Zunächst einige Worte der Erklärung für diejenigen, die von Der stählerne Traum noch nichts gehört haben. Der Roman ist von einem Alternativweltszenario gerahmt, in dem Adolf Hitler nur kurze Zeit im rechtsradikalen Milieu Münchens verbringt und 1919 nach New York auswandert. Dort beginnt er als Illustrator für SF-Magazine zu arbeiten, bevor er schließlich selbst zu einem beliebten SF- und Fantasy-Autor wird. Hitler engagiert sich im Fandom, bis er 1953 stirbt. Kurz vor seinem Tod vollendet er den Roman »Herr des Hakenkreuzes«, für den er 1954 posthum den Hugo Award erhält. Die Folge von Hitlers Karriere im US-Fandom ist anscheinend, dass der Zweite Weltkrieg nicht stattfindet – im fiktionalen Autorenporträt ist nur vom Großen Krieg die Rede, wie der Erste Weltkrieg vor 1939 genannt wurde. Weitere Angaben über die Welt des SF-Autors Hitler finden sich im »Nachwort zur zweiten Auflage«. Darin heißt es, dass die NSDAP sich 1923 auflöst und 1930 in Deutschland ein kommunistischer Staatsstreich stattfindet. Nach und nach scheint die Sowjetunion ihren Einfluss über ganz Europa auszudehnen, eine Entwicklung, die in einer »Einvernahme Englands im Jahre 1948« (sic!) kulminiert. In der Sowjetunion, so heißt es weiter, führte »der Antisemitismus in der vergangenen Dekade [den 1940ern] zu derart wilden Ausbrüchen«, dass ihm fünf Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer fallen. Was das heißen soll, ist klar: Der Holocaust wird in dieser Alternativwelt nicht von Deutschland, sondern von der Sowjetunion durchgeführt.
Zwischen den Angaben »Über den Autor« und dem »Nachwort zur zweiten Auflage« bildet der Text von »Herr des Hakenkreuzes« als Roman im Roman den Hauptteil von Der stählerne Traum. Die Story ist schnell wiedergegeben: In einer postapokalyptischen Welt, in der neben »Reinblütigen« verschiedene Mutant_innen leben, wird Feric Jaggar zum Auserwählten, indem er im Zweikampf den »Stahlkommandeur«, eine phallisch anmutende Knüppelwaffe, erringt. Er stellt sich an die Spitze der »Reinblütigen« und führt sie in den Kampf gegen Zind, ein im Osten gelegenes Reich des Bösen. In Zind herrschen die Dominatoren – sich unerkannt unter den Menschen bewegende Wesen, die andere per Gedankenkontrolle beherrschen können.
In satirischer Absicht entwirft Spinrad also eine Fantasy, wie sie im Sinne der NS-Ideologie hätte geschrieben werden können: Die »Reinblütigen« entsprechen der »nordischen Rasse«, die Mutant_innen den »Untermenschen«, Zind der Sowjetunion und die Dominatoren den Juden. Überdies finden sich in der Erzählung leicht zu erkennende fiktive Entsprechungen nicht nur für Hitler (alias Feric Jaggar) selbst, sondern auch für andere Nazi-Bonzen wie Röhm, Goebbels, Göring und Himmler. Sogar die in der NS-Propaganda als »Kampfzeit« verherrlichten Straßenschlachten zwischen Braunhemden und Linken kommen vor, in Form blutrünstiger Metzeleien, die Jaggars Gefolgsleute an den Mutant_innen begehen.
