Sonntag, 27. Oktober 2013

Asterix bei den Pikten

Nachdem ich mir gestern abend den neuen Asterix-Band zu Gemüte geführt habe, muss ich sagen: Euphorisiert bin ich nicht, aber ganz angetan. Als einschneidende Veränderung gegenüber den letzten von Albert Uderzo gezeichneten Bänden ist mir aufgefallen, dass in Asterix bei den Pikten eine Rückkehr zu den Anfängen versucht wird. Während die Reihe sich vorher weitgehend um sich selbst drehte und mit bemühten metafiktionalen Kapriolen aufwartete, gibt es hier ein klassisches Reiseabenteuer, das an Bände wie Asterix bei den Briten und Asterix in Spanien erinnert.

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die am liebsten alles vergessen würden, was seit René Goscinnys frühem Tod 1977 von Uderzo im Alleingang getextet und gezeichnet wurde. Natürlich steht fest, dass keiner der seit Der große Graben erschienenen Bände an die Gemeinschaftswerke von Goscinny und Uderzo heranreicht. Noch der letzte von Goscinny geschriebene Band, Asterix bei den Belgiern, war eine Großtat. Danach wirkte alles, auch die gelungeneren Geschichten wie Die Odyssee und Asterix im Morgenland,* vergleichsweise fad, und das lag nicht nur daran, dass Uderzo nicht an Goscinnys Humor und sein Gespür für dynamische Plots herankam. Auch die Zeichnungen selbst sahen nicht mehr so brillant aus wie vorher. Es scheint, als habe Goscinny nicht nur sein eigenes einzigartiges Können wieder und wieder unter Beweis gestellt, sondern auch das Talent seines Partners Uderzo befeuert.

Dennoch gestehe ich den in den Achtzigern herausgekommenen Bänden zu, dass sie eher durchmischt als schlecht sind: Auf einen ziemlichen Reinfall folgte ein liebevoll gestaltetes Reiseabenteuer (unvergessen die Episode, in der Asterix und Obelix in der Wüste nacheinander den Kriegsscharen sämtlicher mesopotamischer Großreiche, von Sumer bis Medien, über den Weg laufen), auf eine durchwachsene Geschichte (in der sich platte Situationskomik sehr unvorteilhaft mit einem ödipalen Drama mischt, das man Uderzo in dieser Unverfrorenheit gar nicht zugetraut hätte) wiederum ein Reiseabenteuer, das mit seinen ernsten Untertönen und Andeutungen von Grausamkeit an den zwölf Jahre früher erschienenen Band Asterix bei den Schweizern erinnert.

In den Neunzigern erfolgte dann der totale Absturz. Uderzo verwandelte sich in den Peter Scholl-Latour des Comics, in ein mit hohlen Meinungen um sich werfendes Fossil, das zu allen Entwicklungen der Zeit etwas zu sagen hatte und dabei doch immer nur seine Vorgestrigkeit zur Schau stellte. Bände wie Asterix und Maestria und Gallien in Gefahr dienen nahezu ausschließlich der Verbreitung von Uderzos chauvinistischem Weltbild, hinter dem so etwas wie ein Plot nur in rudimentären Ansätzen zu erkennen ist. Auch da, wo stärker die Form der klassischen Bände aus den siebziger Jahren bewahrt bleibt (Abenteuer im Dorf – Abenteuer auf Reisen), wird es nicht besser, denn Uderzo reduziert die von Goscinny so liebevoll charakterisierten Figuren systematisch zu Klischees ihrer selbst. Was vorher lebendige, skurrile Eigenheiten waren, sind jetzt nur noch Aufhänger für schlechte Witze. Hinzu kam eine Entwicklung, die angetan war, der Reihe in ihrer deutschsprachigen Ausgabe den Todesstoß zu versetzen: War der anspielungsreiche Humor des Originals 29 Bände lang von Gudrun Penndorf kongenial ins Deutsche übertragen worden, gab es ab Obelix auf Kreuzfahrt nur noch hirnverbrannte Lautmalereien, bis es nicht mehr zu ertragen war. Die von Adolf Kabatek (Band XXX) und Michael Walz (Band XXX–XXXI) angefertigten Übersetzungen stellen einen Tiefpunkt dar, der die von Uderzo verzapften Peinlichkeiten noch einmal in den Schatten stellte.

