Trigger-Warnung: Darstellung von sexualisierter Gewalt in Filmen als Thema.
In meinem Blogpost »Torture Porn – ein Nachfahre des Splatterfilms?« habe ich argumentiert, dass das Charakteristische dieses Genres darin liegt, Gewalt bzw. Folter als Weg zur Erlösung darzustellen. Am deutlichsten tritt das in einem offenkundig religiösen Film wie The Passion of the Christ (2004) zu Tage, demzufolge die Marter Christi einen wesentlichen Anteil daran hat, dass er zum Erlöser der Menschen wird. Aber auch in den Filmen, die ich als Vorläufer der Torture-Porn-Welle der 2000er Jahre ansehe, David Finchers Se7en (1995) und Vincenzo Natalis Cube (1997), finden sich religiöse Motive zuhauf. Die Botschaft lautet stets: Wer sich der reinigenden Folter aussetzt, hat die Möglichkeit, ein erlöster oder zumindest ein moralisch gebesserter Mensch zu werden. Gelegentlich wird die Perspektive auch umgekehrt: Wer foltert und quält, nimmt an einem Erlösungswerk teil. Solche Aussagen werden manchmal auch in Filmen vermittelt, die nicht direkt dem Torture-Genre zuzurechnen sind, da sie keine Gore-Szenen enthalten, wie zum Beispiel Joel Schumachers Phone Booth (2002). In Schumachers Film, wie in Se7en, tötet der Killer nicht einfach aus Spaß an der Freude, sondern er nimmt das schwere Werk auf sich, den Menschen ihre moralische Verderbtheit vor Augen zu führen und ihnen Wege zur Besserung aufzuzeigen (die natürlich mit jede Menge Qual und Leid verbunden sind).
Thomas Rogers bringt es auf Salon.com deutlich zum Ausdruck: »These recently incredibly popular ›Saw‹ movies—all 5,000 of them—are
killers with moralistic agendas. They are out torturing people that
they feel embody sinfulness because we live in a society so corrupt and
so infused by criminality and violence that we’re apathetic, and then
they use extreme violence as part of their message.« Darren Lynn Bousman, der Regisseur dreier Saw-Fortsetzungen, bestätigt das: »Nehmen Sie irgendeinen der Saw-Filme, es gibt in ihnen immer eine
moralische Botschaft ... Denken Sie sich alle Blutszenen weg und Sie
haben immer noch einen Film, während bei vielen anderen Horrorfilmen,
bei denen Sie sich alle Blutszenen wegdenken, nichts mehr übrig bleibt.
Und ich denke, das ist es, was die Saw-Filme so gut macht.«1 Folter ist dann gut, wenn sie eine moralische Botschaft birgt – Torture Porn erweist sich wahrhaftig als Filmgenre für die Ära von Abu Ghraib und Guantánamo.
Problematisch an der Verwendung des Torture-Porn-Labels finde ich, dass sich weithin die Tendenz durchgesetzt hat, so ziemlich jeden seit den 2000ern erschienenen Film mit hohem Gore-Anteil dem Genre zuzuschlagen.2 Das erklärt sich teilweise dadurch, dass parallel zur Welle der Torture-Filme eine Reihe von Remakes klassischer Horrorfilme in die Kinos kam. Bemerkenswerterweise erstreckt sich diese Zweitverwertung dabei vor allem über Filme, die (wie Torture Porn heute) seit ihrer Entstehungszeit als besonders kontrovers gelten: Wes Cravens The Last House on the Left (1972, Remake 2009), Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre (1974, Remake 2003), Wes Cravens The Hills Have Eyes (1977, Remake 2006) und Meir Zarchis I Spit on Your Grave (1978, Remake 2010). Die Remakes werden regelmäßig mit der Torture-Welle in einen Topf geworfen. So setzt zum Beispiel Stefan Geil in seinem Artikel »Torture Porn – Die Renaissance des Folterns«3 den Beginn der Torture-Welle mit Marcus Nispels Remake von The Texas Chain Saw Massacre an. Geil beklagt, der Begriff Torture Porn werde »im deutschsprachigen Raum inflationär verwendet, ohne dass seine Bedeutung ausreichend geklärt wäre«.4 Diese Einschätzung ist richtig, allerdings leistet Geils Artikel selbst alles andere als einen Beitrag zur Klärung des Begriffs, sondern verortet den Ursprung der Torture-Filme auf sehr undifferenzierte Weise im US-amerikanischen Exploitation-Film der 70er und 80er Jahre.
Geil behauptet, in den Torture-Filmen würde »gefoltert um des Folterns Willen«, und da es bereits in den 70ern »Filme mit ähnlicher Thematik« gegeben habe, ließen sich rückwirkend »auch diese Filme anachronistisch als Torture-Porn-Filme bezeichnen«.5 Ich vermute, dass diese etwas seltsame Argumentation allein deshalb zustande kommen konnte, weil die aufgezählten Remakes (deren Originale in der Tat allesamt dem Exploitation-Film angehören) mit Torture Porn gleichgesetzt werden, woraus wiederum die Schlussfolgerung gezogen wird, dass es bereits zu den Hochzeiten des Exploitation-Kinos das Genre Torture Porn gegeben haben müsse, wenn auch vielleicht unter anderem Namen. Beispiele für Torture Porn der 70er und 80er Jahre nennt Geil allerdings keine.
Ich halte an dieser Stelle den Hinweis für angebracht, dass der Exploitation-Film eine Vielzahl unterschiedlicher Genres umfasst, die zwar häufig (wie der Torture-Film) von massiver Gewaltdarstellung geprägt sind, in denen der Gewalt aber eine jeweils sehr unterschiedliche Funktion zukommt. Wie oben gezeigt, geht es im Torture Porn darum, dass das Zufügen und Erleiden von Gewalt der moralischen Läuterung von Individuen dient (dem Changieren der Perspektive kommt dabei zentrale Bedeutung zu). Ich finde es daher völlig unverständlich, dass Geil in diesem Zusammenhang von Folter »um des Folterns Willen« spricht.6 Gemartert wird in Filmen wie Saw eindeutig zu einem höheren Zweck, von puritanischen Killern mit weißer Weste, die in der Folter den einzigen Weg sehen, die Menschen von ihrer Verderbtheit zu erlösen.
