Dienstag, 11. November 2014

Mobbing und Rezensionen

Triggerwarnung: Ableistische und sexistische Beschimpfungen in Links und Zitaten.

Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durchs Fandom, dass Benjanun Sriduangkaew mit der berühmt-berüchtigten Bloggerin Requires Hate identisch ist. Sriduangkaew war zuvor eine Nachwuchs-Autorin mit steil ansteigender Beliebtheitskurve. Bevor sie als Requires Hate zu bloggen begann, hatte sie bereits eine lange Karriere als Foren-Trollin hinter sich. Unter dem Nickname Winterfox* zerstörte sie quasi im Alleingang mehrere Online-Communities. Ihr Requires-Hate-Rezensionsblog erfreute sich eine Zeit lang einiger Beliebtheit im Fandom, und zwar gerade weil sie dort in ihren Buchbesprechungen extrem scharfe Rhetorik mit Ad-hominem-Verbalangriffen auf diverse Autor_innen vermischte.

Die Identität der Trollin Winterfox und der Bloggerin Requires Hate war mehr oder weniger bekannt. Dass Sriduangkaew hinter den beiden Nicknames steckt, war dagegen für viele ein ziemlicher Schock. Ein noch größerer Schock ist, dass sie nicht nur öffentlich Verbalinjurien aussprach, sondern hinter den Kulissen systematisch Mobbing, Stalking und Rufschädigung betrieb. Betroffen waren vor allem jüngere Autor_innen, darunter überproportional viele Frauen und People of Colour. Sriduangkaew war bei diesen Aktivitäten nicht allein, sondern hatte Helfer_innen, unter denen an erster Stelle Alex Dally MacFarlane und Nick Mamatas zu nennen sind. Ich möchte zwei Erfahrungsberichte verlinken, die schildern, wie es Menschen mit Requires Hate und ihrem Umfeld erging, und in meinen Augen als beispielhaft gelten können: einmal Athena Andreadis und einmal, ganz anders, Kameron Hurley.

Nun hat sich Laura J. Mixon die Mühe gemacht, eine umfassende Zusammenstellung von Sriduangkaews Mobbing-Aktiväten zu erarbeiten, mit zahlreichen Beleglinks und Statistiken und der Möglichkeit zu kommentieren. Ihr erklärtes Ziel ist dabei, einen sicheren Raum für Sriduangkaews Opfer zur Verfügung zu stellen. Auf der einen Seite finde ich, dass das die genau richtige Vorgehensweise ist. An erster Stelle steht jetzt, dem Mobbing und Stalking einen Riegel vorzuschieben und denjenigen zuzuhören, die vorher vielleicht nicht zu sprechen gewagt haben. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich keinerlei Triumphgefühle verspüre und mich eher frage: Was wird jetzt passieren? Welchen Weg wird das Fandom nehmen?

Schon jetzt zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Es gibt diejenigen, deren Augenmerk darauf liegt, wie solche abscheulichen Vorfälle in Zukunft verhindert werden können. Sie scheinen glücklicherweise die Mehrheit zu sein. Es gibt aber auch diejenigen, die sich jetzt einfach nur bestätigt sehen. Für einige im Forum of Ice and Fire steht fest: Sriduangkaew ist eine »unausstehliche Fotze«, und »Leute wie sie gehören entweder ins Gefängnis oder in die Psychiatrie«. Es gilt aufzupassen, dass solchen Bestrafungswünschen und Pathologisierungen nicht noch mehr Raum gegeben wird. Kari Sperring, die vielleicht am stärksten unter Requires Hate gelitten hat (und immer noch leidet: »What is left behind [...] is the voice in my head that tells me over and over to be silent, not to speak up, to double-guess my words and my work.«), sagt dazu in einem Kommentar zu Mixons Bericht:
I hate that this debate — not here on this post, but elsewhere on the web — is tending towards the language of war, with ‘sides’ and attacks and divisions and crashing-and-burning. I hate that I still see many men — who still have more of the power in this genre — sitting on fences tutting and whistling and uttering reproofs to those who speak from whatever position. I do not feel safe. I know I’m not alone in this here. I know there are people whose views on this are completely different to mine who are scared and distressed and feeling rejected. Those who have been injured — and I include B[enjanun] and her circle in this as well as all those named in Laura’s report and all the others who are coming forward, here and elsewehere — are being asked to account for themselves by people for whom this is a spectacle, or who are in a position to continue unaffected.
Ich möchte nicht Teil eines solchen Spektakels sein. Ich möchte nicht, dass eine wichtige und schmerzhafte Auseinandersetzung mit Mobbing sich in ein solches Spektakel verwandelt. Es erinnert mich an die Affäre John Asht. Asht ist ein rechtsextremer Autor, der 2012 ganz unverhohlene Drohungen gegen ihm unliebsame Rezensent_innen ausstieß. Trotzdem glaubten damals viele, in Asht einen harmlosen Irren sehen zu können, über den man sich lustig machen könne – nicht, um sein Verhalten und seine Weltanschauung berechtigtem Spott auszusetzen, sondern einfach wegen des Unterhaltungswerts. Auch damals wurde pathologisiert. Einem Überzeugungstäter wurde geistige Unzurechenbarkeit unterstellt, um eine wichtige Auseinandersetzung in ein reines Spektakel zu verwandeln.** Heute wird allerorten darüber diskutiert, ob Sriduangkaew eine Psychopathin oder eher eine Soziopathin ist, als ob es dabei etwas zu gewinnen gäbe.

