Freitag, 31. August 2012

Neuzugänge

Diesmal ein ziemlich schmaler SUB-Update:
  • Jane Austen, Ich bin voller Ungeduld. Briefe an Cassandra 
  • Marion Zimmer Bradley (Hg.), Schwertschwester
  • Joyce Ballou Gregorian, Die zerbrochene Zitadelle
  • Dies., Das verschollene Schloß
  • Charlaine Harris, Deadlocked
  • M. John Harrison, Nova
  • N.K. Jemisin, Die Erbin der Welt
  • Amos Oz, Die Romane (Suhrkamp-Quarto-Ausgabe)
  • Benjamin Stein, Das Alphabet des Juda Liva 

Edit
Ach Mist. Da hatte ich einiges vergessen. Wie konnte ich nur glauben, so wenige Bücher gekauft zu haben?

Samstag, 18. August 2012

Last Days on Earth

Fantasy-Krimis sind in der Regel als klassische Whodunits gestaltet – etwa so wie in Randall Garretts Lord-Darcy-Geschichten und Esther M. Friesners Druidenblut –, oder es gibt einen abgebrühten Protagonisten im Stil von Steven Brusts Vlad Taltos und Martin Scotts Thraxas. Absehbar ist jedoch, dass auch andere Grundmuster zur Anwendung kommen werden, je mehr sich die Genremischung etabliert. Ben Aaronovitchs Rivers of London ist vielleicht der erste Roman, der als Police Procedural mit Fantasy funktioniert, und was anderes ist The Lies of Locke Lamora als die weitverbreitete Geschichte vom Aufstieg eines kleinen Gauners zur Unterweltgröße? Weitere Kombinationen sind denkbar.

Trifft diese Einschätzung zu, dann ist Last Days on Earth, von Susanne Gerdom unter dem Pseudonym Julian Frost veröffentlicht, gewissermaßen die Fantasyversion des deutschen TV-Krimis. Dessen unverzichtbare Ingredienzen sind a) ein ungleiches Bullenduo, das für Beziehungsdynamik sorgt, und b) ein aktuelles Thema. Punkt a) wird erfüllt durch die weiße Hexe Karla van Zomeren und den Dunkelmagus Raoul Winter, die gemeinsam in einem Fall ermitteln. Punkt b) ist der Weltuntergang. Das ist natürlich ein Thema, das widersinnigerweise immer aktuell ist, im laufenden Jahr aber in besonderem Maße – genauer gesagt: so überaus aktuell wie seit 13 Jahren nicht mehr.  Wie das kommt, ist nicht weiter erklärungsbedürftig, die einschlägige Interpretation des Mayakalenders dürfte hinlänglich bekannt sein.

Last Days on Earth ist aber, um gleich Entwarnung zu geben, weder ein Verschwörungsthriller noch ein Roland-Emmerich-Tatort-Remix in Buchform. Der Roman spielt in einer Welt, die stark der unseren ähnelt, aber außer von Menschen auch von einer ganzen Reihe von Fabelwesen bewohnt wird. Die sind größtenteils unterprivilegiert (Trolle, Kobolde, Werwölfe), teils auch aus halbseidener Quelle wohlhabend (Vampire), teils durchaus der Elite zugehörig, aber paranoiden Verdächtigungen ausgesetzt (verrate ich nicht, Spoilergefahr). In diesem Szenario klaut ein geheimnisvoller Unbekannter Bücher, die sich mit Prophezeiungen und Weltuntergangsvisionen befassen, und schreckt dabei auch vor Mord nicht zurück. Das ungleiche Duo Karla und Raoul ermittelt und gerät dabei an die Grenzen seines Selbstverständnisses. Gleichzeitig häufen sich weltweit die Katastrophen. Alles deutet darauf hin, dass eine mächtige, im Geheimen agierende Gruppe das Ende der Welt herbeiführen will.

