tag:blogger.com,1999:blog-7135020945775760693.post990412900680312460..comments2024-01-10T23:24:47.684+01:00Comments on Lake Hermanstadt: Romance, Romantik und Fantasy (1. Teil)Murilegus rexhttp://www.blogger.com/profile/08705192064646504148noreply@blogger.comBlogger4125tag:blogger.com,1999:blog-7135020945775760693.post-58732807379397393012013-10-07T16:14:56.058+02:002013-10-07T16:14:56.058+02:00Ich muss zugeben, mit Caillois habe ich mich bishe...Ich muss zugeben, mit Caillois habe ich mich bisher gar nicht direkt beschäftigt, sondern tatsächlich nur seinen Einfluss auf gängige Verhältnisbestimmungen von Phantastik und Märchen wahrgenommen. Muss ich bei Gelegenheit mal ändern.<br /><br />Gestern habe ich aber noch Anfang (I.2) des Phantastiktheorie-Teils in deiner Diss gelesen. Ich finde dein Vorgehen darin sehr begrüßenswert, insbesondere den Ausgangspunkt von Fantasy als dem allgemeineren Begriff gegenüber dem Phantastikbegriff der kontinentaleuropäischen (nenne ich jetzt einfach mal so) Theorietradition. Ein Blick in die Literaturgeschichte der Neuzeit zeigt, dass es eher die Ausnahme als die Regel ist, wenn das Wunderbare oder Übernatürliche zum Gegenstand des Erschreckens über seine Realitätsinkompatibilität gemacht wird – bzw. wenn die Realitätsinkompatibilität zum zentralen Thema wird, denn in vielen Geschichten kommt sie zwar am Rande vor, aber letztlich nur, um den Leser_innen den Einstieg zu erleichtern.<br /><br />Auf der anderen Seite haben die (tendenziell angloamerikanischen) Theorien, die Fantasy/Phantastik über die unterschiedlichen Konstruktionsweisen der fiktiven Welt bestimmen, den in meinen Augen entscheidenden Vorteil, dass sie der »Familienähnlichkeit« von historischen Gattungen wie Märchen, Phantastik, Horror, Fantasy etc. Rechnung tragen können, weil ihnen allesamt die Konstruktion einer fiktiv-imaginären Welt gemein ist. Damit vermeidet man die starre Gegenüberstellung von Märchen als einheitlich wunderbaren »immobilen« Texten und Phantastik als zwischen Realimus und Wunderbarem changierenden »mobilen« Texten, die ohnehin nur auf einen kleinen Teil der entsprechenden historischen Gattungen zutreffen.<br /><br />Bin gespannt, was du in I.4 noch zu sagen hast.Murilegus rexhttps://www.blogger.com/profile/08705192064646504148noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-7135020945775760693.post-51404066272381952282013-10-06T21:13:53.056+02:002013-10-06T21:13:53.056+02:00Nun, Du bist auf diesem Gebiet aber wahrscheinlich...Nun, Du bist auf diesem Gebiet aber wahrscheinlicher belesener als viele Literaturwissenschaftler ;) Das mit Hoffmann wusste ich auch nicht.<br /><br />Freue mich auf den zweiten Teil -- gerade Caillois hat es meines Erachtens durchaus verdient, mal gut durcheinandergeschüttelt zu werden. Ich fand seinen Aufsatz "Das Bild des Phantastischen (<i>De la Féerie ...</i>)" zwar immer sehr inspirierend, aber vor allem, weil ich in so vielen Punkten nicht damit einverstanden war ;)JLhttp://gazette.rainlights.netnoreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-7135020945775760693.post-43730859370732064572013-10-06T17:25:08.548+02:002013-10-06T17:25:08.548+02:00Danke für den ausführlichen Kommentar.
