Mittwoch, 13. März 2013

Wir sind Kino

Raskolnik hat auf seinem Blog Skalpell & Katzenklaue einen Beitrag über »Teaser, Leaks und Langeweile« geschrieben – und sogleich harte Worte für sein eigenes Vorgehen gefunden: »Ich weiß, meine Reaktion ist unfair und irrational. Vielleicht auch ein bisschen versnobt. Aber ich kann nun mal nicht aus meiner Haut.« Ich dagegen finde Raskolniks Post gar nicht so irrational. Das Phänomen des viralen Marketings von Blockbustern ist nämlich auch in meinen Augen eine eigenartige, irritierende Sache. Meiner Vermutung nach kommt die Irritation daher, dass virales Marketing à la Hollywood eine nahezu perfekt funktionierende Ideologie ist.

Die meisten Ideologien sind so scheiße, dass die Menschen, würden sie sich diesen Ideologien wirklich unterwerfen, wahre Monster sein müssten. Alltagserfahrungen zeigen in der Regel aber eher, dass die meisten Menschen zwar kein besonders großes Interesse dafür aufbringen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, dies aber weniger mit der ideologischen Überzeugung, in der besten aller Gesellschaften zu leben, zusammenhängt, sondern eher damit, dass Menschen in westlichen Industriegesellschaften ausgelastet (bzw. überlastet) sind durch Stress in Haushalt oder Beruf, Angst vor dem Verlust von Privilegien und andere Dinge, die das Leben im Kapitalismus ungemütlich machen. Darüber hinaus vertreten sie meist ein ganzes Bündel von Überzeugungen, die zwar überwiegend ideologischer Natur sind, zugleich aber so widersprüchlich, dass sie eher mit einer gewissen lahmen Beiläufigkeit vertreten werden als mit Vehemenz und Überzeugung. Wenn ein Bundesminister sagt, dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden müsse, handelt es sich um eine ideologische Aussage par excellence. Gegen solche Aussagen regt sich meistens nur punktuell Widerstand, während die meisten Leute geneigt sind, sie achselzuckend hinzunehmen oder halbherzig zu vertreten. Auffällig ist jedenfalls, dass eine solche Aussage nicht die unmittelbare Wirkung hat, die manche Ideologiekritiker_innen ihr vielleicht zuschreiben würden: So sehr die zum Handeln anleitende Funktion von Ideologien betont wird, so offenkundig ist doch, dass die Deutschen nach Peter Strucks Aussage nicht gerade in Scharen in die Rekrutierungsbüros der Bundeswehr geströmt sind. Sie hörten, aber sie fühlten sich offenbar nicht zum Handeln aufgefordert. Der Apparat funktioniert auch so, die Begeisterung der Massen braucht er nicht.*

Ganz anders stellen sich die Dinge dar, wenn man das virale Marketing von Filmen als ideologischen Apparat ansieht. Virales Marketing ist eine Ideologie, die ganz klar zum Handeln anleiten will: Die Menschen sollen ins Kino gehen, sich den beworbenen Film später womöglich noch als DVD oder Blu-ray zulegen. Und die Wirkung der Ideologie ist in diesem Fall enorm. Jeder mickrige Teaser löst im Internet begeisterte Diskussionen aus, geleakte Gerüchte werden mit Ehrfurcht und Dankbarkeit aufgenommen. In hitzigen Auseinandersetzungen werden Meinungen über Filme ausgetauscht, die noch niemand gesehen hat (ob auf der Leinwand oder als Raubkopie), weil es bis zu ihrer Fertigstellung noch Monate dauert, um von der Veröffentlichung ganz zu schweigen. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, dass mitunter die Meinungsäußerungen vor dem Kinostart lebhafter sind als danach. Leute verkünden mit gewichtiger Miene, wie ein Trailer sie überzeugt habe, sich den Film anzusehen – schließlich sei der Trailer »gut gemacht«. Man muss nur mal versuchen, diese Art des Konsumverhaltens auf andere Branchen zu übertragen, um zu merken, wie absurd das ist: Stellt euch eine Person vor, die ein Autohaus betritt und sagt, sie wolle das Modell xy kaufen, weil die hohe Qualität der Werbung sie überzeugt habe. Was bei jedem anderen Produkt als bescheuert oder naiv angesehen würde, gilt bei Filmen als völlig normal. Wer in Gesellschaft verkündet, ein Buch wegen des Covers oder des Klappentextes zu mögen, wird schräg angesehen. Wer Vergleichbares über einen Film sagt, wird wahrscheinlich als Initiator_in einer angeregten Diskussion höchst willkommen sein.

