Dieser Tage habe ich N. K. Jemisins The Killing Moon und The Shadowed Sun gelesen. Wie üblich nach einem marathonartigen Buchverschlingen schwirren mir nun einige Gedanken durch den Kopf, die ich hier einfach kurz weitergeben will:
Die zwei Bücher folgen auf sehr angenehme Art und Weise aufeinander – das zweite baut stark auf dem ersten auf, entwickelt aber eine völlig eigenständige Geschichte. An keiner Stelle hat mich wiederholte Exposition oder fanservicemäßiges Referenzieren von Ereignissen aus dem ersten Buch gestört.
Die Sprache erscheint mir als alter Tolkienist an manchen Stellen etwas zu modern, was mir auch bei George R. R. Martin (noch stärker) so geht. Andererseits ist Jemisins Setting nicht quasi-europäisch-mittelalterlich, daher sollte ich vielleicht meine Lesegewohnheiten ablegen. Außerdem zeigt sich im Kontrast mit den Paratexten, wie unmodern der Stil doch eigentlich ist.
Jemisin hat um Nachsicht gebeten bei “armchair Egyptologists”, aber möglicherweise nicht mit “amateur Berberologists” gerechnet. Wie immer wenn sehr vertraute Dinge in einer Fiktion auftauchen, reißt es mich etwas aus der Versenkung. So auch hier mit Jemisins »Banbarra«, die (unter anderem) wesentlich von den Tuareg beeinflusst sind. Und wenn ich aus der Geschichte geschmissen werde, fange ich an sie überkritisch zu sehen: Ist es eine gute Idee, eine Ethnie zu fiktionalisieren und sie dann nach der Nachbarethnie zu benennen? Und was ist davon zu halten, dass Jemisin eher nur die oberflächlichsten kulturellen Eigenheiten der Tuareg übernommen hat, immateriellere aber nicht?
Es spricht für die erzählerische Qualität dieser Geschichten, dass ich über diesen Stolperstein hinweggekommen bin und wieder ins Vergessen des Unglaubens hineingezogen wurde.
“What he perceived [was] a femaleness so quintessential to her character that it almost had a texture.” – Ob Jemisin wohl auch die Idee einer essentiellen Weiblichkeit vertreten würde, oder ob das nur die Sicht des Charakters ist? Denn das wäre ein Standpunkt, den ich ablehnen würde.
Alles in allem werde ich sicher gerne mal wieder was von Jemisin lesen. Nicht zuletzt auch weil sie im Interview mit sich selbst (das es als Beigabe zum E-Book von The Killing Moon gibt) exzellenten Humor beweist.
Freitag, 27. September 2013
Sonntag, 22. September 2013
The Fall of Arth―
Nun ist also (inzwischen schon vor einer Weile) Tolkiens Arthus-Gedicht The Fall of Arthur erschienen, mit eher wenig Echo.
Was vielleicht damit erklärt werden kann dass das Gedicht nur 40 Seiten einnimmt, beziehungsweise 953 ganze und eine Halbzeile umfasst. Zum Vergleich: Die Legende von Sigurd und Gudrún hat, bei vergleichbarer Zählung, rund 2000 Zeilen.
Meiner Ansicht nach scheinen wir uns einem Punkt zu nähern, an dem es eigentlich nötig wäre, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob kommerzielles Publizieren für Texte aus Tolkiens Nachlass noch das richtige¹ Modell ist. Können noch weitere Texte von Verlagen, die auf Wirtschaftlichkeit aus sind, veröffentlicht werden? Können sie übersetzt werden?² Eine der Alternativen scheint ebenso unattraktiv wie die Stagnation der Verkaufszahlen: Nicht-professionelle kostenpflichtige Veröffentlichung, wie sie mit Tolkiens kryptolinguistischen Texten in Vinyar Tengwar und Parma Eldalamberon praktiziert wird. Diese Publikationsschiene bedingt eine enorme Unzugänglichkeit dieser Texte – die ich nur ungern noch ausgeweitet sehen würde.
Alternativen? Nun ja, ich fühle mich utopisch, aber ich möchte doch erwähnt haben: Würde Christopher Tolkien (und wer auch immer ihm zur Seite stehen mag) seine exzellente herausgeberische Tätigkeit ohne Entlohnung fortsetzen, und würde/n eine oder mehrere der Tolkien-Gesellschaften die Kosten für die Aufbereitung des Manuskripts übernehmen, könnten zukünftige Veröffentlichungen möglicherweise open access als E-Book, und/oder zum Selbstkostenpreis als Print-on-Demand realisiert werden.
