Dienstag, 14. Juni 2011

»Die Mitte fehlt. Ich fehle.«

Im Focus-Interview erklärt Elke Heidenreich ex cathedra, dass sie es ist, die der deutschen Literatur fehlt, seit ihre Literatursendung Lesen! aus dem ZDF-Programm geflogen ist. Ich finde es nicht weiter verwunderlich, dass Heidenreich dieser Überzeugung ist. Bislang hat schließlich noch kein Papst freiwillig abgedankt.

Aber der Zusammenhang, in dem das Heidenreich-Interview im Focus steht, ist dann doch interessant. Die Illustrierte hat, so lautet wörtlich das Eigenlob, in »einem aufwendig erstellten Ranking« die 50 wichtigsten deutschsprachigen Autor_innen ermittelt. Und was heißt hier wichtig? Die Platzierungen im Ranking wurden nach folgendem Prinzip ermittelt:
  • Buch-Verkaufszahlen flossen zu 25% ein,
  • Berichterstattung in der Publikumspresse ebenfalls zu 25%,
  • TV-Präsenz zu 20%,
  • Literaturpreise zu 15%
  • und Platzierungen in der Fachpresse, auf Empfehlungslisten und im Google-News-Index zu je 5%.
Das alles über einen Zeitraum von fünf Jahren. Autorinnen spekulativer Literatur sind kaum vertreten, typische Genre-Vertreter gar nicht. Medienpräsenz zählt zu 55%. Bequeme Regierungsmehrheit, sozusagen. Aber, so wird im einleitenden Text zum Ranking vermerkt, die reine Verkaufsstatistik wird angeführt von Cornelia Funke, Markus Heitz und dem Krimi-Duo Klüpfel & Kobr. Das offenbart zweierlei: Die »wichtigsten Autoren«, die tonangebende »Riege der deutschsprachigen Prosa-Autoren«, »renommierte Großautoren« (um einen Eindruck von der Focus-Diktion zu vermitteln) werden zu solchen, weil sie von den Medien dazu gemacht werden. Und gelesen werden ganz andere Bücher.

Letzteres gefällt Elke Heidenreich ganz und gar nicht: »Vampire, Trolle, Elfen, Morde. Es ist entsetzlich.« Es gebe in der einen Ecke nur feuilletonistische Hochkultur, in der anderen nur trivialen Schund. Der Literatur fehle die Mitte, und die Mitte ist da, wo Heidenreich ist. Die verkrachte ZDF-Kritikerin scheint die famose Extremismustheorie, derzufolge die Ränder von der Mitte aus mit allen Mitteln zu bekämpfen seien, aus der Politikwissenschaft in die Literatur überführen zu wollen.

Nun gut. Anders als Heidenreich wissen wir, dass es Fantasy jenseits von Markus Heitz gibt, und dass Kreativität und Können nur selten in der Mitte zu finden sind.

Jobst-Ulrich Brand u.a., Unsere Besten, in: Focus, 6. Juni 2011, 68–73.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

So wahr diese Worte auch sind, Fr.Heidenreich wird sie leider nie lesen.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Muss sie auch nicht. Der Post richtet sich an SFF-Leser_innen, nicht an Elke Heidenreich.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.