Selten habe ich mich in letzter Zeit so durch ein Buch gequält. The Skrayling Tree ist die Fortsetzung von The Dreamthief’s Daughter: A Tale of the Albino, dessen deutsche Übersetzung ich vor einem Jahr ziemlich abgefeiert habe. Entsprechend hochgespannt waren meine Erwartungen an den Folgeband. Und ich kann noch nicht einmal behaupten, enttäuscht zu sein. Eher bleibt von der Lektüre ein Gefühl gepflegter Langeweile zurück.
In The Dreamthief’s Daughter durfte das geneigte Publikum die Abenteuer Graf Ulric von Beks im Naziland verfolgen. Zu Beginn von The Skrayling Tree ist der 2. Weltkrieg vorbei. Graf Ulric und Oona, die Tochter der Traumdiebin, haben geheiratet und sind beide für die UNO tätig, um den NS-Gräueln humanistischerweise etwas entgegenzusetzen. Im Urlaub wird Ulric, der sich auf verzweifelte Weise seine Skepsis vor dem Übernatürlichen zu bewahren versucht, in eine andere Welt entführt. Im gleichen Moment taucht der sinistre Johannes Klosterheim, einer der Hauptschurken des ersten Bandes, erneut auf. Oona beschließt, ihrem Mann in die andere Welt zu folgen, um ihn zu retten. Und dann hören wir ungefähr 250 Seiten lang überhaupt nichts mehr von Ulric oder über den Grund seiner Entführung.
Stattdessen folgen wir zunächst Oona in die andere Welt, in die ihr Ehemann entschwunden ist. Diese entpuppt sich als alternatives Nordamerika, inspiriert von Longfellow und Cooper. Oona trifft auf den Schamanen Ayanawatta und den jungen Albino-Krieger White Crow. Auf dem Rücken von White Crows Reittier, dem Mammut Bes, begeben die drei sich auf eine Reise durch das sagenumwobene Land.
In einem zweiten Handlungsstrang, der auf Oonas Geschichte folgt, begegnen wir Graf Ulrics Alter ego Elric von Melniboné, dessen Traum-Selbst es in ein alternatives Mittelalter verschlagen hat. Elric schließt sich – mit Hintergedanken – dem Wikingerhäuptling Gunnar the Doomed (der Name ist multiversales Programm) an, der sich mit seiner Schiffsmannschaft auf eine Reise durch die Unterwelt begibt, um in eben jenes Amerika zu gelangen, welches von Oona und ihren Gefährten durchreist wird.
Erst danach, im sich anschließenden dritten Handlungsstrang, treffen wir wieder auf Graf Ulric und seine Entführer. Die letzten 100 Seiten endlich führen die drei Stränge zusammen. Mein Problem dabei: Bis dahin gekommen, hatte ich komplett den Überblick über die Pläne und Absichten der zahlreichen Charaktere verloren. Der Subplot um Oona und ihre zwei Begleiter ist gemächlich bis zum Einschlafen. Oona scheint sich, einmal an den Küsten Gitche Gumees angelangt, nur noch an den Schönheiten der Natur und der charakterlichen Integrität ihrer Begleiter zu erfreuen und hat es mit der Rettung Ulrics ganz und gar nicht mehr eilig; man neigt bald dazu, das Buch beiseite zu legen, weil die Handlung nicht vorankommt. Ulric hingegen scheint hauptsächlich beschäftigt mit sich selbst und überfordert mit den Ereignissen um ihn herum zu sein, was sich beim Lesen irgendwie auf mich übertragen hat. Und bei Elrics Subplot dauert es einige Kapitel, bis man überhaupt einen Zusammenhang mit der restlichen Geschichte erahnen kann.
Man mag argumentieren, dass diese Art von Unübersichtlichkeit bei Moorcock intendiert ist. Das wird stimmen, nur habe ich es bislang nie als ein solches Manko erlebt. Drei unabhängige Handlungsstränge, die die Bedeutung der jeweils anderen fast völlig im Dunkeln lassen und erst auf den letzten Seiten des Romans zusammenfließen, gleichzeitig aber auch schwerlich für sich allein stehen können – das scheint mir aus Leser_innenperspektive ein eher strapaziöses als originelles Vorgehen zu sein. Zwar geht es auf den entscheidenden 100 Seiten zum Schluss nicht mehr so behäbig zu wie anfangs, sondern fulminant wie von Moorcock gewohnt. Aber selbst Höhepunkt und Abschluss der Handlung lassen mich unzufrieden zurück: Moorcock bedient sich nämlich der sagenhaften Goldstadt El Dorado als zentrales Motiv, des mythischen Ortes, der die imperiale Gier und den Größenwahn der Konquistadoren verkörpert. Das könnte interessant sein, nur macht Moorcock meines Erachtens viel zu wenig aus den Möglichkeiten, die der Stoff ihm böte.
Insgesamt ein eher bescheidenes Lesevergnügen also. Positiv zu vermerken bleibt, dass Moorcock stilistisch wie immer hervorragend ist. Der Piper-Verlag hat die deutsche Übersetzung der Trilogie um Oona und Ulric von Bek (ziemlich unpassend als Die neue Elric-Saga betitelt) nach dem Erscheinen des ersten Bandes nicht fortgeführt. Den Leseerwartungen des deutschen Publikums, die Moorcock ohnehin – völlig zu unrecht, das muss auch in einem Verriss wie diesem gesagt werden – für trivial oder für einen vorgestrigen Hippie-Onkel halten, wäre The Skrayling Tree wohl gar nicht entgegengekommen. Und selbst ich Moorcock-Fanboy werde nach dem großartigen ersten und dem zähen zweiten Teil der Trilogie die Lektüre des abschließenden Bandes The White Wolf’s Son wohl noch etwas hinausschieben.
The Skrayling Tree: The Albino in America von Michael Moorcock (447 Seiten) ist 2003 bei Warner Books erschienen.
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