Es wäre bedauerlich, wenn die noch nicht bekannten Texte Tolkiens nur auf Grund des kapitalistischen Buchmarkts unveröffentlicht blieben oder ein Schattendasein fristen müssten.
Nun aber zum Text:
Ja, das Gedicht fängt vielversprechend an – und bricht ab bevor es ans Eingemachte geht. Ja, Christopher Tolkiens Kommentar ist gewohnt erhellend – aber allzuviel gibt es eben nicht zu kommentieren.
Inhaltlich gibt es zwei herausstechende Dinge in diesem Gedicht: Tolkiens Version von Guiniver, und dass er offenbar vorhatte, die Arthus-Erzählung an sein eigenes Legendarium anzuschließen.
Guiniver bekommt hier einen eigenen Charakter: egoistisch, opportunistisch, rücksichtslos. Auf den Punkt gebracht wird die Charakterisierung in Zeilen, die für den unfertigen Teil des Gedichts vorgesehen waren: “Guinevere grew grey in the grey shadow / all things losing who at all things grasped.” (S. 168) Allerdings wird noch eine interessante Ambivalenz hinzugefügt: Guiniver sei “golden / with gleaming limbs, // as fair and fell / as fay-woman / in the world walking / for the woe of men // no tear shedding.” (S. 27) Die Idee einer gefährlichen, rücksichtslosen aber schönen Frau mag nicht innovativ und nicht erfreulich sein, aber die starke Verbindung mit dem Elbentum, die Tolkien hier herstellt, ist überraschend. Sicher, die (für Sterbliche) gefährliche Schönheit alles Elbischen ist bei ihm ein durchgehendes Thema, aber sonst nirgends so negativ besetzt wie hier. Vielleicht ist das eine Anpassung an den höfischen Kontext?
Die Annäherung an das Legendarium ist im ganzen Gedicht spürbar, das Elbentum wird mehrfach erwähnt (wie in der Beschreibung Guinivers), aber explizit sollte es am Schluss des Gedichts werden:
Bekanntlich stirbt Artus nicht einfach, sondern wird an einen mystischen Ort verbracht – mit der Verheißung seiner Wiederkehr. In Tolkiens Notizen und Entwürfen zum Ende des Gedichts wird Avalon mit der elbischen Insel Tol Eressea identifiziert. Christopher Tolkien legt ausführlich dar, dass seiner Einschätzung nach mehr oder weniger zeitgleich mit der Entstehung des Fall of Arthur Tol Eressea zum ersten Mal der Beiname Avallone gegeben wird; ähnlich wie Númenor den Beinamen Atalante hat.
Damit nicht genug, Tolkien verwirft auch das dröge Ende für Lancelot als Mönch, und wollte ihn stattdessen in Parallelität zu Earendil in den Westen aufbrechen lassen, auf der Suche nach Artus.
War Tolkien der Ansicht, den in seinen Augen defizitären Arthus-Stoff nur durch eine Aneignung, durch das Eingliedern in den von ihm erdachten größeren mythischen Kontext interessant machen zu können?
Oder sitze ich (möglicherweise nicht alleine) einer falschen retrospektiven Vorstellung einer Einheitlichkeit und Abgeschlossenheit von Tolkiens Legendarium auf? Meine Annahme war, dass Tolkien die innere Plausibilität seines Legendariums, und seinen Anspruch auf eine autoritative Sekundärwelt, nicht kompromittieren würde – wie es etwa gewesen wäre, wenn die Anspielungen auf Túrin in der Legende von Sigurd und Gudrún weiter ausgebaut worden wären, eventuell wechelseitig. Dann wäre die Geschichte der Kinder Húrins nicht mehr eine Erzählung mit dem Anschein der Wahrheit, sondern nur noch ein Text, auf den sich ein allzu präsenter Autor mit quasi-postmodernem Augenzwinkern bezieht.
