Freitag, 16. Dezember 2011

Lovecrafts Grab

Nnedi Okorafor denkt darüber nach, wie sie damit umgehen soll, dass der World Fantasy Award, den sie in der Kategorie  »Bester Roman« gewonnen hat, ihr in Form einer Lovecraft-Büste überreicht wurde. Lovecraft war bekanntlich ein überzeugter Rassist und Antisemit. Und jemand, der durch sein eigenes literarisches Schaffen wie durch seine Netzwerker-Tätigkeit die Entstehung von SFF als eigenes Genre entscheidend geprägt hat.

Nun liegt das Problem, wie ich es sehe, nicht nur in Lovecrafts Weltanschauung. Über die wird viel gesprochen, und indem ihr menschenverachtender Charakter herausgestellt wird, findet gleichzeitig eine Art Entlastungsvorgang statt: Es ist nur allzu leicht, über Lovecrafts Rassismus zu reden und ihn gleichzeitig damit zu entschuldigen, dass Lovecraft »socially inept« gewesen sei. Gern wird dabei auch übersehen, dass Rassismus und Eurozentrismus in nahezu der gesamten frühen Fantasy gang und gäbe waren: Lange vor der US-amerikanischen Pulp-Fantasy bejubelten Rudyard Kipling, Arthur Conan Doyle und H. Rider Haggard in ihren Lost-Race-Geschichten den europäischen Kolonialismus und Imperialismus.* Vor diesem Hintergrund macht es wenig Sinn, sich Lovecraft als singulären Rassisten herauszupicken, wenn eigentlich die Geschichte des gesamten Genres kritisch bearbeitet werden müsste. Lovecraft mag seine Ansichten expliziter geäußert haben als andere, eine Ausnahme war er deshalb noch lange nicht.

Dennoch macht es natürlich Sinn, wenn eine schwarze, postkoloniale Autorin wie Nnedi Okorafor und ein marxistischer Schriftsteller wie China Miéville darüber nachdenken, wie sie mit dem Ikonenstatus des »Einsiedlers von Providence« subversiv umgehen können. Was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn eine Person wie Lovecraft im Jahre 2011, da von sechs nominierten Romanen für den World Fantasy Award drei von Schwarzen, vier von Frauen und zwei von Schriftstellerinnen mit einem postkolonialen Hintergrund geschrieben wurden, noch immer das gesamte Genre repräsentieren soll?

Zu verlinken ist nicht nur Okorafors Blogpost (in dem Miévilles Position zitiert wird) mit den dazugehörigen Kommentaren, sondern auch diese Diskussion auf Facebook. Außerdem wird auf den Seiten des World SF Blog debattiert. Silvia Garcia-Moreno bloggte ebenfalls zum Thema und Scott Edelman weist auf seinen älteren, aber thematisch verwandten Post hin.

Link-Update

Auf dem Blog Skalpell und Katzenklaue ist unter dem Titel »Der Gentleman von Providence und seine Ängste« eine zweiteilige Analyse von Lovecrafts Rassismus zu lesen: Teil 1, Teil 2.

* Auch ohne sich in der Leben-Lovecrafts-Forschung sonderlich auszukennen, kann man heutzutage wissen, dass Lovecraft keineswegs so menschenscheu und sozial unfähig war, wie die Sage dieses Schriftstellers es aussehen lassen will.
** Schon George Orwell musste in einem Essay über Kipling bemerken, dass über dessen Verherrlichung des Kolonialismus geredet wurde, um sie im gleichen Atemzug zu verharmlosen: Wenn Kipling drakonische Strafen, die die britischen Kolonialherren über die indischen Subalternen verhängten, in allen grausigen Details schilderte, habe er das quasi als neutraler Beobachter getan, oder aber als Kind seiner Zeit. Orwell betont zu Recht, dass es einigermaßen absurd ist, dem »Barden des Imperialismus« ausgerechnet in dieser Sache eine neutral beobachtende Position zu unterstellen.

3 Kommentare:

Eosphoros hat gesagt…

Ist Okorafors Blog momentan nicht erreichbar, oder liegt das Problem bei mir?

Rodolfo Mangosta Peferbaum hat gesagt…

Gerade ist es erreichbar, vor zwei Stunden habe ich leider nicht geguckt. Vielleicht liegt es daran, dass bei Okorafor die Posts in so einem Flash-Dingsda (oder so wat ähnlichem) erscheinen und deshalb bei dir nicht angezeigt werden?

Eosphoros hat gesagt…

Ja, es lag am Flash und meiner Skriptblock-Software …

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.