Man könnte jetzt sagen, dass die Menschen halt verarscht werden, von Bewusstseinsindustrie sprechen und anklagend auf den kommerziellen Charakter des Blockbuster-Kinos verweisen. Das ist jedoch nicht der Punkt. Einerseits kann jedes Kunstwerk zur Ware werden, auch dann, wenn seine Form der Kommodifizierung entgegenstehen mag. Und andererseits kann von Verarschung keine Rede sein. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Blockbuster im Grunde aufgeblasene, prätentiöse B-Movies sind, die die Ehrlichkeit und den Charme, der viele echte B-Movies auszeichnet, vermissen lassen.** Blockbuster sollen so viele unterschiedliche Publikumssegmente bedienen, dass sie in den seltensten Fällen die ästhetischen Erwartungen auch nur eines dieser Segmente in wirklich überzeugender Weise aufzugreifen vermögen. Leute sagen, dass sie sich von einem mit Hochspannung entgegengesehenen Film »einfach nur gutes Popcorn-Kino« erwarten, und meinen damit, dass sie bereits wissen, was der Film nicht sein wird: anspruchsvoll, mit Erwartungen spielend, auf existentielle Weise berührend. Keine Verarschung also. Die Leute bekommen, was sie wollen, ohne große Überraschungen. Woher dann die gespannte Erwartung? Darauf gibt es meines Erachtens (man korrigiere mich, wenn ich falsch liege) nur eine mögliche Antwort: Die Ideologie des viralen Marketings funktioniert. Die Leute freuen sich über Filme, weil die Werbung sie auffordert, sich darüber zu freuen.

Wie stark der Einfluss von Werbung im Einzelnen ist, lässt sich schwer sagen. Selten wird der Autokauf oder die Lektüreauswahl anders als mit einem Nutzenkalkül begründet bzw. damit, dass man halt einen guten Geschmack habe. Überdies sind dem Wunsch, der Werbung nachzugeben, enge Grenzen gesetzt. Der dicke Benz ist für den Chef, nicht für die Leiharbeiterin. Letztere kann sich so viel Autowerbung ansehen, wie sie will, den Benz wird sie sich nie leisten können. Vielleicht liegt darin die einzige wirkliche Täuschung, die von der Ideologie des viralen Marketings und des Blockbuster-Kinos ausgeht: Sie gibt allen, die wollen, ein Gefühl von »Ich kann es mir leisten, der Werbung nachzugeben, ich kann mitreden« – sogar denen, die das Geld für die Kinokarte sparen wollen und sich das Ding als billigen DVD-Rip ansehen. Müsste man nicht sogar ein wenig erleichtert sein, wenn heutzutage der Kult des Blockbusters auf imaginäre Weise Gemeinschaft stiftet und nicht mehr so sehr der Kult der Nation, der Rasse oder des Staates? Oder man macht sich Gedanken darüber, wie reibungslos die Maschinerie des sich selbst verwertenden Werts, die unsere Gesellschaft antreibt, funktionieren muss, wenn aufwändige Ideologieproduktion nur noch zum Zweck der Vermarktung von Unterhaltungsfilmen betrieben wird und sich in anderen Bereichen überflüssig gemacht hat.

Wie dem auch sei, irritierend bleibt es allemal. Auch und gerade in dem Bewusstsein, dass ich mitunter selbst zum akribischen Sammler werde, wenn es darum geht, Gerüchte und Informationsschnipsel über kommende Filme aus dem Internet zu schütteln, sind gemeinschaftsstiftende Rituale mir doch zutiefst suspekt.

* Damit will ich nicht leugnen, dass manche Ideologien eine enorme Wirkung entfalten können. Es handelt sich dabei aber meines Erachtens vor allem um solche, die als soziale Platzanweiser funktionieren, die weniger zum Handeln anleiten als vielmehr zum Unterlassen von Regelbrüchen, nach dem Motto »Schuster, bleib bei deinen Leisten«. Das gesamte deutsche Schulsystem ist darauf angelegt, eine solche Wirkung zu erzielen.
** In der Tat geht der gegenwärtige Blockbuster auf die erstmals in Filmen wie Jaws und Star Wars angewandte Technik zurück, Elemente aus als zweitrangig angesehenen Genres und Gattungen wie dem Monsterfilm, dem Serial und der trivialen Abenteuer-SF in große Mainstream-Produktionen aufzunehmen. 

