Beschäftigt man sich mit den Anfängen der Fantasy-Rezeption und -Produktion in Deutschland (ÄFRPD), stößt man unweigerlich auf Frederik Hetmanns Pamphlet Die Freuden der Fantasy. Das liest sich recht vergnüglich, obwohl es in weiten Teilen von Helmut W. Peschs Fantasy. Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung abgeschrieben wurde. Lernen kann man daraus vor allem, dass die ÄFRPD auf eine derart massive Weise mit New-Age-Heilsbotschaften schwanger gingen, wie das heute kaum für möglich gehalten würde.* In Hetmanns Pamphlet geben sich C.G. Jung, Fritjof Capra und andere Eso-Ikonen die Klinke in die Hand. Weniger erstaunlich wird die Sache vielleicht, wenn man bedenkt, dass Fantasy in Westdeutschland Anfang/Mitte der 1980er Jahre in weiten Kreisen vor allem Michael Ende und Marion Zimmer Bradley bedeutete. Gut vorstellbar, dass diese Autor_innen von einem eso-mäßig vorgeprägten Publikum dankbar aufgenommen wurden, worauf dann wiederum Fantasy im breiteren Rahmen nach dem Muster von New-Age-Weltverbesserungsideen interpretiert wurde.
Ein spätes Beispiel für diese ÄFRPD-Tradition ist Hetmanns Roman Der wilde Park des Vergessens aus dem Jahre 1994. Da habe ich mich bei fortschreitender Lektüre allerdings gefragt, ob der Autor sich selbst und sein avisiertes Publikum eigentlich noch ganz ernst nahm. Immerhin dürfte der Roman nach der neoliberalen Desillusionierung der New-Age-Szene geschrieben worden sein – andererseits war Hetmann schriftstellerisch mit einem solchen Eifer bei der Sache, dass ebenso fraglich ist, wie bewusst ihm diese Desillusionierung (sofern vorhanden) eigentlich selber war.
Der wilde Park des Vergessens erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer lesbischen Japanologin aus den USA und einem chinesischen Schriftsteller, der heimlich in der Verbotenen Stadt in Beijing lebt und sich ins China der Kaiserzeit zurückträumt. Die beiden lernen sich auf einem Kongress in Beijing kennen, werden durch die Proteste auf dem Tian’anmen-Platz gewaltsam voneinander getrennt und schließlich von einem geheimen Netzwerk tibetischer Lamas entführt, nach Tibet gebracht und dort wieder vereinigt. Sie erfahren von den Lamas, dass sie dazu ausersehen sind, das kulturelle Erbe der Menschheit für zukünftige Generationen zu bewahren, indem sie auf den Planeten Sutra X teleportiert werden. Der Transfer soll durch spezielle Meditationstechniken bewerkstelligt werden, die dem Paar gemeinsam mit anderen Auserwählten von den Lamas vermittelt werden.
Klingt völlig abgedreht, und so ist es auch. Konsequent ist der Roman in seiner Ablehnung von Gesellschaftsveränderung durch politische Aktion.** Die beiden Protagonist_innen empfinden gegenüber der Protestbewegung auf dem Platz des himmlischen Friedens nichts als Befremden, Tibet wird als apolitische Utopie gezeichnet (und China als böser Unterdrücker). Im Mittelpunkt steht einzig die Veränderung, die das Liebespaar gemeinsam und als Individuen durchmacht. Besonders dubios kommt mit dabei vor, wie die früheren lesbischen Beziehungen der Protagonistin als unreife Durchgangsstufen hin zu der Erkenntnis und bewussten Suche nach Mann-Frau-Komplementarität dargestellt werden, und das alles mit reichlich Vulgärplatonismus unterfüttert. Andererseits wirken viele Passagen des Romans dermaßen überzeichnet, dem New-Age-seligen Irrwitz damit – bewusst oder unbewusst – eine mehr als ironische Note verleihend, dass es geradezu als ungenügend erscheint, Der wilde Park des Vergessens einfach nur als reaktionäres Machwerk zu lesen.*** Ich jedenfalls fühle mich außerstande, die Frage zu beantworten, ob der Autor all diesen Schwurbel wirklich ernst meinte oder nicht.
Lesen lässt sich der Der wilde Park des Vergessens ganz gut, auch wenn ich gelegentlich versucht war, ein paar langatmige Seiten zu überblättern. Der Roman ist reich an Intertextualität; ganze Passagen sind als Pastiches des mittelalterlichen japanischen Romans Genji Monogatari verfasst, und zwar interessanterweise aus der Perspektive einer Protagonistin.****
So weit erstmal. Anzumerken bleibt, dass Der wilde Park des Vergessens ein etwas sorgfältigeres Lektorat hätte vertragen können. Und jetzt bräuchte ich nur noch jemanden, die/der mir erklärt, was Hetmann mit diesem Roman eigentlich wollte. Ist da jemand?
Der wilde Park des Vergessens von Frederik Hetmann ist 1994 bei Weitbrecht erschienen.
* Ob das heißt, dass die Kritik der Esoterik – zumindest in Teilbereichen – gute Arbeit geleistet hat, wage ich nicht zu beurteilen.
** Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass dieser Roman von einem Autor geschrieben wurde, der durch Biografien über Rosa Luxemburg und den Che bekannt wurde.
