Dienstag, 11. Oktober 2011

Carl Amerys Werk

Christian Mayer alias Carl Amery (1922–2005) ist vielleicht der bedeutendste deutsche Science-Fiction-Autor, aber Sekundärliteratur zu seinem Leben und Werk ist äußerst dünn gesät. Der von Joseph Kiermeier-Debre herausgegebene Begleitband zu einer Ausstellung über Amery, die 1996 in der Münchner Stadtbibliothek zu sehen war, bildet die Ausnahme, die die Regel – vorläufig? – bestätigt.

Carl Amery – »... ahnen, wie das alles gemeint war« enthält neben bio- und bibliografischen Daten zahlreiche Faksimiles und Fotos, vor allem aus Kindheit und Jugend des Autors. Leider sind diese in dem Band nur in Schwarzweiß reproduziert. Daneben sind verschiedene Texte von und über Amery abgedruckt. Am interessantesten scheinen mir dabei, wie immer, die Kuriositäten zu sein: So etwa eine deutlich von Chesterton beeinflusste historische Kriminalgeschichte, im alten Rom spielend, die Amery als Schüler verfasste – Jahrzehnte später wird Amery, dann schon ein bekannter Essayist und Autor, Chestertons Romane in deutscher Übersetzung herausgeben. Von besonderem Interesse sind auch einige Stücke, die Amery teils noch während des Krieges schrieb und in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem Namen Christian Schneller* veröffentlichte. Bereits in diesen frühen Schreibübungen blitzen typische Themen und Stilmerkmale auf, die Amerys gesamtes schriftstellerisches Leben begleiten sollten. Insbesondere gilt dies für die erwähnte Histo-Krimi-Erzählung und die dramatische Szene »Die Front von Oklahoma 1944«, die in einem Kriegsgefangenenlager spielt. Beide Stücke widmen sich einer Tätigkeit, die Amery literarisch vorzüglich beherrschte: der Entlarvung der falschen Attitüden und der Scheinheiligkeit, die den Mächtigen in ihrer Selbstgewissheit anhaftet.

Ganz interessant sind auch einige abgedruckte Rezensionen Amerys – zu Enzensberger und Ernst Blochs Prinzip Hoffnung –, daneben findet sich aber auch bereits bekanntes, wie etwa Hans Werner Richters Porträt des Gruppe-47-Genossen aus dem Etablissement der Schmetterlinge und Schlüsselstellen aus Amerys Hauptwerken.

Eingeleitet und abgeschlossen wird der insgesamt sehr lesenswerte Band mit einigen Worten des Herausgebers Kiermeier-Debre, der Amery mit Jean Paul und Achim von Arnim in Verbindung bringt und ihn mithin – keineswegs unpassend – in eine Tradition (nach-)aufgeklärter Romantiker stellt.

Carl Amery – »... ahnen, wie das alles gemeint war«. Ausstellung eines Werkes (238 Seiten) wurde von Joseph Kiermeier-Debre herausgegeben und erschien 1996 bei Paul List.

* Schneller ist der Mädchenname von Amerys Mutter.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.