Dienstag, 20. September 2011

(Red) Card for Homophobia

Schon ein paar Tage älter ist die Nachricht, dass Orson Scott Cards Prosa-Nacherzählung des Hamlet-Stoffes für einiges Aufsehen gesorgt hat. Gelinde gesagt. Denn in seiner Novelle Hamlet’s Father meint Card, Hamlets Probleme rührten daher, dass sein Vater schwul gewesen sei. Und Card erzählt darin anscheinend noch mehr Blech, nämlich wie einige weitere Charaktere, die als Kinder von Hamlets Vater sexuell missbraucht wurden, im Erwachsenenalter schwul werden — und zwar weil sie als Kinder missbraucht wurden.* Hamlet’s Father ist zuvor bereits als Anthologiebeitrag erschienen. Im April hat Subterranean Press die Novelle in einem Hardcover-Band neu herausgebracht. Die überwiegend ablehnenden Reaktionen – die mal verärgert, mal spöttisch (Lynch verarscht Card) und mal mit der lakonischen Empfehlung verbunden sind, besser Shakespeare zu lesen – haben den Verlag zu einer Pressemitteilung veranlasst. Darin heißt es allerdings nur lahm, man habe nicht damit gerechnet, die Neuveröffentlichung würde kontrovers aufgenommen, nachdem dies bei Erstveröffentlichung in der Anthologie The Ghost Quartet (herausgegeben von Marvin Kaye) nicht geschehen sei. Nun ja. Als professioneller Verlagsmensch weiß man in der Regel schon, dass eine gebundene Einzelausgabe von der Kritik schärfer ins Auge gefasst wird als ein Beitrag zu einer Storysammlung.

Zur Information: Orson Scott Card betrachtet sich selbst als Anhänger der Demokratischen Partei. Man könnte jedoch vermuten, dass er das nur tut, um für den erzkonservativen Politstrunz, den er regelmäßig von sich gibt, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Card befürwortet z.B. Liberalisierungen des Waffenrechts und Kriege als Mittel der Außenpolitik. Insofern fällt nicht einfach vom Himmel, was Card über Homosexualität von sich gibt. Bereits 2004 behauptete er in seiner Kolumne »Civilization Watch«, Homosexualität entstehe durch Missbrauchserlebnisse in der Kindheit. 2009 wurde er Vorstandsmitglied der National Organization for Marriage, einer evangelikalen Lobby-Organisation, die sich ausschließlich mit homophobem Stuss wie dem Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Ehe befasst. Von so was kommt es dann wohl auch, dass Card überflüssige Bücher mit komischen Ideen wie Hamlet’s Father schreibt.

Und während Card selbst für seine Fans mehr und mehr zur Enttäuschung wird, haben Autor_innen, die es anders machen wollen, mit groben Problemen zu kämpfen. Rachel Manija Brown und Sherwood Smith wandten sich mit einer YA-Fantasy an eine Agentur. Die teilte ihnen mit, so jedenfalls die beiden Autorinnen, das Buch könne nur unter der Bedingung veröffentlicht werden, dass ein schwullesbischer Viewpoint-Charakter rausgestrichen würde. Die Autorinnen wandten sich an die Öffentlichkeit, ohne die Agentur namentlich zu nennen. In der Folge meldete sich eine ganze Reihe von Schriftsteller_innen, die von ähnlichen Konfrontationen berichten konnten.** Eine Literaturagentin, die für die fragliche Agentur tätig ist, antwortete Brown und Smith, indem sie sie rundheraus bezichtigte, zu lügen und nach Aufmerksamkeit zu trachten. (Selbst wenn Browns und Smiths Version der Ereignisse nicht oder nicht ganz zutreffen sollte – eine in Ton und Inhalt angemessene Antwort sähe wohl anders aus, würde ich sagen.) Darauf wiederum gab es eine Reihe von Tweets und Blogposts, in denen die Erklärung »Alles nur gelogen!« deutlich bezweifelt wird. Eine Zusammenfassung der ganzen Diskussion findet sich hier.

Was auch immer das Ergebnis dieser Debatte sein wird: Solange Typen wie Card sich in der Fantasy als Platzhirsch aufführen können, wundern mich Ereignisse wie die von Brown und Smith berichteten überhaupt nicht.

* Die Angaben zum Inhalt entnehme ich diesem Blogpost von Adam Whitehead. Selbst habe ich Cards Novelle nicht gelesen und werde es wohl auch nicht tun. Wegen Shakespeare. Und wegen Cards reaktionärer Blödheit.
** Nicola Griffith weist auf ein Interview aus dem letzten Jahr hin, in dem sie von einer ähnlichen Erfahrung, wie Brown und Smith sie hatten, ausführlich berichtet.

