Schon ein paar Tage älter ist die Nachricht, dass Orson Scott Cards Prosa-Nacherzählung des Hamlet-Stoffes für einiges Aufsehen gesorgt hat. Gelinde gesagt. Denn in seiner Novelle Hamlet’s Father meint Card, Hamlets Probleme rührten daher, dass sein Vater schwul gewesen sei. Und Card erzählt darin anscheinend noch mehr Blech, nämlich wie einige weitere Charaktere, die als Kinder von Hamlets Vater sexuell missbraucht wurden, im Erwachsenenalter schwul werden — und zwar weil sie als Kinder missbraucht wurden.* Hamlet’s Father ist zuvor bereits als Anthologiebeitrag erschienen. Im April hat Subterranean Press die Novelle in einem Hardcover-Band neu herausgebracht. Die überwiegend ablehnenden Reaktionen – die mal verärgert, mal spöttisch (Lynch verarscht Card) und mal mit der lakonischen Empfehlung verbunden sind, besser Shakespeare zu lesen – haben den Verlag zu einer Pressemitteilung veranlasst. Darin heißt es allerdings nur lahm, man habe nicht damit gerechnet, die Neuveröffentlichung würde kontrovers aufgenommen, nachdem dies bei Erstveröffentlichung in der Anthologie The Ghost Quartet (herausgegeben von Marvin Kaye) nicht geschehen sei. Nun ja. Als professioneller Verlagsmensch weiß man in der Regel schon, dass eine gebundene Einzelausgabe von der Kritik schärfer ins Auge gefasst wird als ein Beitrag zu einer Storysammlung.
Zur Information: Orson Scott Card betrachtet sich selbst als Anhänger der Demokratischen Partei. Man könnte jedoch vermuten, dass er das nur tut, um für den erzkonservativen Politstrunz, den er regelmäßig von sich gibt, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Card befürwortet z.B. Liberalisierungen des Waffenrechts und Kriege als Mittel der Außenpolitik. Insofern fällt nicht einfach vom Himmel, was Card über Homosexualität von sich gibt. Bereits 2004 behauptete er in seiner Kolumne »Civilization Watch«, Homosexualität entstehe durch Missbrauchserlebnisse in der Kindheit. 2009 wurde er Vorstandsmitglied der National Organization for Marriage, einer evangelikalen Lobby-Organisation, die sich ausschließlich mit homophobem Stuss wie dem Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Ehe befasst. Von so was kommt es dann wohl auch, dass Card überflüssige Bücher mit komischen Ideen wie Hamlet’s Father schreibt.
Und während Card selbst für seine Fans mehr und mehr zur Enttäuschung wird, haben Autor_innen, die es anders machen wollen, mit groben Problemen zu kämpfen. Rachel Manija Brown und Sherwood Smith wandten sich mit einer YA-Fantasy an eine Agentur. Die teilte ihnen mit, so jedenfalls die beiden Autorinnen, das Buch könne nur unter der Bedingung veröffentlicht werden, dass ein schwullesbischer Viewpoint-Charakter rausgestrichen würde. Die Autorinnen wandten sich an die Öffentlichkeit, ohne die Agentur namentlich zu nennen. In der Folge meldete sich eine ganze Reihe von Schriftsteller_innen, die von ähnlichen Konfrontationen berichten konnten.** Eine Literaturagentin, die für die fragliche Agentur tätig ist, antwortete Brown und Smith, indem sie sie rundheraus bezichtigte, zu lügen und nach Aufmerksamkeit zu trachten. (Selbst wenn Browns und Smiths Version der Ereignisse nicht oder nicht ganz zutreffen sollte – eine in Ton und Inhalt angemessene Antwort sähe wohl anders aus, würde ich sagen.) Darauf wiederum gab es eine Reihe von Tweets und Blogposts, in denen die Erklärung »Alles nur gelogen!« deutlich bezweifelt wird. Eine Zusammenfassung der ganzen Diskussion findet sich hier.
Was auch immer das Ergebnis dieser Debatte sein wird: Solange Typen wie Card sich in der Fantasy als Platzhirsch aufführen können, wundern mich Ereignisse wie die von Brown und Smith berichteten überhaupt nicht.
* Die Angaben zum Inhalt entnehme ich diesem Blogpost von Adam Whitehead. Selbst habe ich Cards Novelle nicht gelesen und werde es wohl auch nicht tun. Wegen Shakespeare. Und wegen Cards reaktionärer Blödheit.
** Nicola Griffith weist auf ein Interview aus dem letzten Jahr hin, in dem sie von einer ähnlichen Erfahrung, wie Brown und Smith sie hatten, ausführlich berichtet.
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