Mittwoch, 25. Mai 2011

Die Wunschmaschine

Iain Banks wünscht sich, dass ahnungslose Mainstream-Autor_innen keine Schreibversuche im Bereich der spekulativen Literatur mehr unternähmen. Man kennt das ja: Eine Autorin, ein Autor, bislang für realistische Werke bekannt, veröffentlicht plötzlich einen Zeitreiseroman, eine Alternativweltgeschichte o.ä. und tritt mit der peinlichen Überzeugung an die Öffentlichkeit, etwas nie zuvor Dagewesenes geschaffen zu haben. Banks geht mit seiner Kritik daran interessanterweiser ziemlich weit und lehnt die idealistische Auffassung, SF könnte der genialische Schöpfungsakt einer einzelnen Person sein, rundheraus ab:
The point is that science fiction is a dialogue, a process. All writing is, in a sense; a writer will read something – perhaps something quite famous, even a classic – and think “But what if it had been done this way instead . . . ?” And, standing on the shoulders of that particular giant, write something initially similar but developmentally different, so that the field evolves and further twists and turns are added to how stories are told as well as to the expectations and the knowledge of pre-existing literary patterns readers bring to those stories.
Jeff VanderMeer wünscht sich dagegen, Iain Banks würde aufhören, neben seinen Space Operas realistische Romane zu schreiben: »I Wish Iain (M.) Banks Would Stop Dabbling in Mainstream Realism«

Ich wünsche mir ja eher, Banks würde aufhören, mir den Genuss seiner Culture-Romane durch ausgemachte Beklopptheiten zu versauen, wie zum Beispiel seine infame Ankündigung, nach dem Zwischenfall mit der Gaza-Flotille 2010 seine Bücher nicht mehr ins Hebräische übersetzen zu lassen.*

Zur Debatte fällt mir vor allem ein, dass Banks natürlich nicht unrecht hat. Das betrifft einerseits seine Ablehnung des Geniekults, und andererseits ist sein Spott über Mainstream-Autor_innen, die in SF-Gefilden dilettieren, kaum als unzutreffend zu betrachten. So weist in den Kommentaren zu Vandermeers Antwort auf Banks eine gewisse Sandra darauf hin, dass Philip Roth sich mit seinem Plot Against America wohl tatsächlich für den Erfinder des Alternativweltromans hält. Ohne Worte...

Bei mir bleibt jedoch ein Fragezeichen bei der Überlegung stehen, ob es angemessen ist, die im Ansatz berechtigte Attacke ausgerechnet gegen die Mainstream-Literatur zu richten. Können wir denn wirklich behaupten, dass es im SFF-Bereich grundlegend anders läuft? Zumindest in deutscher Sprache: Kürzlich erst habe ich eine Fantasy angelesen (Die Diamantschwert-Saga von Carsten Zehm), deren Protagonist allen Ernstes ein Halbling mit einem unsichtbarmachenden Ring ist. Einfach so. Als ob über Halblinge mit Ringen nicht schon vor über fünfzig Jahren... die eine oder andere Zeile veröffentlicht worden wäre. Ein unziemlich peripheres Beispiel, natürlich. Aber ich hätte schließlich ebensogut Christoph Marzi nennen können, der mit seinem Gaiman- und Miéville-Abklatsch Lycidas in Deutschland zumindest kurzfristig ein Vielfaches der Aufmerksamkeit erlangt haben dürfte, die seinen unfreiwilligen Ideenlieferanten Gaiman und Miéville selbst zukam. Und wenn man sich dann noch reinzieht, dass es mit Thilo Corzilius mittlerweile einen Autor gibt, der sich wiederum Marzi – warum Marzi, um alles in der Welt! – zum Vorbild genommen hat... Das Problem ist hier natürlich nicht, dass diese Autoren zu wenig Fantasy gelesen haben, sondern im Gegenteil, dass sie zuviel davon gelesen haben. Vom Ergebnis her betrachtet macht das die Sache allerdings nicht besser.

Will sagen: Wenn Fantasy & SF wirklich für sich beanspruchen könnten, stets (oder auch nur überwiegend) kreativ und originell im Umgang mit schriftstellerischen Vorbildern zu sein, könnte man vielleicht mit mehr Überzeugungskraft gegen Mainstream-Autor_innen sticheln, die das Rad zum zweiten Mal erfinden. Und bis es dahin gekommen ist, kann man die SFF-Gehversuche des Mainstreams getrost einzeln danach beurteilen, ob sie gelungen sind oder nicht. Herbert Rosendorfers Deutsche Suite und Briefe in die chinesische Vergangenheit etwa würde ich auch dann nicht missen wollen, wenn ihr Autor sich als vollkommen ignorant gegenüber Subgenres wie Alternativgeschichts- und Zeitreiseroman erweisen sollte.

* In der Ideenkloake des linken Israel-Bashings stellt dies immerhin ein Novum dar: Beschränkt sich der antizionistische Aktivismus in der Regel auf die alte judenfeindliche Parole, nicht beim Juden zu kaufen, dreht Banks die Sache um und will seine Bücher offensichtlich nicht mehr vom Juden kaufen lassen – und anscheinend auch nicht von allen anderen, die ihn gern auf Hebräisch lesen würden.

