Nava Semels Roman Und die Ratte lacht, 2007 erschienen im persona verlag (übersetzt von Mirjam Pressler), ezählt die Geschichte eines jüdischen Mädchens, das von seinen Eltern an ein Bauernehepaar gegeben wird, die es gegen Bezahlung verstecken sollen; das von ihren ›Beschützern‹ in die Kartoffelgrube gesperrt und von deren Sohn immer wieder vergewaltigt wird; das von einem Priester aus dem Erdloch gerettet wird; das von Zionisten nach Israel gebracht wird – wo sie später Mutter und Großmutter wird …
Mehr noch erzählt der Roman aber die Geschichte der Erinnerungen dieser Frau: Wie sie es nicht schafft sich zu erinnern, geschweige denn davon zu erzählen; wie ihre Tochter glaubt, sie habe ja sowieso nichts erlebt, an das sie sich erinnern könne; wie ihre Enkelin sich eine Geschichte von den heroischen Bauersleuten zusammenreimt, die ihre Großmutter unter Einsatz ihres Lebens beschützten und liebten wie ein eigenes Kind …
Als die Großmutter das Internet für sich entdeckt, schafft sie es endlich, ihr Trauma auszudrücken – in kurzen Gedichten, ohne Publikum, in der Anonymität des Netzes. Von dort aus geht ihre Erinnerung weiter auf Reise – die Gedichte werden in Kettenbriefen weitergeleitet, jemand fügt noch die Legende vom Lachen der Ratte hinzu … und ein Jahrhundert später ist das Mädchen mit Ratte in der Populärkultur verbreiteter als Raffaels Engel. Im Jahr 2099* versucht eine Wissenschaftlerin, die Ursprünge der Legende auszugraben – und findet das Tagebuch des Priesters, der das Mädchen 1943 bei sich beherbergte. Damit schließt sich der Kreis, die Erinnerung wird wieder Wahrheit, oder so etwas ähnliches.
Und die Ratte lacht ist ein starkes, auch erschütterndes Buch, das den Leser berührt und mit offenen Fragen zurücklässt, ihn selbst zum Erinnern und zum Nachdenken über das Erinnern anregt. Es ist auch ein kluger Kommentar (nicht nur) zur israelischen Erinnerungskultur, die institutionalisiert, ritualisiert … es aber nicht unbedingt einfacher macht, die eigene Erinnerung preiszugeben.
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Das Bild, ein Ausschnitt aus Gottfried Helnweins Gemälde Kindskopf (1991), ist laut der Autorin ein perfektes Portrait der Protagonistin des Romans.
(Quelle)
(Quelle)
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* Die Science-Fiction-Elemente in diesem Teil des Romans sind die Rechtfertigung dafür, dieses Buch in einem Fantastik-Blog vorzustellen …
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