Mittwoch, 21. Juli 2010

Der Blätterwald über und gegen einen Außenseiter

Wolf von Niebelschütz' Romane Der Blaue Kammerherr und Die Kinder der Finsternis erschienen zu einer Zeit, als die deutsche Literatur — selten genug — von einer aufregenden Jakobinerherrschaft dominiert wurde: der Gruppe 47. Für mich ein Faszinosum, dass in der bundesrepublikanischen Literaturszene einmal von einem elitär-umstürzlerischen Kritiker-Orden entschieden wurde, was Literatur ist und was nicht. Wie jeder Jakobinismus war natürlich auch dieser reichlich intolerant, so dass zum Beispiel ein Autor wie Arno Schmidt zum Außenseiter wurde.

Ein (brillanter) Außenseiter war zweifellos auch Niebelschütz. Gerade wurden seine beiden Romane neu aufgelegt, und es spricht sich wieder ein wenig von ihm. Die Geschichte seines Außenseitertums wird dabei jedoch allzu plump nacherzählt. Die gängige Version, die einen unüberwindbaren Graben zwischen der Gruppe 47 — sozialrealistische, gegenwartskritische Trümmerliteratur — und Niebelschütz — unzeitgemäßer, versponnener Barock-Phantast — aufmacht, wird nämlich keiner der beiden Seiten gerecht. Einerseits fragt sich nämlich, ob Autoren wie Carl Amery und Günter Grass (beide Mitglieder der Gruppe 47) wirklich in dieses Zerrbild passen, dass da von der Nachkriegsliteratur gezeichnet wird. Andererseits wird Niebelschütz als bloßer Reaktionär abgetan, und damit spielt man den wirklichen Reaktionären und Berufsparanoikern in die Hände, die Niebelschütz für sich vereinnahmen wollen. Ein eindrückliches Beispiel findet sich in einem Kommentar zu diesem Eintrag aus dem buch blog:
»Er [Niebelschütz] erteilt eine ganz klare Absage an unsere ›freiheitlich demokratische Gesellschaft‹, die doch nach offizieller Lesart die einzig denkbare Daseinsweise ist. Da ist es schon verwunderlich, daß es überhaupt noch Exemplare seine [sic!] Romane gibt.«
Liest man den Kommentar in Gänze, sieht man, dass sich dort (typisch deutsch) der piefige Oberlehrer als altneurechter Kulturkritiker aufspielen will. Erschütternd, denn der Oberlehrer bezieht sich vermutlich auf Niebelschütz' politischsten Roman Der Blaue Kammerherr, der zwischen 1942 und 1949 geschrieben wurde — und daher, wie auch mit wenig Intelligenz sich erkennen lässt, mit Sicherheit keine Absage an unser aller FDGO ist. In solche Hände darf ein Autor wie Niebelschütz jedenfalls nicht fallen. Denn die schlichte Wahrheit ist, dass Niebelschütz kein literarischer Reaktionär war, sondern seiner Zeit weit voraus.*

Nun aber zu den aktuellen Wortmeldungen über Niebelschütz. Jutta Ladwig grenzt in ihrer Rezension (»Eine Mär aus alter Zeit«) Die Kinder der Finsternis treffend von dem historisierenden Schund ab, welcher heutzutage die Buchladenregale verstopft, findet dafür aber keine Gnade in den Augen Alban Nikolai Herbsts, welcher der Rezensentin poetologische Inkompetenz attestiert. Meine Sympathie genießt Ladwigs onkelhaft betitelte Rezension nichtsdestotrotz.

