Mittwoch, 10. September 2014

E-Books sind P.o.P.

... wobei P.o.P. außer für Pop vor allem für Piss on Pity steht.

Beim Lesen eines Gesprächs zwischen Zoë Beck, Leander Wattig (finden E-Books knorke) und Roland Reuß (findet E-Books doof) ist mir eine beiläufige Bemerkung Wattigs ins Auge gefallen. Er sagt da über E-Books: »Man muss auch bestimmte Nutzungssituationen einbeziehen, etwa die größenverstellbare Anzeige von E-Readern.«

Das ist eine Sache, die mir bei der ganzen Diskussion, ob E-Books den kulturellen Bankrott oder eine Öffnung auf interessante neue Formen hin bedeuten, viel zu oft außen vor bleibt. Es gibt Menschen, für die sind aus einer Reihe von Gründen gedruckte Bücher schwerer zugänglich – Menschen mit Sehschwäche zum Beispiel. Das hat nicht unbedingt etwas mit Krankheit zu tun oder mit der oft vertretenen Vorstellung, dass manche Menschen eben Behinderungen haben und andere nicht. Phänomene wie Presbyopie, die sogenannte Altersweitsichtigkeit, zeigen, dass wir alle in vieler Hinsicht nur temporär nicht behindert werden, während in bestimmten Situationen unser Angewiesensein auf das Menschenrecht Barrierefreiheit steigt.

In dieser Hinsicht bieten E-Reader einige Vorteile etwa gegenüber Großdruck-Ausgaben. Die sind meist unhandliche Ziegelsteine und zudem auf ein bestimmtes Lesepublikum zugeschnitten: In der Genreliteratur sucht man sie in der Regel vergeblich. Hinzu kommt, dass für Menschen mit Sehschwäche bestimmte Fonts besser zu erkennen sind als andere. Die Möglichkeit, auf dem Reader zwischen verschiedenen Schrifttypen zu wechseln, ist also ein weiterer Vorteil. Kurzum: Als technische Innovation bieten E-Books Möglichkeiten gesellschaftlicher Inklusion, die es vorher nicht gab.

Ansonsten verläuft die Diskussion zwischen Beck, Reuß und Wattig weitgehend in den üblichen Bahnen:
  • Wattig: E-Books ermöglichen neue literarische Formen. (Stimmt.)
  • Beck: E-Publishing ermöglicht die Veröffentlichung von Werken, die sonst nie jemand zu Gesicht bekommen hätte. (Stimmt auch.)
  • Reuß: E-Books bringen durch das verstärkte Feedback des Publikums die Gefahr mit sich, dass vermehrt stromlinienförmige, vor allem kommerziell interessante Bücher produziert werden. (Stimmt ebenfalls, gilt aber strukturell auch für den Printbereich.)
Am Ende lobt Wattig Amazon für seine »Wir veröffentlichen alles«-Politik, die die Verlage zur Innovation zwinge. Das mag zwar irgendwie zutreffen, aber insgesamt scheint mir der derzeitige Zustand mit DRM und Anbindung an bestimmte Shops und Formate ein klassisches Beispiel zu sein, wie Produktivkräfte (= Kreativität und Innovation) gehemmt werden durch Produktionsverhältnisse (= Konzerne entscheiden, was wir wie lesen dürfen). Zoë Beck meint, E-Publishing demokratisiere die Buchproduktion. Reuß antwortet, Demokratie sei allein in der Rezeption von Büchern angebracht. Aber ist das Problem nicht viel mehr, dass es auf beiden Seiten keine wirkliche Demokratie geben kann, solange an der Schnittstelle zwischen Produktion und Rezeption ein Akteur wie Amazon steht? Gerade deshalb sind technische Neuerungen à la E-Book interessant: Sie verändern die Beantwortungsmöglichkeiten der Frage, auf die alles ankommt: Wie können die Produktionsmittel in die Hände der Produzentinnen/Rezipienten gelangen?

Die Lösung liegt im Kommunismus, und P.o.P. ist ein Schritt auf dem Weg dorthin.

5 Kommentare:

lapismont hat gesagt…

Eigentlich ist ein eBook nichts weiter als eine Sammlung von HTML-Seiten und insofern nichts anderes als eine Fassette des Internets.
Die freie Verfügbarkeit von Text, Kunst, Gedanken, Müll etc. ist irgendwie Bestandteil der Vernetzung von Menschen.
Geräte sind nur zeitlich stark begrenzte Hilfsmittel.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Klar. Ich wollte nur darauf hinaus, dass das Gerät in diesem Fall die Zugänglichkeit zu Text-Kunst-was-immer erleichtert. Es kann natürlich durch andere Geräte ersetzt werden.

simifilm hat gesagt…

Die Geschichte mit der wählbaren Schrift resp. Schriftgrösse hat allerdings auch eine Kehrseite: E-Books sind gedruckten Büchern typographisch deutlich unterlegen und das wird auch so bleiben. Technisch liesse sich das Layout zwar verbessern; . technisch ist bereits heute mehr möglich, als die meisten Anbieter nutzen- Letztlich kann aber auch der schlauste Algorithmus der Welt nicht mit einem guten Buchgestalter mithalten.

Mir ist natürlich auch klar, dass längst nicht alle gedruckten Bücher schön gesetzt sind. Wenn man aber mal eine gewisse Sensibilität für typographische Feinheiten entwickelt hat, sind E-Books ein Graus.

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Deshalb hoffe ich sehr, dass schön gestaltete Bücher auch in Zukunft eine größere Bedeutung haben werden als z.B. Schallplatten im Musikbereich.

Eosphoros hat gesagt…

Die Schriftgröße und den Font wählen zu können ist nicht der einzige Zugänglichkeitsvorteil – E-Books sind im Grunde auch zugänglich für text-to-speech-Vorlesesoftware. Es wäre wichtig, die gebotenen Möglichkeiten dabei auch zu nutzen und E-Books mit Ausspracheinformationen anzureichern. Nicht zuletzt Fantasy mit erfundenen Namen und Kunstsprachen würde davon profitieren.

@simi: Was graust dir denn speziell? Ich finde ja schlechten Blocksatz in E-Books das grausigste, und das lässt sich noch recht gut vermeiden (durch Flattersatz).

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Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.