2 Kommentare:

Raskolnik hat gesagt…

Hallo, Anubis

Es freut mich sehr, dass mein spontaner Ausbruch dir als Anregung dafür dienen konnte, deine eigenen Gedanken zum "viralen Marketing" etc. auszuformulieren. Ob ich dir allerdings in allen Punkten zustimmen würde, ist eine andere Frage.
So glaube ich z.B. nicht, dass der Hauptgrund für den momentanen Mangel an zielgerichteter Massenopposition in der Überlastung der Menschen durch Arbeit, Familie o.ä. zu suchen ist. Dagegen spricht doch eigentlich schon die Tatsache, dass in den Zeiten, als es sozialistische Massenbewegungen gab, die meisten Menschen mindestens ebenso überlastet waren wie heute. Gerade das von dir selbst angeführte Beispiel des Afghanistankriegs zeigt mMn recht gut, worin das eigentliche Problem besteht. Genug Umfragen haben belegt, dass die Mehrheit gegen diesen Krieg ist, doch in der offiziellen Parteienlandschaft findet diese Meinung nirgends Ausdruck. Dasselbe ließe sich z.B. auch zum Thema Sozialabbau sagen. Es fehlen ganz einfach die Organisationen, die den Willen und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zum Ausdruck bringen würden, die eine echte Massenopposition organisieren und anführen könnten. Deshalb herrschen bei den meisten Menschen Gefühle von Ohnmacht und Zynismus vor. Zu erklären, warum es diese Organisationen noch nicht gibt, würde einen langen Exkurs in die Geschichte der letzten hundert Jahre erfordern.
Was das "virale Marketing" bzw. das Phänomen der ewigen Vorabdiskussionen usw. angeht, so denke ich, dass es sich dabei nicht einfach bloß um eine neue Form der Werbung handelt. In gewisser Weise sagst du das ja auch, wenn du erklärst, man könne es nicht einfach als gelungene Verarsche abtun. Vielleicht ist mein Eindruck ja falsch, aber so wie ich es sehe, wird nicht um jeden Blockbuster dasselbe Trara verantstaltet. Bisher sind mir jedenfalls noch keine ausufernden Diskussionen über die nächste romantische Komödie oder so untergekommen. Handelt es sich bei dem Ganzen nicht tatsächlich um eine Art Symbiose aus Hollywoods PR-Interessen und den Eigenheiten der Geek-Kultur? Geeks zeichnen sich nun einmal durch eine große Liebe zu Details und eine ungebremste Debatierlust aus. Und ich will mich da gar nicht ausnehmen. Wenn man mich in der richtigen Stimmung erwischt, bin ich z.B. ein ganz fürchterlicher Tolkien-Nerd.
Was mich an all dem so nervt ist, dass ich das Gefühl habe, all diese Detaildiskussionen lenkten im Endeffekt nur davon ab, sich Gedanken darüber zu machen, wie erbärmlich es momentan um die Filmkultur bestellt ist.

Beste Grüße,
Rasdkolnik

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Hallo Raskolnik,

ich würde dir gar nicht darin widersprechen, dass der Mangel an wirklich emanzipatorischer Opposition in erster Linie ein Organisationsproblem ist. Ich wollte vor allem weg von dem Bild, dass es eine reibungslos funktionierende ideologische Maschinerie sei, die die Menschen passiv und willenlos mache. Dass die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus es nicht erlauben, sich massenhaft dem Konkurrenzkampf im Verkauf der Arbeitskraft zu entziehen und sich stattdessen emanzipatorischer Politik zu widmen, halte ich dagegen für eine historische Konstante, in der Ideologie eher eine sekundäre Rolle spielt. Genau dieser Sachverhalt macht es ja notwendig, dass politische Organisationen das tun, was unter den gegebenen Verhältnissen nicht alle tun können: vollzeitmäßig politisch aktiv sein, um die Verhältnisse zu ändern.

Auch stimme ich dir zu, dass um romantische Komödien/Liebesfilme nicht dasselbe Trara wie um andere Blockbuster veranstaltet wird. Allerdings liegt das m.E. daran, dass Liebesfilme anders als die meisten Genres kaum oder gar nicht davon abhängig sind, aktuelle Trends aufzugreifen (sieht man einmal von Genre-Mashups wie der Glitzervampirwelle ab).

Bei Blockbustern mit Geek-Zielgruppenorientierung würde ich dagegen sagen: Ja klar, das ist eine Symbiose aus Nerdkultur und PR-Interessen. Virales Marketing zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht passiv konsumiert, sondern von der Zielgruppe selbständig weiterverbreitet wird. Jede nerdige Diskussion, die sich im Internet an einem Teaser oder einem Casting-Gerücht entfacht, ist aus Sicht der Filmindustrie Werbung, die von den Konsument_innen in relativer Selbständigkeit betrieben wird.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.