Was hat es nun mit der Gewalt in den Exploitation-Genres auf sich, denen unterstellt wird, Torture Porn avant la lettre zu sein? The Texas Chain Saw Massacre und The Hills Have Eyes7 gehören einem Genre an, das ich als »Hillbilly-Kannibalenfilm«8 bezeichnen möchte (nicht zu verwechseln mit dem italienischen Kannibalenfilm, auf den ich später zu sprechen komme). Dabei handelt es sich im Grunde um eine Variante des Slasherfilms. Doch während im Slasherfilm reihenweise Teenager_innen von einem Killer für ihre Promiskuität bestraft werden, erzählen Hillbilly-Kannibalenfilme, wie eine Gruppe von harmlosen und friedlichen Menschen, die in einer hinterwäldlerischen Gegend der USA unterwegs ist, in die Hände eines degenerierten Familienclans fallen. Das Verhalten des kannibalischen Clans ist dabei nicht in erster Linie psychologisch motiviert wie das des Killers im Slasherfilm. Das Kannibalismusmotiv diente im US-Kino der 70er Jahre (so etwa in dem 1973 erschienenen dystopischen Film Soylent Green) als Metapher für eine der Barbarei verfallene Welt. In The Texas Chain Saw Massacre scheint das Verlangen des Sawyer-Clans, die friedlich in einem Kleinbus durch Texas zockelnden Jugendlichen abzuschlachten und aufzufressen, völlig unmotiviert zu sein und in perfekter »moralischer Schizophrenie« (Drehbuchautor Kim Henkel) vonstatten zu gehen. Ein schärferer Kontrast zu den heutigen Torture-Porn-Filmen, in denen die Gewalttätigkeit meist mit umständlichen moralisch-religiösen Rechtfertigungen einhergeht, lässt sich kaum vorstellen. In The Hills Have Eyes ist es die bürgerliche Familie, die zum Opfer einer kannibalischen Sippe wird. Die Gesellschaft, die die Kleinfamilie als Hort der Solidarität feiert, beruht in Wirklichkeit auf dem Prinzip Fressen und Gefressenwerden. Das ist die Botschaft der Hillbilly-Kannibalenfilme: Orgiastisch ausgelebte Gewalt, der Terror der Stärkeren und der Bestrafungswunsch, den die ältere Generation gegenüber der rebellischen Jugend hegt, lassen sich nicht durch irgendeine psychische Verirrung einzelner erklären, sondern sind der Normalzustand. Das erklärt vielleicht die Beliebtheit dieser Filme in den 70er Jahren.
The Last House on the Left und I Spit on Your Grave lassen sich dagegen als Revenge Porn bezeichnen.9 Hier lässt sich schon eher von einer gewissen Nähe zum Torture Porn sprechen. Das Grundschema dieser Filme ist folgendes: Eine Frau (oder eine Gruppe von Frauen) wird von Männern vergewaltigt oder auf andere Art und Weise misshandelt. Nach einer kurzen Übergangsphase nimmt das Opfer (manchmal auch die Familie des Opfers) blutige Rache an den Tätern. Diese werden in der Regel nicht einfach getötet, sondern langsam und qualvoll hingerichtet. Wie im Torture Porn wird die Frage, warum die Marter notwendig ist, ausführlich behandelt. Oft wird den Tätern erklärt, aus welchem Grund sie sterben müssen. Aber schon hier wird deutlich, dass dieses Genre sich deutlich von den Torture-Porn-Filmen unterscheidet: Die Gewalt dient nicht dazu, den Vergewaltigern einen Weg zur Läuterung aufzuzeigen. Sie dient allein der Katharsis des Opfers, das sich von den Tätern befreien, sie aus der Welt schaffen will. Während im Torture Porn die Folter oft in einer Weise aufgebaut ist, die den Gefolterten (etwa durch Selbstverstümmelung) einen Weg zum Überleben und zur Demut zeigen soll, ist im Revenge-Film der Tod der Täter das Ziel, das höchstens deshalb herausgezögert wird, um sie vor ihrem Ableben noch etwas leiden zu lassen. Quentin Tarantinos Death Proof (2007) steht in der Tradition dieser Filme.
Während The Last House on the Left, The Texas Chain Saw Massacre, The Hills Have Eyes und I Spit on Your Grave als Klassiker des Horror- und Exploitation-Kinos gelten, sind die Remakes dieser Filme überwiegend langweilig und uninspiriert. Die Remake-Welle der Nullerjahre hatte dem Horrorfilm in Sachen Innovation so gut wie nichts hinzuzufügen (das gilt insbesondere, aber nicht nur, für die Slasherfilm-Remakes aus dem Hause Platinum Dunes). Das gleichzeitige Aufkommen von Torture Porn halte ich deshalb für eine zufällige zeitliche Koinzidenz. Anders als die Remakes zeichnen sich die Torture-Porn-Filme (was immer man sonst von ihnen halten mag) dadurch aus, dass sie ein dem Zeitgeist sehr nahes Thema in den Mittelpunkt rücken, denn Folterszenen nahmen im Bildraum der Nullerjahre sehr viel Platz ein und werden sicherlich noch über längere Zeit präsent sein. Ich würde deshalb, statt die Torture-Filme mit der gleichzeitigen Remake-Welle in einen Topf zu werfen und ihre Entstehung in das Exploitation-Kino der 70er zu verlegen, dafür plädieren, Torture Porn als ein neues, eigenständiges Filmgenre der 2000er anzusehen. Sicherlich handelt es sich bei den Torture-Filmen um Exploitation, aber eben um neue, zeitgemäße Exploitation.
