Dienstag, 24. Juni 2014

Mad Genius Club & Bealedoggle

Inhaltswarnung: Kindesmissbrauch, sexualisierte Gewalt, Homophobie.

Es hätte mich erstaunt, wären die jüngsten Enthüllungen über Marion Zimmer Bradley im rechten Flügel des US-amerikanischen Fandoms nicht auf eine ganz bestimmte Art von Resonanz gestoßen. Auf der von konservativen Genre-Autor_innen betriebenen Website Mad Genius Club etwa erschien am 14. Juni ein Artikel, der unverblümt verkündete, was Deirdre Saoirsa Moen aufgedeckt habe, sei »the truth behind Marion Zimmer Bradley’s sexual openness«. Die Wahrheit hinter MZBs sexueller Neugierde? In meinem letzten Blogpost habe ich die Hintergründe ausführlich geschildert: MZB war mit Walter Breen verheiratet, der jahrzehntelang Kinder sexuell missbrauchte. MZB deckte und unterstützte Breens Taten, wie sie selbst zugeben musste. Neu hinzu kam jetzt, dass Bradleys und Breens Tochter, Moira Greyland, sich mit einer E-Mail an die Öffentlichkeit wandte, in der sie ihre Mutter bezichtigte, nicht nur Mitwisserin Breens, sondern selbst Täterin gewesen zu sein. Diese E-Mail wurde von der Autorin Deirdre Saoirsa Moen auf ihrem Blog veröffentlicht. Nun fallen mir zur Beschreibung dieser Angelegenheit alle möglichen Ausdrücke ein – aber »sexual openness« gehört definitiv nicht dazu.

Um es kurz zu machen: Der Artikel des Mad Genius Club ist schlicht und einfach von Homophobie motiviert. Marion Zimmer Bradley hatte in den fünfziger Jahren anscheinend Kontakte zu den Daughters of Bilitis, einer Gruppe lesbischer Aktivistinnen. Später erfand sie die Freien Amazonen von Darkover und gab damit lesbischen Fans einen Platz im Fandom, wie er zuvor nicht bestanden hatte.* Was in dem Artikel verklausuliert als sexuelle Offenheit beschrieben wird, meint nichts anderes als Homosexualität, und die »Wahrheit« dahinter ist folgerichtig die Neigung zum Kindesmissbrauch. Wer schwul oder lesbisch ist, soll uns das sagen, vergreift sich auch an kleinen Kindern. Heuchlerisch beteuert Cedar Sanderson, die Verfasserin des Artikels: »I know quite well that not all who are homosexual are also child abusers.« Aber viele, wenn nicht die meisten, sind es ihrer Ansicht nach eben doch.

Als Beispiel dafür pickt sie sich Samuel R. Delany heraus, der sich aus Sicht des Mad Genius Club gleich in mehrfacher Hinsicht zum Feindbild eignet: Delany ist nicht nur einer der angesehensten Autoren von Fantasy und SF überhaupt, sondern auch schwarz, bekennend schwul, Marxist und queerer Denker. Das Thema Sexualität, und insbesondere der sogenannten ›abweichenden‹ Formen sexuellen Begehrens, zieht sich wie ein roter Faden durch Delanys Werk. Er weist auf, dass die ›Abweichungen‹ von einer Normalität abweichen, die bestenfalls ein fragwürdiges Konstrukt ist. In einem Interview über seinen Roman Hogg sagt er: »I want the narrator to move into a more stable social condition: that’s how, as perverts, we grow up and mature in this society—moving from a socially untenable fantasy, such as Hogg’s actions represent for most of us, to a more socially tenable reality [...] Although the criminal aspect of Hogg’s activities is what makes those acts socially available, the narrator is beginning to learn that it is the acts themselves, and not their criminal aspects, which he fetishizes.«** Hogg, die Titelfigur des Romans, ist ein brutaler Psychopath, der seine Perversionen unter Anwendung von Zwang und Gewalt auslebt. Der namenlose Erzähler, von dem Delany in dem Zitat spricht, ist dabei Betroffener und Komplize zugleich. Während eines Zeitraums, in dem er von Hogg getrennt ist, lernt der Erzähler jedoch (andeutungsweise) andere Möglichkeiten kennen, wie sich Perversionen leben lassen – Möglichkeiten, die in Delanys Worten »gesellschaftlich tragbar«, nicht verbrecherisch sind. Der Perversion ist keine sexuelle Norm aufzulegen, sondern eine Norm des Sozialverhaltens. Gleichzeitig muss die Gesellschaft permissiv genug sein, um Perversion grundsätzlich zuzulassen. Ist sie dazu nicht bereit, nimmt sie in Kauf, dass die Perversion im Geheimen ausgelebt wird, was die Gefahr mit sich bringt, dass die Perversion mit den kriminellen Mitteln verwechselt wird, die angewendet werden, um den Fetisch heimlich ausleben zu können.

