Samstag, 11. Februar 2012

Heldenwinter

Jonas Wolfs Heldenwinter kommt im Gewand einer gewöhnlichen Questenfantasy daher: Ein großer Teil der Handlung schildert, wie sich eine Gruppe von Held_innen zusammenfindet, um einen erzbösen Feind zu vernichten. Die schön durchmischte und mit unterschiedlichen Motiven ausgestattete Gruppe klappert dann der Reihe nach die auf der beigefügten Karte eingezeichneten Orte ab, bevor es am Ende zur großen Konfrontation kommt.

Das sind die groben Züge, aber der Teufel steckt im Detail. Interessant an Heldenwinter sind nämlich die Abweichungen vom altbekannten Schema: So machen sich die Held_innen nicht etwa auf den Weg, um die Welt zu retten, sondern um ihre persönlichen Rachegelüste an dem verbitterten alten König Arvid und seinem skrupellosen Schergen Waldur zu befriedigen. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein magisches Artefakt, welches als Massenvernichtungswaffe einsetzbar ist. Den Held_innen geht es aber nicht etwa um die Vernichtung dieser übernatürlichen Waffe, sondern vielmehr um die Frage, welche Seite sie zuerst in die Finger bekommt.

Die Story: Dalarr ist ein alternder Haudegen, der nach vielen Kämpfen und Metzeleien zurückgezogen im Land der Halblinge, den Immergrünen Almen, lebt und sich gemeinsam mit seiner Frau Lodaja verwaister Halblingskinder annimmt. Als er mit seinem Lehrling und Mündel, dem Halbling Namakan, von einer längeren Fahrt zurückkehrt, findet er zu Hause nur noch die Leichen Lodajas und ihrer Pflegekinder vor – hingemetzelt von Waldur, seinem ehemaligen Waffengefährten. Dalarr schwört Rache und macht sich mit Namakan auf den Weg, um Waldur und seinem Herrn Arvid, dem König von Tristborn, entgegenzutreten. Nach und nach schließt sich den beiden eine Reihe von Gefährt_innen an, die allesamt einen persönlichen Groll auf Waldur hegen.

Unterwegs enthüllt Dalarr bruchstückweise immer mehr von der Vergangenheit, die Waldur und ihn entzweit hat. Er erzählt von Waldurs Verschwörung gegen den untätigen König Gubbe, unter dem Tristborn zu zerfallen droht, und von der Schlacht an der Festung Kluvitfrost, die mit dem Sieg Arvids über die von Osten her ins Reich eindringenden Pferdestämme endet, nachdem Dalarr, Lodaja und Waldur dem neuen König die alles entscheidende magische Waffe überreichen konnten. Dalarrs Vorgeschichte bildet somit einen zweiten Handlungsstrang, der dem klassischen Arsenal der epischen High Fantasy entnommen zu sein scheint: Es geht um den umjubelten Aufstieg eines Königs und die Rettung eines Reiches vor den einfallenden Barbarenhorden. Allerdings blättert, je mehr Dalarr erzählt, immer mehr von der heroischen Patina ab, bis am Ende nur noch Machtgier, Grausamkeit und verzweifelte Lügen übrig bleiben und Dalarr und Lodaja direkt vom Schlachtfeld auf die Immergrünen Almen fliehen, um sich dort vor ihrer dem Anschein nach so glorreichen Vergangenheit zu verstecken.

Dalarr ist ganz bewusst nach dem Muster klassischer Sword’n’Sorcery-Helden geschaffen, insbesondere das Vorbild des 1982er Film-Conan scheint in Heldenwinter immer wieder durch. Allerdings verhält Dalarr sich zu seinen literarischen und filmischen Vorbildern etwa so wie Will Munny aus Unforgiven zum »Mann ohne Namen« aus Sergio Leones Dollartrilogie: Dalarrs frühere Muskelspiele und Heldentaten werden im Laufe der Handlung immer stärker als zynisch und sinnlos entlarvt, doch auch im Alter kommt er nicht von ihnen los. Sein Versuch, ein friedliches Leben als Alternative zum Kriegerleben aufzubauen, endet im Blutbad an Lodaja und den Halblingskindern. Der Rachefeldzug, zu dem Dalarr daraufhin antritt, ist ebensosehr ein Versuch, alte Fehler wiedergutzumachen, wie er ein Rückfall in die überwunden geglaubte Erbarmungslosigkeit ist. Ruhm erntet Dalarr in seinem zweiten Leben als Held nicht mehr. Der Buchtitel, der so sehr nach kommerziellem Kalkül klingt, erweist sich als außerordentlich passend: Heldenwinter erzählt in der Tat, wie ein bereits stark angekratzter Held seinen Abgang von der Bühne inszeniert, ohne wirklich aus der Verbitterung und den Selbsttäuschungen hervorzutreten, die ihn seit Jahrzehnten begleiten. Am Finale der Rache-Queste angelangt, sind es eher die Entscheidungen der Gefährt_innen und nicht Dalarrs Zweikämpfe mit Waldur, welche den Ereignissen eine Wende geben.