Der Frage, welche Filme dem Torture-Genre zugerechnet werden können, muss dabei mehr Aufmerksamkeit zukommen, als das bisher der Fall war. Nicht jeder Film, der auf Schockeffekte oder Gore setzt, ist deshalb gleich Torture Porn. So wird der niederländische Film The Human Centipede (2009) gelegentlich als Torture Porn bezeichnet. Der Film handelt von einem deutschen Chirurgen, der Rucksacktourist_innen verschleppt, um sie an Mund und Anus zusammenzunähen und einen »menschlichen Tausendfüßler« zu erschaffen. Doch der Chirurg Dr. Heiter, gespielt von Dieter Laser, ist ein typischer mad scientist, wie ihn die Geschichte des Horrorfilms in hunderten von Ausprägungen kennt, und The Human Centipede erweist sich auch darin als klassischer Horrorfilm, dass er eher auf die Schock- und Ekelgefühle setzt, die seine Grundidee beim Publikum auslöst, als auf exzessive Gewaltdarstellung. Es lässt sich immerhin feststellen, dass sich zwischen dem Typus des mad scientist und so manchem Folterer des Torture-Films eine Parallele zeigt: Beide sind demiurgische, gottähnliche Figuren, aber während der eine sich göttliche Schöpferkraft anmaßt, ist der andere vor allem an der Straf- und Bußmacht Gottes interessiert.
Während die Zuordnung zum Genre bei Filmen wie der Saw-Reihe unproblematisch ist, sieht es bei einem Film, der für viele die Quintessenz des Torture Porn zu repräsentieren scheint, schon schwieriger aus: Eli Roths Hostel (2005) weist eine Ahnengalerie auf, die eindeutig ins Exploitation-Kino der 70er und 80er zurückweist – allerdings nicht in das US-amerikanische, sondern in das italienische. Roth gab als Vorbilder für seinen Film Pier Paolo Pasolinis 120 Tage von Sodom (1975) und Ruggero Deodatos Cannibal Holocaust (1980) an. Insbesondere letzterer zeigt eine Spur an, die bei der genrehistorischen Einordnung von Roths Film zu verfolgen sich lohnt. Deodato hat nicht nur einen Cameo-Auftritt in Hostel 2 (2007), sondern zeichnet auch für maßgebliche Beiträge zum Genre des italienischen Kannibalenfilms verantwortlich (neben dem bereits erwähnten Cannibal Holocaust ist sein 1977er Film Ultimo mondo cannibale zu nennen). Der italienische Kannibalenfilm folgt meist einer kleinen Gruppe von Westler_innen, bei denen es sich beispielsweise um Wissenschaftlerinnen oder Dokumentarfilmer handelt, in ein schwer zugängliches Dschungelgebiet, wo sie von kannibalisch lebenden »Stämmen« ohne Kontakt zur Außenwelt zerstückelt, gebraten und verspeist werden. Die (simulierten) Tötungs- und Ausweidungsszenen werden dabei häufig mit Aufnahmen realer Tierschlachtungen ergänzt, um einen Eindruck von Authentizität zu erzeugen, der manchmal noch erhöht wird, indem der Film im Stil einer Dokumentation aufgezogen wird.
Die italienischen Kannibalenfilme sind vollgestopft mit rassistischen Klischees und inszenieren die Ureinwohner_innen etwa des Amazonasgebiets (in Cannibal Holocaust) als blutrünstige »Wilde«, bei denen Infantizid und grausame Strafen für sexuelle Übertretungen zum Alltag gehören. In der Regel werden diese Klischees an keiner Stelle gebrochen. Gleichzeitig beanspruchen die Filme, der westlichen Kultur einen Spiegel vorzuhalten. Während das Verhalten der kannibalischen Indigenen als umweltbedingt und mithin »normal« dargestellt wird, wird den US-amerikanischen oder europäischen Expeditionen Sensationsgier und die Bereitschaft, für schockierende Kamerabilder über Leichen zu gehen, vorgeworfen – etwas, woran die Kannibalenfilme zynischerweise partizipieren, weil sie selbst aus ebensolchen blutrünstigen, sensationsheischenden Bildern bestehen.
Eli Roth verlegt in den Hostel-Filmen die Grundmuster des italienischen Kannibalenfilms aus dem Dschungel nach Europa. Dabei greift er ironisch ein wirkmächtiges Motiv der US-amerikanischen Kulturgeschichte auf: Wenn unbedarfte Amis nach Europa kommen, müssen sie sich in Acht nehmen, denn Europa ist eine finstere, unverständliche Hölle der Ausschweifungen und Perversionen. Auch Hostel will seinem Publikum einen Spiegel vorhalten, und der Film tut dies auf beinahe ebenso krude Weise wie die italienischen Kannibalenfilme: Seht her, so verzerrt ist das Bild, dass wir US-Amerikaner_innen vom Rest der Welt haben.
Im Unterschied zu anderen Torture-Porn-Filmen lässt sich bei der Hostel-Reihe also tatsächlich eine direkte Bezugnahme auf ein klassisches Exploitation-Genre feststellen. Bedeutet das, dass die Hostel-Filme kein reiner Torture Porn sind? Vielleicht. Filme, die ich als typischen Torture Porn ansehen würde, haben gemeinsam, dass sie sich auf geradezu gravitätische Weise ernst nehmen. Hostel dagegen ist sehr postmodern und sehr selbstreflexiv. Die religiöse Überhöhung der Folter taucht in Roths Film nur ganz kurz auf: Als die drei Protagonisten des Films die Herberge betreten, ist in einem Fernseher im Hintergrund eine der Szenen aus Pulp Fiction zu sehen, in denen Samuel L. Jackson seine Predigten hält. Die religiöse Rechtfertigung der Gewalt – nichts weiter als ein Filmzitat.
1 So auf einer Pressekonferenz zu Saw 4. Der entsprechende Link ist leider verschwunden und auch im Internet Archive nicht zu finden, weshalb ich Bousmans Aussage nach dem Wikipedia-Artikel über Torture Porn zitiere (Version vom 18. April 2013).
2 Auch mein Blogpost von 2009 ist von dieser Tendenz nicht frei, denn darin habe ich Quentin Tarantinos Death Proof unbedachterweise zu den Torture-Filmen gezählt.
3 Stefan Geil, Torture Porn – die Renaissance des Folterns, in: Inge Kirsner/Michael Wermke (Hgg.), Passion Kino. Existentielle Filmmotive im Religionsunterricht und Schulgottesdienst, Göttingen 2009, 121–135.
4 A.a.O., 121.
5 A.a.O., 122.
6 Noch unverständlicher wird wird Geils Behauptung dadurch, dass er im Fortgang seines Artikels selbst ausführlich auf die religiöse Bedeutung der Folter in den Torture-Filmen zu sprechen kommt.