Laura J. Mixon hat mit ihrem Bericht eine unersetzliche Ressource geschaffen. Und doch hat sie in meinen Augen durch die Kriterien, die sie selbst zur Analyse des von Requires Hate angerichteten Schadens aufgestellt hat, dazu beigetragen, dass der Fokus nicht allein auf dem Kernproblem des Mobbings/Stalkings liegt. Am Ende ihres Berichts steht eine Liste von Autor_innen und Fans, die von Sriduangkaew angegriffen wurden. In diese Liste aufgenommen hat sie Fälle, auf die einer von drei Punkten zutrifft:
Attacks include primarily:
  • Cyber-stalking (following the target around to different social media or blogs and deriding, insulting, or threatening them).
  • Implicit or explicit death, rape, and/or maiming threats in email, on Twitter, on Facebook, LiveJournal, or other sites.
  • Multiple, vituperative reviews of their books or stories (one review didn’t count).
Ich finde es ausgesprochen problematisch, gehässige Reviews (und seien sie noch so vituperative oder vitriolic) mit Cyberstalking, Todes- und Vergewaltigungsdrohungen gleichzusetzen. Nun hat Sriduangkaew in zahlreichen Rezensionen Drohungen ausgestoßen, die von vielen (auch von mir) für reine Performance gehalten wurden. Dass sie Leute stalkte und mobbte, beweist, dass es nicht so war, und es gibt keinen Grund, ihre Reviews für sakrosankt zu erklären. Trotzdem frage ich mich: Warum führt Mixon die Reviews als eigenen Punkt auf, wenn doch Reviews mit Drohungen darin bereits vom zweiten Punkt abgedeckt werden? An erster Stelle von Mixons Liste steht Saladin Ahmed, der aufgenommen wurde, weil Sriduangkaew ein Buch von ihm als »dampfenden, frauenfeindlichen Kackhaufen« bezeichnet hat. Das mag falsch, übertrieben oder schlicht unappetitliche Fäkalsprache sein, aber es ist weder Mobbing noch eine Drohung gegen den Autor. Jim C. Hines hat diesem Problem zwei lesenswerte, auch selbstkritische Blogposts gewidmet (»Online Bullying« und »Only a Sith Deals in Absolutes«), in denen er auf die Gefahr hinweist, die darin liegt, dass eine Debatte über Mobbing sich in eine Debatte darüber verwandelt, welche Reviews akzeptabel sind und welche nicht – Gamergate lässt grüßen.

Schon vor Mixon gab es einen Versuch, möglichst viele Informationen über Rquires Hate zusammenzustellen. Lobenswert ist insbesondere dass dort einige Gerüchte und Behauptungen, die überall herumschwirren, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Aber auf dieser Seite gibt es auch einen Abschnitt mit der Überschrift »Who’s siding with whom«, in dem verschiedene Blogposts über Requires Hate gesammelt wurden – jeweils mit dem Label »Defending abuse« oder »Defending the victims« versehen. Kameron Hurleys Text, den ich oben verlinkt habe, steht unter »Defending abuse«. Wiederum gewinne ich den Eindruck, dass hier das Spektakel gesucht wird.