Ich muss wohl eingestehen, dass ich mein Bild revidieren muss. Die Selbstbezüge auf sein Legendarium sind in Tolkiens Werk Legion, besonders in seinen Kindergeschichten wie dem Hobbit oder Roverandom, aber auch The Notion Club Papers fühlt sich für mich wie ein allzu krasser Bruch mit der geschlossenen, mythisierenden Präsentation des Legendariums an.
Außerdem scheint es in der vermuteten, relativ dicht beieinander liegenden Entstehungszeit der Legende von Sigurd und Gudrún, des Fall of Arthur und des Hobbit eine Tendenz Tolkiens gewesen zu sein, ans Legendarium anzubinden – im Hobbit eher spielerisch bzw. zur Bereicherung des Hintergrunds, in den Gedichten motivisch: Sigurd wird zu einer Túrin-Figur, Lancelot wird zu einer Earendil-Figur. Eine erstaunliche, faszinierende Hybris!
Kunstvoll – fast möchte ich sagen: gewohnt kunstvoll – ist Tolkiens Verwendung von meteorologischen Ereignissen zum Stimmungsaufbau in The Fall of Arthur. Zur Eröffnung des Gedichts werden die Handlungsfäden verknüpft, indem jeder der zentralen Charaktere einen Sturm erlebt – Mordred und Lancelot werden hier besonders parallel-kontrastierend aufgebaut, während Arthus als entrückt angedeutet wird: “In the huge twilight // gleamed ghostly-pale, / on the ground rising // like elvish growths / in autumn grass // in some hollow of the hills / hid from mortals, // the tents of Arthur.” (S. 21)
Eindeutig erfüllt wird hier auch Tolkiens Charakterisierung englischer Stabreimdichtung im Kontrast zur nordischen Dichtung: »Im Altenglischen wurden Breite, Vollständigkeit, Reflexion, elegische Wirkung angestrebt. Die altnordische Dichtung strebt danach, […] einen Moment blitzartig zu beleuchten – und sie neigt zu Verknappung, zu wuchtiger sprachlicher Verdichtung […]« (Die Legende von Sigurd und Gudrún, S. 16). The Fall of Arthur und The Legend of Sigurd and Gudrún mögen im Gesamtwerk Tolkiens jeweils einen sehr ähnlichen Platz einnehmen, sie sind aber doch wundervoll voneinander abgesetzt in Stil und Sprache. Während Tolkien in seinen nordischen Gedichten seine archaisierende, auf den Erbwortschatz konzentrierte Sprache perfektioniert, zeigt er in der Arthus-Sage die französischen Einflüsse auch in der Wortwahl auf. The Legend of Sigurd and Gudrún wird so eine größere Altertümlichkeit verliehen, während The Fall of Arthur offen mit der höfischen, hochmittelalterlichen Welt verbunden wird.
Der Buchschmuck fällt hier weniger üppig aus als in The Legend of Sigurd and Gudrún, nur eine einzelne Illustration wird mehrmals im Buch verwendet. Erfreulicherweise wurde sie wieder von Bill Sanderson erstellt, wie auch das Gesamtkonzept des Buches eine soweit gelungene Weiterführung des Vorgängers ist. Diskrepanzen sind die Papierwahl des Schutzumschlags (matt, nicht mehr hochglanz – eigentlich eine gute Entscheidung) und die Auswahl der Cover- und Innenillustration, die nicht mehr thematisch perfekt passt (aber optisch einwandfrei ist).
Jetzt unangenehm ins Auge gesprungen ist mir aber, dass durchgehend nicht-proportionale Ziffern verwendet werden – alle Zahlen mit 1 sind unangenehm auseinandergezogen. Auf Seite einundelfzig beispielsweise wird das besonders deutlich. Das würde ich einen ganz grundlegenden Patzer nennen.
Zuletzt seien noch Errata genannt:
Seite 33, Zeile 182: “hosemen” → “horsemen”
Seite 172: “this would be huge task” → “this would be a huge task”
Seite 229: “lighting” → “lightning” (oder “lighting [sic]”?)
The Fall of Arthur von J.R.R. Tolkien, 2013 erschienen bei HarperCollins. Herausgegeben von Christopher Tolkien.
¹nicht grundsätzlich, aber pragmatischerweise hier ausgeschlossen sei die Frage, ob komerzielles Publizieren an sich sinnvoll ist
²anscheinend ja
Was vielleicht damit erklärt werden kann dass das Gedicht nur 40 Seiten einnimmt, beziehungsweise 953 ganze und eine Halbzeile umfasst. Zum Vergleich: Die Legende von Sigurd und Gudrún hat, bei vergleichbarer Zählung, rund 2000 Zeilen.
