Donnerstag, 21. Oktober 2010

Die unerträgliche Leitkultur diesseits des Rheins

»In Sachen Integrationsdebatte spreche ich mich ausdrücklich für die Zuwanderung möglichst vieler Franzosen aus. Schlecht für unsere Leitkultur, super für unsere öffentliche Streitkultur.«
 Das ist ein Wort.

Montag, 18. Oktober 2010

Jemisin’s Rant

In Deutschland herrscht ja gerade wieder mal so ein herbstliches Klima, in dem Leute, denen man das Denken wahrlich nicht erst verbieten muss, gegen angebliche Denkverbote protestieren. In der Regel läuft das so ab, dass über Political Correctness gewettert wird. Warum der Anti-PC-Mob so drauf ist, wie er ist, erklärt N.K. Jemisin:
Most often I see it [anti-PC whining] coming from older people who resent suddenly having to respect groups they were encouraged to show open contempt for back in the days of their youth. But I’ve seen this attitude among younger people too, so it’s not strictly an artifact of lost historical privilege. It even comes in new interations these days, like Christians who whine about Muslims wanting to be protected from hate crimes, perish the thought, and Americans annoyed that immigrants demand respect for their religion…
Definitiv einer der klügsten Blog-Einträge, die ich in den letzten Monaten gelesen habe, und in der Stoßrichtung nicht nur auf die USA zutreffend. Jemisin spricht mir aus der Seele, denn wenige Dinge kotzen mich momentan so sehr an wie das weitverbreitete Gejammer über PC.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Der wilde Park des Vergessens

Beschäftigt man sich mit den Anfängen der Fantasy-Rezeption und -Produktion in Deutschland (ÄFRPD), stößt man unweigerlich auf Frederik Hetmanns Pamphlet Die Freuden der Fantasy. Das liest sich recht vergnüglich, obwohl es in weiten Teilen von Helmut W. Peschs Fantasy. Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung abgeschrieben wurde. Lernen kann man daraus vor allem, dass die ÄFRPD auf eine derart massive Weise mit New-Age-Heilsbotschaften schwanger gingen, wie das heute kaum für möglich gehalten würde.* In Hetmanns Pamphlet geben sich C.G. Jung, Fritjof Capra und andere Eso-Ikonen die Klinke in die Hand. Weniger erstaunlich wird die Sache vielleicht, wenn man bedenkt, dass Fantasy in Westdeutschland Anfang/Mitte der 1980er Jahre in weiten Kreisen vor allem Michael Ende und Marion Zimmer Bradley bedeutete. Gut vorstellbar, dass diese Autor_innen von einem eso-mäßig vorgeprägten Publikum dankbar aufgenommen wurden, worauf dann wiederum Fantasy im breiteren Rahmen nach dem Muster von New-Age-Weltverbesserungsideen interpretiert wurde.

Ein spätes Beispiel für diese ÄFRPD-Tradition ist Hetmanns Roman Der wilde Park des Vergessens aus dem Jahre 1994. Da habe ich mich bei fortschreitender Lektüre allerdings gefragt, ob der Autor sich selbst und sein avisiertes Publikum eigentlich noch ganz ernst nahm. Immerhin dürfte der Roman nach der neoliberalen Desillusionierung der New-Age-Szene geschrieben worden sein – andererseits war Hetmann schriftstellerisch mit einem solchen Eifer bei der Sache, dass ebenso fraglich ist, wie bewusst ihm diese Desillusionierung (sofern vorhanden) eigentlich selber war.

Der wilde Park des Vergessens erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer lesbischen Japanologin aus den USA und einem chinesischen Schriftsteller, der heimlich in der Verbotenen Stadt in Beijing lebt und sich ins China der Kaiserzeit zurückträumt. Die beiden lernen sich auf einem Kongress in Beijing kennen, werden durch die Proteste auf dem Tian’anmen-Platz gewaltsam voneinander getrennt und schließlich von einem geheimen Netzwerk tibetischer Lamas entführt, nach Tibet gebracht und dort wieder vereinigt. Sie erfahren von den Lamas, dass sie dazu ausersehen sind, das kulturelle Erbe der Menschheit für zukünftige Generationen zu bewahren, indem sie auf den Planeten Sutra X teleportiert werden. Der Transfer soll durch spezielle Meditationstechniken bewerkstelligt werden, die dem Paar gemeinsam mit anderen Auserwählten von den Lamas vermittelt werden.

Klingt völlig abgedreht, und so ist es auch. Konsequent ist der Roman in seiner Ablehnung von Gesellschaftsveränderung durch politische Aktion.** Die beiden Protagonist_innen empfinden gegenüber der Protestbewegung auf dem Platz des himmlischen Friedens nichts als Befremden, Tibet wird als apolitische Utopie gezeichnet (und China als böser Unterdrücker). Im Mittelpunkt steht einzig die Veränderung, die das Liebespaar gemeinsam und als Individuen durchmacht. Besonders dubios kommt mit dabei vor, wie die früheren lesbischen Beziehungen der Protagonistin als unreife Durchgangsstufen hin zu der Erkenntnis und bewussten Suche nach Mann-Frau-Komplementarität dargestellt werden, und das alles mit reichlich Vulgärplatonismus unterfüttert. Andererseits wirken viele Passagen des Romans dermaßen überzeichnet, dem New-Age-seligen Irrwitz damit – bewusst oder unbewusst – eine mehr als ironische Note verleihend, dass es geradezu als ungenügend erscheint, Der wilde Park des Vergessens einfach nur als reaktionäres Machwerk zu lesen.*** Ich jedenfalls fühle mich außerstande, die Frage zu beantworten, ob der Autor all diesen Schwurbel wirklich ernst meinte oder nicht.