2 Kommentare:

gero hat gesagt…

Nettes Posting. In einem Punkt würde ich dir aber widersprechen. Du schreibst "Das Problem ist hier natürlich nicht, dass diese Autoren zu wenig Fantasy gelesen haben, sondern im Gegenteil, dass sie zuviel davon gelesen haben. Vom Ergebnis her betrachtet macht das die Sache allerdings nicht besser." Nein, das Problem ist mMn nicht, dass diese Leute zuviel Fantasy gelesen haben, sondern eher, dass sie sich Scheuklappen angelegt und dann Fantasy gelesen haben. Oder dass sie sich beim größten gerade herumliegenden Haufen bedient haben. (Dass ein Christoph Marzi, dessen überzuckerte Prosa mir in Verbindung mit seiner - wohlwollend betrachtet - eklektizischtischen Arbeitsweise in zunehmendem Maße Übelkeit beschert, jetzt für deutsche Autoren stilprägend wird, lässt für die nähere Zukunft wenig Gutes erwarten.)

Was ich mir wünsche, sind Autoren, die natürlich nicht nur im Genre lesen, sondern einen deutlich weiteren Lesehorizont haben, die sich aber im Genre eben nicht an den gerade angesagten Werken oder am HdR orientieren. Fantasy kann so viel mehr sein als Zauberei und Schwertgeklirr in pseudomittelalterlichem Setting - am liebsten noch mit ein paar Elfen oder Orks garniert -, dass ich die Einfallslosigkeit, mit der da viele Autoren zu Werke gehen, höchst bedauerlich finde.

Was Iain Banks und seine hebräischen Leser angeht, wollte ich nur kurz anmerken, dass diese Haltung ja nichts Neues ist (sondern allenfalls die Zielrichtung). Sagen dir die Namen Avram Davidson und Harry Turtledove etwas? Hast du von denen schon mal was auf Deutsch gelesen (abgesehen von einerr KG in einer Anthologie)? Kannst du dir denken, was der Hintergund dafür sein könnte, dass die Romane von Davidson und Turtledove nicht in Deutschland veröffentlicht werden? ;)

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Hallo Gerd,

zu den ersten beiden Absätzen: uneingeschränkte Zustimmung. Als ich geschrieben habe, das Problem sei ein Zuviel an Fantasy-Lektüre, habe ich mich natürlich zu einer Blödelei hinreißen lassen. Richtig ist, dass es sich eher um eine unreflektierte und wenig kreative Rezeption von Fantasy handelt.

Den von dir angesprochenen weiten Lesehorizont wünsche ich mir ebenfalls. Wobei ich noch darüber hinausgehen und mir nicht nur von den Macherinnen, sondern auch von den Konsumenten von Fantasy ein solches erweitertes Leseverhalten wünschen würde. Thomas Plischke hat mich mal darauf aufmerksam gemacht, dass sich über Eintönigkeit in der Fantasy gut meckern lässt, viele Fans aber scheinbar nicht auf die naheliegende Idee kommen (wollen), es doch zwischendurch einfach mal mit Literatur aus anderen Sparten zu versuchen. Da gebe ich Thomas vollkommen recht. Stärkere Vergleichsmöglichkeiten mit anderer Literatur würden sicherlich das Verständnis vieler Menschen für gute SFF schärfen.

Was den letzten Absatz betrifft: Über Davidson habe ich gehört, dass er wegen der Schoa nicht ins Deutsche übersetzt werden will. Bei Turtledove weiß ich nicht, warum er keine deutschen Übersetzungen will. (Von ihm habe ich übrigens mal einen Essay auf deutsch gelesen.)

Generell tue ich mir schwer damit, es mit der Aktion von Banks auf eine Ebene zu stellen, wenn Menschen mit einem jüdischen Hintergrund (wie Davidson) eine fortdauernde Abneigung gegen alles Deutsche haben. Gerade in Israel gibt es viele Menschen, die die deutsche Sprache für den Rest ihres Lebens weder hören noch sprechen wollen, und kurz nach 1945 war dieses Empfinden sicherlich noch weitaus stärker. Gründe genug dafür gibt es ja. Ich würde das nicht nur als moralisch-politische, sondern auch als ästhetisch begründete Entscheidung sehen; und die ästhetischen Entscheidungen gerade von Schriftsteller_innen müssen zwar nicht die meinen sein, aber ich muss sie respektieren. (Das sind Gedanken von mir, die mir zu der Frage kommen, ohne dass ich genauer wüsste, was Davidson und Turtledove bei ihrer Entscheidung letztlich motiviert hat.)

Bei Banks würde ich nun nicht vermuten, dass er eine durch persönliche oder familiäre Erfahrungen geprägte Abneigung gegenüber der hebräischen Sprache hat. Er vertritt mit seiner Boykottandrohung gegen Israel lediglich eine Position, bei er sich darauf verlassen kann, dass sie von der stark israelfeindlichen britischen Presse wohlwollend aufgenommen wird (eine Kerbe, in die auch China Miéville gern mal haut). Eine Position, die ihn selbst keine große Überwindung gekostet haben wird, denn selbst wenn er in Israel überdurchschnittlich viele Leser_innen haben sollte, wird der Ausfall dieses insgesamt winzigen Marktes doch vernachlässigbar sein.

Selbst wenn man Banks’ Kritik an der israelischen Politik (die er mit seinem Boykott am allerwenigsten treffen dürfte) für in der Sache gerechtfertigt hält, denke ich, dass Boykott-Aufrufe gegen Jüdinnen und Juden nicht anders als antisemitisch sein können und zudem in historischer Tradition mit Nazi-Methoden stehen. Man fordert schließlich auch nicht die Wiedereinführung der Rassentrennung in den USA, wenn man Obamas Politik nicht mag.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.