Meiner Ansicht nach scheinen wir uns einem Punkt zu nähern, an dem es eigentlich nötig wäre, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob kommerzielles Publizieren für Texte aus Tolkiens Nachlass noch das richtige¹ Modell ist. Können noch weitere Texte von Verlagen, die auf Wirtschaftlichkeit aus sind, veröffentlicht werden? Können sie übersetzt werden?² Eine der Alternativen scheint ebenso unattraktiv wie die Stagnation der Verkaufszahlen: Nicht-professionelle kostenpflichtige Veröffentlichung, wie sie mit Tolkiens kryptolinguistischen Texten in Vinyar Tengwar und Parma Eldalamberon praktiziert wird. Diese Publikationsschiene bedingt eine enorme Unzugänglichkeit dieser Texte – die ich nur ungern noch ausgeweitet sehen würde.
Alternativen? Nun ja, ich fühle mich utopisch, aber ich möchte doch erwähnt haben: Würde Christopher Tolkien (und wer auch immer ihm zur Seite stehen mag) seine exzellente herausgeberische Tätigkeit ohne Entlohnung fortsetzen, und würde/n eine oder mehrere der Tolkien-Gesellschaften die Kosten für die Aufbereitung des Manuskripts übernehmen, könnten zukünftige Veröffentlichungen möglicherweise open access als E-Book, und/oder zum Selbstkostenpreis als Print-on-Demand realisiert werden.
Es wäre bedauerlich, wenn die noch nicht bekannten Texte Tolkiens nur auf Grund des kapitalistischen Buchmarkts unveröffentlicht blieben oder ein Schattendasein fristen müssten.
Nun aber zum Text:
Ja, das Gedicht fängt vielversprechend an – und bricht ab bevor es ans Eingemachte geht. Ja, Christopher Tolkiens Kommentar ist gewohnt erhellend – aber allzuviel gibt es eben nicht zu kommentieren.
Inhaltlich gibt es zwei herausstechende Dinge in diesem Gedicht: Tolkiens Version von Guiniver, und dass er offenbar vorhatte, die Arthus-Erzählung an sein eigenes Legendarium anzuschließen.
Guiniver bekommt hier einen eigenen Charakter: egoistisch, opportunistisch, rücksichtslos. Auf den Punkt gebracht wird die Charakterisierung in Zeilen, die für den unfertigen Teil des Gedichts vorgesehen waren: “Guinevere grew grey in the grey shadow / all things losing who at all things grasped.” (S. 168) Allerdings wird noch eine interessante Ambivalenz hinzugefügt: Guiniver sei “golden / with gleaming limbs, // as fair and fell / as fay-woman / in the world walking / for the woe of men // no tear shedding.” (S. 27) Die Idee einer gefährlichen, rücksichtslosen aber schönen Frau mag nicht innovativ und nicht erfreulich sein, aber die starke Verbindung mit dem Elbentum, die Tolkien hier herstellt, ist überraschend. Sicher, die (für Sterbliche) gefährliche Schönheit alles Elbischen ist bei ihm ein durchgehendes Thema, aber sonst nirgends so negativ besetzt wie hier. Vielleicht ist das eine Anpassung an den höfischen Kontext?
Die Annäherung an das Legendarium ist im ganzen Gedicht spürbar, das Elbentum wird mehrfach erwähnt (wie in der Beschreibung Guinivers), aber explizit sollte es am Schluss des Gedichts werden:
Bekanntlich stirbt Artus nicht einfach, sondern wird an einen mystischen Ort verbracht – mit der Verheißung seiner Wiederkehr. In Tolkiens Notizen und Entwürfen zum Ende des Gedichts wird Avalon mit der elbischen Insel Tol Eressea identifiziert. Christopher Tolkien legt ausführlich dar, dass seiner Einschätzung nach mehr oder weniger zeitgleich mit der Entstehung des Fall of Arthur Tol Eressea zum ersten Mal der Beiname Avallone gegeben wird; ähnlich wie Númenor den Beinamen Atalante hat.
Damit nicht genug, Tolkien verwirft auch das dröge Ende für Lancelot als Mönch, und wollte ihn stattdessen in Parallelität zu Earendil in den Westen aufbrechen lassen, auf der Suche nach Artus.
