Montag, 29. Oktober 2012

Das Ende der Buchblogs

Es ist ominös. Vor ziemlich genau einem Jahr wurde angestrengt gemutmaßt, ob Rezensionsblogs gefährlich sind. Heute steht bereits die Frage im Raum, ob das Buchbloggen am Ende ist. Aufgeworfen wurde sie von verschiedenen Beiträgen, in denen Bloggerinnen über den massiven Stress klagen, dem sie sich durch das regelmäßige Füttern ihrer Seiten mit Rezensionen, Gewinnspielen, SUB-Listen aussetzen, aber auch über die bedrohliche Gestalt, die die explodierende Buchblogszene gelegentlich annehmen kann.

Ersteres wird exemplarisch von Jessi auf Books a Week geschildert: Nachdem sie aufgrund einer Handverletzung zeitweilig nur noch eingeschränkt bloggen konnte, stauten sich bei ihr nicht nur die unaufgefordert eingesandten Rezensionsexemplare, sondern auch Beschimpfungen durch Leser_innen, die an ein Blog offenbar Ansprüche ganz eigener Art stellen: »Deine Rezensionen sind ganz schön rarr geworden he.. hast wohl keinen Bock mehr oder was, weißt du was .. dann lass es doch. Liest eh keiner deinen Scheiß!« »Boar deine blöden Rezensionen kannst du dir sonst wohin schieben, ich will Neuzugänge sehen und Gewinnspiele.« Und die Bloggerin selbst: »Aus allen E-mails ging hervor das diese Personen meinen Blog mehrmals am Tag anklicken oder auf mein Facebookprofil gehen, nur um zu sehen ob sich hier was tut. Und tut sich nichts werden sie von Stunde zu Stunde gefrusteter – das ist ja schon fast wie Verfolgungswahn.«*

Vanessa von Nie ohne Buch berichtet dagegen von üblen Erfahrungen mit dem Bodensatz des Selfpublishings:
In den letzten Wochen und Monaten erreichten mich einige E-Mails, überwiegend von Menschen, die sich mir als Autor vorstellten und mir ihre Bücher/Ebooks zur Rezension überlassen wollten. Ob dies den Tatsachen entspricht und sie Autoren waren, kann ich nicht beurteilen. Nicht immer stellten sie sich namentlich vor, nicht immer bin ich mir sicher, ob sie mir ihre richtigen Namen nannten oder schlichtweg unter Pseudonymen auftraten, was ansich kein Problem ist. Vermutlich sind sie alle Autoren nach ihrem Empfinden, da jeder sich so nennen kann, ohne jemals eine Zeile geschrieben zu haben. 
Zeigte sie sich nicht bereit, die eingesandten Machwerke zu rezensieren, erhielt sie zahlreiche aggressive, sexistische oder anderweitig herabsetzende Antworten von sich benachteiligt wähnenden Hobbyschreiberlingen:
Nein, ich bin nicht sauer. Das wäre untertrieben. Für die zahlreichen Beleidigungen, Unterstellungen und “guten” Wünsche, die mich, meine Familie oder Menschen die mir nahestehen betreffen und die im Laufe der letzten Monate eingetrudelt sind, wäre “sauer” definitiv das falsche Wort. Es ist zutiefst verletztend und dem sind sich die Verfasser auch bewusst, da es nur diesen Zweck verfolgt. [...] Ich bin es leid, mich ständig zu fragen, was ich euch überhaupt getan habe, außer eure Bücher nicht zu mögen oder sie gar nicht erst lesen zu wollen. Ich bin es leid, mir die Nächte damit um die Ohren zu schlagen, weil ich keine Möglichkeit sehe, euch loszuwerden, wenn euch selbst bei sturer Ignoranz meinerseits über Wochen nicht langweilig wird.
Weit davon entfernt, alle Indie-Autor_innen über einen Kamm zu scheren, berichtet sie von einer Entwicklung, die durchaus System hat. Es ist kaum zu übersehen, dass Buchblogs überdurchschnittlich häufig von jungen Frauen betrieben werden, während aggressiv und aufdringlich beworbene Eigenpublikationen in der Regel von Männern stammen. Der sexistische Grundton, der sich durch viele der von Vanessa zitierten Hate-Mails zieht, spricht Bände. Es zeigt sich darin etwas, was eigentlich niemanden überraschen sollte: John Asht ist kein Einzelfall, er krakeelt nur besonders laut und ist mit einem enormen Sendungsbewusstsein ausgestattet. Offenbar gibt es eine nicht zu unterschätzende Zahl von Testosteronschleudern, die sich als Gottes Geschenk an die Frauen und Selfpublishing als legitime Ausdrucksform dieses Alphamännchen-Selbstbildes sehen.

