Donnerstag, 17. April 2014

Skandinavische Film-Phantastik: Sechs Empfehlungen

In Zeiten, in denen mir das Bloggen aufgrund von Stress und den damit verbundenen Stimmungsschwankungen schwerfällt, tue ich das Naheliegende: Ich poste eine Liste. Eine Liste ist einfach aufgebaut und nicht allzu überfordernd, wenn es darum geht, Worte und Sätze in stringenter Weise zusammenzufügen.

Also. Ich finde, Skandinavien hat in den letzten fünf Jahren zur Vielfalt im Bereich des phantastischen Films entscheidend beigetragen. Insbesondere bin ich ein Fan von Tomas Alfredsons Låt den rätte komma in, der 2008 auf den Festivals gezeigt wurde und deshalb schon etwas älter als fünf Jahre ist. Auf seine Neuverfilmung der Brüder Löwenherz freue ich mich außerordentlich. Im hohen Norden sind aber noch deutlich mehr einfallsreiche Filmmenschen aktiv. Zum Beweis sechs Beispiele in chronologisch-alphabetischer Reihenfolge:
  • Død snø (Norwegen 2009) von Tommy Wirkola ist mit Abstand der schwächste Film auf dieser Liste. Trotzdem gilt: Anschauen kann man sich den ruhig mal. (Wirkola dürfte hierzulande vor allem für Hansel and Gretel: Witch Hunters bekannt sein. Ob der wirklich so schlecht ist, wie man sagt, kann ich nicht beurteilen, da ich ihn noch nicht gesehen habe.) Dead Snow, wie der internationale Titel lautet, handelt von einer Horde Nazi-Zombies, die seit der deutschen Besatzung Norwegens in Finnmark ihr Unwesen treiben. Durchaus beeindruckend ist, dass der Streifen es schafft, ausnahmslos jedes Horrorfilmklischee zu verwerten: Eine kleine Gruppe junger Leute. Darunter ein Nerd mit umfangreichen Genrekenntnissen. Eine einsame Hütte. Ein Einheimischer, der die jungen Leute warnen will, sich aber so verschroben benimmt, dass ihm kein Glauben geschenkt wird. Morde im Dunkeln. Eine Kettensäge und eine Axt. Muss ich noch mehr sagen? Ich denke nicht.
    Aber der Film wartet auch mit einem eigenständigen Merkmal auf. Die Darstellung der Zombies ist nämlich an die draugar, die lebenden Toten der altnordischen Mythologie, angelehnt. Draugar sind dafür bekannt, dass sie ihre Grabbeigaben eifersüchtig bewachen. Wer sich auch nur versehentlich am Grab eines draugr vergreift, kann sich der Rache der Untoten sicher sein. Die ›Grabbeigaben‹ der Nazi-Zombies in Wirkolas Film bestehen aus Beutegut aus dem 2. Weltkrieg, das natürlich von den jungen Leuten in ihrer Hütte gefunden wird. Wer sich also für die Verwendung von Folklore-Motiven im Horrorfilm interessiert, sollte bei Død snø einen Blick riskieren.
    Eines sollte man aber auf keinen Fall erwarten: eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Besatzungspolitik. Die Zombies in diesem Film sind ausschließlich wegen des Exploitation-Effekts Nazis.
  • Metropia (Schweden 2009) von Tarik Saleh spielt in einer dystopischen Zukunft, in der die Städte Europas durch ein gigantisches U-Bahn-Netz miteinander verbunden sind. Anders als die anderen Produktionen in dieser Liste, die eher dem Indie-Bereich angehören, wartet Salehs englischsprachiger Animationsfilm mit einem Star-Ensemble auf (u.a. Juliette Lewis und Vincent Gallo). Für Genrefans besonders interessant ist Udo Kier mit seiner ihm auf den Leib geschriebenen Rolle. Die Animation ist top, und bei einigen Szenen musste ich tatsächlich denken: This out-Gilliams Gilliam. Muss man gesehen haben.
  • Trolljegeren (Norwegen 2010) von André Øvredal ist ein sehr charmanter, zum Ende hin makabrer Found-Footage-Streifen. Drei Filmstudierende wollen eine Dokumentation über den verschlossenen Einzelgänger Hans drehen, der im Ruf steht, ein Wilderer zu sein. Es stellt sich jedoch heraus, das Hans das Gegenstück zu den berühmten isländischen Elfenbeauftragten ist: Er arbeitet für eine geheime Behörde, die die norwegische Trollpopulation überwachen und ihre Existenz vor der Öffentlichkeit verbergen soll. Hans ist einverstanden, sich bei seiner Arbeit von dem Filmteam begleiten zu lassen, um auf Missstände in seinem Beruf aufmerksam machen zu können. Das sehen seine Vorgesetzten allerdings gar nicht gern ...
    Die CGI-Effekte, mit denen die Trolle dargestellt werden, sind ausgesprochen respektabel. Überhaupt zeigen Filme wie Trollhunter (so der internationale Titel) oder Monsters von Gareth Edwards, dass auch Low-Budget-Produktionen sich nicht mehr darauf herausreden können, für gute visuelle Effekte brauche man viel Geld.
