Der Mittelband einer Trilogie hat immer eine etwas undankbare Position. Warum das so ist, darüber lässt sich sicherlich streiten – meine Vermutung geht dahin, dass Mittelbände sich weniger stark ins Leser_innengedächtnis einprägen, weil sie in der Regel keinen richtigen Anfang und kein richtiges Ende haben. Zu schwer wiegt der prägende Leseeindruck der ersten Bände und die Hoffnung aufs große Finale in den letzten Bänden. Dazwischen dümpelt so mancher Plot eher behäbig vor sich hin. Wie sieht es im Falle der Ordenskrieger von Goldberg aus, dem zweiten Band der Zerrissenen Reiche?
Zum Stichwort Trilogie sei darauf hingewiesen, dass Die Zerrissenen Reiche zwar als vielbändige Reihe konzipiert ist, die drei bislang erschienenen Bände jedoch so etwas wie eine erste Staffel innerhalb des Gesamtzyklus’ bilden. So erläutert Autor Thomas Plischke es im Nachwort des dritten Bandes, und es scheint dem Gefühl, das ich bei der Lektüre der Ordenskrieger von Goldberg hatte, recht zu geben. Und daher muss ich gleich zu Anfang loswerden, dass ich das Mittelbandproblem hier auf pfiffige Weise gelöst sehe: Spielte der erste Band Die Zwerge von Amboss im nördlichen Zwergenbund, ist nunmehr das Gros der Handlung verlegt auf den weiter südlich gelegenen, von Sektenstreitigkeiten und Religionskriegen schwer mitgenommenen Kontinent, der von den Menschen dominiert wird. Die Leser_innen erfahren also jede Menge Neues über die Welt der Zerrissenen Reiche, der Fokus der Handlung weitet sich. Zugleich nähert sich der Zyklus stärker an klassische Fantasy-Motive an, als dies noch im ersten Band der Fall war: In Die Ordenskrieger von Goldberg werden Schlachten geschlagen, Festungen belagert und Seiten gewechselt. Man hat somit nicht den Eindruck, als ob dieser Roman lediglich die Brücke zum großen Finale schlagen sollte; er ist vielmehr durchaus eigenständig.
Die Handlung schreitet vor allem in drei Strängen voran: Zunächst dürfen die Leser_innen mitverfolgen, wie die Invasionsarmee der Zwerge in den Reichen der Menschen einfällt, vorgeblich um gegen anti-zwergische terroristische Aggressionen vorzugehen. Dem gewaltigen Truppenaufgebot angeschlossen haben sich der Ex-Monsterjäger Siris von Wolfenfurt und Himek Steinbrecher, der ungeliebte Sohn Garep Schmieds (welchletzteren wir als Hauptprotagonisten des ersten Bandes kennen). Wir erinnern uns, dass die beiden in Die Zwerge von Amboss auf verschiedenen Wegen in die politische Intrige verwickelt wurden, die den Krieg erst ausgelöst hat. Sich beim Barras zu melden, ist die einfachste Möglichkeit für sie, aus dem Zwergenbund zu fliehen, wo ihnen das Pflaster unter den Füßen zu heiß geworden ist. Und da die Armee menschliche Scouts (wie Siris) und zwergische Chirurgen (wie Himek) dringend braucht, werden nicht allzuviele Fragen gestellt. Nachdem die Invasionsarmee in den Zerissenen Reichen gelandet ist und sich unaufhaltsam auf die Menschenfestung Goldberg zuwälzt, bleiben die Verwicklungen allerdings nicht aus, denn die Herrin des kriegerischen Ordens, der Goldberg verteidigt, ist Siris’ ehemalige Geliebte.
Dann haben wir den Hauptprotagonisten des ersten Bandes, den verkrachten Schnüffler Garep Schmied. Gemeinsam mit seiner Geliebten, Siris’ Schwester Sira, versucht er per Schiff aus den zwergischen Landen zu entkommen, wo er im Zuge bellizistischer Ränkespiele in die Rolle des Staatsfeinds gedrängt worden ist. Die wechselhafte und gefährliche Flucht bedeutet für Garep vor allem einen Kulturschock nach dem anderen. Und als Sira und Garep schiffbrüchig auf einer Insel stranden, machen sie unangenehm nahe Bekanntschaft mit den technologischen Hinterlassenschaften der sogenannten Herren, also jener Wesen, die von den Menschen der Zerrissenen Reiche als Gottheiten verehrt werden.
