zu denken und ohne einen Haufen Vorurteile – stehen recht gut.
Die Ursachen für diesen Akzeptanzgewinn würde ich aber eher in einem langjährigen Reifeprozess als im sogenannten Boom sehen. Denn früher sind ganze Generationen mit Michael Ende, dem Herrn der Ringe oder mit Star Wars aufgewachsen. Auch mit Dune oder Stephen King. Und gerüchtehalber soll es immer wieder auch Einzelne geben, die mit Lovecraft, Dick oder Moorcock aufwachsen. All das wird zur wachsenden Akzeptanz der Fantasy bzw. der spekulativen Literatur insgesamt beigetragen haben.

Noch ein anderes Element scheint mir in die Rede vom Fantasy-Boom, den es so vielleicht gar nicht gibt, mit hineinzuspielen: Eine Fantasy-Schwemme reden nämlich — gerne und immer wieder — schnöselige SF-Fans herbei, die nicht mit dem Klischeebild vom pubertären Pickelgesicht, das in seiner Fantasie Drachen jagt und Elfen anhimmelt, in Verbindung gebracht werden wollen. Dabei verraten sie einerseits ihre Ahnungslosigkeit, was den literaturgeschichtlichen Zusammenhang zweier Genres angeht, andererseits perpetuieren sie das Klischee von der »seriell[en] Fluchtliteratur« (Linus Hauser), die Fantasy im Gegensatz zur angeblich intelligenten und kreativen SF sei. Gegenwärtig zum Beispiel im oben bereits verlinkten Diskussionsthread des Phantastik-Couch-Forums:
Wenn ich "Fantasy" schon höre, dann läuft es mir im Normalfall eiskalt den Rücken runter. Wer erinnert sich noch an die tolle Heyne-Reihe "SF & Fantasy". Auseinandergehalten wurden die Segmente, indem auf dem Rücken entweder ein SF oder F zu lesen war. Ende der 80iger Jahre brummte die Fantasy schon einmal. Der ganze Avalon und Drachenquark schwappte aus Amiland zu uns rüber und ertränkte in einer Fantasy-Rosamunde Pilcher Plörre die SF. [...] Für mich [...] hat damals die Fantasy die SF zu Grabe getragen.
Merke: Früher war alles besser, da haben einem wenigstens die Verlage noch gesagt, was F und was SF ist. Aber dann boomt plötzlich die Fantasy, und man kann nix mehr so richtig auseinanderhalten — oder man muss halt den eigenen Grips anstrengen, denn in Wahrheit hat die säuberliche Schubladisierung noch nie so richtig funktioniert. Ich erinnere nur an das empörte Geschrei der sich betrogen fühlenden Hard-SF-Snobs, als Perdido Street Station bei Bastei erschien und auf dem Rücken die SF-Kennzeichnung trug.*

Ich stimme Andrea Bottlinger darin zu, dass Fantasy heute vielfältiger ist als je zuvor. Ich stimme allerdings darin nicht mit ihr überein, dass die Erklärung dieser Tatsache in einem plötzlich auftretenden Boom liege. Fantasy ist mittlerweile ein altes Genre, das schon zu seiner Anfangszeit nicht homogen war und sich im Laufe vieler Jahre — wie wahrscheinlich jedes Genre — immer weiter ausdifferenziert hat. Und selbst wenn die Ablehnung gewisser Hard-SF-Borniertheiten nicht ausreichte, die Rede vom Boom sein zu lassen, wäre allein diese enorme Differenziertheit Grund genug für mich. Ein angeblich unterschiedsloser Boom verträgt sich nämlich schlecht mit einem unterschiedsreichen Genre.

* Dabei hat China Miéville selbst sein durchschlagendes Werk sehr klug und Genre-Mauern niederreißend als SF im Fantasy-Gewand definiert.

6 Kommentare:

molosovsky hat gesagt…

Sehr feines öffentliches leut vor sich hin Denken.

Kleine Korrektur: »Perdido Street Station« ist (wie ich finde: leider) bei Bastei Taschenbuch erschienen.

Andrea hat gesagt…

Wieso hat die Bezeichnung "Boom" im Kino eine Berechtigung aber auf dem Buchmarkt nicht?

Zumal der Fantasy-Boom eben nicht allein der Erfolg von ein paar richtig großen Bestsellern. Daran kann man ihn nur am besten deutlich machen. Weshalb ich diesen Weg für den Essay gewählt habe. Weil es eben ein Essay ist und keine 200 Seiten umfassande Doktorarbeit.

Neben den großen Bestsellern gibt es die von mir auch erwähnten Romane, die es zwar auf die Bestsellerliste geschafft haben, aber nicht in die Top Ten (oder einfach nicht die große Medienpräsenz hatten wie eben Harry Potter o.ä.). Dazu gehören viele der Völkerromane. Und Trudi Canavan, Naomi Novik, Patrick Rothfuss, weitere Heitz-Romane, viel Romantic Fantasy ...