Lesen lässt sich der Der wilde Park des Vergessens ganz gut, auch wenn ich gelegentlich versucht war, ein paar langatmige Seiten zu überblättern. Der Roman ist reich an Intertextualität; ganze Passagen sind als Pastiches des mittelalterlichen japanischen Romans Genji Monogatari verfasst, und zwar interessanterweise aus der Perspektive einer Protagonistin.****

So weit erstmal. Anzumerken bleibt, dass Der wilde Park des Vergessens ein etwas sorgfältigeres Lektorat hätte vertragen können. Und jetzt bräuchte ich nur noch jemanden, die/der mir erklärt, was Hetmann mit diesem Roman eigentlich wollte. Ist da jemand?

Der wilde Park des Vergessens von Frederik Hetmann ist 1994 bei Weitbrecht erschienen.

* Ob das heißt, dass die Kritik der Esoterik – zumindest in Teilbereichen – gute Arbeit geleistet hat, wage ich nicht zu beurteilen.
** Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass dieser Roman von einem Autor geschrieben wurde, der durch Biografien über Rosa Luxemburg und den Che bekannt wurde.
*** Richtiggehend zum Schreien ist etwa eine Szene, in der eine Teleportation nach Sutra X schief geht, weil die »Auserwählten« beim Meditieren an Sex statt ans Nirvana denken.
**** Die Geschichte des Prinzen Genji wurde von einer Frau verfasst, beschreibt zahllose höfische Liebesaffären jedoch aus rein männlicher Sicht. Das Bild des männlichen Verführers wird von Hetmann in seinen Pastiches gar nicht so schlecht durch den Kakao gezogen. Um so dümmer wirkt im Kontrast dazu die heterosexuelle Selbstfindung der Protagonistin.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Wie Robinson einmal Gaza befreien wollte

Henning Mankell ist schon ein seltener Depp. Vier seiner Wallanderkrimis habe ich gern gelesen, von seinen Afrikaromanen lasse ich, von postkolonial irritiertem Misstrauen geleitet, lieber die Finger. Abgesehen von seiner Schriftstellerei ist Mankell aber wohl auch das, was man sich heute als politischen Intellektuellen vorzustellen hat. Und was für einer! Wer zusammen mit dem mittlerweile in der Versenkung verschwundenen Köhlerhorst, dem Ex-IWF-Chef, die Welt retten will, kommt mir jedenfalls nicht mehr ins Bücherregal.

Bei der Gaza-Flotille im Mai war Mankell bekanntlich einer der Sonntagsmatrosen, die glücklicherweise von israelischen Streitkräften davor gerettet wurden, sich im Archipel der anti-israelischen Querfrontstrategien vollends zu verschippern. Bei Mankell hat das aber leider nichts genützt (wie wohl auch bei einigen anderen Reiseteilnehmer_innen nicht), denn gleich darauf bestritt er das Existenzrecht Israels und rief zum Judenboykott auf.

Kürzlich hat nun die Frankfurter Rundschau in ihrer Literaturbeilage bekannte Literat_innen über ihre bevorzugte Kindheits- und Jugendlektüre zu Wort kommen lassen, darunter auch Mankell. Der nannte als sein bleibendes Lieblingsbuch Robinson Crusoe und gab als Grund dafür an, Daniel Defoes Kolonialutopie vermittle ihm beim Lesen das Gefühl, nach Robinson der zweite (sic!) Mensch auf der einsamen Insel zu sein. Ächz. Warum glaube ich diesem Knallkopp einfach nicht, dass er sich nur verzählt hat? Identifiziert sich der westliche Intellektuelle, am kolonial-patriarchalen Helfersyndrom leidend, etwa mit Freitag, dem schwarzen Unterdrückten? Oder handelt es sich gewissermaßen um eine Freudsche Fehlleistung, und Mankell zählt den Subalternen gar nicht erst zu den Menschen? Man beginnt sich entsetzt auszumalen, was wohl passiert wäre, wenn des weißen Mannes Fuß tatsächlich den Strand von Gaza betreten hätte.

Übrigens schafft Mankell es nicht mal, den Autor von Robinson Crusoe korrekt zu identifizieren, und verwechselt ihn mit Robert Louis Stevenson. Hätte er nur mal dessen Zeitzeugenberichte zur kolonialen Praxis im 19. Jahrhundert gelesen, der kolonialisierten Welt heute wäre vielleicht einiges erspart geblieben, was Mankell – ob nun auf Kreuzfahrt im Mittelmeer oder als Gastautor der FR – an Privilegiertengeschwafel zum Besten gibt.

Ich rufe hiermit jedenfalls dazu auf, Henning Mankells Bücher zu boykottieren, und bestreite ausdrücklich sein politisches Existenzrecht.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.