Ich habe R. Scott Bakkers
Krieg der Propheten ganz gern gelesen und fand die Trilogie im Gesamteindruck gut, aber nicht überragend. Was mich am meisten gestört hat, ist schnell gesagt: Im Unterschied zu Bakkers wiederholter Versicherung, ein »world-building nerd« zu sein, fand ich den Weltenbau von
Krieg der Propheten eher schematisch und bemüht. Und die andere Sache ist Bakkers
programmatischer Anspruch. Von Anfang an hat er zu verstehen gegeben, dass er Genreliteratur als ein geeignetes Vehikel sehe, um Aussagen über den Menschen, die Gesellschaft und den Rest der Welt zu treffen – ein »subversiver« Umgang mit dem Genre also. Dieser Anspruch erschien mir nach dem Lesen von Bakkers Trilogie wie angekündigt und nie eingeholt.
Bakkers programmatische Ansagen sind es auch, die den (oft unausgesprochenen) Hintergrund zu der anhaltenden Kontroverse um seine Bücher abgeben. Bakker sieht sich als Philosophen, hat auch einige Zeit lang ein Graduiertenstudium der Philosophie verfolgt und kommt oft auf das zu sprechen, was er als den philosophischen Subtext seiner Romane betrachtet. Ausformuliert scheint mir dieser Subtext jedoch nicht weit über eine Reihe eher banaler, auch fragwürdiger Statements über die menschliche Natur hinauszugehen: Bakker hält den Menschen für endlos manipulierbar und getrieben von evolutionär erworbenen Vorurteilen, die selten durchschaut, dafür aber um so häufiger rationalisiert werden. Evolutionspsychologie und Neurowissenschaften lieferten die Beweise dafür. Es sind anthropologische Plattitüden, die Bakker regelmäßig zur Begründung seiner eigenen Positionen angibt, als ob sie sich von selbst verstünden: »[W]e live in a universe so big that [...] we tend to economize by packing our terms with implicit judgements« oder »people abhor uncertainty almost as much as nature abhors vacuums« sind Beispiele für solche Mantras, wie sie in Bakkers Texten in fast beschwörender Regelmäßigkeit auftauchen. Die Grenze des Denkens, so lässt die zugrundeliegende Idee sich zusammenfassen, ist das menschliche Gehirn, und es ist zugleich auch die Grenze der Vernunft, denn es lässt sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln erforschen und anhand der Ergebnisse manipulieren. Mit Philosophie, verstanden als kritisches Denken, welches die herrschaftlichen Voraussetzungen der Phänomene ans Licht zu bringen versucht, hat eine solche Auffassung allerdings nichts gemein. Bakkers Aussagen sind nicht unbedingt falsch, aber sie als Prämissen zu setzen, ist nicht kritisch, sondern schlicht reduktionistisch. Es handelt sich dabei nicht um Philosophie, sondern um biologistische Weltanschauung, wie sie derzeit gang und gäbe ist.