Aber zurück zu Asterix bei den Pikten. Die Nachricht, dass Uderzo den Zeichenstift endlich weitergereicht hat, sorgte bei den Fans für ein erleichtertes Aufatmen, und mit Klaus Jöken ist schon seit Band XXXII ein Übersetzer am Start, der zumindest die gröbsten Ausrutscher von Kabatek und Walz zu vermeiden weiß. Das neue, aus Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Zeichnungen) bestehende Team gehört einer Generation an, die mit den frühen Asterix-Bänden aufgewachsen ist, und dementsprechend wirkt das neue Abenteuer wie ein Versuch, zu den Wurzeln der Reihe zurückzukehren. Dazu passt auch Ferris Ankündigung, das nächste Abenteuer im Dorf spielen zu lassen. Genauso hielt es Goscinny in den siebziger Jahren, als er Reise- und Dorfabenteuer im Wechsel aufeinander folgen ließ. Der Zeichenstil, in dem der piktische Krieger Mac Aphon gehalten ist, geht noch einige Jahrzehnte weiter zurück und erinnert an Uderzos Figuren aus den fünfziger Jahren. Überhaupt ist Conrad als Zeichner ein Glücksgriff. Er kommt zwar nicht ganz an Uderzos Glanzzeit heran (wer würde das auch erwarten), aber die zentralen Figuren beherrscht er nahezu mit Perfektion. Allein Idefix und Majestix’ Schildträger haben mich nicht zu 100% überzeugt. Eigenständige Phantasie beweist er bei der Darstellung der Piktinnen und Pikten – klar, da muss er sich ja auch nicht an Vorbildern messen.

Autor Ferri beweist, dass er eine Geschichte erzählen kann. Asterix und Obelix finden bei einem Winterspaziergang den leblosen Mac Aphon. Nach diversen Turbulenzen, die durch die Anwesenheit des schicken Jünglings in der Dorfgemeinschaft ausgelöst werden, wird deutlich, dass Mac Aphon sich nach seiner piktischen Heimat verzehrt. Asterix und Obelix machen sich mit ihm auf den Weg nach Schottland, wo eine politische Intrige tobt. Mac Abberh, Chef eines mit Mac Aphons Leuten verfeindeten Clans, will König werden und kollaboriert dazu mit Rom. Während die beiden gallischen Helden Mac Aphon tatkräftig unterstützen, um Mac Abberhs Plan zum Scheitern zu bringen, lernen sie allerhand Eigenheiten der piktischen Gesellschaft kennen. So erfahren sie, dass Mac Aphon in einem »Patchworkclan« lebt: »Mac Abyte ist der angeheiratete Onkel von Calluna, der Adoptivnichte von Mac Mamah, die wiederum die zweite Frau meines Schwiegerpapas Mac Pomm ist, dem Patenonkel von Erica, meiner Kusine zweiten Grades von Mac Ulaturs Seite her ...«**

Insbesondere die im Dorf spielenden Szenen haben es in sich. Von Uderzos Unart, eine Story-Idee endlos auszuwalzen und die entstehenden Leerstellen mit Blödeleien aufzufüllen, ist weit und breit nichts zu erkennen. Aber nicht jeder Scherz in Asterix bei den Pikten ist gelungen: Mac Aphon, der in einem Eisblock eingefroren am Strand von Armorica angetrieben wird, spricht nach seiner Wiederbelebung durch Miraculix in Liedzeilen und Songtiteln, bevor er die Sprache wiederfindet. Das erinnert unangenehm an den müden Witz der Durchhängezeit seit den neunziger Jahren. Außerdem wird als neue Nebenfigur der Beamte Publius Plusminus eingeführt, der im gallischen Dorf eine Volkszählung durchführen soll und stark den Eindruck macht, als sei er für künftige Bände bereits als Running Gag eingeplant. Nötig hätten Ferri und Conrad so etwas nicht.