Für den Artikel des Mad Genius Club ist gerade dieses Interview der Stein des Anstoßes, denn es hat den Anschein, als äußere sich Delany darin lobend über eine Organisation namens NAMBLA. Der englische Wikipedia-Artikel über NAMBLA bringt ein entsprechendes Zitat Delanys.*** NAMBLA steht für North American Man/Boy Love Association. Der Name sagt alles: Es handelt sich um eine Organisation, die sich dafür einsetzt, dass Pädophilie als legitime Variante menschlicher Sexualität akzeptiert wird (dem Anschein nach war Walter Breen, MZBs Ehemann, ein Mitglied). Delany hat mehr als einmal positive Worte für NAMBLA gefunden. In seinem Buch Shorter Views spricht er z.B. beiläufig davon, dass NAMBLA eine Gruppierung sei, die einen ungerechtfertigt schlechten Ruf genieße.† Ich weiß nicht, warum Delany meint, sich für NAMBLA einsetzen zu müssen. Möglicherweise hat er sich zu der Ansicht verstiegen, dass sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen auch gewaltfrei möglich seien. Vielleicht auch nicht. Ohne genauere Aussagen Delanys lässt sich darüber nur spekulieren. So oder so finde ich die Unterstützung einer Organisation wie NAMBLA inakzeptabel.

Noch inakzeptabler ist aber, was der Mad Genius Club daraus macht: Nicht nur, dass er Kindesmissbrauch als Folge von Homosexualität darstellt, der Artikel endet auch noch mit der Aufforderung »stop praising those who abuse and defile children«. Was im Falle Walter Breens ganz angebracht ist, ist bei Delany reine Diffamierung. Delany hat sich zustimmend über NAMBLA geäußert. Das ist verwerflich genug, lässt sich aber nur um den Preis einer grotesken Verharmlosung mit aktivem Kindesmissbrauch gleichsetzen. In die gleiche Kerbe schlägt Theo Beale alias Vox Day, der vor dem Aufstieg Larry Correias so etwas wie der Star unter den rechtsradikalen Großsprechern im US-Fandom war. Am 19. Juni veröffentlichte Beale einen (nicht allzu kohärenten) Text auf seinem Blog, in dem er sich darüber beklagt, dass das liberale Fandom »the deeds of perverts and molesters and rapists« bewusst ignoriere. Und warum ist das so? Na klar – »because they are evil. It is that simple.«

Es ist aber nicht so einfach. Bei dem, was der Mad Genius Club wie Beale da verkünden, handelt es sich um ein ebenso verbreitetes wie abgedroschenes Ideologem: It’s them queers and pinkos who want to have sex with our children. In den Diskursen der Rechten über Kindesmissbrauch bricht das Unheil stets von außen über die Gemeinschaft der braven Schäflein herein. Durch ihre Vorstellungswelt geistern effeminierte Männer, die Kinder im Auto mitnehmen, und finstere Vergewaltiger, die nachts im Gebüsch lauern. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Fakt ist, dass die allermeisten Missbrauchsfälle sich innerhalb der Familie ereignen. Die Psychologin Monika Egli-Alge nennt für die Schweiz eine Rate von 84% Missbrauchsfällen im familiären Umfeld. Für Deutschland geht man davon aus, dass in 93% der Fälle die Täter_innen dem Kind bekannt sind. Mädchen sind zehn mal häufiger betroffen als Jungen, während es sich zu 90% um männliche Täter handelt. Das heißt: Die Täter_innen sind keine Fremden, und in den allermeisten Fällen sind sie nicht lesbisch oder schwul.

Die Fokussierung auf Organisationen wie NAMBLA, die Pädophilie als unproblematisch darstellen und sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen entkriminalisieren wollen, ist auch nicht gerade hilfreich. Ihr Aktivismus ist abstoßend, kein Zweifel, doch tragen mit Schaum vor dem Mund vorgebrachte Lynchphantasien gegen Pädosexuelle nichts zum Kinderschutz bei. Beale behauptet, sexueller Missbrauch von Kindern werde von »sexual deviant[s]« begangen, und hält damit die Frage nach der Motivation von Täter_innen für beantwortet. Ein weiterer Versuch, Kindesmissbrauch mit Homosexualität in Verbindung zu bringen, und wiederum einer, der an der Realität vorbeigeht. Der Sexualforscher Volkmar Sigusch nimmt zehn verschiedene Tätertypen an. Nur bei einem davon ist Pädophilie bzw. Pädosexualität das treibende Motiv. Egli-Alge zufolge werden ›nur‹ 25–40% der Sexualdelikte an Kindern von Pädophilen verübt. Deshalb lässt sich ein effektiver Schutz von Kindern gegen sexuelle Übergriffe nicht erreichen, indem man allein bei dem Phänomen der Pädophilie ansetzt.