Man weiß, wie solche Geschichten normalerweise ausgehen. Schön an dieser Geschichte ist, dass sie eben nicht nach dem spinnerten Allerklärungsschema »Die Illuminaten/Rothschilds/Bilderberger/Tempelritter sind schuld!« endet. So gibt es in Last Days on Earth zahlreiche Figuren, die gemäß der verschwörungstheoretischen Weltsicht als quasi von Natur aus verdächtig erscheinen, aber im Laufe der Handlung individuelle und vielschichtige Charakterzüge zeigen und, wie sich erweist, eher Opfer von Paranoia als finstere Verschwörer sind. Das finde ich großartig, denn man sollte niemals Motive von Verschwörungstheorien aufgreifen, ohne sie zugleich zu kritisieren.

Das Hauptproblem mit Last Days on Earth ist, dass die Handlung 200 Seiten braucht, um richtig Fahrt aufzunehmen. Das sorgt für einen zähen Einstieg, während es danach durchaus temporeich und dynamisch vorangeht. Auch in diesem Roman erweisen sich übrigens wieder überraschende Ortswechsel und Sprünge in der Erzählzeit als typisch für Gerdoms Werk – eine Eigenheit, die einige Leser_innen irritieren mag; ich finde sie eher erfrischend unbekümmert. In mancher Hinsicht unbefriedigt haben mich aber die beiden Hauptfiguren zurückgelassen: Warum muss Karla so aufopferungsvoll sein? Was genau macht Raoul denn überhaupt attraktiv? Ist in der Zeichnung der beiden Charaktere nicht ein wenig zu viel Schicksalhaftigkeit im Spiel? Neben der anfangs schleppenden Handlung sind es diese Fragen, die den Lesegenuss für mich etwas eingetrübt haben.

Nichtsdestotrotz ist Last Days on Earth ein unterhaltsamer Fantasy-Krimi, der in seiner Behandlung der Verschwörungsthematik einen wichtigen Punkt trifft. Und mag es auch mit der Handlung in der ersten Hälfte des Buches nicht so recht vorangehen, gibt es doch genügend spaßige Details, die stets zum Weiterlesen verleiten. Meine Lieblingsidee: Vampire, die ein italienisches Restaurant betreiben. Ich habe direkt Lust auf Pasta bekommen.

Last Days on Earth von Julian Frost (431 Seiten) ist 2012 bei Piper erschienen.

Donnerstag, 9. August 2012

Neuzugänge

  • Hans Bemmann, Die beschädigte Göttin
  • A.S. Byatt, The Children’s Book
  • Gabriel García Márquez (Hg.), Dieselbe Geschichte, nur anders
  • Alan Garner, Strandläufer
  • Elizabeth Goudge, Das kleine weiße Pferd
  • Shirley Jackson, Wir haben schon immer im Schloß gelebt
  • Stephen King, Die Augen des Drachen
  • Ders., Langoliers 
  • Doris Lessing, Shikasta
  • George MacDonald, Lilith
  • Carson McCullers, Das Herz ist ein einsamer Jäger
  • Otfried Preußler, Hotzenplotz-Trilogie
    Die kolorierte Neuausgabe im Schuber!
  • Norman Spinrad, Der stählerne Traum
  • Rosemary Sutcliff, The Eagle of the Ninth
  • Virginia Woolf, Orlando

Mittwoch, 1. August 2012

Let Me In

Als großer Fan von So finster die Nacht und Tomas Alfredsons Verfilmung des Romans habe ich mir vor einer Weile Matt Reeves’ filmische Zweitverwertung von John Ajvide Lindqvists Roman angesehen. Irgendein Kritiker (war es Roger Ebert?) meinte zu Let Me In, nun gebe es endlich ein Remake, für das Hollywood sich nicht zu schämen brauche. Das stimmt irgendwie. Let Me In ist kein peinlicher oder direkt überflüssiger Film. An Ajvide Lindqvists Roman und Alfredsons Verfilmung reicht er aber in keinster Weise heran.