Nicht so Pascal Cames' »Saftige Handlung, glänzende Literatur«. Der Verfasser leitet mit einem überflüssigen Zitat von Eckhard Henscheid ein, bei dem der Übergang vom NFS-Schnösel zur jungkonservativen Triefnase (warum sind eigentlich stets nur Greise jungkonservativ?) nahtlos verlaufen ist. Und am Ende behauptet Cames auch noch zu allem Überdruss, Niebelschütz habe Sätze »à la Bild-Zeitung« gedichtet. Zugute halten muss ich Cames allerdings, dass er die wichtige Thematisierung des Judentums in Die Kinder der Finsternis erwähnt. Nur »14 Jahre nach Kriegsende« sei Niebelschütz diesem Thema nicht ausgewichen. Dass man in der Nachkriegszeit auch als überlebender Jude in der Bundesrepublik virtuell abwesend war, darauf hat Arno Widmann kürzlich in einem schockierend lesenswerten Artikel  in der Frankfurter Rundschau hingewiesen. Es spricht für sich, finde ich, dass Niebelschütz, dem man einen Platz in der deutschen Literatur nicht gönnte, in seinen Romanen bei den buchstäblich Vernichteten war.

Tobias Schwartz in der taz plappert nun endgültig die offizielle Außenseiter-Erklärung nach, indem er mit Knüppeln wie »Seine Prosa liest sich streckenweise antiquiert und manieriert, wenn nicht schwülstig.« und »In Sachen Stil hat sich Niebelschütz offenbar von Thomas Mann einiges abgeguckt.« (wie konnte er nur!) herumfuchtelt: Niebelschütz sei »Literarisch aus der Zeit gefallen«.

Nun noch zu einigen Feuilleton-Bemerkungen über Niebelschütz, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben. Weiterführendes zu Autor und Werk bietet ein 1990 in der Zeit erschienener Beitrag: »Der Olymp tanzt«. Einem Hinweis von molosovsky verdanke ich den Link zu einem archivierten Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1949, als Der Blaue Kammerherr erstmals erschienen ist. Aufschlussreich ist insbesondere ein Zitat über Niebelschütz aus Hanns Liljes Sonntagsblatt, welches im Artikel enthalten ist:
»An diesen 589 Seiten hat der Verfasser sieben Jahre lang geschrieben. Rechnen wir nach: also etwa seit Stalingrad. Es gingen Hunderttausende nach Sibirien, der Autor schrieb an dem galanten Roman. Es fielen täglich und nächtlich Menschen und Bomben — der Autor schrieb galant weiter.«
Man lasse den Schwerpunkt, den das bischöfliche Blatt da setzt, sich auf der Zunge zergehen: Über führerdeutsche Bunker- und Kessel-Befindlichkeiten hätte Niebelschütz schreiben sollen, nicht etwa über Nazi-Terror und Judenverfolgung. Manchmal, möchte man dem einsamen Autor zurufen, ist Außenseitersein einfach die bessere Wahl.

* Warum, legt Alban Nikolai Herbst in seinem Vortrag über »Frühe postmoderne Fantasien im Werk von Wolf v. Niebelschütz« dar.

10 Kommentare:

molosovsky hat gesagt…

Großartiger Eintrag!

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Danke. Am Montag geht's nach einem Jahr Südamerika zurück nach Deutschland. Und ich kann es kaum erwarten, wieder einmal den Blauen Kammerherrn in den Händen zu halten, der da in einem Karton auf dem Dachboden wartet.

Eosphoros hat gesagt…

Tja, nur in welchem Karton?

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Das ist wohl ein wunder Punkt, den ich mir noch nicht ganz eingestanden habe: Dass auf dem Dachboden ein rundes Dutzend Bücherkartons steht, und ich ich nicht weiß, in welchem Karton genau sich der Niebelschütz befindet. ¿Qué hacemos?

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Und warum sind die besuchten Links plötzlich blau? Violett hat mir besser gefallen. Hat Gott... hat Google da etwa wieder eingegriffen? Deus ex machina — el dios de la máquina... hieße übersetzt aus der kastilischen Sprache: Der Gott des Computers.

Eosphoros hat gesagt…

Wenn ’phoros ein Gott ist, war er es wohl.

Wenn du auf deinem Violett bestehst, kannst du es haben – wider besseres Wissen …

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Du kannst doch nicht im Ernst etwas gegen Violett haben??

Eosphoros hat gesagt…

Es ist weniger, dass ich was gegen Violett habe; sondern mehr, dass ich was für Blau habe … und für ein Design, das keine überflüssigen Farben benutzt :p

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Violett! Violett! Violett!

Eosphoros hat gesagt…

Sturer Schakal!

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.