Fantasy-Krimis sind in der Regel als klassische Whodunits gestaltet – etwa so wie in Randall Garretts Lord-Darcy-Geschichten und Esther M. Friesners
Druidenblut –, oder es gibt einen abgebrühten Protagonisten im Stil von Steven Brusts Vlad Taltos und Martin Scotts Thraxas. Absehbar ist jedoch, dass auch andere Grundmuster zur Anwendung kommen werden, je mehr sich die Genremischung etabliert. Ben Aaronovitchs
Rivers of London ist vielleicht der erste Roman, der als Police Procedural mit Fantasy funktioniert, und was anderes ist
The Lies of Locke Lamora als die weitverbreitete Geschichte vom Aufstieg eines kleinen Gauners zur Unterweltgröße? Weitere Kombinationen sind denkbar.
Trifft diese Einschätzung zu, dann ist
Last Days on Earth, von Susanne Gerdom unter dem Pseudonym Julian Frost veröffentlicht, gewissermaßen die Fantasyversion des deutschen TV-Krimis. Dessen unverzichtbare Ingredienzen sind a) ein ungleiches Bullenduo, das für Beziehungsdynamik sorgt, und b) ein aktuelles Thema. Punkt a) wird erfüllt durch die weiße Hexe Karla van Zomeren und den Dunkelmagus Raoul Winter, die gemeinsam in einem Fall ermitteln. Punkt b) ist der Weltuntergang. Das ist natürlich ein Thema, das widersinnigerweise
immer aktuell ist, im laufenden Jahr aber in besonderem Maße – genauer gesagt: so überaus aktuell wie seit 13 Jahren nicht mehr. Wie das kommt, ist nicht weiter erklärungsbedürftig, die
einschlägige Interpretation des Mayakalenders dürfte hinlänglich bekannt sein.
Last Days on Earth ist aber, um gleich Entwarnung zu geben, weder ein Verschwörungsthriller noch ein Roland-Emmerich-
Tatort-Remix in Buchform. Der Roman spielt in einer Welt, die stark der unseren ähnelt, aber außer von Menschen auch von einer ganzen Reihe von Fabelwesen bewohnt wird. Die sind größtenteils unterprivilegiert (Trolle, Kobolde, Werwölfe), teils auch aus halbseidener Quelle wohlhabend (Vampire), teils durchaus der Elite zugehörig, aber paranoiden Verdächtigungen ausgesetzt (verrate ich nicht, Spoilergefahr). In diesem Szenario klaut ein geheimnisvoller Unbekannter Bücher, die sich mit Prophezeiungen und Weltuntergangsvisionen befassen, und schreckt dabei auch vor Mord nicht zurück. Das ungleiche Duo Karla und Raoul ermittelt und gerät dabei an die Grenzen seines Selbstverständnisses. Gleichzeitig häufen sich weltweit die Katastrophen. Alles deutet darauf hin, dass eine mächtige, im Geheimen agierende Gruppe das Ende der Welt herbeiführen will.
Man weiß, wie solche Geschichten normalerweise ausgehen. Schön an dieser Geschichte ist, dass sie eben
nicht nach dem spinnerten Allerklärungsschema »Die Illuminaten/Rothschilds/Bilderberger/Tempelritter sind schuld!« endet. So gibt es in
Last Days on Earth zahlreiche Figuren, die gemäß der verschwörungstheoretischen Weltsicht als quasi von Natur aus verdächtig erscheinen, aber im Laufe der Handlung individuelle und vielschichtige Charakterzüge zeigen und, wie sich erweist, eher Opfer von Paranoia als finstere Verschwörer sind. Das finde ich großartig, denn man sollte niemals Motive von Verschwörungstheorien aufgreifen, ohne sie zugleich zu kritisieren.
Das Hauptproblem mit
Last Days on Earth ist, dass die Handlung 200 Seiten braucht, um richtig Fahrt aufzunehmen. Das sorgt für einen zähen Einstieg, während es danach durchaus temporeich und dynamisch vorangeht. Auch in diesem Roman erweisen sich übrigens wieder überraschende Ortswechsel und Sprünge in der Erzählzeit als typisch für Gerdoms Werk – eine Eigenheit, die einige Leser_innen irritieren mag; ich finde sie eher erfrischend unbekümmert. In mancher Hinsicht unbefriedigt haben mich aber die beiden Hauptfiguren zurückgelassen: Warum muss Karla so aufopferungsvoll sein? Was genau macht Raoul denn überhaupt attraktiv? Ist in der Zeichnung der beiden Charaktere nicht ein wenig zu viel Schicksalhaftigkeit im Spiel? Neben der anfangs schleppenden Handlung sind es diese Fragen, die den Lesegenuss für mich etwas eingetrübt haben.
Nichtsdestotrotz ist
Last Days on Earth ein unterhaltsamer Fantasy-Krimi, der in seiner Behandlung der Verschwörungsthematik einen wichtigen Punkt trifft. Und mag es auch mit der Handlung in der ersten Hälfte des Buches nicht so recht vorangehen, gibt es doch genügend spaßige Details, die stets zum Weiterlesen verleiten. Meine Lieblingsidee: Vampire, die ein italienisches Restaurant betreiben. Ich habe direkt Lust auf Pasta bekommen.
Last Days on Earth von Julian Frost (431 Seiten) ist 2012 bei Piper erschienen.