Freitag, 24. Oktober 2014

Elfenlied

Es scheint, als hätte ich den Dreh noch nicht raus, wie ich es schaffen könnte, wirklich jedes Wochenende ein neues Gedicht zu posten. Heute gibt es aber wieder eins, und zwar mit einer wesentlich kürzeren Einleitung als beim letzten Mal: Eduard Mörikes »Elfenlied«. Mörike gehört schon allein deshalb in die Geschichte der Fantasy, weil er sozusagen der erste Tabletop-Rollenspieler war. Gemeinsam mit einigen Freunden (alles Männer, so weit ich weiß) erdachte er die Sekundärwelt Orplid, wobei Mörike zunächst mündlich in geselliger Runde von den Mythologie und der Geschichte seiner Nebenschöpfung erzählte. Später siedelte er dann einige seiner Texte in Orplid an.*

Interessant ist der Kontrast zwischen den romantischen Elfen Karoline von Günderrodes, die ich letztes Mal vorgestellt habe, und dem biedermeierlichen Elfenbild des schwäbischen Dichters. Sind die romantischen Elfen mit Todessehnsucht, Tanz und Rausch verknüpft, finden sich bei Mörike höchstens noch Spuren dieser Motive: Der Rausch ist im »Elfenlied« auf das verschlafene Herumtappsen des kleinen Elfs reduziert, das an Betrunkenheit erinnert. Mörikes Elf ist – nicht nur wegen seiner Größe – ein Beispiel für die ›niedlichen‹ Elfen, die Tolkien so verachtete, jene »flower-and-butterfly minuteness [...], which transformed the glamour of Elfland into mere finesse«. In der Tat ist Mörikes Elf so klein, dass er in einem Schneckenhaus wohnen kann und mit den Glühwürmchen feiern möchte. Doch ist das wirklich »mere finesse«, wie Tolkien es sehen möchte? Ich glaube nicht, denn wie in vielen Texten des Biedermeier lauert im »Elfenlied« gleich unter der verspielten Oberfläche ein Abgrund. Doch zunächst der Text:


Elfenlied

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
               Elfe!
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief –
               Wohl um die Elfe! –
Und meint’, es rief ihm aus dem Thal
Bei seinem Namen die Nachtigall,
Oder Silpelit hätt’ ihm gerufen.
Reibt sich der Elf’ die Augen aus,
Begibt sich vor sein Schneckenhaus,
Und ist als wie ein trunken Mann,
Sein Schläflein war nicht voll gethan,
Und humpelt also tippe tapp
Durch’s Haselholz in’s Thal hinab,
Schlupft an der Mauer hin so dicht,
Da sitzt der Glühwurm, Licht an Licht.
„Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
Die Kleinen sitzen bei’m Mahle,
Und treiben’s in dem Saale.
Da guck’ ich wohl ein wenig ’nein!“
– Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?
               Gukuk! Gukuk!


(Zum Verständnis: Die in der siebten Zeile genannte Silpelit ist ein Elfenkind, eine Figur aus Mörikes zentralem Orplid-Text »Der letzte König von Orplid«.)

In dem Gedicht wird eine den Elfen zugeschriebene Eigenschaft auf den Kopf gestellt: Für gewöhnlich wird Elfen nachgesagt, dass sie Menschen zu Opfern geradezu bösartiger Späße machen. Mörikes kleiner Elf dagegen fällt sich sozusagen selbst bzw. seiner Naivität zum Opfer. Geweckt von einem Nachtwächter, der die Zeit ausruft, glaubt der Elf, er sei gerufen worden (normalerweise sind es Menschen, die von Elfen lockend gerufen werden). Er taumelt verschlafen aus seiner Wohnung und hält eine Mauer mit daraufsitzenden Glühwürmchen für ein hellerleuchtetes Festgebäude. Als er durch die ›Fenster‹ hineinblicken will, prallt er mit dem Kopf gegen die Mauer.

Der Elf, der an einer (ohnehin nur eingebildeten!) feuchtfröhlichen Feier teilnehmen möchte, trägt eine Beule davon. Das romantische Versprechen vom Rausch der Revolution und der Poesie ist zu einem im Halbschlaf erlittenen Missgeschick geworden, aus dem man nur ernüchtert und mit schmerzendem Kopf aufwachen kann. Am Ende wird der arme Elf sogar dafür verspottet, dass es ihn zur dionysischen Feier drängte – in der Romantik wäre er als serapiontischer Träumer geehrt worden! Aber bei allem Sarkasmus lässt sich im »Elfenlied« doch die bittere Enttäuschung spüren, die damit verbunden ist, dass die Menschheit bislang auf die Einlösung der revolutionären Versprechen verzichten musste. Die Orplid-Phantasien waren Mörikes Weg, mit den Unzulänglichkeiten des Lebens im Restaurationszeitalter zurechtzukommen.

* Die Tatsache, dass es heute einige FKK-Vereine gibt, die sich Orplid nennen, ist übrigens eher ein Kuriosum als in der Sache begründet. Mörikes »Gesang Weylas« beginnt mit den Zeilen »Du bist Orplid, mein Land!/Das ferne leuchtet;/Vom Meere dampfet dein besonnter Strand ...«. Meer, Sonne, Strand – damit können sich die Nackedeis natürlich identifizieren, und so hat sich bei ihnen der Brauch entwickelt, den Namen von Mörikes Zweitschöpfung anzunehmen. Schwer vorstellbar ist allerdings, dass der brave Cleversulzbacher Pfarrer selbst FKK praktiziert haben könnte oder solche Aktivitäten gutgeheißen hätte.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr schöner Fund und eine sehr interessante Interpretation. Danke! Darf ich das rebloggen?

Hokuspokus hat gesagt…

Ups, anonym wollte ich gar nicht. Sorry.

Ah, jetzt scheint's zu funktionieren!

Hokuspokus hat gesagt…

Ich bin wohl noch nicht wach genug, um hier zu kommentieren. Wo ist denn jetzt der erste anonyme Kommentar?
Danke also nochmal für den schönen Fund und die interessante Interpretation. Darf ich das rebloggen?

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Hallo Hokuspokus, der erste Kommentar ist vom Spamfilter gefressen worden. Das hab ich jetzt rückgängig gemacht. Und klar, du kannst das gerne rebloggen!

Hokuspokus hat gesagt…

Prima! Danke.
Auch für's hinter mir Aufräumen :)

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Kein Problem. Danke fürs Verlinken.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.