    Trolljegeren wird oft mit The Blair Witch Project verglichen – und unweigerlich dafür kritisiert, dass er sehr viel weniger spannend sei. Damit wird man Øvredals Film, der gar kein Schocker sein will, aber nicht gerecht. Die Ähnlichkeit mit The Blair Witch Project kommt ausschließlich dadurch zustande, dass beide Filme sich des Found-Footage-Schemas bedienen. Mir fällt ein anderer Vergleich ein: Kann man sich einen skandinavischen Kaijū-Film vorstellen? Hier ist er.
  • Marianne (Schweden 2011) von Filip Tegstedt fällt wiederum in den Bereich Horror mit Folklore, ist aber ungleich intelligenter als Død snø. Der Protagonist Krister ist ein verwitweter Familienvater, der von seiner verstorbenen Frau in Gestalt einer mara (eines Albs oder Nachtmahrs) geplagt wird – oder vielleicht auch nur von seinen Ängsten. Ein überaus sparsam erzähltes Psychodrama mit einem Hauch Übernatürlichen, dessen Atmosphäre sich am besten mit dem englischen Wort bleak beschreiben lässt, zu dem ich irgendwie nie ein wirklich passendes deutsches Äquivalent finde.
    Kurt Halfyard fiel in seiner Rezension ein: »Somebody, please, get Guillermo del Toro in contact with Philip [sic!] Tegstedt because here is a young director with the chops to make a The Devil’s Backbone or a Pan’s Labyrinth if he were given the finances and freedom to do so. In fact, he may well already have done the former with Marianne.« Ja, bitte! (Weitere passende Vergleiche aus Halfyards Besprechung: Låt den rätte komma in. La habitación del niño von Alex de la Iglesia. Und sogar Stanley Kubricks The Shining.)
  • Flukt (Norwegen 2012) von Roar Uthaug ist strenggenommen kein phantastischer Film, da er keine übernatürlichen Elemente enthält. Escape, wie der Film international heißt, spielt in einem von Pest und Hexenwahn geplagten mittelalterlichen Skandinavien. Die junge Signe ist mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder unterwegs auf der Suche nach einem besseren Ort zum Leben. In der Einöde wird die Familie von der Wegelagerin Dagmar und ihrer Bande überfallen. Signe wird in das Lager der Bande verschleppt, wo sie Dagmars Findelkind Frigg Gesellschaft leisten soll. Als Signe und Frigg einen Fluchtversuch vor der tyrannischen Dagmar unternehmen, werden sie von der Bande erbarmungslos gejagt.
    Man sieht, es handelt sich um Survival Horror – das mag die Aufnahme in die Liste rechtfertigen – mit der atypischen Eigenheit, dass dieser Film im Mittelalter spielt. Unweigerlich kommt in Flukt die für das Subgenre charakteristische krude Zivilisationskritik zum Tragen. Im Mittelpunkt steht sie aber nicht. Eher geht es um das Schicksal von Dagmar, die, in ihrer Jugend als Hexe verfolgt, zur harten und grausamen Chefin einer Räuberbande wurde.
    Flukt mangelt es nicht an abstrusen Zügen. So wirkt es mitunter unfreiwillig komisch, dass Dagmar in ihrem Räuberlager im Wald eine Art kleinfamiliäres Idyll errichten will – zumindest habe ich mich gefragt, warum Dagmars teilweise reichlich blutrünstig wirkende Gefährten nicht gegen diese Pläne aufbegehren. Dennoch ein nicht uninteressanter Film, der sich die Mühe macht, die in Mittelalterfilmen vorherrschende Robin-Hood-Ideologie zu durchbrechen. Für den verfemten Adligen Robin Hood ist stets klar, dass er  sich seinen Platz in der Gesellschaft, den er unrechtmäßig verloren hat, wieder erkämpfen kann. Die Botschaft von Flukt scheint dagegen zu sein: Es gibt keine Garantie auf einen sicheren Platz in der Gesellschaft. 
  • Thale (Norwegen 2012) von Aleksander L. Nordaas erinnert sowohl an Marianne als auch an Johanna Sinisalos Roman Troll. Eine Liebesgeschichte (in dem ganz andere Trolle als bei André Øvredal auftauchen). Auch hier gibt es ein Folklore-Motiv: Die beiden Tatortreiniger Elvis und Leo finden eine huldra, die jahrelang im Keller eines Hauses eingesperrt war – ein zum Anhimmeln schönes Waldgeschöpf in Gestalt einer jungen Frau mit einem Kuhschwanz. Ihr Peiniger hat sie bis zu seinem Tod medizinischen Experimenten ausgesetzt und die Ergebnisse auf Tonband dokumentiert. Indem Elvis und Leo die qualvolle Geschichte der huldra Thale kennenlernen, werden sie auch mit ihren eigenen Traumata konfrontiert. Eine irgendwie rührende Mischung aus Märchen und Horror.
Frohe Ostern, liebe Leser_innen. Was immer ihr tut, ich hoffe, ihr guckt euch über die Feiertage keine langweiligen Filme an!

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    Foto-Disclaimer

    Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.