Als Satire auf den Faschismus ist »Herr des Hakenkreuzes« durchaus gelungen. Spinrad gibt vor allem Führerkult, militaristische Männerbündelei und schwülstiges Uniform- und Fahnengepränge der Lächerlichkeit preis. Im »Nachwort« heißt es:
Es ist nicht daran zu zweifeln, daß ein großer Teil der Anziehungskraft, die Herr des Hakenkreuzes auf Ungebildete ausübt, von dem krassen phallischen Symbolismus herrührt, der das Buch nahezu beherrscht. In einem Sinne kann der ganze Roman als ein Stück sublimierter Pornographie gelesen werden, eine phallische Orgie vom Anfang bis zum Ende, in der die Sexualität in Gestalt grandioser fetischistischer Militärschauspiele und orgiastischer Ausbrüche unwirklicher Gewalt symbolisiert wird.Es ist verlockend, im fiktiven Verfasser des »Nachworts«, Homer Wipple, die Stimme des realen Autors zu sehen. Wipple wird als Literaturwissenschaftler an der Universität New York vorgestellt, der sich psychoanalytischer Kategorien bedient, um »Herr des Hakenkreuzes« zu interpretieren. Doch führt die Identifikation Wipples mit dem Autor auf eine falsche Spur. Das »Nachwort zur zweiten Auflage« ist Teil der Fiktion, also auch Teil der Satire, die sich allerdings hier nicht mehr über den Faschismus lustig macht, sondern über die Zeit des Kalten Kriegs. Denn Wipple, so scharfsinnig seine Interpretation von »Herr des Hakenkreuzes« auch sein mag, ist ein vernagelter Antikommunist. Den auch in der Alternativwelt vorhandenen Judenhass Hitlers und der NSDAP tut er als durch »dürftige Hinweise« nur unzureichend bewiesen ab, und er belächelt die Vorstellung, eine Bewegung wie die Feric Jaggars könne auch außerhalb von schlecht geschriebenen Büchern Erfolg haben. Dagegen lobt er Hitlers »frühe, leidenschaftliche und auch später andauernde Ergebenheit in die Sache des Antikommunismus« und äußert Verständnis für den Wunsch nach einem »Führer«:
Ein solcher Mensch könnte einer Nation die eiserne Führerschaft und ein Gefühl von Gewißheit in tödlichen Krisenzeiten [d.h. die Bedrohung durch die Sowjetunion] geben, aber um welchen Preis? Geführt von einem Feric Jaggar, möchten wir die Welt gewinnen, aber unsere Seelen verlieren.Das sind schwerlich Ansichten, die Spinrad selbst vertreten würde. Das Problem ist allerdings: Der alternative Geschichtsverlauf, den Spinrad entwirft, gibt Wipple recht. In der wirklichen Geschichte inszenierten die Nazis sich als antikommunistisches Bollwerk, ohne dessen Wehrkraft Europa unweigerlich vom Bolschewismus überrannt würde. In Spinrads Alternativgeschichte gelangen die Nazis nicht an die Macht, und prompt fällt Europa der Sowjetunion in die Hände. In der wirklichen Geschichte war die Rechtfertigung für den Krieg der Alliierten gegen Deutschland, dass nur so den Massenmorden der Nazis ein Ende gesetzt werden konnte. In Spinrads Alternativgeschichte bleibt der Holocaust mangels Nazis nicht etwa aus, sondern wird von der Sowjetunion durchgeführt. Wenn Homer Wipple die Parodie eines typischen Kommunistenfressers der der fünfziger Jahre sein soll (und alles spricht dafür, dass er das sein soll), dann ist sie nicht gelungen, denn Wipple lebt in einer Welt, in der alles eingetreten ist, was die Antikommunist_innen der wirklichen Welt nur als Menetekel an die Wand gemalt haben. Die Satire in Der stählerne Traum funktioniert also nur begrenzt.
Doch hat Spinrads Roman noch eine zweite Stoßrichtung, die in der Regel als die wichtigere angesehen wird: Kritik an den martialischen, heldentümelnden Inhalten der trivialeren Formen von Fantasy und Science Fiction – Sword & Sorcery, Sword & Planet, Planetary Romances, Science Fantasy und wie die oftmals ineinander übergehenden Subgenres alle heißen. Früher hätte man in diesem Zusammenhang auch die Space Opera nennen müssen, doch die gilt (spätestens seit Iain Banks) ja wieder als respektabel. »Herr des Hakenkreuzes ist zumindest schematisch ein typischer Schundroman der Schwert-und-Zauberei-Machart«, heißt es im Buch selbst. Ich spreche daher von jetzt an von Sword & Sorcery und meine damit pars pro toto sämtliche »heroischen« Genres der Pulp-Phantastik.