7 Wenn ich im Folgenden einzelne Titel aus der Aufzählung im dritten Absatz nenne, meine ich stets die Originale und nicht die Remakes.
8 Diesen Ausdruck habe ich von Thomas Plischke gelernt. Das Genre wurde von Christoph Schlingensief mit Das deutsche Kettensägenmassaker (1990) ins wiedervereinigte Deutschland verlegt.
9 Im englischen Sprachraum sind Bezeichnungen wie »rape and revenge film« oder »woman’s revenge film« üblich.
Mittwoch, 29. Mai 2013
Samstag, 18. Mai 2013
How Few Remain
How Few Remain ist der Auftakt von Harry Turtledoves elfbändiger Alternate-History-Reihe über die konfliktreichen Beziehungen, die Union und Konföderierte nach einem Sieg des Südens im Sezessionskrieg unterhalten. Als Divergenzpunkt dient dabei ein Ereignis, welches sich im Vorfeld der Schlacht am Antietam abspielte: In der realen Geschichte fiel dem Nordstaatengeneral George McClellan ein Dokument mit Robert E. Lees Invasionsplänen in die Hände, und es gelang ihm in der Folge, Lees Vormarsch aufzuhalten. In Turtledoves Alternativgeschichte bemerkt der Kurier, der das schlachtenentscheidende Dokument in Lees Auftrag transportiert, im letzten Moment den Verlust und kann das Papier wieder an sich nehmen. Die Nordstaaten erleben eine Niederlage, die Emanzipationserklärung bleibt in der Schublade und die Unabhängigkeit der sklav_innenhaltenden Südstaaten wird international anerkannt.
So schildert es Turtledoves Prolog, während die eigentliche Romanhandlung in den 1880er Jahren einsetzt. Das macht an dieser Stelle eine kurze Erklärung notwendig: How Few Remain ist keine Fortsetzung von Turtledoves früherem Alternate-History-Roman The Guns of the South (1992), der ebenfalls einen, allerdings aus gänzlich anderen Gründen erfolgenden Sieg der Südstaaten schildert. Turtledove erzählt also zwei unterschiedliche Versionen eines Triumphs der Konföderierten, die sich nicht synchronisieren lassen – alle Fans, die sich gern mit solcher Konkordanzarbeit befassen und How Few Remain noch nicht gelesen haben, seien hiermit gewarnt.
Und wie sieht das Nordamerika von How Few Remain aus? In den Nordstaaten wird zum ersten Mal seit dem verlorenen Krieg ein republikanischer Präsident gewählt (James G. Blaine, der in der realen Geschichte die Wahlen von 1884 nicht für sich entscheiden konnte). Samuel Clemens lebt als Journalist in San Francisco und hat sich nicht dazu entschließen können, unter dem Pseudonym Mark Twain zum Romancier zu werden. Abraham Lincoln ist in den Nord- wie in den Südstaaten (natürlich aus je unterschiedlichen Gründen) der Buhmann der Nation. In seiner eigenen Partei ist er zum Außenseiter geworden. Er widmet sich jedoch mit unverminderter Tatkraft einem neuen Anliegen: Nach der Lektüre von Marx’ Schriften hofft er, die Republikaner zu einer Arbeiterpartei umschmieden zu können. Während er als sozialistischer Agitator durchs Land reist, wird er von der Arbeiter_innenbewegung gefeiert und vom Rest der Gesellschaft als gefährlicher Unruhestifter verdammt. Für mich eine der sympathischsten Figuren von How Few Remain.
In den Südstaaten ist Pete Longstreet Präsident, der als General eine der Schlüsselfiguren in der Schlacht von Gettysburg war. Longstreet, von Turtledove als gewiefter Politiker gezeichnet, kauft dem Kaiserreich Mexiko die departamentos Sonora und Chihuahua ab. Das Kaiserreich, von einem siegreichen Maximilian von Habsburg regiert (der genau wie in der realen Geschichte eine Marionette Frankreichs ist), will durch den Gebietsverkauf seine leere Staatskasse füllen. Longstreet verschafft seiner Konföderation damit einen Zugang zum Pazifik.
Die Vereinigten Staaten wollen den Gebietszuwachs des Südens nicht hinnehmen und erklären der Konföderation den Krieg. Das stellt sich als reichlich unbedachter Schritt heraus, denn während der Süden über den draufgängerischen Stonewall Jackson als General-in-Chief verfügt, werden die Truppen des Nordens von dem chaotischen William Rosecrans befehligt. Zudem hat der Süden sich von der USA-typischen Isolationspolitik abgewandt und ist ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien eingegangen. Die beiden europäischen Mächte sind bereit, die Konföderation in einem neuerlichen Krieg zu unterstützen, verlangen aber im Gegenzug die Abschaffung der Sklaverei. Longstreet ist dazu bereit, kalkuliert jedoch, dass die Sklaverei nur der Form halber aufgehoben wird und der rassistische Status quo weitgehend erhalten bleibt (obwohl dem erzkonservativen Jackson schon dieser Schritt im Grunde zu weit geht). Die Nordstaaten stehen dagegen allein da und sind mit der Lage (politisch wie militärisch) hoffnungslos überfordert. Alfred von Schlieffen, deutscher Militärattaché in den USA, empfiehlt Rosecrans für die Zukunft ein Bündnis mit dem Deutschen Reich und die Einrichtung eines Generalstabs nach preußischem Vorbild.
Soviel zur Story von How Few Remain. Die meisten der bisher genannten Figuren sind Viewpoint-Charaktere. Von diesen gibt es noch einige mehr (allesamt historische Personen), die ich nicht einzeln aufzählen möchte. Genannt seien nur noch der berühmte Abolitionist Frederick Douglass und der Indianer_innenschlächter George Armstrong Custer. Douglass erhofft sich vom zweiten Krieg gegen die Südstaaten die endliche Befreiung der schwarzen Bevölkerung von der Sklaverei; sehr eindringlich wird dabei geschildert, wie die Schwarzen im Norden zu Sündenböcken des verlorenen ersten Krieges gemacht werden. Abe Lincoln hofft, Douglass für sein Projekt einer republikanischen Arbeiterpartei gewinnen zu können. Der jedoch weist Lincolns Gleichsetzung von Lohnsklaverei und wirklicher Sklaverei zurück und ist nicht bereit, den Kampf gegen letztere irgendwelchen anderen Erwägungen unterzuordnen. Custer ist dagegen eine ausgesprochene Arschlochfigur (kein Wunder, wenn man sich den Custer der realen Historie ansieht). Im Roman ist er damit beschäftigt, einen mormonischen Aufstand gegen die US-Regierung niederzuschlagen – denn die mormonische Führung will den Krieg ausnutzen, um der Zentralregierung das Recht zur Polygamie abzupressen.