War Tolkien der Ansicht, den in seinen Augen defizitären Arthus-Stoff nur durch eine Aneignung, durch das Eingliedern in den von ihm erdachten größeren mythischen Kontext interessant machen zu können?
Oder sitze ich (möglicherweise nicht alleine) einer falschen retrospektiven Vorstellung einer Einheitlichkeit und Abgeschlossenheit von Tolkiens Legendarium auf? Meine Annahme war, dass Tolkien die innere Plausibilität seines Legendariums, und seinen Anspruch auf eine autoritative Sekundärwelt, nicht kompromittieren würde – wie es etwa gewesen wäre, wenn die Anspielungen auf Túrin in der Legende von Sigurd und Gudrún weiter ausgebaut worden wären, eventuell wechelseitig. Dann wäre die Geschichte der Kinder Húrins nicht mehr eine Erzählung mit dem Anschein der Wahrheit, sondern nur noch ein Text, auf den sich ein allzu präsenter Autor mit quasi-postmodernem Augenzwinkern bezieht.
Ich muss wohl eingestehen, dass ich mein Bild revidieren muss. Die Selbstbezüge auf sein Legendarium sind in Tolkiens Werk Legion, besonders in seinen Kindergeschichten wie dem Hobbit oder Roverandom, aber auch The Notion Club Papers fühlt sich für mich wie ein allzu krasser Bruch mit der geschlossenen, mythisierenden Präsentation des Legendariums an.
Außerdem scheint es in der vermuteten, relativ dicht beieinander liegenden Entstehungszeit der Legende von Sigurd und Gudrún, des Fall of Arthur und des Hobbit eine Tendenz Tolkiens gewesen zu sein, ans Legendarium anzubinden – im Hobbit eher spielerisch bzw. zur Bereicherung des Hintergrunds, in den Gedichten motivisch: Sigurd wird zu einer Túrin-Figur, Lancelot wird zu einer Earendil-Figur. Eine erstaunliche, faszinierende Hybris!
Kunstvoll – fast möchte ich sagen: gewohnt kunstvoll – ist Tolkiens Verwendung von meteorologischen Ereignissen zum Stimmungsaufbau in The Fall of Arthur. Zur Eröffnung des Gedichts werden die Handlungsfäden verknüpft, indem jeder der zentralen Charaktere einen Sturm erlebt – Mordred und Lancelot werden hier besonders parallel-kontrastierend aufgebaut, während Arthus als entrückt angedeutet wird: “In the huge twilight // gleamed ghostly-pale, / on the ground rising // like elvish growths / in autumn grass // in some hollow of the hills / hid from mortals, // the tents of Arthur.” (S. 21)
Eindeutig erfüllt wird hier auch Tolkiens Charakterisierung englischer Stabreimdichtung im Kontrast zur nordischen Dichtung: »Im Altenglischen wurden Breite, Vollständigkeit, Reflexion, elegische Wirkung angestrebt. Die altnordische Dichtung strebt danach, […] einen Moment blitzartig zu beleuchten – und sie neigt zu Verknappung, zu wuchtiger sprachlicher Verdichtung […]« (Die Legende von Sigurd und Gudrún, S. 16). The Fall of Arthur und The Legend of Sigurd and Gudrún mögen im Gesamtwerk Tolkiens jeweils einen sehr ähnlichen Platz einnehmen, sie sind aber doch wundervoll voneinander abgesetzt in Stil und Sprache. Während Tolkien in seinen nordischen Gedichten seine archaisierende, auf den Erbwortschatz konzentrierte Sprache perfektioniert, zeigt er in der Arthus-Sage die französischen Einflüsse auch in der Wortwahl auf. The Legend of Sigurd and Gudrún wird so eine größere Altertümlichkeit verliehen, während The Fall of Arthur offen mit der höfischen, hochmittelalterlichen Welt verbunden wird.
Der Buchschmuck fällt hier weniger üppig aus als in The Legend of Sigurd and Gudrún, nur eine einzelne Illustration wird mehrmals im Buch verwendet. Erfreulicherweise wurde sie wieder von Bill Sanderson erstellt, wie auch das Gesamtkonzept des Buches eine soweit gelungene Weiterführung des Vorgängers ist. Diskrepanzen sind die Papierwahl des Schutzumschlags (matt, nicht mehr hochglanz – eigentlich eine gute Entscheidung) und die Auswahl der Cover- und Innenillustration, die nicht mehr thematisch perfekt passt (aber optisch einwandfrei ist).