Niemand wird leugnen, dass die Fantasy der Pulp-Magazine geradezu überquillt vor Rassismus, Sexismus und Gewaltverherrlichung. Spinrads Kritik geht jedoch noch weiter: Er behauptet, typische Inhalte und Handlungsmuster der Sword & Sorcery wiesen Analogien zu faschistischen Machtergreifungsphantasien auf. »Herr des Hakenkreuzes« ist eine in einer Sekundärwelt spielende Nacherzählung von Hitlers Aufstieg zur Macht, und gleichzeitig soll der Text in seinem Handlungsschema der typischen Sword & Sorcery entsprechen.
Um die Frage beantworten zu können, ob dies zutrifft, lohnt es sich zunächst eine historische Perspektive einzunehmen: Was hielten die Nazis denn eigentlich von der Pulp-Literatur? Deren Hochzeit in den zwanziger und dreißiger Jahren fiel immerhin mit dem Aufstieg des Faschismus in Europa zusammen. In der Kulturpolitik der Nazis herrschte bekanntlich eine scharfe Rivalität zwischen dem Propagandaminister Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg, der nicht nur Minister für die besetzten Ostgebiete war, sondern auch den monströsen Titel eines »Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP« trug. Goebbels vertrat eine Linie, derzufolge auch anspruchslose Unterhaltung zu dulden war, sofern sie indirekt zur reibungslosen Fortführung des Vernichtungskrieges beitrug. Das erklärt den (relativ propagandafreien) Filmkitsch, der unter seiner Ägide während des Krieges produziert wurde. So konnten sich die deutschen Landser bei Kino-Melodramen entspannen, um anderntags wieder effizient an der Vernichtungsmaschinerie mitzuarbeiten. Rosenberg vertrat dagegen eine kompromisslose Position. In seinen Augen war seichte Unterhaltung mit allen Mitteln zu bekämpfen, und Kulturprodukte sollten die alleinige Funktion haben, die Deutschen zu überzeugten Nationalsozialist_innen zu erziehen.
Zwischen diesen beiden Positionen bewegte sich die Kulturpolitik der Nazis. Im Sinne von Rosenbergs Linie gab es eine andauernde Polemik gegen beliebte Genres der Unterhaltungsliteratur. Liebesromane etwa, in denen es um privates Glück und individuellen sozialen Aufstieg ging (z.B. indem die Protagonistin sich einen charmanten und gutverdienenden Arzt angelte), wurden scharf missbilligt. Nationalsozialistische Literatur sollte andere Botschaften vermitteln. Welche, das formulierte 1939 das Großdeutsche Leihbüchereiblatt: »[D]ie Glückseligkeit des einzelnen hat vor der Allgewalt der Tat keinen Raum. Die Sache fordert, daß man ihr dient. Ohne die Aufopferung des privaten Ichs ist für die Menschen nichts gewonnen.« Doch setzte Rosenberg sich nie restlos durch. Die Konsequenz war, dass nicht die Unterhaltungsliteratur als solche bekämpft wurde, sondern nur solche, die sich nicht propagandistisch verwerten ließ. Die Helden von Heftromanen sollten z.B. keine einzelgängerischen, kosmopolitischen Abenteurer mehr sein, sondern sich als Jagdflieger der Wehrmacht anschließen oder deutsche Kolonien gründen. Während deutsche Unterhaltungskultur also letztlich geduldet und, so lange sie die gewünschen Inhalte transportierte, auch gefördert wurde, entwickelte sich die US-amerikanische Pulp-Literatur zum Feindbild im Propagandakrieg. Der Name Pulp, »zu Deutsch Brei«, sei »absolut zutreffend, weil man solchen Schundbrei wirklich nur naiven Kindern einstopfen kann«, urteilte das Großdeutsche Leihbüchereiblatt. Typischen Pulp-Helden wie kaltschnäuzigen Großstadtdetektiven, umherstreifenden Söldnern und einsamen Cowboys wurde angekreidet, dass sie »fast immer privat« handeln, wogegen der »wahre Held [...] stets im Dienste eines großen Gedankens, einer Gemeinschaft, einer völkischen Aufgabe« zu stehen habe, so die Jugendschriften-Warte 1939.*