An mehreren Stellen liegt deutlich wahrnehmbar Uderzos übermächtiger Schatten über Asterix bei den Pikten. Das betrifft Inhalt wie Form: So spielt im letzten Viertel der Handlung Mac Aphons Verlobte Camilla eine zentrale Rolle, eine typische Uderzo-Frauengestalt, die an Grienoline (Der große Graben), Orandschade (Asterix im Morgenland) und Falbala erinnert, wenn sie auch etwas selbständiger agiert. Und dem Vernehmen nach hat der Altmeister seinen Nachfolgern mit Argusaugen über die Schulter geschaut und sich vorbehalten, jedes einzelne Panel zur Freigabe zu begutachten. So scheint es, dass die beiden Neuen mit diesem Band erst mal Uderzos Erwartungen entsprechen mussten und nicht zu stark eigene Wege gehen konnten. Ihren Willen, sich angesichts der Verflachungstendenz der letzten 25 Jahre auf die Stärken der Reihe zu besinnen, haben sie trotzdem kundgetan. Ferri und Conrad ist Erfolg zu wünschen, damit sie als nächstes Asterix-Abenteuer ein stärker unter Eigenregie gestaltetes Werk vorlegen können. Dann wird man sehen, welches Potential in den gallischen Raufbolden noch steckt.

Asterix bei den Pikten von Jean-Yves Ferri und Didier Conrad wurde von Klaus Jöken übersetzt und ist 2013 bei Egmont Ehapa erschienen.

* Bekloppter deutscher Titel übrigens, der zudem die Anspielung des Originaltitels (Astérix chez Rahàzade) auf Tausendundeine Nacht ignoriert.
** Lässt sich das als zaghafter Abgrenzungsversuch von Uderzo verstehen, der keine Gelegenheit ausließ, den Leser_innen sein ultrakonservatives Familien- und Geschlechterrollenverständnis unter die Nase zu reiben? Die Story böte übrigens noch mehr Gelegenheiten, mit Geschlechterklischees zu brechen, die aber leider nicht genutzt werden.

2 Kommentare:

Frank Böhmert hat gesagt…

Der nächste Band soll im Dorf spielen? Das ist eine erfreuliche Nachricht! Und ich habe sie irgendwie verpasst.

Ich fände ja auch mal ein Abenteuer interessant, das den Schwarzen im Ausguck der Piraten zum Thema hat - und die Gallier vielleicht nach Afrika führt. Und der Gute war immer ein prächtig cool kommentierender Gaglieferant ohne jede Entwicklung; da liegt viel Potenzial brach.

Meine Meinung zu den PIKTEN hier:
http://frankboehmert.blogspot.de/2013/10/gelesen-jean-yves-ferri-didier-conrad.html

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Dass Ferri den nächsten Band im Dorf spielen lassen möchte, habe ich in einem der Zeitungsberichte anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Bandes aufgeschnappt (ich weiß leider nicht mehr, welches Blatt das war). Insofern suggeriert meine Formulierung vielleicht eine feststehende Sache, wo es sich in Wirklichkeit nur um die Äußerung eines Wunsches handelt.

An einen Band über den Ausguckmann der Piraten habe ich bisher noch nie gedacht, muss ich sagen, aber die Vorstellung fasziniert mich. Der Ausguck stand für mich immer für eine Art Lebensklugheit, die den anderen Piraten (dem unfähigen Kapitän und dem sprücheklopfenden Lateiner) völlig abgeht. Ihm mehr Tiefe zu verleihen hätte auf jeden Fall etwas!

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.