Die Kontroverse um Bakkers Bücher ist auch ein gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn diese Weltanschauung in einem gesellschaftlichen Konflikt zur Meinung konkretisiert wird. Der häufigste Vorwurf an Bakker lautet, seine Figuren agierten nach klischeehaft gezeichneten Geschlechterrollenmustern, aus denen es scheinber keinen Ausweg gebe: Männer sind aggressiv, Frauen fügen sich. Bakker erwidert darauf in der Regel, er greife in voller Absicht gängige Klischees auf, nur um dem Leser hinterher mit um so größerer Deutlichkeit vor Augen zu führen, wie sehr diese stereotypen Darstellungen von seinen eigenen kognitiven Vorurteilen geprägt seien. An dieser Stelle könnte Bakker sich nun bequem zurücklehnen und auf den Standpunkt zurückziehen, dass seine künftigen Bücher erklären werden, warum die bereits erschienen so problematisch erscheinen. Tut er aber nicht. Stattdessen beißt er sich an jeder Kritik, die zu seinem Werk geäußert wird, regelrecht fest und veröffentlicht ausschweifende Blogposts, die letztlich aber doch nur in immer wieder neuer Form wiederholen, was ich im vorigen Absatz dargestellt habe. Das könnte man für schlichtweg langweilig halten (ist es auch, wenn man es liest), hätte Bakker die Sache nicht bis zu einem Punkt getrieben, an dem einer ganzen Reihe von Leuten die Kinnlade runtergeklappt ist: Auf seinem Blog erklärte er, dass er sich seine Leser stets als männlich vorstelle und versuche, ihre Erwartungen auf eine Art und Weise zu bedienen, die sich am Ende als provokant und verstörend erweisen werde. Diese Erwartungen zu bedienen sei notwendig, weil Männer aufgrund ihres evolutionär erworbenen Erbes (so Bakker wörtlich) »seem to track women according to automatic estimates of their ›rapability‹«. Seine biologistischen Überzeugungen bringen Bakker allen Ernstes dazu, die Vergewaltigung von Frauen zum Naturzustand zu erklären. Und seine Absicht dabei, so behauptet er unbeirrt, sei subversiver Natur: Es gelte, Männer auf ihre intrinsisch gewalttätige Sexualität aufmerksam zu machen. Warum? Weil es die Wahrheit sei. Auf den Gedanken, dass er mit seinen stets im Tonfall heiligen Ernstes vorgetragenen Überzeugungen genau dem Phänomen, das er vorgeblich problematisieren will, erst eine außerordentlich bequeme Rechtfertigung liefert, nämlich indem er es zur »wirklich wahren« Naturtatsache macht, ist er bislang nicht gekommen. Noch nie habe er ein ernstzunehmendes Argument gehört, dass seine Ansichten in Zweifel ziehe.
Das ist bemerkenswert, denn es sind vor allem feministische Blogs, die Bakker auf die Unzulänglichkeit seiner Ansichten über sexuelle Gewalt hinweisen. So zum Beispiel
Foz Meadows:
Feminism believes that the world can and will get better for women: in
fact, it exists to make this happen! Feminism has a higher opinion of
men than you do, because it doesn’t countenance the biological
inevitability of male violence; rather, it acknowledges that, as some
cultures and individuals believe this (falsely) to be so, it ends up
being promoted, excused and deferred to beyond all reason.
Wie der sexualisierten Gewalt, die von Männern ausgeht, konkret Einhalt geboten werden kann, darüber schweigt Bakker sich bislang aus. Der feministischen Kritik entgegnet er, seine Methode, auf sexualisierte Gewalt aufmerksam zu machen, werde sich als wirkungsvoller erweisen als die Kämpfe und Kampagnen derjenigen, die diese Gewalt aus eigenem Erleiden kennen. Doch bleibt rätselhaft, was seine Darstellung dieser Gewalt denn nun »subversiv« machen soll, wenn sie doch eingestandenermaßen den Erwartungen eines männlichen Publikums entspricht. Bislang kündigt Bakker in einem reichlich hochgestochenen Vergleich lediglich an, er werde es Nabokov gleichtun. Wird die Messlatte dermaßen hoch angelegt, dann liegt der Verdacht nicht fern, dass es wohl bei der Ankündigung bleiben wird.
Schien es zunächst lediglich, als habe Bakker sich irgendwo zwischen Anspruch und Wirklichkeit seiner literarisch-weltanschaulichen Ideen verirrt, so wird am Beispiel seiner Aussagen zu sexualisierter Gewalt deutlich, dass männliche Schriftsteller bei einem solchen Thema besser täten, wenn sie auf die dazu berufenen Stimmen hörten, statt alles besser wissen zu wollen und sich mit vulgär-biologistischen Weisheiten zu profilieren. Bakkers bisheriges Auftreten gibt diesbezüglich jedoch wenig Anlass zur Hoffnung. Im Gegenteil, mit jedem neuen Blogpost, mit jedem weiteren Debattenbeitrag wirkt er arroganter und unbelehrbarer. Hat man sich erst mal selbst von der Scheinplausibilität biologistischer Argumente überzeugt, dann fällt es auch um so leichter, so scheint es, sich von kritischem Denken und empathischer Kommunikation zu verabschieden.