Nicht alle Handlungsstränge bzw. POV-Charaktere sind gleichermaßen gelungen. Die nuanciertesten Figuren sind Douglass und Lincoln. Sehr amüsant ist der Englisch mit deutschem Einschlag sprechende Schlieffen, der regelmäßig mit preußischem Entsetzen über die Sorglosigkeit und Improvisierlust der US-Befehlshaber die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Andere POVs sind mitunter etwas schemenhaft, tragen aber durchaus dazu bei, dem von Turtledove gezeichneten alternativgeschichtlichen Bild Farbe zu verleihen. Nur eingeschränkt lässt sich das von dem sich um Samuel Clemens (alias Mark Twain, aber nur in der realen Geschichte) entspinnenden Subplot sagen, der seltsam unverbunden neben der restlichen Handlung herläuft. Das hätte es nicht unbedingt gebraucht. Mein Gesamteindruck ist dennoch positiv.
How Few Remain von Harry Turtledove (609 Seiten) ist gegenwärtig als Taschenbuch und E-Book von Del Rey erhältlich. Die Erstausgabe erschien 1997.
So schildert es Turtledoves Prolog, während die eigentliche Romanhandlung in den 1880er Jahren einsetzt. Das macht an dieser Stelle eine kurze Erklärung notwendig: How Few Remain ist keine Fortsetzung von Turtledoves früherem Alternate-History-Roman The Guns of the South (1992), der ebenfalls einen, allerdings aus gänzlich anderen Gründen erfolgenden Sieg der Südstaaten schildert. Turtledove erzählt also zwei unterschiedliche Versionen eines Triumphs der Konföderierten, die sich nicht synchronisieren lassen – alle Fans, die sich gern mit solcher Konkordanzarbeit befassen und How Few Remain noch nicht gelesen haben, seien hiermit gewarnt.
Und wie sieht das Nordamerika von How Few Remain aus? In den Nordstaaten wird zum ersten Mal seit dem verlorenen Krieg ein republikanischer Präsident gewählt (James G. Blaine, der in der realen Geschichte die Wahlen von 1884 nicht für sich entscheiden konnte). Samuel Clemens lebt als Journalist in San Francisco und hat sich nicht dazu entschließen können, unter dem Pseudonym Mark Twain zum Romancier zu werden. Abraham Lincoln ist in den Nord- wie in den Südstaaten (natürlich aus je unterschiedlichen Gründen) der Buhmann der Nation. In seiner eigenen Partei ist er zum Außenseiter geworden. Er widmet sich jedoch mit unverminderter Tatkraft einem neuen Anliegen: Nach der Lektüre von Marx’ Schriften hofft er, die Republikaner zu einer Arbeiterpartei umschmieden zu können. Während er als sozialistischer Agitator durchs Land reist, wird er von der Arbeiter_innenbewegung gefeiert und vom Rest der Gesellschaft als gefährlicher Unruhestifter verdammt. Für mich eine der sympathischsten Figuren von How Few Remain.
In den Südstaaten ist Pete Longstreet Präsident, der als General eine der Schlüsselfiguren in der Schlacht von Gettysburg war. Longstreet, von Turtledove als gewiefter Politiker gezeichnet, kauft dem Kaiserreich Mexiko die departamentos Sonora und Chihuahua ab. Das Kaiserreich, von einem siegreichen Maximilian von Habsburg regiert (der genau wie in der realen Geschichte eine Marionette Frankreichs ist), will durch den Gebietsverkauf seine leere Staatskasse füllen. Longstreet verschafft seiner Konföderation damit einen Zugang zum Pazifik.
Die Vereinigten Staaten wollen den Gebietszuwachs des Südens nicht hinnehmen und erklären der Konföderation den Krieg. Das stellt sich als reichlich unbedachter Schritt heraus, denn während der Süden über den draufgängerischen Stonewall Jackson als General-in-Chief verfügt, werden die Truppen des Nordens von dem chaotischen William Rosecrans befehligt. Zudem hat der Süden sich von der USA-typischen Isolationspolitik abgewandt und ist ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien eingegangen. Die beiden europäischen Mächte sind bereit, die Konföderation in einem neuerlichen Krieg zu unterstützen, verlangen aber im Gegenzug die Abschaffung der Sklaverei. Longstreet ist dazu bereit, kalkuliert jedoch, dass die Sklaverei nur der Form halber aufgehoben wird und der rassistische Status quo weitgehend erhalten bleibt (obwohl dem erzkonservativen Jackson schon dieser Schritt im Grunde zu weit geht). Die Nordstaaten stehen dagegen allein da und sind mit der Lage (politisch wie militärisch) hoffnungslos überfordert. Alfred von Schlieffen, deutscher Militärattaché in den USA, empfiehlt Rosecrans für die Zukunft ein Bündnis mit dem Deutschen Reich und die Einrichtung eines Generalstabs nach preußischem Vorbild.