Ich selbst kann nicht von solchen Erfahrungen berichten. Wenn ich Rezensionen von selbstpublizierten Büchern mit der Begründung ablehnte, zum Lesen der unüberschaubaren Menge dieser Veröffentlichungen keine Zeit zu haben, wurde dies bislang immer höflich akzeptiert. Auch hier mag die Geschlechterhierarchie, die mich als Mann bevorteilt, eine Rolle spielen, und sicherlich ist der Hermanstädter See als Blog auch einfach nicht bedeutend genug, um ein lohnenswertes Angriffsziel darzustellen.

Deutlich ist, wie stark sich das Reden über Literatur durch das Internet verändert hat. Man muss sich vor Augen führen, dass es noch gar nicht so lange her ist, als Buchläden die einzige Schnittstelle zwischen Leser_innen und dem Geschäft mit der Literatur waren. Dazu kamen höchstens noch aus dem Alltag herausgehobene Ereignisse wie Lesungen (nach denen man sich ehrfürchtig in die Schlange stellte, um sich das Buch signieren zu lassen) oder besuchsoffene Tage auf Buchmessen. Vernetzung fand nur in Genrekreisen statt, die Fanzines und Cons organisierten, nach außen hin aber häufig (teils berechtigt, teils durch Vorurteile befeuert) wie leicht skurrile, geschlossene Gesellschaften mit eigenen Codes und Gesetzen wirkten.

Heute ist das anders. Geschrieben, publiziert und gelesen wird öffentlich. Es gibt Foren wie das von Literaturschock, die sich ohne jede thematische Einschränkung einfach nur dem Austausch über Bücher widmen. Verlage betreiben Fanseiten wie piper-fantasy.de. Autor_innen, die nicht über eigene Blogs oder Social Networks für ihre Fans erreichbar sind, werden immer seltener. In obskuren Kleinverlagen erschienene Werke werden emsig in die Bibliographien von Wikipedia-Artikeln eingetragen, gelöscht und wieder von neuem eingetragen. Und man halte das nicht für ein reines Jugendphänomen. Auf Amazon.de gibt es Hobbyschreiberlinge im Pensionsalter, die ihre Tage damit zubringen, argwöhnisch die zu ihren BoD-Publikationen abgegebenen Bewertungen zu überwachen, um im Falle einer unliebsamen Meinungsäußerung zeitnah in Schimpftiraden ausbrechen zu können. Früher verstaubten solche Werke in den Regalen von Provinzbibliotheken, heute gibt es zahlreiche Mittel und Wege, ihnen im Netz Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das ist an sich eine feine Sache, denn man stößt immer wieder mal auf Werke von Indie-Autor_innen, die man nicht mehr missen möchte. Es verwundert aber auch nicht, dass die neuen Verhältnisse regelmäßig kleine Ashts zum Vorschein bringen, denen solche glorreichen Möglichkeiten zu Kopfe steigen.

Die Grenze zwischen der gewerbsmäßigen Verbreitung und dem Konsum von Büchern verschwimmt dabei immer mehr. Das manchmal aggressive, manchmal von Selbstüberschätzung zeugende Gebaren einiger Indie-Autor_innen rührt daher, dass diese Leute ihre Werke in eigener Person herstellen, bewerben und verkaufen wollen. Und anders als den Zeugen Jehovas, die Klingeln putzen und artig um ein Gespräch bitten müssen, kann man den Hobbyschreiberlingen im öffentlichen Raum des Internets nicht einfach die Tür vor der Nase zuknallen. Die Vermischung von Werbung und Bewertung findet aber auch in ganz anderen Größenordnungen statt, und nicht nur beim Marktriesen Amazon: Verlagen muss es verlockend vorkommen, dass Buchblogs sich in der Regel direkt an ihre Peer-groups richten. Aus ihrer Perspektive sind Rezensionen auf Buchblogs kostengünstige Werbung, die gewissermaßen von der Zielgruppe selbst organisiert wird.

Buchblogs sind ein Medium ganz eigener Art. Die Betreiber_innen liefern sich Reading Challenges, posten regelmäßig Leselisten, veröffentlichen ihre Rezensionen simultan auf Amazon und verlosen gelesene Rezensionsexemplare. Bücher werden häufig querbeet besprochen, von Klassikern des Bildungskanons über Genreliteratur bis hin zu Ratgebern, die »positives Denken« lehren sollen, ist alles dabei. Es handelt sich gewissermaßen um eine beständige, öffentliche Dokumentation des eigenen Leseverhaltens, die damit rechnen kann, unter Gleichgesinnten auf beträchtliches (und manchmal unangenehmes, siehe oben) Interesse zu stoßen. Die Postingfrequenz ist hoch. Ganz allgemein fällt auf, dass Buchblogger_innen für ihr Hobby oft eine beträchtliche Energie aufwenden. Schnelligkeit und Flexibilität, die Dogmen der Leistungsgesellschaft, scheinen hier in extrem individualisierter Form auf, denn letztlich sind es allein die Blogger_innen selbst, die sich zu möglichst schnellem Lesen und häufigem Posten anstacheln. Beim Bloggen über Bücher gibt es keinen Druck, dem man sich nicht selbst ausgesetzt hat.

