Montag, 7. September 2020

Die Frau in der Kutsche

Die vorliegende Geschichte wurde in den Ausführlichen Aufzeichnungen der Taiping-Ära überliefert, die während der Song-Dynastie angefertigt wurden. Und ausführlich waren sie in der Tat, denn sie enthielten in 500 Bänden über 7.000 Geschichten. Viele davon stammten nicht aus der Song-Dynastie, sondern waren erheblich älter. So ist auch diese Geschichte in der Tang-Dynastie entstanden.

Wie gewohnt führt der Link direkt zur Geschichte, während unten ein paar Bemerkungen von mir folgen. Besser zuerst die Geschichte lesen, um sich nicht spoilern zu lassen!

»Die Frau in der Kutsche« aus der Sammlung Taiping Guangji.

Glossar:
  • Herrschaftsära: Chinesische Kaiser teilten die Jahre ihrer Herrschaft in verschiedene Perioden auf, die jeweils unter einem Regierungsmotto standen. Die Ära Kaiyuan des Kaisers Xuanzong dauerte von 713 bis 741.
  • Zhang: Längeneinheit, entspricht ca. 3,3 m.
  • Li: Längeneinheit, entspricht ca. 330 m.

Neben Held*innen wie Wei Zidong, die ganz vorbildlich auf Monsterjagd gehen und das Elixier der Unsterblichkeit vor bösen Geistern schützen, gibt es in der Jianghu selbstverständlich auch Leute, die dem Diebeshandwerk nachgehen – und zwar nicht nur zum Vergnügen, wie es die Protagonistin von »General Pan« tut. Diese Geschichte handelt von einer Bande, die auf höchst ausgeklügelte Weise einen Heist im Kaiserpalast ausführt.

Dazu kommt ihr der Naivling aus der Provinz, der über rudimentäre Qinggong-Fähigkeiten verfügt, wie gerufen. Dieser merkt nicht, dass er die Behörden auf eine falsche – seine – Fährte locken soll, bis es zu spät ist. Wie auch, wo die Diebe doch so überaus ordentlich, anständig und wohlerzogen sind, dass einer, der sein Leben lang nur die konfuzianischen Klassiker studiert hat, zutiefst beeindruckt sein muss. Immerhin ist die Chefin der Bande, die mysteriöse Frau aus der Kutsche, nicht ganz undankbar, wie sich am Ende zeigt.

Stichwort Qinggong. Auch an dieser Geschichte zeigt sich, wie wichtig die sagenumwobene Fähigkeit, sich mittels Qi schwebend leicht zu machen, von Anfang an für das Genre war. Heute begegnet man nicht selten dem herablassenden (und wirklich dämlichen) Ausdruck »Wire Fu« dafür – oft aus dem Mund von Leuten, die auch nicht davor zurückschrecken, von »Asia-Filmen« zu reden. Damit soll suggeriert werden, dass die filmische Darstellung von Qinggong mit Hilfe von Drähten »kein richtiges Kung Fu« sei. Aber was soll »richtiges Kung Fu« denn sein? Geschichten wie die hier vorgestellte zeigen, dass schon seit über 1.000 Jahren von Menschen, die schweben können, erzählt wird. Schauspieler*innen im Film schweben zu lassen, ist lediglich eine konsequente künstlerische Weiterentwicklung dessen.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.