Ich muss g...Danke für den ausführlichen Kommentar.<br /><br />Ich muss gestehen, meine Motivation für diesen Blogpost (und seine Nachfolger, von denen ich den ersten hoffentlich noch heute fertig kriege) ist, die fein säuberliche Unterscheidung zwischen Supernatural Fiction/Phantastik/Horror einerseits und Fantasy/(Kunst-)Märchen andererseits mal so richtig durcheinander zu schütteln. <br /><br />Wobei ich jederzeit zugeben würde, dass diese Unterscheidung sich nicht ohne Grund entwickelt hat und ihre Anwendung viel für sich hat. Was mich aber interessiert, ist, wie sie ihren Anfang nahm. Damit meine ich weniger das übersetzerische Missverständnis, das aus E.T.A. Hoffmanns <i>Phantasiestücken</i> (statt <i>contes de fantaisie</i> o.ä.) <i>contes fantastiques</i> gemacht hat und damit die begriffliche Dualität von Phantastik und Fantasy überhaupt erst in die Welt gesetzt hat, sondern die jeweils prägenden Definitionsversuche.<br /><br />Auf der einen Seite hat Roger Caillois vom Märchen gesagt, dass es in einer einheitlich wunderbaren Welt spiele, während er in Bezug auf die Welten der Phantastik von dem berühmten Riss sprach, der durch die Wirklichkeit gehe. Damit definierte Callois die Phantastik in <i>Abgrenzung</i> zum Märchen – mit weitreichenden Folgen, denn noch heute kann man in Einführungen zur Märchenforschung die Formulierung finden, Phantastik sei ihrem Wesen nach »märchenfeindlich«. Diese Abgrenzung wurde von einer ganzen Reihe einflussreicher Definitionen beibehalten. Ob man mit Lovecraft meint, es ginge der Phantastik um die Erzeugung von Angst, ob man mit Todorov von <i>hésitation</i> über den Realitätsstatus der geschilderten Ereignisse spricht oder mit Durst einen Konflikt zwischen verschiedenen Realitätssystemen annimmt: Immer war das Kriterium, wie du sagst, das der Verunsicherung, die mal extradiegetisch bei den Leser_innen, mal intradiegetisch bei den Figuren angesiedelt wurde, während im Märchen (und in der Fantasy) gegenüber dem Übernatürlichen keine Verunsicherung, sondern eine geradezu traumwandlerische Sicherheit herrsche. (Mittlerweile ist allerdings die Märchenforschung so weit, dass sie das Bild, das die Phantastiktheorien vom Märchen zeichnen, als grob vereinfacht kritisiert.)<br /><br />Auf der anderen Seite hat Tolkien in »On Fairy-Stories« die Fantasy nicht als Gegenteil, sondern als <i>Fortführung</i> des Märchens definiert. Auch daran schließt sich eine Reihe von Definitionen an, z.B. die Michael Maars, wenn er Fantasy als zum Roman ausgewachsene Märchen bezeichnet.<br /><br />Das in meinen Augen Paradoxe daran ist nun, dass beide Theorietraditionen sich zu erheblichen Teilen auf den gleichen Textkorpus beziehen. Das kann man an der jeweiligen Bezugnahme auf die Gothic Novel sehen, am Umgang mit Autoren wie Poe und Stoker, insbesondere aber, was die Einschätzung der (deutschen) Romantik betrifft. Ludwig Tieck und E.T.A. Hoffmann gelten auf der einen Seite als Parade-Vertreter des Phantastischen und müssten demnach »märchenfeindlich« sein. Auf der anderen Seite werden sie als Mitbegründer der in die Fantasy mündenden Kunstmärchentradition angesehen. Dieser Widerspruch ist es, auf den ich vor allem hinaus will.<br /><br />Sicherlich ist dir all das, was ich jetzt lang und breit ausgeführt habe, bestens bekannt. Ich erkläre mich vor allem deshalb so ausführlich, damit das alles hier eine gewisse Nachvollziehbarkeit auch für diejenigen behält, die sich mit den Theoriedebatten um Fantasy und Phantastik nicht en detail auskennen (und auch für mich selbst; bin ja selber kein Literaturwissenschaftler). <br /><br />P.S.: Deine Diss habe ich bisher leider nur in kleinen Auszügen gelesen, aber ich werde mir den ersten Teil mal ansehen.Murilegus rexhttps://www.blogger.com/profile/08705192064646504148noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-7135020945775760693.post-71356051228632470362013-10-06T09:36:11.963+02:002013-10-06T09:36:11.963+02:00Sehr schöner Artikel, danke hierfür. Ich hatte dam...Sehr schöner Artikel, danke hierfür. Ich hatte damals schon überlegt, ob ich in die Debatte einsteige, mich aber dagegen entschieden, weil ich nicht recht die Zeit und den Willen für die definitorischen Feinheiten hatte, die vielleicht dazu nötig wären.