Das alles hat eine absurde Seite, zweifellos. Ich fühle mich gelegentlich an Walter Moers’ Buchhaim erinnert. Aber während die Bücherjäger der zamonischen Literaturmetropole hartgesottene Söldner sind, wirkt die Jagd nach Büchern, wie sie in der Blogszene praktiziert wird, auf geradezu irreale Weise spielerisch. Immer wieder werden Geschichten darüber kolportiert, dass heutzutage auf Messen Bücher nicht mehr abgegriffen werden, indem man sie unauffällig im eigens mitgebrachten Jutebeutel verschwinden lässt, sondern man sich einfach als Blogger_in ausgibt und nach Rezensionsexemplaren fragt. Zudem weiß niemand so genau, sicherlich auch die Verlage nicht, ob Rezensionsblogs tatsächlich einen nennenswerten Einfluss auf Verkaufszahlen haben. Und bedenkt man, dass Buchblogs immer noch ein recht neuartiges Hobby sind, dessen Zeitintensität sich vermutlich mit Schule und Studium weitaus besser vereinbaren lässt als mit Familie oder Vollzeitjob, so ist absehbar, dass sich unter den Blogger_innen in nicht allzu ferner Zukunft Ermüdungserscheinungen zeigen werden.

In einer »Ist das BuchBloggen am Ende?« betitelten Kolumne fragt sich Jürgen Eglseer von fictionfantasy.de, ob angesichts unseriös auftretender Rezensent_innen und der Flut selbstpublizierter Werke Buchblogs als Freizeitbeschäftigung nicht an ihre Grenze gestoßen sind. Für die absehbare Zukunft beantwortet Eglseer seine Frage negativ, in der sich anschließenden Diskussion wird jedoch immer wieder auf mögliche Ermüdungstendenzen hingewiesen. Marcel Bülles etwa weist darauf hin, dass es neu angelegten, von Einzelpersonen betriebenen Blogs zunehmend schwer fallen dürfte, neben einem etablierten Rezensionsportal mit umfassender Datenbank überhaupt noch aufzufallen.

Da ist zweifellos etwas dran. Nimmt man die deutschsprachige SF- und Fantasyszene im Internet als überschaubaren Ausschnitt, so lässt sich nicht übersehen, dass die Zahl der selbständigen Blogs, die sich auf das Besprechen von SFF-Neuerscheinungen konzentrieren, vergleichsweise gering ist. Diese Aufgabe wird zum größten Teil von Rezensionsportalen wie FantasyGuide, Bibliotheka Phantastika oder fictionfantasy.de übernommen. Es gibt einige Blogs (ich denke da zum Beispiel an Feenfeuer und das Fantasy-Weblog), die sich auf regelmäßige Hinweise, Interviews und Rezensionen zu Neuerscheinungen spezialisiert haben, und es würde wenig Sinn machen, wenn weitere Blogger_innen ihrem Beispiel folgen würden. Die genannten Beispiele (und einige weitere) machen ihre Sache gut, und sie nachzuahmen würde höchstens zu Redundanz führen.

Das heißt aber nicht, dass neben diesen keine weiteren Blogs Platz hätten. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass die Möglichkeiten des Mediums erst zu einem geringen Teil ausgelotet sind. Der größte Vorteil des Mediums Blog liegt in meinen Augen in dem hohen Grad an Idiosynkrasie, den es ermöglicht – wenn man sich denn die entsprechende Mühe macht. In einem selbständigen, von einer oder einer kleinen Gruppe von Personen betriebenen Blog kann man schreiben, worüber man will. So eigentümlich und widersprüchlich meine Interessen sein mögen, in einem eigenen Blog kann ich mich ungehindert darüber auslassen. Blogs, die unverwechselbar und eigenständig in ihrer Perspektive, ihren ästhetischen Vorlieben und den behandelten Themen sind, kann es gar nicht genug geben. Vielleicht tragen die typischen Buchblogs mit ihren Leselisten, Challenges und fröhlichen Missachtungen von Genregrenzen, die mit der SFF-Community im Internet und ihren etablierten Strukturen nur bedingt etwas gemein haben, ja solches Potential in sich. Von der Liebe zum Lesen sind sie sichtlich motiviert. Ich fände es schade, wenn diese Form des Bloggens an den oben geschilderten Anwürfen und Schwierigkeiten eingehen würde. Eine Entwicklung müsste die Buchblogszene meiner Ansicht nach aber schon durchmachen: Weg vom Wettrezensieren von Neuerscheinungen, nach denen in ein paar Monaten kein Hahn mehr kräht, hin zur stilsicher-erratischen Eigentümlichkeit in der Auswahl der Lektüre. Gerade die spontane Wahllosigkeit der auf Buchblogs besprochenen Werke kann den Weg zu immer neuer Begeisterung für immer wieder andere Ecken und Winkel der Literatur weisen. Buchhaim ist noch nicht kartographiert, das eröffnet die Möglichkeit, schöne und gefährliche Orte zu entdecken.