Und schließlich ist da noch Karu Schneider, die als Polizeianwärterin tiefer in die Intrigen des ersten Bandes verwickelt wurde, als ihr lieb ist. Stand ihre Rolle in Die Zwerge von Amboss noch nicht sonderlich im Vordergrund, so erfüllt sich nichtsdestotrotz in Die Ordenskrieger von Goldberg, was sich gegen Ende des ersten Bandes bereits abzeichnete: Karu wird zu einem der wichtigsten und nuanciertesten Charaktere. Ihr Handlungsstrang, in dem Karu die Bekanntschaft eines regimekritischen Studenten macht, spielt weiterhin im Zwergenbund.
Wer sich den Wechsel von der industrialisierten Zwergengesellschaft in die pseudomittelalterlichen Menschenreiche nun abrupt und schwierig vorstellt, kann ganz beruhigt sein. Das Problem vieler epischer Fantasies und historischer Romane ist ja, dass sie ihren Leser_innen aus Identifikationsgründen einen eher modern denken Protagonisten oder eine ebensolche Protagonistin anbieten, was vor der archaisierenden Romankulisse dann häufig ziemlich unglaubwürdig wirkt. Thomas Plischke verfügt durch den Weltenbau der Zerrissenen Reiche über den Vorteil, dass er seine stockrationalistischen, von ihrer zivilisatorischen Überlegenheit überzeugten Zwerg_innen auf eine von Götterkult, (scheinbarer?) Magie und kriegerischem Ethos geprägte Menschenkultur treffen lassen kann. Wir lernen also eine typische Fantasywelt, die von recht archaisch erscheinenden Menschen bewohnt wird, gewissermaßen durch die Augen von Zwergen kennen, die uns in vielerlei Hinsicht ähnlich sind. Sehr interessant!
Das Erzähltempo zieht im Vergleich zum Vorgängerband an; zugleich vertieft sich die Handlung um einige neue Elemente. Insbesondere im dritten, im Zwergenbund verbleibenden Handlungsstrang zeichnen sich die Umrisse einer großen Geschichte ab. Als etwas problematisch habe ich empfunden, dass vieles, was im ersten Band mysteriös blieb, auch in Die Ordenskrieger von Goldberg nicht aufgelöst wird und sogar noch einige Rätsel und offene Enden hinzukommen. Das betrifft insbesondere Sira, die bereits in Die Zwerge von Amboss als Waffenschmugglerin-in-der-sich-mehr-verbirgt auftrat, und einen weiteren, mit Siras Geschichte zusammenhängenden Charakter.
Sprachlich meine ich einige Schnitzer wahrgenommen zu haben, wie sie mir so im ersten Band nicht aufgefallen sind. Es handelt sich dabei aber lediglich um einige Redewendungen, bei denen nicht ganz das richtige Bild getroffen wurde. Mich hat es nicht weiter gestört. Die Zerrissenen Reiche ist nicht zuletzt auch ein Versuch in blumiger, einfallsreicher Sprache, der sich stark abhebt von dem pseudo-archaisierenden Ton, wie er in manchen deutschsprachigen Fantasies angeschlagen wird. Da finde ich es nicht so schlimm, wenn nicht jeder Ausdruck hundertprozentig präzise ist.
Vom dritten Band, Die Halblinge des Ewigen Hains, erwarte ich mir nach der Lektüre der Ordenskrieger von Goldberg, dass einige Plot-Elemente zusammengeführt und zum Abschluss gebracht werden. Die an verschiedenen Fronten aufgebaute Spannung müsste zumindest ein Stück weit aufgelöst werden, um den Bogen nicht zu überspannen. Das würde mir, der ich in Sachen ungelöste Rätsel & subtile Hinweise nicht immer das beste Gedächtnis bzw. den feinsten Spürsinn habe, das Lesen erheblich erleichtern.
Die Ordenskrieger von Goldberg (393 Seiten) von Thomas Plischke ist 2009 bei Piper erschienen.
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