Soviel zur Story von How Few Remain. Die meisten der bisher genannten Figuren sind Viewpoint-Charaktere. Von diesen gibt es noch einige mehr (allesamt historische Personen), die ich nicht einzeln aufzählen möchte. Genannt seien nur noch der berühmte Abolitionist Frederick Douglass und der Indianer_innenschlächter George Armstrong Custer. Douglass erhofft sich vom zweiten Krieg gegen die Südstaaten die endliche Befreiung der schwarzen Bevölkerung von der Sklaverei; sehr eindringlich wird dabei geschildert, wie die Schwarzen im Norden zu Sündenböcken des verlorenen ersten Krieges gemacht werden. Abe Lincoln hofft, Douglass für sein Projekt einer republikanischen Arbeiterpartei gewinnen zu können. Der jedoch weist Lincolns Gleichsetzung von Lohnsklaverei und wirklicher Sklaverei zurück und ist nicht bereit, den Kampf gegen letztere irgendwelchen anderen Erwägungen unterzuordnen. Custer ist dagegen eine ausgesprochene Arschlochfigur (kein Wunder, wenn man sich den Custer der realen Historie ansieht). Im Roman ist er damit beschäftigt, einen mormonischen Aufstand gegen die US-Regierung niederzuschlagen – denn die mormonische Führung will den Krieg ausnutzen, um der Zentralregierung das Recht zur Polygamie abzupressen.
Nicht alle Handlungsstränge bzw. POV-Charaktere sind gleichermaßen gelungen. Die nuanciertesten Figuren sind Douglass und Lincoln. Sehr amüsant ist der Englisch mit deutschem Einschlag sprechende Schlieffen, der regelmäßig mit preußischem Entsetzen über die Sorglosigkeit und Improvisierlust der US-Befehlshaber die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Andere POVs sind mitunter etwas schemenhaft, tragen aber durchaus dazu bei, dem von Turtledove gezeichneten alternativgeschichtlichen Bild Farbe zu verleihen. Nur eingeschränkt lässt sich das von dem sich um Samuel Clemens (alias Mark Twain, aber nur in der realen Geschichte) entspinnenden Subplot sagen, der seltsam unverbunden neben der restlichen Handlung herläuft. Das hätte es nicht unbedingt gebraucht. Mein Gesamteindruck ist dennoch positiv.
How Few Remain von Harry Turtledove (609 Seiten) ist gegenwärtig als Taschenbuch und E-Book von Del Rey erhältlich. Die Erstausgabe erschien 1997.
Labels:
Alternativgeschichte,
Rezensionen
Freitag, 17. Mai 2013
Neuzugänge
- Piers Anthony, Tatham Mound
- Arthur C. Clarke, Die letzte Generation
Ich bin ja nicht wirklich ein Fan der SF-Dioskuren Clarke und Asimov. Aber weil die Bände der Heyne-Reihe Meisterwerke der Science Fiction so schick sind und oft interessante Vorworte (in diesem Fall von Peter F. Hamilton, mal sehen) aufweisen, konnte ich nicht widerstehen. - Kalju Kirde (Hg.), In Laurins Blick. Das Buch deutscher Phantasten
Beim Untertitel dachte ich im ersten Moment: Wow, man kann hier noch nicht mal von einem »generischen« Maskulinum sprechen. Die deutschen Phantasten (von denen, nebenbei bemerkt, zwei aus Österreich kommen) sind ausschließlich Männer. Dann entdeckte ich, dass nach dreizehn Mackern, die das Inhaltsverzeichnis aufzählt, auch Barbara Frischmuth ein deutscher Phantast sein darf. So oder so erweise ich mich mal wieder als völlig hysterischer und übertrieben politisch-korrekter Feminismusbefürworter, Tugendfuror inklusive. - Stanisław Lem, Der Mensch vom Mars
- Salman Rushdie, Harun und das Meer der Geschichten
- Harry Turtledove, American Front
Labels:
SUB
Dienstag, 14. Mai 2013
Neuzugänge
- Jorge Luis Borges, Die Meisterwerke der Phantastischen Weltliteratur (leider fehlt der Doppelband mit James und Kafka)
- Octavia E. Butler, Fledgling
- Orson Scott Card, Seventh Son
- Charlaine Harris, Dead Ever After
- Günter Kunert, Erwachsenenspiele. Erinnerungen
- Sam Leith, Die Zufallsmaschine
- James Lever, Ich, Cheeta. Die Autobiographie
- Oliver Plaschka, Die Magier von Montparnasse
- Sean Stewart, Der schwarze Dolch
- Harry Turtledove, How Few Remain
Labels:
SUB
Donnerstag, 9. Mai 2013
Round-up
Ich mag keine Posts in eigener Sache, möchte diesem hier aber dennoch eine kurze Erklärung voranstellen: Ich bin den kompletten April über nicht zum Bloggen gekommen – nicht, weil ich die Lust daran verloren hätte, sondern weil ich von Angelegenheiten, die nichts oder nur sehr wenig mit phantastischer Literatur zu tun haben, stark in Anspruch genommen war. Damit ist es jetzt erst mal vorbei, und ich freue mich auf ein paar Tage Urlaub mit’m Fahrrad. Danach geht es hier hoffentlich weiter wie gehabt. Heute aber noch ein paar phantastikrelevante Bemerkungen zu Themen und Ereignissen, die mich in den vergangenen Wochen trotz allem Abgelenktsein beschäftigten.
Zunächst eine traurige Nachricht: Ray Harryhausen ist tot. Geht es um die Geschichte des Fantasyfilms, wird gerne behauptet, dieser habe um 1980 herum seinen Anfang genommen, etwa mit John Milius’ Conan the Barbarian oder Ralph Bakshis The Lord of the Rings und Fire and Ice. In den 90ern sei der Fantasyfilm weitgehend in der Versenkung verschwunden und dann durch Peter Jackson wiederbelebt worden. Damit wird Fantasy wieder einmal auf tolkieneske High Fantasy und howardeske Sword & Sorcery reduziert, was ich überhaupt nicht mag. In diesem konkreten Fall mag ich den Reduktionismus nicht, weil er die reichhaltige Tradition von Filmen der klassischen Hollywood-Ära, die Mythen, Questen und Monster zum Gegenstand haben, aus der Geschichte des Genres herausschreibt. Und niemandes Werk ist für diese Filmtradition von größerer Bedeutung als das des Stop-Motion-Künstlers und Produzenten Harryhausen, der vorgestern in London gestorben ist. Ich muss die Titel der Filme mit seinen berühmtesten Animationen nicht eigens aufzählen, und erlaube mir stattdessen folgenden Hinweis: Es sind nicht allein die Animationen, die den Charme dieser Werke ausmachen. Wenn Hera und Zeus in Jason and the Argonauts über die Fährnisse der Menschen plaudern wie ein Suburbia-Ehepaar über die letzte Folge seiner Lieblingssoap, dann ist das für mich Quelle von nicht enden wollendem Vergnügen.
