Montag, 9. Dezember 2013

Die Untoten

Die Untoten ist eine thematische Anthologie, die sich – anders als das Zombie-Beatles-Titelbild vermuten lässt – nicht nur der verwesenden, Gehirne fressenden Variante der Untoten widmet. Die Einleitung verspricht die ganze Bandbreite: »Geister, Gespenster, Ghule, Vampire und Zombies«. Die meisten der Geschichten erscheinen hier zum ersten Mal.

Die Ausnahme bildet »Stürmische Zeiten« von Bernhard Hennen, eine bereits in Wolfgang Hohlbeins Fantasy Selection 2001 gedruckte Story. Ähnlich wie Hennens Roman Nebenan handelt es sich um eine Art Campus-Fantasy. Hennen variiert das Motiv von der verführerischen Wiedergängerin, die in diesem Fall aber, wenn man es genau nimmt, gar keine Untote ist, sondern ein übernatürliches Wesen. Mein Fall ist »Stürmische Zeiten« nicht gerade, schon beim Erstabdruck nicht, und daran hat sich auch durch die erneute Lektüre nicht viel geändert. Schreiten wir also voran zu den Originalbeiträgen.

Thomas Plischkes »In Wort und Bild«, mehr eine Novelle als eine Kurzgeschichte, gefällt mir schon besser. Plischke greift moderne Mythen wie den von den geheimen Rückwärtsbotschaften auf Schallplatten auf und verbindet sie mit Spuk und Mord. Leider wirkt die Hauptfigur vom Typ »abgehalfterter Künstler, der traumatisches Erlebnis nicht verarbeiten kann« nicht sonderlich auf mich. Insgesamt bin ich mir nicht sicher, ob die für mich interessanten Aspekte in dieser Geschichte überwiegen oder nicht. Gern gelesen habe ich sie trotzdem.

»Stimmen, wehend leicht wie der Meereswind« von Christoph Marzi hält, was der Titel verspricht: Kitschmetaphern, die geballte Ladung. Da wird geschwiegen, »als sei es ein Schrei«. Die See ist das, »was sie immer war: tiefer, als man blicken kann«. Erinnerungen sind immer ein kostbarer Schatz, Tränen fließen immer heiß über das Gesicht, die Sonne taucht die Landschaft in warmes Gold und Hände sind wettergegerbt, aber zärtlich. Mit Marzis Schreibe werde ich wohl nie warm werden.

Oliver Dierssens »Akerbeltz« wirkt wie ein Seitenstück zu seinem Debütroman Fledermausland. Das ist schade, denn mit Fledermausland konnte ich (anders als mit Dierssens zweitem Roman, der YA-Fantasy Fausto) nicht viel anfangen. So sagt mir auch »Akerbeltz« nicht sonderlich zu. Wer allerdings Fledermausland mochte, wird diese Geschichte lieben.

»Ein kleiner Tod« von Victoria Schlederer fängt in medias res an und kommt deshalb so rüber, als müsse einem die Hauptfigur bekannt sein. Vielleicht aus Schlederers Debüt Des Teufels Maskerade? Das habe ich leider noch nicht gelesen, höchstens mal darin geblättert. Wie dem auch sei, »Ein kleiner Tod« funktioniert auch so. Und macht Lust, Des Teufels Maskerade endlich zu lesen.

Thilo Corzilius’ Geschichte »In der Wüste« spielt in Israel. Thematisch sicherlich der ungewöhnlichste Beitrag zu dieser Anthologie, denn es geht um ein aus dem Neuen Testament bekanntes Motiv – die Wüste als Ort der Versuchung. In diesem Fall besteht die Versuchung darin, sich der Einsamkeit in ihrer ultimativen Form, dem Tod, zu überlassen. Liest sich sehr interessant. Was aber gar nicht geht: In der Beschreibung von Figuren ausschließlich auf Stereotype zurückzugreifen. Es kommen fünf Personen vor. Eine davon mit Hakennase, eine mit Haut in der »Farbe der tiefsten, sternenlosesten Nacht« und »blitzendweißen Zähnen«, eine weitere »sichtlich mit etwas Latino-Blut in den Adern«, sowie ein »sehr groß gewachsener, schlaksiger Skandinavier«. (Die fünfte Person, der Ich-Erzähler, bleibt unmarkiert und ist daher wohl ebenfalls weiß und männlich.) Schade um eine Story, die sehr gut auch ohne solche Klischees hätte erzählt werden könnten.

»Im Gasthaus zum Schwarzen Eber« ist ein weiterer Beitrag von Thomas Plischke, der diesmal unter seinem Pseudonym Jonas Wolf auftritt. Und hier sind sie endlich, die untotesten aller Untoten: Zombies. Eine kleine Gruppe von Überlebenden hat sich in einem einsam gelegenen Gasthaus verschanzt, während von allen Seiten die lebenden Leichen heranschlurfen.* Wie die Romane Heldenwinter und Heldenzorn spielt die Geschichte in einer Sekundärwelt, der »Welt des Skaldat«. Ein interessanter Genre-Crossover, denn wie man weiß, ist das Gasthaus in der Fantasy typischerweise der Ort, an dem eine Heldengruppe sich zusammenfindet, um zur Weltrettungsqueste aufzubrechen. Nette Idee, das mal in sein Gegenteil zu verkehren, indem das Fantasy-Gasthaus mit dem stets bedrohten Zufluchtsort vor der ringsherum tobenden Zombie-Apokalypse verbunden wird. Einziger Kritikpunkt: Die Geschichte hätte ein sorgfältigeres Korrektorat vertragen können.

Ich bin selten ganz zufrieden mit Anthologien, weshalb ich diese hier, in der zwei Beiträge mir gut gefallen, zwei ein interessantes, aber ambivalentes Leseerlebnis darstellen und drei nicht bei mir ankommen, als eine überwiegend gelungene Zusammenstellung empfinde. Bemerkenswert ist außerdem das schön skurrile Titelbild von Jan Warncke.

Die von Ole Johan Christiansen und Oliver Dierssen herausgegebene Anthologie Die Untoten ist 2011 bei Nerdpol als Kindle-E-Book erschienen.

* Ich habe natürlich keinen Moment lang daran gezweifelt, dass sie irgendwann auftauchen würden. Wenn es einen Zombie-Connaisseur unter den deutschen Fantasy-Autor_innen gibt, dann Plischke.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.