Als Zeichen eines Fantasy-Booms würde ich es übrigens auch bezeichnen, dass es so viele fantasybezügliche Verlagsneugründungen gab. Bzw. Verlage, die vorher keines hatten, sich ein Fantasy-Programm zugelegt haben. Piper hat das Programm von Heyne aufgekauft, LYX wurde gegründet, Penhaligon wurde gegründet, PAN wurde gegründet. Selbst Fischer bringt plötzlich Fantasy raus.
Das alles hätten die Verlage nicht getan, hätte es nicht jenseits der großen Bestseller plötzlich so etwas wie eine Nachfrage gegeben.

Natürlich gehen deswegen Leute, die Twilight gelesen haben, nicht hin und lesen als nächstes Tolkien. Aber sie werden möglicherweise "Gezeichnet" lesen. Oder "City of Bones". Oder irgendwas von Lara Adrian, falls sie keine Teenager, sondern schon ein bisschen älter sind. (Es gibt erschreckend viele Frauen Mitte Dreißig, die für Twilight schwärmen.) Das ist Romantic Fantasy und/oder Urban Fantasy und damit ein Subgenre der Fantasy und damit wiederum zu dem Genre dazuzählbar. Dass nicht jeder Fantasy-Fan jedes Subgenre liest, ist für die Argumentation in dem Zusammenhang schlicht nicht relevant.
Dass der Boom sich im Moment allerdings auf ein bestimmtes Subgenre verschiebt, habe ich übrigens auch geschrieben.

Zuletzt zum Thema Akzeptanz: Habe ich gesagt, dass die Akzeptanz von 0 auf plötzlich unglaublich viel gestiegen ist? Nein. Was du zu Ende, HdR usw. schreibst, ist eine Ergänzung zu dem, was ich geschrieben habe. Es ist nichts, das meine Argumentation zunichte macht. Was ich lediglich sage, ist, dass die Akzeptanz den Genres gestiegen ist, wenn man die Situation vor dem Boom mit der nach dem Boom vergleicht. Und es ist doch sehr wahrscheinlich, dass die plötzlich sehr große Präsenz von Fantasy im Blickpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit (in Form von Berichten über die großen Bestseller.), so wie die Tatsache, dass vor allem mit Harry Potter Leute Fantasy gelesen haben, die das sonst nie getan hätten, dazu beigetragen hat.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

@molo: Autsch, klar, wird gleich korrigiert. Bastei war's natürlich und nicht Heyne. Finde ich auch ziemlich leider. Wobei sie im Falle von Perdido Street Station zumindest noch den Anstand hatten, bei den gesplitteten Bänden auf dem Cover zu vermerken, dass es sich um zwei Teile eines einzigen Romans handelt. Bei The Scar hat es dazu dann verlagstypisch ja nicht mehr gereicht...

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

@Andrea: Danke für die ausführliche Antwort. Finde die Diskussion sehr spannend und möchte betonen, dass es mir nicht darum ging, deinen Artikel zu zerreißen oder deine Argumentation zunichte zu machen.

Mir kommt es vor allem darauf an zu betonen, dass die Fantasy sich enorm ausdifferenziert hat (wie du ja auch schreibst) und deshalb (da sind wir wohl anderer Meinung) nicht mehr unbdingt von einem zusammenhängenden Fantasy-Publikum und daher auch nicht von einem generellen Fantasy-Boom gesprochen werden kann.

Ich finde eher, es lassen sich bestimmte Booms beobachten: eine (abgeflaute) Welle von High-Fantasy-Verfilmungen, die Völkerromane, das ganze Vampirzeug... Das führt dazu, dass bestimmte Subgenres der Fantasy im Mainstream ankommen, kann sicher auch dazu beitragen, Leser_innen für anspruchsvolle Fantasy zu gewinnen, führt aber auch dazu, dass sehr gute Autor_innen, die nicht in die entsprechenden Trends passen, marketingtechnisch ein Nischendasein auf dem deutschsprachigen Buchmarkt führen.

Sicherlich tragen dieses einzelnen Booms (wobei ich oft dazu neige, eher despektierlich von Hypes zu sprechen) auch zur öffentlichen Akzeptanz von Fantasy insgesamt bei — was allerdings nicht gleichzeitig eine inhaltliche Verbesserung der Fantasy bedeutet.

Keine Ahnung, ob das nachvollziehbar ist? Ich muss irgendwie immer wieder zu Vergleichen Zuflucht nehmen, wie dem Krimi-Beispiel im Eintrag oben. Anderer Vergleich, der mir gerade kommt: Die Teenie-Slasher-Welle Ende der 90er (Scream, Final Destination, Düstere Legenden) und die darauffolgende Welle von Filmen wie Die Mumie, Van Helsing oder Underworld würde wohl niemanden zu der Ansicht gelangen lassen, dass es sich dabei um einen Jahre andauernden Horror-Boom handele. Je weiter sich ein Genre entwickelt, desto stärker treten halt die darin angelegten Unterschiede hervor, und desto stärker differenzieren sich auch die Zielgruppen (bei Büchern naturgemäß noch viel stärker als bei Filmen) aus.