Ist es überhaupt angebracht, jetzt die Arbeit von Mixon und anderen zu kritisieren? Ich weiß es nicht. Kari Sperrings Bild, dass es in dieser Auseinandersetzung Leute gibt, die feixend am Rand stehen, »tutting and whistling and uttering reproofs«, hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Unter Sriduangkaews Cronies hat sich besonders Nick Mamatas auf diese Weise hervorgetan. Mein Eindruck ist: Den sicheren Raum, den es jetzt braucht, gibt es noch nicht.

Eine umfangreiche Linkliste zur Sache stammt von Ann Somerville.

* Sie gebrauchte daneben noch eine Reihe von weiteren Nicks, darunter valse de la lune und acrackedmoon.
** Es gibt allerdings einen auffälligen Unterschied: Die Pathologisierung Ashts verlief eher so, dass seine Motive verharmlost und heruntergespielt wurden. Sriduangkaew wird jetzt mitunter so dargestellt, als ob sie eine Art Superschurkin sei, die das gesamte Fandom hypnotisiert habe. 

5 Kommentare:

simifilm hat gesagt…

Die ganze Geschichte kenne ich nur indirekt, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Aber ich verstehe nicht recht, was du zu Joh Asht schreibst.

Zum einen sehe ich den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Überzeugungstäter und einem geistig nicht zurechnungsfähigen Menschen nicht. Natürlich ist nicht jeder Überzeugungstäter unzurechnungsfähig, aber wer im Wahn handelt, ist definitiv ein Überzeugungstäter.

Vor allem aber sehe ich nicht, welche wichtige Auseinandersetzung es da zu führen gäbe. Asthts Verhalten wäre auch ganz ohne rassistische und sexistische Auslassungen inakzeptabel gewesen und seine Phantasien über eine Rezensionsmafia in jedem Fall Unsinn. Da sehe ich wirklich nichts, was eine ernsthafte Auseinandersetzung lohnt. Sinnvolle Reaktionen scheinen mir einzig, ihn zu ignorieren oder sich über ihn lustig zu machen. Aber ernsthaft auf den Unsinn eingehen – wozu denn?

Dasselbe für seine seltsamen völkischen Auslassungen. Unterhalb eines gewissen Levels lohnt sich die ernsthafte Auseinandersetzung schlicht nicht mehr, damit adelt man Leute wie Asht nur und gibt ihnen unnötig Raum.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Zunächst braucht es einen Disclaimer, glaube ich: Ich hab im Moment wenig Zeit und den Post deshalb ziemlich hektisch geschrieben. Daran wird es liegen, wenn er irgendwo undeutlich oder verworren ist.

»Vor allem aber sehe ich nicht, welche wichtige Auseinandersetzung es da [über John Asht] zu führen gäbe.«

Mit »Auseinandersetzung« meinte ich nicht, dass man sich auf seine Ideologie einlassen sollte, um sie zu überprüfen o.ä. Ich habe gerade ein Video der Süddeutschen Zeitung namens »Was wäre, wenn es in Deutschland keine Ausländer_innen gäbe?« oder so gesehen. Da wurde dann gezeigt, dass verschiedene Dienstleistungsbranchen ohne ausländische Arbeitskräfte sofort zusammenbrechen würden. So was halte ich einfach nur für kontraproduktiv, weil es an keiner Stelle die inhumane Logik des »Deutschland für Deutsche!« durchbricht.

Allerdings habe ich in SFF-Kreisen öfter erlebt, dass Asht als ein zauselig-irrer Hinterwäldler dargestellt wurde, der die Grundregeln des Literaturbetriebs nicht verstanden hat. Das ist er sicherlich, aber eben nicht nur, sondern auch ein Rechtsextremist, Frauenhasser und Antisemit – also jemand, der mit einer Ideologie ausgestattet ist, deren Gefährlichkeit sich nicht allein an seinem Verhalten gegenüber Rezensentinnen ablesen lässt, sondern auch in einem politischen Kontext steht.