*** Richtiggehend zum Schreien ist etwa eine Szene, in der eine Teleportation nach Sutra X schief geht, weil die »Auserwählten« beim Meditieren an Sex statt ans Nirvana denken.
**** Die Geschichte des Prinzen Genji wurde von einer Frau verfasst, beschreibt zahllose höfische Liebesaffären jedoch aus rein männlicher Sicht. Das Bild des männlichen Verführers wird von Hetmann in seinen Pastiches gar nicht so schlecht durch den Kakao gezogen. Um so dümmer wirkt im Kontrast dazu die heterosexuelle Selbstfindung der Protagonistin.
5 Kommentare:
Ich finde nicht, dass es erstaunlich ist, wie Fantasy und Esoterik Hand in Hand gehen. Fantasy wurde gerne von der entsprechend esoterischen, sprich: alternativen Gegenkulturbewegung spätestens seit den 60ern adoptiert. Und wenn mich meine eigenen Con-Beoachtungen der letzten 20 Jahre nicht völlig in die Irre leiten, gibt es viele Fantasy-Fans die auch in der Esoterik-Szene, im Neu-Heidentum ect. flottieren.
Ich sag's mal so: Die Verbindung an sich finde ich auch nicht erstaunlich. Ich bin ja der Meinung, dass spekulative Literatur seltsame Weltbilder anzieht, weil sie a) die Möglichkeit bietet, Ideenliteratur zu schreiben und b) in der Schmuddelecke eh niemand so genau hinschaut, was sich da in einigen Köpfen zusammenbraut. Und oft kommt dabei ja auch faszinierende Literatur heraus, die manchmal ebenso interessant wie ideologisch abstoßend ist.
Auch historisch liegt die Verbindung nahe, weil von Arthur Conan Doyle über H. Rider Haggard bis zu Charles Williams eine ganze Reihe von Gründervätern der Fantasy esoterisch unterwegs war — von genuin esoterischer Phantastik von Autor_innen wie Gustav Meyrink und Mária Szepes ganz zu schweigen.
Was mich bei Hetmann überrascht, ist eher die Massivität, mit der er seine Heilserwartungen in die Fantasy einschreibt: Die Fantasie/Erfahrung/Ganzheitlichkeit muss an die Macht, und Fantasy ist der Weg, diese Ideen zu verbreiten und den Aufstand gegen die kalte, mechanizistische Zivilisation vorzubereiten. Hetmann schrieb Fantasy nicht nur in diesem Sinne, sondern rezipierte und interpretierte sie auch so. Dabei gibt es natürlich prominente Vorläufer_innen, wie die gegenkulturelle Tolkien-Rezeption oder den Kult um Darkover, da stimme ich dir zu.
Irgendwie finde ich gerade, Hetmann exemplifiziert ein wenig den Prozess, den Eco in Das Foucaultsche Pendel beschreibt: den Übergang von der emanzipatorischen Bewegung zum New Age.
Naja ... man sollte jetzt Hetmann bzw. seine "Freuden der Fantasy" (ein typischer Schnellschuss, um sich an einen Trend anzuhängen und ein paar - damals noch - Mark zu verdienen) nicht mit der Fantasy-Rezeption an sich in Deutschland gleichsetzen. Der Herr Kirsch war halt per se jemand, der sich gerne - auch in seinen (Fantasy-)Romanen - der Esoterik zugewandt hat (spürbar bereits mit dem Baum-Tarot in "Madru", so richtig dann in "Das Haus der Gefiederten Schlange"), von daher ist es nicht verwunderlich, dass er auch sekundärliterarisch einen solchen Ansatz pflegt. Aber für ein allgemeines Hand in Hand gehen von Esoterik & Fantasy in Deutschland hätte ich gerne ein paar belastbarere Belege und nicht einfach nur ein paar Meinungen der üblichen Verdächtigen (huhu Alex ;-)).
Hi Gerd.
Ich fasse nur meine eigenen Beobachtungen zusammen. Ich denke, dass eine Nähe von Fantasy zu spirituell-religiösen Strömungen in etwa so gewöhnlich ist, wie Verbindungen zwischen Fantasy und Spielerei, CoSim, Gewandungtragen ect. — Ist aber nicht so von mir gemeint, dass das eine (Fantasy) zwangsläufig zum anderen führt (Esoterik und Co).
molosovsky schrieb:
»Ist aber nicht so von mir gemeint, dass das eine (Fantasy) zwangsläufig zum anderen führt (Esoterik und Co).«
Das wäre auch gar förchterlich.
Wobei ich nicht mal behaupten würde, das da zwangsläufig literarisch minderwertiges Zeug bei rauskommen muss. Gustav Meyrink und Charles Williams z.B. rocken ja schon nicht schlecht. Und was China Miéville in Perdido Street Station (und laut Eosphoros vielleicht auch im von mir noch ungelesenen Kraken) macht, ist ja auch nichts anderes als eine Art marxistisch-okkultistische Wissenschaftstheorie. Nur: wenn man Fantasy per se ein esoterikgesäuertes Weltverbesserungspotential unterstellt, ist das im Grunde nichts anderes als die Kehrseite des alten Vorwurfs vom reaktionären Charakter der Phantastik.
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