Deutscher Titel: Ein Toter hing am Glockenseil · Regie: Camillo Mastrocinque · Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Tonino Valerii · Musik: Carlo Savina · Kamera: Julio Ortas · Schnitt: Roberto Cinquini · Produktion: MEC.
Auf dem Hause Karnstein scheint ein Fluch zu lasten. Immer wieder kommen Familienangehörige auf mysteriöse Weise ums Leben. Schlimmer noch: Jeden dieser Tode erlebt die junge Laura Karnstein (Adriana Ambesi) im Traum mit. Auch sonst liegt bei der adeligen Sippe einiges im Argen. Lauras Vater, Graf Ludwig Karnstein (Christopher Lee), hat eine Affäre mit dem Dienstmädchen Annette (Véra Valmont). Die Beziehung der beiden ist deutlich von Inzestphantasien geprägt – Annette wünscht sich, Graf Ludwigs Tochter zu sein. Und dann ist da noch die Haushälterin Rowena (Nela Conjiu), die in der Gruft unter dem Familienschloss satanistische Rituale zelebriert.
Graf Ludwig lädt den jungen Historiker Friedrich Klauss (José Campos) aufs Schloss ein. Denn einen Fluch gibt es in der Geschichte der Familie tatsächlich: Vor Jahrhunderten wurde eine Karnstein von ihren eigenen Angehörigen als Hexe hingerichtet. Kurz vor ihrem Tod am Kreuz (!) kündigte sie an, sie werde sich an allen Nachfahren ihres Hauses grausam rächen. Ludwig befürchtet, Laura könne vom Geist der toten Ahnin besessen sein. Friedrich soll nun das Familienarchiv durchforsten, um herauszufinden, ob man etwas dagegen tun kann. Er macht sich sofort an die Arbeit, findet zwischendurch aber auch immer wieder Zeit, Laura anzuschmachten.
Mitten in diese Szenerie, die an sich ja schon seltsam genug ist, platzt Ljuba (Ursula Davis) hinein, ein Mädchen in Lauras Alter. Ihre Mutter (Carla Calò) muss angeblich in einer dringenden Angelegenheit verreisen und bittet Graf Ludwig, ihre Tochter unterdessen bei sich aufzunehmen. Denn Ljuba sei von zarter Gesundheit. Und Laura glaubt, in Ljuba eine Seelenverwandte gefunden zu haben ...
Laut den Autoren Ernesto Gastaldi und Tonino Valerii (der später bei einigen bedeutenden
Spaghetti-Western Regie führte) wurde das Drehbuch für
La cripta in nur ein bis drei Tagen fertiggestellt. Das lag daran, dass die beiden dem Studio weisgemacht hatten, sie hätten bereits ein fertiges Script vorliegen. So wollten sie möglichst schnell grünes Licht für den Film erhalten.
Ich frage mich nur, was genau die beiden da gepitcht haben? »Wir verfilmen ›Carmilla‹, aber so, dass es wie La maschera del demonio aussieht« vielleicht? Denn dass die Idee mit der als Hexe verurteilten Vorfahrin, die ihre Familie heimsucht, direkt aus Mario Bavas Genre-Klassiker übernommen wurde, springt förmlich ins Auge.
Dem offensichtlichen Plagiat zum Trotz vermag La cripta es auf überraschende Weise, immer interessant zu bleiben. Gastaldi und Valerii müssen das Drehbuch in einer Art écriture automatique verfasst haben, denn der Film steckt voller ausgesprochen bizarrer Elemente. Am meisten fasziniert hat mich Rowena, die satanistische Mamsell.
Gewöhnlich steht Satanismus im Horrorfilm entweder für das Fortleben der archaischen, heidnischen Vergangenheit (etwa in J. Lee Thompsons Eye of the Devil), für aristokratische Dekadenz (wie bei Roger Cormans Fürst Prospero) oder für das schlechthin Böse (wie in zahlreichen Filmen der siebziger Jahre). Hier aber, in La cripta, wird die Satansjüngerin als Sympathieträgerin dargestellt – und zwar ohne jede Komik. Sie feiert ihre Riten, bei denen sie u.a. Leichenteile verwendet, wie ähnlich gezeichnete Figuren in anderen Filmen ganz harmlos aus Kristallkugeln lesen mögen.
Damit geht einher, dass der Plot nicht sonderlich kohärent ist. Wer da welche Motivation zum Handeln hat, bleibt häufig im Dunkeln. Ich frage mich zum Beispiel, warum Graf Ludwig die Vorstellung, seine Tochter könne besessen sein, solche Sorgen bereitet. Der ganze Film zeigt die Karnsteins und ihren Haushalt als völlig (und nicht unsympathisch) durchgedreht. Ob die Tochter des Hauses besessen ist oder nicht, sollte dann doch eigentlich auch nicht mehr sonderlich ins Gewicht fallen.
Andere merkwürdige Details mögen Budget-Erwägungen geschuldet sein. Warum wird die Karnstein-Hexe gekreuzigt, und nicht etwa verbrannt oder ertränkt? Sicher deshalb, weil es einfacher (also kostengünstiger) darzustellen war. Aber es scheint dem Filmteam gar nicht aufgefallen zu sein, dass damit ein unterhaltsamer Hauch von Blasphemie in die Handlung Einzug hält.
Für die Regie war eigentlich Genre-Spezialist Antonio Margheriti vorgesehen, der aber mit anderen Projekten beschäftigt war. So kam es, dass der Komödienregisseur Camillo Mastrocinque einen Horrorfilm drehte. Ungewöhnlich ist auch, dass Christopher Lee hier in einem Vampirfilm auftritt, ohne den Vampir zu spielen. Zudem wird Lee keineswegs als Star des Films herausgestellt. Stand er vielleicht nur für wenige Drehtage zur Verfügung?
Die zeitgenössische Kritik reagierte stark ablehnend auf La cripta e l’incubo. Nicht zu unrecht – denn ja, der Film ist ein Plagiat, und ja, er ist verworren erzählt. Ich finde aber, dass man ihn heute, fast 60 Jahre nach dem italienischen Gothic-Horror-Boom, aus einem Blickwinkel ansehen kann, der seine (gelinde gesagt) ungewöhnlichen Elemente würdigt.