Jetzt unangenehm ins Auge gesprungen ist mir aber, dass durchgehend nicht-proportionale Ziffern verwendet werden – alle Zahlen mit 1 sind unangenehm auseinandergezogen. Auf Seite einundelfzig beispielsweise wird das besonders deutlich. Das würde ich einen ganz grundlegenden Patzer nennen.
Zuletzt seien noch Errata genannt:
Seite 33, Zeile 182: “hosemen” → “horsemen”
Seite 172: “this would be huge task” → “this would be a huge task”
Seite 229: “lighting” → “lightning” (oder “lighting [sic]”?)
The Fall of Arthur von J.R.R. Tolkien, 2013 erschienen bei HarperCollins. Herausgegeben von Christopher Tolkien.
¹nicht grundsätzlich, aber pragmatischerweise hier ausgeschlossen sei die Frage, ob komerzielles Publizieren an sich sinnvoll ist
²anscheinend ja
Montag, 2. September 2013
Das Festmahl des John Saturnall
Ich habe mich entschlossen, den Monat der kurzen Rezensionen noch etwas auszudehnen – da ich sehr hobbymäßig blogge, wollte ich mich nicht verpflichtet sehen, einem Buch, das mir nicht gefallen hat, allzuviel Zeit zu widmen. Die passionierten und damit ausführlicheren Posts sind hiermit versprochen!
The story so far:
John wird gemobbt, dann verwaist er und wird vertrieben, bringt es als Koch in einem Herrenhaus aber noch weit im Leben. Zwischenrein wird noch ein König und ein Krieg gestreut. Dazu eine hetero-Liebesgeschichte, die Standesgrenzen überwindet (bahnbrechend!).
Wie auch im Guardian zugegeben, die Plot-Elemente sind äußerst generisch. Eine Story, die schleppend in Gang kommt, und dann weiterhin eher mäßig spannend bleibt. Außerdem mit abstruser Mystik verbrämt: Der hedonistische, lebensbejahende, kulinarische Saturnus-Kult sei von dem in allen Punkten gegensätzlichen Kult Jehovas¹ verdrängt worden. Unter diesen Jehova-Anhängern² sind übrigens Christen zu verstehen, scheint es. Weiterhin reagiert der Protagonist auf jede Provokation indem er versucht den Provokateur zu verprügeln – was nie auch nur ansatzweise kritisiert wird.
Viel mehr ist nicht hängen geblieben.
Lawrence Norfolk: Das Festmahl des John Saturnall. Gekürzte (autorisierte) Lesung, gesprochen von Heikko Deutschmann. Random House Audio 2012.
¹ Er hat Jehova gesagt!
² Er wiederholt seine Sünde!
The story so far:
John wird gemobbt, dann verwaist er und wird vertrieben, bringt es als Koch in einem Herrenhaus aber noch weit im Leben. Zwischenrein wird noch ein König und ein Krieg gestreut. Dazu eine hetero-Liebesgeschichte, die Standesgrenzen überwindet (bahnbrechend!).
Wie auch im Guardian zugegeben, die Plot-Elemente sind äußerst generisch. Eine Story, die schleppend in Gang kommt, und dann weiterhin eher mäßig spannend bleibt. Außerdem mit abstruser Mystik verbrämt: Der hedonistische, lebensbejahende, kulinarische Saturnus-Kult sei von dem in allen Punkten gegensätzlichen Kult Jehovas¹ verdrängt worden. Unter diesen Jehova-Anhängern² sind übrigens Christen zu verstehen, scheint es. Weiterhin reagiert der Protagonist auf jede Provokation indem er versucht den Provokateur zu verprügeln – was nie auch nur ansatzweise kritisiert wird.
Viel mehr ist nicht hängen geblieben.
Lawrence Norfolk: Das Festmahl des John Saturnall. Gekürzte (autorisierte) Lesung, gesprochen von Heikko Deutschmann. Random House Audio 2012.
¹ Er hat Jehova gesagt!
² Er wiederholt seine Sünde!
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Foto-Disclaimer
Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.