Sodann habe ich die Freude, mein neues Blog vorzustellen: Arcana publicata. Diese Idee ist quasi aus einer Verlegenheit heraus entstanden. Ich fühle mich oft zwischen zwei Anliegen hin- und hergerissen. Einerseits glaube ich fest daran, dass es so etwas wie ein Recht auf Spinnerei gibt. Ohne exzentrische Weltsichten und fixe Ideen wäre das Leben langweiliger. Mit Menschen, die sich dem Glauben und der Hoffnung hingeben, in den Wäldern von Washington oder British Columbia eines Tages dem mächtigen Sasquatch zu begegnen, kann ich nur sympathisieren. Andererseits ist Obskurantismus jeder Art gefährlich, und allzuoft teilt er sich mit charmanten Spinnereien wie der, sich auf die Suche nach Bigfoot zu machen, das gleiche folkloristische Material. Die Lichter eines Ufos am nächtlichen Himmel haben etwas Faszinierendes. Der Glaube, dass in naher Zukunft eine außerirdische Flotte im Verbund mit Neuschwabenlandnazis auf der Erde landen wird, um sich des bedrohten Ariertums anzunehmen, ist dagegen im höchsten Maße abstoßend – und die Übergänge sind oft fließend. Die Frage, wie (oder ob überhaupt) exzentrische Auffassungen von faschistoidem Dunkelmännertum unterschieden werden können, treibt mich deshalb schon lange um. Befeuert wird sie immer wieder durch meine Phantastiklektüre, denn dass zwischen Phantastik, Pseudowissenschaften und Esoterik eine ständige gegenseitige Beeinflussung stattfindet, ist bekannt (einige Beispiele finden sich in meinem Blogpost »Dunkle Pilze«). Und da mir immer mal wieder Bücher aus dem Bereich der Esoterik, der Verschwörungstheorien und der Pseudowissenschaften in die Hände fallen, habe ich beschlossen, über meine diesbezüglichen Erfahrungen ein Blog zu führen.
Dabei ist meine Absicht, auf Arcana publicata in eher unregelmäßigen Abständen zu posten. Für eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt mir die Zeit, aber hin und wieder juckt es mich in den Fingern, und dann ist ein Blog ein gutes Ventil. Das Hermanstädter Gewässer wird also nicht, das möchte ich ausdrücklich betonen, zugunsten eines neuen Blogprojekts trockengelegt, sondern wie bisher weitergeführt.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu einer Episode, die vergangenen Monat für leichte Unruhe in der Buchblogszene gesorgt hat. Rezensionsexemplare von Blanvalet und anderen Random-House-Verlagen kommen jetzt anscheinend mit einer Art Gebrauchsanweisung, die sich stellenweise ein klitzeklein wenig bevormundend liest. Da wundert es mich nicht, dass einige sich aufgeregt haben. Hätte mir auch passieren können. Mir scheint das Problem dieses Rezensionsbeipackzettels aber zu sein, dass er Dinge, die sich im Grunde von selbst verstehen, mit anderen vermischt, die durchaus als Zumutung empfunden werden können. So finde ich es nicht weiter kontrovers, wenn darauf bestanden wird, dass eine Rezension auf einem Blog oder einem YouTube-Kanal veröffentlicht werden sollte, während ein paar in die Bewertungsmaske einer Amazon-Buchseite getippte Zeilen nicht als ausreichend gelten. Ebensowenig muss darüber gestritten werden, dass der Verlag einen Beleglink zugeschickt bekommt und aus der Rezension zitieren darf. Geradezu hoch anzurechnen sind der Presseabteilung von Blanvalet & Co. die Hinweise, dass eine Rezension mehr sein sollte als ein umformulierter Klappentext bzw. dass von der Verlagsseite heruntergeladene Cover eingebunden werden können. Das eine zeigt, dass die Verlage nicht ausschließlich auf Werbung aus sind, das andere befreit Blogger_innen von Zweifeln an der Rechtlichkeit ihres Vorgehens.
Ganz anders verhält es sich in meinen Augen jedoch mit Vorgaben wie der, dass eine Rezension mit einem Link zu Amazon oder zur Verlagsseite versehen sein sollte. Dazu kann ich nur sagen: Wenn Leser_innen meines Blogs ein hier rezensiertes Buch online kaufen wollen, dann traue ich es ihnen zu, dass sie die Mittel und Wege dazu selber kennen. Und wenn sie lieber zum Buchladen an der Ecke oder in die nächstgelegene öffentliche Bibliothek gehen, dann werde ich sie mit Sicherheit nicht mit kommerziellen Links umzustimmen versuchen. Kurzum: Ich will, dass lesende Menschen sich Bücher auf die Art und Weise verschaffen, die ihnen selbst am besten passt. Ganz ähnlich sehe ich die Aufforderung, Rezensionen doppelt und dreifach zu posten. Warum sollte ich so etwas tun? Ich stelle mich ja auch nicht in die Fußgängerzone und verteile Printversionen meiner Buchbesprechungen.
Um es noch einmal zu betonen: Das Problem ist nicht, dass Verlage Rezensionen als Werbung ansehen. Das Problem beginnt da, wo Verlage dem Glauben verfallen, die Rezensent_innen müssten die Sache genauso sehen. Es täte allen Beteiligten gut, dies im Blick zu behalten.