* Schreibweise stets wie im Original.

4 Kommentare:

Eosphoros hat gesagt…

Die entitlement issues treten auch bei Webcomics gerne besonders deutlich zutage. Obwohl diese einen höheren Unterhaltungswert (und tendenziell auch Herstellungsaufwand) haben, oft auch in der Freizeit der Künstler gemacht werden, und trotz alledem kostenlos zur Verfügung gestellt werden …

mistkaeferl hat gesagt…

Toller Artikel, danke!
Was den Umgang mit dem nicht netten Anteil der Self-Publisher angeht (auf die man es übrigens nicht beschränken kann, ich hatte auch schon unangenehme Erlebnisse mit Autoren, die bei renommierten Verlagen veröffentlichen ...), hängt es leider, glaube ich, auch ein wenig von der eigenen Grundfreundlichkeit ab. Als ich z.B. mit bp begonnen habe (und es auch noch kein Gemeinschaftsprojekt war), freut man sich natürlich erst mal wie bolle, wenn man überhaupt wahrgenommen wird, und versucht, auf jede Anfrage ernsthaft und ausführlich einzugehen. Hat man sich aber mit bestimmten Typen erst mal auf ein Gespräch eingelassen, wird es erfahrungsgemäß auch schnell unangenehm. Inzwischen (es kommt auch viel zu viel Zeug rein, so viel Zeit hätte ich also gar nicht) antworte ich halt nur sehr selektiv ... seitdem ist auch Ruhe im Boot. (Das ist jetzt auch kein Königsweg, aber gerade wenn man bloggt, ist es, denke ich, wichtig, sich zu überlegen, wo man seine Zeit wirklich reinstecken will).

Ansonsten noch als unausgegorene Überlegungen, die mir nach dem Artikel durch den Kopf gingen:
BlogerInnen sind natürlich auch irgendwie dem allgegenwärtigen Selbstvermarktungsdruck unterworfen, letztlich genauso wie die AutorInnen. Man will ja auch mit einem Blog wahrgenommen werden.
Und dann noch ... die Art von Blog, die du beschreibst, genreunabhängig und sofort, ist vor allem auch Ausdruck der individuellen Persönlichkeit. Letztens habe ich in einem neu entdeckten Blog eine Art Rechtfertigung gelesen, warum jetzt noch ein Buchblog her musste - weil es das "Richtige" noch nicht gab, mit der richtigen Mischung aus Genres, persönlichen und buchbezogenen Dingen und der richtigen Dosis an Exkursen in buchfremde Themen. Diese Vorlieben sind so individuell, dass das Richtige eigentlich immer nur das sein kann, was man selbst macht. ;)

Unknown hat gesagt…

Warum ich an dem Beitrag hängengeblieben bin, ist eigentlich nur ein Randthema des Beitrags:
es ist tatsächlich so, das die Buchhandlungen die Deutungshoheit verloren haben. Erst war der Kunde nur auffallend besser informiert - dank Internet. Und dann wusste er auch deutlich genauer als früher, was er lesen will - insbesondere bei den Spezialthemen. Ab da wurden für uns Buchhändlerinnen die Blogs genauso wichtig wie die Verlagsvorschauen.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

@kaeferl:

Ein Stück weit muss ich da auch Glück gehabt haben, denn unter den selbstpublizierenden Autor_innen, die bislang hier aufgeschlagen sind, waren auch ein oder zwei für ... hm, virales Marketing ihrer Bücher bekannt.

@GeschichtenAgentin:

Interessant, dass sich das deckt. Ich habe natürlich rein aus Leserperspektive geschrieben, aber klar, ich kann mir schon vorstellen, dass Buchhändlerinnen mittlerweile anders angesprochen werden als damals, als man noch in den Buchladen ging, um zu erfahren, ob ein Buch überhaupt lieferbar ist.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.