Der Heldenmythos und der Sinn oder Unsinn von Rache werden im Roman selten direkt thematisiert. Vielmehr ist die ganze Handlung auf Spannung und Action angelegt (und hält auch, was sie in dieser Hinsicht verspricht). In Heldenwinter wird nicht kommentiert, sondern kontrastiert, indem ein typisches Sword’n’Sorcery-Handlungsgerüst (Held, der nur selbstgesetzte Regeln akzeptiert, nimmt Rache an seinen Feinden und schreckt dabei vor keinem Hindernis zurück) ebenso typischen, aber auf entscheidende Weise umgedeuten Elementen der epischen High Fantasy (der Aufstieg des Königs, das magische Artefakt, die Rettung des Reiches) auf geschickte Weise gegenübergestellt wird. George A. Romero hat den 2007er Reboot seiner legendären Dead-Filmreihe als »rejigging of the myth« bezeichnet – ein Ausdruck, der sich sehr passend auf Heldenwinter anwenden lässt, wie ich finde. Der Roman ist keine Metafiktion, nicht mal im Ansatz. Die ironische Perspektive auf Helden und Questen entsteht größtenteils durch die Neuanordnung und Konfrontation von Elementen, die generische Bestandteile der Sekundärwelt-Fantasy sind. Das ist eine ebenso spielerische wie wirkungsvolle Vorgehensweise, die Heldenwinter für mich so außergewöhnlich interessant macht.

Gelungen finde ich auch die Darstellung von Dalarrs Gefährt_innen. Sie kommen alle mit einer eigenen Geschichte daher und sind individuell charakterisiert, teilweise auch bewusst gegen den Klischeestrich gebürstet. Einzig Namakan ist als Reflektorfigur recht unauffällig, obwohl er durchaus eine Entwicklung durchmacht. In dieser Geschichte ist einfach (in aller Vieldeutigkeit) Dalarr der Held. Gewöhnungsbedürftig ist dagegen das großzügig eingesetzte Stilmittel der idiosynkratischen Sprache, der einzelne Charaktere sich bedienen. Viel weniger deutlich als Dalarr & Co. treten Arvid und Waldur hervor, die zwar im höchsten Maße grausam und niederträchtig sind, aber sonst eigentümlich blass bleiben. Gegen einen Charakter wie Dalarr ist halt schwer anzuschreiben. Nicht ganz gelungen finde ich auch die Art und Weise, wie einige zentrale Figuren im Laufe der Handlung sich nicht als das erweisen, was sie zu sein schienen bzw. selber zu sein glaubten. Das ist zwar grundsätzlich eine gut zum Thema passende Idee, die aber in ihren Konsequenzen nicht wirklich ausgelotet wird. Recht ungewöhnlich übrigens für heutige Fantasy: der bewusste Einsatz von Liedern und Gedichten, eine direkte Referenz an Altmeister Tolkien.

Heldenwinter bietet jede Menge Vergnügen und, wenn man es richtig liest, auch einiges an Denk- und Interpretationsstoff. Der Roman ist gänzlich in sich abgeschlossen, im Sommer will Jonas Wolf jedoch einen weiteren, in der gleichen Sekundärwelt spielenden Band Heldenzorn veröffentlichen. Auf den freue ich mich jetzt schon.

Heldenwinter von Jonas Wolf (508 Seiten) ist 2012 im Piper-Verlag erschienen.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.