Was die Entwicklung der letzten Jahre für den Akzeptanzgewinn der Fantasy angeht, so neige ich halt dazu, sie als einen weiteren Schritt in einem längeren Prozess zu sehen. Es hat schon immer bestimmte Phänomene gegeben, die der Fantasy (bzw. Teilen von ihr!) neue Leser_innen zugeführt haben. Sollte man da Rowling und Meyer wirklich als langfristig bedeutender einstufen als z.B. das Erscheinen des LotR auf dem US-Taschenbuchmarkt oder den Erfolg von The Mists of Avalon? Wird wohl die Zukunft zeigen, aber einstweilen betone ich halt lieber, dass es vor den jetzigen Entwicklungen schon eine lange Geschichte der Fantasy gab.

Andrea hat gesagt…

Die Ausdifferenzierten Booms kann man wohl so sehen.

Zur inhaltlichen Verbesserung: Ich denke, je mehr Romane eines Genres erscheinen, desto mehr gute sind darunter. Meistens nicht unter den Bestsellern, aber je mehr Bestseller es in einem Genre gibt, desto mehr Geld haben die Verlage zur Verfügung, um auch mal Experimente zu wagen.

Natürlich ist die Akzeptanz der Fantasy auch eine längere Entwicklung. Es gab auch schon mal etwas, das als Boom wahrgenommen wurde: http://andreabottlinger.wordpress.com/2010/03/08/und-noch-ein-fantasy-boom/
Ich würde aber auf jeden Fall sagen, dass das nicht kontinuierlich, sondern in Schüben passiert ist. Und der jetzige Boom war ein recht großer Schub. Womit wir wieder bei dem sind, was ich gesagt habe.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Dass mehr gute Romane erscheinen können, wenn bei den Verlagen die Kassen klingeln, stimmt natürlich. Dennoch haben Veröffentlichungen, die abseits der Trends liegen, leider häufig ein Marketingproblem. Über die mangelnde Aufmerksamkeit, die z.B. ein Moorcock heute in Deutschland erfährt, habe ich mich ja gerade erst beklagt.

Die Entwicklung, als deren Kulminationspunkt man die Ende-Verfilmung sehen kann, könnte natürlich auch (nicht unbedingt sinnvoll, wie ich meine) als Jahre andauernder Fantasy-Boom bezeichnet bewerden, der mit Lin Carters Adult-Fantasy-Reihe und dem US-Erfolg des LotR begann, die großen Tolkien-Imitationen (Sword of Shannara) und Versuche, nicht-tolkienische epische Fantasy zu schreiben (Donaldsons Chronicles of Thomas Covenant, Kings Dark Tower) hervorbrachte, dann nach Deutschland herüberschwappte und schließlich in den Erfolg von Endes Unendlicher Geschichte und Zimmer Bradleys Nebel von Avalon und eine Reihe von Fantasy-Verfilmungen mündete.

Wolfang Petersens Film wurde damals geradezu als Verrat angesehen, als heimtückische Kommerzialisierung einer Literaturbewegung, die angetreten war, die Phantasie an die Macht zu bringen. Ich kann mich noch gut an wohlmeinende Erwachsene erinnern, die in finstersten Tönen vor diesem Film warnten (und das war Jahre nach dem Kinostart!). Übrigens gab es damals auch Klagen darüber, dass Endes Roman eine Epigonenflut ausgelöst hätte.

Etwa gleichzeitig gab es ja auch den Film mit Conan dem Steyermärker (der später König von Aquilonien... äh, Kalifornien wurde) in der Hauptrolle, und ein paar Jahre später mit Willow George Lucas' nicht ganz gelungenen Versuch, auf den Fantasy-Zug aufzuspringen.

Als Boom wahrgenommen wurde auch The Mists of Avalon, z.B. hier in einem genre-historisch bedeutendem Zeitzeuginnenbericht, hehe. Die deutsche Ausgabe von Fischer brachte sogar meine Mutter, die eskapistische Schundliteratur sonst nur mit spitzesten Fingern anfasst, zum Kauf einer ganzen Reihe von MZB-Büchern.

Booms allerorten, wie es aussieht. Aber gerade diese Omnipräsenz der Booms und Hypes bringt mich dazu, gewisse Kontinuitäten hervorzuheben, insbesondere diejenigen Leser_innen und Verlagsmenschen, die teils über Jahre hinweg hierzulande relativ unauffällige Autor_innen wie Guy Gavriel Kay, Kim Newman, N.K. Jemisin, Steven Erikson, Ricardo Pinto oder Stephen R. Donaldson zu pushen versuchen. Ansonsten plädiere ich halt für eine gewisse Trennschärfe bei der Betrachtung des Erfolgs bestimmter Bücher und Subgenres.

Neu an der derzeitigen Situation ist — da würde ich zustimmen — die Massivität und zeitliche Dichte, mit der das alles kommt. Kaum ist die Aufregung über Harry Potter vorbei, kommen die Vampirschlampen ins Gerede, und kaum wurden massenhaft osteuropäische Romane übersetzt, diskutiert man darüber, dass dystopische Jugendbücher der neueste Trend seien.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.