Montag, 19. September 2011

Gesellschaft für Fantastikforschung & Villa Fantastica

Die Gesellschaft für Fantastikforschung hat ihre neue Homepage gelauncht, deren Vorzüge (u.a. englisch-deutsche Zweisprachigkeit) gleich auf der Startseite erläutert werden. Zudem ist seit einiger Zeit das vorläufige Programm für die Jahrestagung der Gesellschaft, die vom 29. September bis zum 1. Oktober in Salzburg stattfindet, in englischer Sprache verfügbar. Das Thema lautet  »New Directions of the European Fantastic after the Cold War«. Als Referent_innen treten u.a. Frauke Bode, Uwe Durst, Helmut W. Pesch und Lars Schmeink auf, um nur einige Namen zu nennen. Zudem gibt es eine Lesung von Markus Orths, dem diesjährigen Träger des Phantastik-Preises der Stadt Wetzlar.

Als zweite Neuigkeit ist die offizielle Eröffnung der Villa Fantastica in Wien bekanntzugeben, die am 4. Oktober stattfinden wird. Die Villa Fantastica, nahe des Schlosses Schönbrunn im Stadtteil Hietzing gelegen, stellt neben der Wetzlarer Phantastischen Bibliothek eine zweite amibitionierte Spezialbibliothek zur phantastischen Literatur im deutschsprachigen Raum dar. Im Unterschied zu der Wetzlarer Unternehmung will man in Wien den Sammlungsschwerpunkt auf Science Fiction legen. Auch die Herausgabe einer Schriftenreihe ist angedacht. Das transsilvanische Gewässer wünscht dem Projekt viel Glück und große Resonanz!

Sonntag, 11. September 2011

Deutscher Phantastik-Preis 2011

Die Hauptrunde zum diesjährigen Deutschen Phantastik-Preis ist beendet, und ich habe brav meine Stimmen abgegeben.
  • In der Rubrik »Bester deutschsprachiger Roman« sticht aus der altbekannten Herrenrunde (Heitz, Marzi, Meyer...) Ju Honisch hervor. Kriegt meine Stimme.
  • Unter den Nominierten für das »Beste deutschsprachige Romandebüt« kenne ich nur Carsten Zehm, und der hat mich nun nicht gerade vom Hocker gerissen. Da hilft nur Enthaltung.
  • »Bester internationaler Roman«: Ich bin Gaiman-Fanboy.
  • Von den »Besten deutschsprachigen Kurzgeschichten« habe ich leider keine gelesen, also wiederum Enthaltung.
  • In der Kategorie »Beste Kurzgeschichten-Sammlung« bin ich für die von Hans-Stephan Link herausgegebene Weltentor-Trilogie zu haben. Die sieht schick aus und enthält in ihrem Fantasy-Band (die beiden anderen Bände widmen sich den Genres SF und Mystery) einen Beitrag der von mir sehr geschätzten Heike Korfhage.
  • »Beste Serie«: Nix für mich dabei. Für solche Fälle hätte ich gern einen Button, den man anklicken kann, wenn man alle Nominierungen öde findet.
  • »Bester Grafiker«: Nicht mein Metier, deshalb Enthaltung.
  • Unter den »Besten Sekundärwerken« stimme ich dieses Jahr aus spontaner Zuneigung für Hither Shore, das Jahrbuch der Deutschen Tolkien-Gesellschaft.
  • »Bestes Hörbuch/Hörspiel«: Wie bei »Bester Grafiker«. Hörbücher sind einfach äußerst selten mein Ding.
  • Mit dem gelungenen Relaunch und dem tollen neuen Blog ist die »Beste Internet-Seite« für mich dieses Mal die Bibliotheka Phantastika.
Möge der Sieg den Außenseiter_innen gehören.

    Freitag, 9. September 2011

    Der Dunkle Turm – Verrat

    Wir erinnern uns: In Der lange Heimweg, dem zweiten Band der Graphic Novel zu Stephen Kings Dunklem Turm, wird Rolands, Alains und Cuthberts gefahrvolle Flucht aus Mejis gezeigt. Im dritten Band, Verrat betitelt, beginnt nun ein neuer Spannungsbogen. Der Handlungsort ist nun Gilead, der Sitz von Rolands Vater Steven Deschain, wo es zu allerlei Intrigen und Verwicklungen kommt, während John Farson, der geschworene Feind Steven Deschains und seiner Revolvermänner, seine Banden mordend und brandschatzend durchs Land ziehen lässt, um schließlich Gilead selbst in den Würgegriff zu nehmen.

