Ruskin schrieb dieses Märchen 1841 für die damals zwölfjährige Effie Gray, die Ruskin später heiratete. In Buchform veröffentlicht wurde es erst 1851. The King of the Golden River stellt mich an dieser Stelle vor ein Problem: Es wäre viel (sehr viel) darüber zu sagen, was hier nicht möglich ist, ohne den Rahmen zu sprengen. Ich beschränke ich deshalb, anders als in den vorhergehenden Einträgen, auf ein paar allgemeine Hinweise und gebe keinen Interpretationsversuch von Ruskins Text. Zu John Ruskins Leben und Werk, sozialgeschichtlich eingebettet, empfehle ich den zweiten Teil der auf Skalpell und Katzenklaue erschienenen Artikelreihe über den romantischen Antikapitalismus.
Mein Vorgehen rechtfertige ich zudem damit, dass The King of the Golden River eines der Werke ist, das man am besten zunächst einfach liest, wenn man es in die Geschichte des modernen Kunstmärchens und der Fantasy einordnen möchte. Die Bezüge springen ins Auge, deshalb gebe ich nur einige thesenhafte Hinweise:
- The King of the Golden River ist, viel mehr als die meisten anderen Kunstmärchen, vom Vorbild der Brüder Grimm geprägt. Es lässt sich als Versuch lesen, dem Ton des folk-haften, den die Grimmschen Märchen in die Literatur eingebracht haben, so nahe wie möglich zu kommen.
- Ruskin selbst verfasste später ein Vorwort zu einer englischen Ausgabe der Grimmschen Märchen, in dem er eine distanzierte Haltung zum Kunstmärchen einnimmt, das nie wirklich an das ›echte‹ Märchen herankommen könne. Indem er selbst zunächst ein Kunstmärchen verfasste, konterkarierte Ruskin also seine eigene Haltung.
- Mit vielen heutigen Märchenforscher_innen gehe ich davon aus, dass die strikte Unterscheidung zwischen Volks- und Kunstmärchen nicht aufrecht erhalten werden kann. Es gibt immer eine Überlieferung auf der einen Seite, den Beitrag kreativer Individuen (ob man sie namentlich kennt oder nicht) auf der anderen Seite.
- Ruskin war aber einer richtigen Sache auf der Spur. Kunstmärchen wirken schnell gekünstelt, wenn sie sich ignorant gegenüber der Folklore verhalten. Das Kunstmärchen wie die Fantasy leben davon, dass sie ihre Schlösser aus echten Steinen bauen, wie Daniel Kehlmann es einmal auf den Punkt brachte.
- Von besonderem Interesse für die nachfolgende Geschichte der Fantasy ist, dass in The King of the Golden River mit South West Wind, Esquire eine Gestalt auftaucht, die bereits (gerade in ihren Umgangsformen) an die exzentrischen Mentorenfiguren Tolkiens wie Gandalf und Bombadil erinnert – übernatürliche Helfer, die stets Rat wissen, aber auch ihre eigenen verborgenen Pläne wirken.
Hier findet man The King of the Golden River im Project Gutenberg. Nächstes Mal geht es weiter mit Frances Browne.
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