In der Tat ist es typisch für den Pulp-Helden, dass er im Dienst von nichts und niemandem steht. Conan, um das neben Tarzan bekannteste Beispiel herauszugreifen, sucht die meiste Zeit seinen eigenen Vorteil. Wenn er sich hin und wieder zum Oberhaupt einer Gruppe von Menschen aufschwingt, tut er dies nicht, um sich in den Dienst »eines großen Gedankens, einer Gemeinschaft« zu stellen, sondern um seinem Eigeninteresse umso besser nachgehen zu können. Und was macht Conan, als er die Krone von Aquilonien erlangt? Er gründet nicht etwa eine nach dem faschistischen Führerprinzip organisierte Massenbewegung, sondern er senkt erst mal wie ein guter amerikanischer Libertärer die Steuern. Außerdem, so verrät es Robert E. Howards erste Conan-Geschichte »The Phoenix on the Sword«, verhält er sich nicht artgemäß, indem er lacht, säuft und Lieder singt, während der typische Cimmerier ernst, grimmig und abstinent ist. Es ist diese Mentalität des sich auf eigene Faust Durchschlagens und des Suchens nach dem eigenen Vergnügen, das sämtliche Versuche, Pulp-Geschichten wie die um Conan als faschistisch zu brandmarken, letztlich ins Leere laufen lässt. Zu kritisieren gibt es – wie bereits gesagt – an der Sword & Sorcery einiges, aber gegenüber der Forderung der Nazis nach wahren Helden im Dienste der »völkischen Aufgabe« erweisen sich schwertschwingende Pulp-Protagonisten à la Conan gerade aufgrund ihres oft gewalttätig durchgesetzten Individualismus als eigentümlich resistent.
Damit sollte auch deutlich geworden sein, dass Spinrads »Herr des Hakenkreuzes« gerade kein typischer Held nach dem Muster der Sword & Sorcery ist. Feric Jaggar ist kein wandernder Barbar, der sich von einem Abenteuer ins nächste kämpft, säuft und vögelt. Er ist ein Auserwählter, der dazu bestimmt ist, die Welt zu retten, indem er ein feindliches Imperium in die Knie zwingt, und zu diesem Zweck eine Gruppe von Getreuen um sich sammelt. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Handlung von »Herr des Hakenkreuzes« entspricht viel mehr dem Schema der epischen Fantasy als dem der Sword & Sorcery. In der epischen Fantasy gibt es jede Menge Schicksal, Pflichterfüllung, Bevorzugung qua Abstammung, elitären Heroismus, Gemeinschaftsgefühl und der Vernichtung preiszugebende feindliche Völker. Wer also faschistoide Tendenzen kritisieren will, dürfte in der epischen Fantasy vermutlich eher fündig werden als in der Sword & Sorcery.
So ist es kaum als Zufall zu betrachten, dass Spinrad, als er in satirischer Absicht den Plan verfolgte, eine faschistische Fantasy zu schreiben und scheinbar dem Schema der Sword & Sorcery folgte, quasi aus Versehen den typischen Mustern der epischen Fantasy entsprach. Will man die kritische Intention von Spinrads Buch aufnehmen, dann wird es vielleicht vor allem darauf ankommen, präziser zu bestimmen, auf welche Art von Fantasy und SF seine Kritik zutrifft.
* Die Informationen über NS-Literaturpolitik und die Zitate habe ich Konrad Adams Buch Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich (Köln 2010) entnommen.