    Roland ist durch die Ereignisse in Mejis und ihre Nachwirkungen zu einem düster vor sich hin brütenden Jugendlichen geworden, voller Hass auf die Feinde Gileads und gleichzeitig fasziniert von ihren Machenschaften. Seine Freunde Alain und Cuthbert werden seit ihrer Rückkehr von den anderen Revolvermann-Zöglingen aus Neid gemieden. Rolands Mutter, Gabrielle Deschain, ist weiterhin Wachs in den Händen von Gileads verräterischem Hofzauberer Marten. So weit die altbekannten Charaktere. Neu eingeführt wird Aileen Ritter, eine Nichte des rüpeligen Revolvermann-Ausbilders Cort. Die androgyne Schönheit wurde von ihrem Onkel ausgebildet und ist eine hervorragende Schützin. Cort wollte dem elternlosen Mädchen damit die Möglichkeit geben, sich in der großen, bösen Welt notfalls selbst verteidigen zu können. Aileen sieht die Sache etwas anders. Sie will sich nicht mit der ihr beschiedenen Frauenrolle zufrieden geben und ein Revolvermann werden. Ihre Ausbildung durch Cort sieht sie als ersten Schritt in diese Richtung.

    Stärker als je zuvor wird in Verrat deutlich, wie unglaublich patriarchal die Welt des Dunklen Turms ist. Die Revolvermänner von Gilead sind ja nichts anderes als ein Ritterorden mit dem Auftrag, die Schwachen zu beschützen. Und die Schwachen sind anscheinend vor allem Frauen, die sich diesen Schutz gefallen zu lassen haben. Entsprechend nimmt sich das Gros der Frauengestalten aus Kings Zyklus auch eher klischeehaft und traditionell aus: Gabrielle Deschain ist das schwache, verführbare Weib par excellence. Rolands Geliebte Susan Delgado ist dermaßen ätherisch und anbetungswürdig, dass ihr im Grunde gar nichts anderes übrig bleibt, als einen frühen und unschuldigen Tod zu sterben. Die Hexe Rhea ist archetypisch alt, vertrocknet und neiderfüllt. Wirklich interessante weibliche Figuren sind im Grunde nur Susannah Dean und Coral Thorin. Da kommt ein Charakter wie Aileen Ritter gerade recht, und ich hoffe sehr, dass sie in den weiteren Bänden nicht zur Randfigur degradiert wird.

    Das Team hinter Verrat ist das gleiche wie bei den beiden Vorgängerbänden. Und wie schon in Der lange Heimweg gibt es auch im vorliegenden Band jede Menge Nerd-Infos als Anhang zur Geschichte. Diesmal über Frauenrollen in Mittwelt und den Oriza-Kult (bekannt aus Wolves of the Calla, dem fünften Band der Romanreihe), über die Kleinen Schwestern von der Rose, über die Manni sowie über Giftmorde und Rätselwettbewerbe in Mittwelt. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich finde die kurzen Texte mal mehr, mal weniger interessant. Aber letztlich sind es ja die bunten Bildchen und die Story, auf die es hier ankommt. Und die wissen nach wie vor zu überzeugen.

    Verrat von Stephen King (Idee), Robin Furth (Story), Peter David (Skript), Jae Lee & Richard Isanove (Zeichnungen) ist 2010 bei Heyne erschienen. Die Übersetzung besorgte Wulf Bergner.

    Mittwoch, 7. September 2011

    on the ſubway

    one day · on the ſubway · a dragon came in • very ſilently indeed · ſilent as a leaf of linden tree · drifting · falling in a ſummer breeze • he · the dragon · ſtepped lightly · lithe · and carefully • wound his way through · paſſing by unſeeing commuters unſeen · roared his wafting bellow unheard • the greenness of his ſcaly armour · the greatness of his · caught a child’s eye • his beauty · rippling like a ſeaweed · a ſtreaming banner · took the child away · left it unbreathing · for as long as it takes a dragon · to pass through a ſubway car • as a parting gift · he granted the ſmall girl · a deep look into his eyes · alive with ſtillness · breathing reſt • until he proceeded · to ſilently · with great warmth of heart · to disintegrate the train · into a ſtunning fiery flaming inferno

    Foto-Disclaimer

    Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.