Was von Leuten wie Beale konsequent ignoriert wird, ist der Gewaltcharakter des sexuellen Missbrauchs. Die Täter_innen sind überwiegend Heterosexuelle, die nicht mal das Problem haben, sich zu Kindern sexuell hingezogen zu fühlen (wie es bei Pädosexuellen der Fall ist). Mangelhaft ist nicht ihre sexuelle Orientierung, sondern ihr Empathievermögen. Dass Beale selbst jegliches Verständnis für sexualisierte Gewalt fehlt, ist daran erkennbar, dass er sich allen Ernstes dafür ausspricht, Vergewaltigung in der Ehe solle legal sein.††

Geht es um die Thematisierung von Kindesmissbrauch durch Rechtsradikale (ob im Fandom oder in der Gesellschaft insgesamt), sind meines Erachtens vor allem zwei Dinge von Bedeutung:
  1. Wenn Rechtsradikale sich das Thema Kindesmissbrauch aneignen, handelt es sich um eine Instrumentalisierung. Die entsprechenden Diskurse sind meist stark auf die Täter_innen fixiert, wobei diese als ›außenstehend‹, ›anders‹ oder ›fremd‹ imaginiert werden, oft auf homophobe Weise. Häufig werden brutale Bestrafungswünsche artikuliert, die zum Schutz von Kindern nichts beitragen, sondern eher dazu führen, dass der Blick von dem Ort, an dem Missbrauch überwiegend stattfindet (der Familie), abgelenkt wird. Missbrauch zu erkennen wird dadurch schwieriger. Aus diesem Grund ist das, was Rechtsradikale über sexuellen Missbrauch zu sagen haben, nicht nur verfehlt, sondern aus der Sicht von Betroffenen auch gefährlich.
  2. Daraus folgt, dass Rechtsradikale keine Verbündeten sein können, wenn es um die Auseinandersetzung mit Missbrauch und Kinderschutz bzw. Kinderrechten geht – wie wortreich sie sich auch immer empören mögen. Rechten Diskursen oder Versuchen, sich das Thema anzueignen, begegnet man im Alltag immer wieder. Sie beschränken sich nicht auf NPD-Plakate zu Wahlkampfzeiten, die »Todesstrafe für Kinderschänder!« fordern. Wer mehr erfahren möchte: Argumentationshilfen und andere Gegenstrategien finden sich in zwei lesenswerten Broschüren der Amadeu-Antonio-Stiftung, »Was Sie über sexuellen Missbrauch wissen sollten« und »Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis«.
* MZB als Pionierin der LGBTI-Bewegung zu feiern, ist dennoch nicht unproblematisch. Ihre persönliche Haltung zur Homosexualität war alles andere als konsistent, und die (aus meiner Sicht ja sehr erfreuliche) Entwicklung, dass vor allem lesbische Frauen sich mit den Freien Amazonen idenifizierten, scheint nicht unbedingt in der Absicht der Autorin gelegen zu haben.
** Carl Freedman (Hg.), Conversations with Samuel R. Delany, University Press of Mississippi 2009, S. 136.
*** Ich kann leider im Moment nicht überprüfen, ob Wikipedia korrekt zitiert, da die entsprechende Seite in der Vorschau von Google Books nicht vorhanden ist.
† Samuel R. Delany, Shorter Views: Queer Thoughts & the Politics of the Paraliterary, Wesleyan University Press 1999, S. 173.
†† Auf Skalpell und Katzenklaue ist vor zwei Jahren ein Artikel erschienen, der diese und andere Ansichten Beales mit Hilfe von Originalzitaten dokumentiert, die vor Misogynie, Rassismus und religiöser Borniertheit nur so triefen.

2 Kommentare:

Raskolnik hat gesagt…

Will Shetterly hat auf seinem Blog ein ausführliches Online-Gespräch veröffentlicht, das er mit Samuel R. Delany über NAMBLA etc. geführt hat: http://shetterly.blogspot.de/2014/07/a-conversation-with-samuel-r-delany.html

Murilegus rex hat gesagt…

Ah, super, dass du darauf hinweist. Ich schreibe gerade an einem weiteren Blogpost über Delany und NAMBLA und hätte das womöglich übersehen, weil ich grad noch einen Haufen andere Baustellen habe. Vielen Dank!

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.