Gründe, sich über Asht lustig zu machen, gibt es genug, und ich habe es ja selber ausgiebig getan. Seine Ideologie verdient es, verspottet zu werden. Aber mal angenommen, Asht wäre kein Fascho gewesen, der hetzte und Rezensentinnen bedrohte, sondern wirklich nur ein ahnungsloser Möchtegern-Autor – dann wäre es äußerst geschmacklos, ihn zur öffentlichen Belustigung an den Pranger zu stellen. Was sagt das über diejenigen aus, die ihn so sahen? Ihn für harmlos und nicht ganz richtig im Kopf hielten und trotzdem über ihn lachten?

simifilm hat gesagt…

Der Punkt ist wahrscheinlich, dass du eine Unterscheidung zwischen Ideologie und Irrsinn – um es mal salopp zu formulieren – machst, die für mich so nicht existiert. Ab – oder vielmehr unterhalb – einer Stufe politischer Idiotie kann ich die beiden Dinge nicht mehr unterscheiden. Viel relevanter wird da für mich die Frage, ob der Betreffende in irgendeiner Form handelt, die andere tangiert. Wenn jemand in seinem Kämmerchen Gewaltfantasien ausbrütet, ist mir das egal. Wenn er aber hingeht und Menschen bedroht resp. tatsächlich gewalttätig wird, muss man einschreiten.

Den letzten Absatz verstehe ich so, dass man gewisse geistig umnachtete Menschen vor sich selber schützen sollte. Damit hast du auch sicher recht. Aber für Asht kann das kaum gelten. Denn für einen "ahnungsloser Möchtegern-Autor" ist er einfach von Anfang an viel zu rabiat eingefahren. Wenn er sich in halbwegs normalem Tonfall Luft über seinen Ärger gemacht hatte, wären die Reaktionen kaum so vehement gewesen

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

»Den letzten Absatz verstehe ich so, dass man gewisse geistig umnachtete Menschen vor sich selber schützen sollte.«

Es kommt darauf an, was mit »geistig umnachtet« gemeint ist. Wäre Asht psychisch krank, müsste man ihn primär nicht vor sich selbst, sondern vor der Online-Öffentlichkeit schützen. Aber Asht ist natürlich nicht krank im medizinischen Sinne. Ich habe selber geschrieben, dass Ashts Weltanschauung von Wahn geprägt ist, aber damit wollte ich ihm selbstverständlich keine Krankheit diagnostizieren. Das Problem ist nicht sein persönlicher geistiger Zustand, sondern dass seine Äußerungen ein Beispiel für die Kollektivneurose des verschwörungstheoretischen Denkens sind. Was Asht von sich gibt, ist wahnhaft im Sinne Freudscher Sozialpsychologie, nicht im Sinne psychiatrischer Diagnostik.

Was ich letztlich sagen will: Die Pathologisierung von Personen wie Asht oder Sriduangkaew bringt nix, weil sie keine Probleme löst, und vor allem, weil sie ein Ärgernis für wirklich psychisch kranke Menschen (zu denen ich auch gehöre) darstellt.

»Aber für Asht kann das kaum gelten. Denn für einen ›ahnungsloser Möchtegern-Autor‹ ist er einfach von Anfang an viel zu rabiat eingefahren. Wenn er sich in halbwegs normalem Tonfall Luft über seinen Ärger gemacht hatte, wären die Reaktionen kaum so vehement gewesen.«

Wie gesagt, ich selber halte nichts von der Deutung, dass Asht ein harmloser, unabsichtlich komischer Gernegroß ist. Die Reaktionen auf seine Ausfälligkeiten hat er sich voll und ganz selbst zuzuschreiben.

P.S.: Glückwunsch zur Herausgeberschaft! Ich muss der GFF endlich mal beitreten ...

Frank Böhmert hat gesagt…

Der Punkt mit den Rezensionen war mir auch als seltsam aufgefallen.

Ich kann mir die Aufnahme dieses Punktes in die Statistiken nur damit erklären, dass Mixon aufzeigen wollte, wie sehr Sriduangkaew eben auch missliebige Konkurrenz fertigmachen wollte.

Und vielleicht auch als einen dezenten Hinweis an Magazinredaktionen, fiese Rezensionen nicht allein wegen ihres "Unterhaltungswerts" abzudrucken; da haben ja jetzt einige Leute ganz schön schmutzige Finger ...

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.