Let Me In basiert wie schon die schwedische Verfilmung auf dem Drehbuch, das Ajvide Lindqvist selbst auf Grundlage seines Romans verfasst hat. Reeves nahm gegenüber Alfredsons Film allerdings einige Änderungen vor. So wurde die Erzählreihenfolge etwas umgestellt und mit dem Polizisten eine neue Nebenfigur eingeführt (eine gespensterhafte Figur, die nie namentlich genannt wird und den Film in die Nähe von M. Night Shyamalans Werken rückt). Eine weitere Nebenfigur – Håkan im Roman und im älteren Film, Thomas im neuen Film – wurde erheblich umgedeutet. Wie genau, will ich zwecks Spoilervermeidung nicht verraten. Gesagt sei allerdings, dass diese Umdeutung die gesamte Geschichte schwächt, indem er das Beziehungsgefüge zwischen Abby, Thomas und Owen (bzw. Eli, Håkan und Oskar) jeglicher Ambiguität beraubt und ihm stattdessen etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches verleiht. Übrigens wird dadurch auch bewirkt, dass Reeves’ Film ein weitaus geschlosseneres erzählerisches Universum konstruiert als Alfredsons Interpretation, die insbesondere in der Charakterisierung Håkans einige Leerstellen stehen ließ und damit eine enge Verklammerung seines Films mit der Romanvorlage (in der die Leerstellen geschlossen werden) erreichte.

Nicht ganz nachvollziehbar ist für mich das überschwängliche Lob, dass Regisseur Reeves in den Extras der DVD Kodi Smit-McPhee zukommen lässt, dem Darsteller von Owen/Oskar. Smit-McPhees schauspielerische Leistung ist in Ordnung, aber nicht gerade überragend. Die Tatsache, dass die Figur im Film auf nahezu unerträgliche Weise überdeterminiert ist, lässt vermuten, dass Reeves in Wirklichkeit gar nicht so sehr in seinen Schauspieler verliebt ist, sondern vielmehr in seine Interpretation der Figur. Oskars sehr konkretes Leiden und sein Bemühen, dagegen anzukämpfen, wird in Reeves’ Film kaum greifbar. Zwar wird auch sein Owen in der Schule gemobbt und gedemütigt, man fragt sich aber, warum Reeves das überhaupt zeigt, während er die Figur eigentlich ganz anders angelegt hat, nämlich hart an der Grenze zum Kitsch und sie gelegentlich überschreitend: Owen ist ein Engelchen, ein kleiner Astronaut, der einsam durchs Weltall schwebt und sehnsüchtig durch ein Fernrohr blickt, um den Menschen näher zu kommen ... Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, aber auch kaum mit weniger schwärmerischen Worten zu beschreiben, weil die gesamte Darstellung der Figur so sehr von süßlich-aufdringlichen Symbolen geprägt ist – kein Wunder, dass die Liebe zu Abby/Eli in Reeves’ Interpretation nicht nur Rettung aus der Not ist, sondern auch Schicksalszusammenhang mit Anlage zum Tragischen und wenig Raum für echte Widersprüchlichkeit, wie sie in Alfredsons Film so stark zu empfinden ist.

Auch eine weitere Ambiguität, die Alfredsons Film prägt, geht Reeves’ Werk völlig ab. Das Aufbrechen der Geschlechterdichotomie, das Alfredson so wundervoll inszeniert, wird von Reeves glattgebügelt, der Zwang zur Eindeutigkeit, den Eli und Oskar einfach ignorieren, macht Owen stellenweise ganz schön zu schaffen: Die Dramaturgie will es, dass er auf Abbys Eröffnung, »kein Mädchen« zu sein, pflichtbewusst mit der schockierten Frage nach Abbys sex-category reagiert.

Bei allem Gemecker will ich zum Schluss loben, was zu loben ist. Da ist zum einen die Performance von Chloë Grace Moretz, die als Abby eine so energiegeladene, androgyne und gefährliche Figur abgibt, dass es eine Lust ist. Auch Elias Koteas als »der Polizist« ist sehenswert. Und eine hervorragende Idee des Regisseurs war es, zu Beginn des Films Reagans berüchtigte »Evil Empire«-Rede zu zitieren. Das gibt dem ansonsten mit wolkigen Symbolen überfrachteten Let Me In ein wenig Bodenhaftung und verleitet zu der Erkenntnis, dass die Welt auf eine viel grundsätzlichere Weise nicht in Ordnung ist, als Reeves’ Film es ansonsten zu denken erlaubt.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.