Zunächst eine traurige Nachricht: Ray Harryhausen ist tot. Geht es um die Geschichte des Fantasyfilms, wird gerne behauptet, dieser habe um 1980 herum seinen Anfang genommen, etwa mit John Milius’ Conan the Barbarian oder Ralph Bakshis The Lord of the Rings und Fire and Ice. In den 90ern sei der Fantasyfilm weitgehend in der Versenkung verschwunden und dann durch Peter Jackson wiederbelebt worden. Damit wird Fantasy wieder einmal auf tolkieneske High Fantasy und howardeske Sword & Sorcery reduziert, was ich überhaupt nicht mag. In diesem konkreten Fall mag ich den Reduktionismus nicht, weil er die reichhaltige Tradition von Filmen der klassischen Hollywood-Ära, die Mythen, Questen und Monster zum Gegenstand haben, aus der Geschichte des Genres herausschreibt. Und niemandes Werk ist für diese Filmtradition von größerer Bedeutung als das des Stop-Motion-Künstlers und Produzenten Harryhausen, der vorgestern in London gestorben ist. Ich muss die Titel der Filme mit seinen berühmtesten Animationen nicht eigens aufzählen, und erlaube mir stattdessen folgenden Hinweis: Es sind nicht allein die Animationen, die den Charme dieser Werke ausmachen. Wenn Hera und Zeus in Jason and the Argonauts über die Fährnisse der Menschen plaudern wie ein Suburbia-Ehepaar über die letzte Folge seiner Lieblingssoap, dann ist das für mich Quelle von nicht enden wollendem Vergnügen.
Sodann habe ich die Freude, mein neues Blog vorzustellen: Arcana publicata. Diese Idee ist quasi aus einer Verlegenheit heraus entstanden. Ich fühle mich oft zwischen zwei Anliegen hin- und hergerissen. Einerseits glaube ich fest daran, dass es so etwas wie ein Recht auf Spinnerei gibt. Ohne exzentrische Weltsichten und fixe Ideen wäre das Leben langweiliger. Mit Menschen, die sich dem Glauben und der Hoffnung hingeben, in den Wäldern von Washington oder British Columbia eines Tages dem mächtigen Sasquatch zu begegnen, kann ich nur sympathisieren. Andererseits ist Obskurantismus jeder Art gefährlich, und allzuoft teilt er sich mit charmanten Spinnereien wie der, sich auf die Suche nach Bigfoot zu machen, das gleiche folkloristische Material. Die Lichter eines Ufos am nächtlichen Himmel haben etwas Faszinierendes. Der Glaube, dass in naher Zukunft eine außerirdische Flotte im Verbund mit Neuschwabenlandnazis auf der Erde landen wird, um sich des bedrohten Ariertums anzunehmen, ist dagegen im höchsten Maße abstoßend – und die Übergänge sind oft fließend. Die Frage, wie (oder ob überhaupt) exzentrische Auffassungen von faschistoidem Dunkelmännertum unterschieden werden können, treibt mich deshalb schon lange um. Befeuert wird sie immer wieder durch meine Phantastiklektüre, denn dass zwischen Phantastik, Pseudowissenschaften und Esoterik eine ständige gegenseitige Beeinflussung stattfindet, ist bekannt (einige Beispiele finden sich in meinem Blogpost »Dunkle Pilze«). Und da mir immer mal wieder Bücher aus dem Bereich der Esoterik, der Verschwörungstheorien und der Pseudowissenschaften in die Hände fallen, habe ich beschlossen, über meine diesbezüglichen Erfahrungen ein Blog zu führen.
Dabei ist meine Absicht, auf Arcana publicata in eher unregelmäßigen Abständen zu posten. Für eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt mir die Zeit, aber hin und wieder juckt es mich in den Fingern, und dann ist ein Blog ein gutes Ventil. Das Hermanstädter Gewässer wird also nicht, das möchte ich ausdrücklich betonen, zugunsten eines neuen Blogprojekts trockengelegt, sondern wie bisher weitergeführt.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu einer Episode, die vergangenen Monat für leichte Unruhe in der Buchblogszene gesorgt hat. Rezensionsexemplare von Blanvalet und anderen Random-House-Verlagen kommen jetzt anscheinend mit einer Art Gebrauchsanweisung, die sich stellenweise ein klitzeklein wenig bevormundend liest. Da wundert es mich nicht, dass einige sich aufgeregt haben. Hätte mir auch passieren können. Mir scheint das Problem dieses Rezensionsbeipackzettels aber zu sein, dass er Dinge, die sich im Grunde von selbst verstehen, mit anderen vermischt, die durchaus als Zumutung empfunden werden können. So finde ich es nicht weiter kontrovers, wenn darauf bestanden wird, dass eine Rezension auf einem Blog oder einem YouTube-Kanal veröffentlicht werden sollte, während ein paar in die Bewertungsmaske einer Amazon-Buchseite getippte Zeilen nicht als ausreichend gelten. Ebensowenig muss darüber gestritten werden, dass der Verlag einen Beleglink zugeschickt bekommt und aus der Rezension zitieren darf. Geradezu hoch anzurechnen sind der Presseabteilung von Blanvalet & Co. die Hinweise, dass eine Rezension mehr sein sollte als ein umformulierter Klappentext bzw. dass von der Verlagsseite heruntergeladene Cover eingebunden werden können. Das eine zeigt, dass die Verlage nicht ausschließlich auf Werbung aus sind, das andere befreit Blogger_innen von Zweifeln an der Rechtlichkeit ihres Vorgehens.
Ganz anders verhält es sich in meinen Augen jedoch mit Vorgaben wie der, dass eine Rezension mit einem Link zu Amazon oder zur Verlagsseite versehen sein sollte. Dazu kann ich nur sagen: Wenn Leser_innen meines Blogs ein hier rezensiertes Buch online kaufen wollen, dann traue ich es ihnen zu, dass sie die Mittel und Wege dazu selber kennen. Und wenn sie lieber zum Buchladen an der Ecke oder in die nächstgelegene öffentliche Bibliothek gehen, dann werde ich sie mit Sicherheit nicht mit kommerziellen Links umzustimmen versuchen. Kurzum: Ich will, dass lesende Menschen sich Bücher auf die Art und Weise verschaffen, die ihnen selbst am besten passt. Ganz ähnlich sehe ich die Aufforderung, Rezensionen doppelt und dreifach zu posten. Warum sollte ich so etwas tun? Ich stelle mich ja auch nicht in die Fußgängerzone und verteile Printversionen meiner Buchbesprechungen.
Um es noch einmal zu betonen: Das Problem ist nicht, dass Verlage Rezensionen als Werbung ansehen. Das Problem beginnt da, wo Verlage dem Glauben verfallen, die Rezensent_innen müssten die Sache genauso sehen. Es täte allen Beteiligten gut, dies im Blick zu behalten.
Abonnieren
Posts (Atom)
Foto-Disclaimer
Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.