<br /><br />Im Großen und Ganzen sehe ich aber auch ehrlich gesagt auch die Widersprüche nicht. Ich gebe Frank Weinreich recht, wenn er die von Dir zitierten Parallelen in der Geisteshaltung von Fantasy und Romantik sieht, unabhängig von der Frage, ob wir es hier nun mit einer "Tradition" zu tun haben. Ich gebe den anderen recht, wenn sie betonen, dass "Fantasy" eigentlich erst im frühen zwanzigsten Jahrhundert wirklich begann. Und volle Zustimmung an Dich, wenn Du vom Bruch unserer Tradition durch das vorherrschende Realismusdogma sprichst.<br /><br />Natürlich sind Fantasy und Phantastik verwandt, meinen aber zumindest in der deutschen literaturwissenschaftlichen Tradition meist verschiedene Spielarten imaginativer Literatur. Während die "supernatural fiction", um einmal diesen Begriff zu verwenden, vornehmlich an einer Verunsicherung des Lesers interessiert ist (grob vereinfacht: Todorov, Caillois, Lovecraft), erzählt die Fantasy ihre Geschichten, ohne sich um deren Unmöglichkeit oder Realitätsferne zu kümmern (grob vereinfacht: Encyclopedia of Fantasy). Damit sich so etwas als moderne Tradition etablieren kann, brauchen wir also erst einmal einen Realitätsbegriff, der zu unserem halbwegs passt, und der entweder gebrochen oder ignoriert werden kann. Damit ist Fantasy für mich etwas, das erst nach der Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft (Darwin, Nietzsche, Freud, vielleicht Einstein) seine ganze Wirkmacht entfalten kann. Eines der wichtigsten Genre-Kriterien schiene mir weiterhin die Betätigung des Autors als "Nebenschöpfers" (Tolkien); als einer der wichtigsten Meilensteine Lord Dunsany mit der Schöpfung Pegānas.<br /><br />Dass man fantastische Elemente in der Literatur ebenso gut bis zur Renaissance oder der Antike zurückverfolgen kann, ist geschenkt. Ich würde aber behaupten, dass sie damals noch nicht im einem vergleichbaren Konflikt zur vorherrschenden Auffassung der Dinge-wie-sie-eben-sind stand.<br /><br />Ich habe im ersten Teil meiner Dissertation (http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/10106/) versucht, eine -- sehr vereinfachte -- Entwicklungsgeschichte der fantastischen Spielarten und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse nachzuzeichnen. Natürlich bin ich da nicht der Erste, und wer sich schon länger eingehend mit diesen Fragen beschäftigt, wird darin wahrscheinlich auch wenig Neues finden. Hervorheben möchte ich aber die Ähnlichkeiten "im Geiste" der Fantasy zur Schäferdichtung. In ihrer Klage auf eine verlorengegangne bessere Welt, die eigene Kindheit oder ein Goldenes Zeitalter ähnelt die moderne Fantasy meines Erachtens tatsächlich der schwärmerischen Nostalgie der Romantik. Im Gegensatz zu vorherrschenden Realismusbegriffen (s.o.) tut sie aber so, als ob man diese verlorenen Welten oder Zeiten wieder erreichen, oder die eigene Welt revitalisieren, wiederverzaubern könne. Das, so scheint es mir, ist ihr wichtigstes Beitrag (ihr "novum" gewissermaßen ;)) zur Literarurgeschichte gewesen.<br />JLhttp://academia.rainlights.netnoreply@blogger.com