Mittwoch, 4. Oktober 2017

Gibt es die faschistische Fantasy? (Exkurs I)

 Teil 1 · Teil 2 · Teil 3 · Teil 4 · Zwischenstand

Bevor ich in Zukunft näher auf einzelne Werke und ihre Autor_innen eingehe, möchte ich noch einmal in übersichtlicher Weise die wichtigsten Institutionen und Akteure der NS-Literaturpolitik referieren.

Die Nazis nahmen zum einen eine Art Elitenaustausch vor. Das lässt sich an der Gleichschaltung der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste illustrieren. Zahlreiche Schriftsteller_innen von Weltrang, darunter Alfred Döblin, die Brüder Mann und Franz Werfel, wurden zum Austritt genötigt und ins Exil gezwungen. Ihre Werke gingen bei den berüchtigten Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 in Flammen auf. Die Sektion Dichtkunst wurde in Deutsche Akademie der Dichtung umbenannt. Die freigewordenen Plätze wurden mit Schriftsteller_innen besetzt aus dem völkischen Milieu besetzt, die sich zumeist am Ziel ihrer Träume sahen: Waren sie zuvor eher milieubedingt rezipiert wurden, durften sie sich in ihrer Eitelkeit nun einbilden, wohlverdiente Plätze auf dem Parnass der deutschen Literatur eingenommen zu haben. Natürlich revanchierten sie sich umgehend bei der NS-Führung, und zwar durch einen Akt der Schleimerei. Ein »Gelöbnis treuester Gefolgschaft« wurde abgefasst und von 88 Schriftsteller_innen unterschrieben. Daneben versuchten die Nazis, bedeutende Literat_innen durch Ehrungen und prestigeträchtige Ämter für sich zu gewinnen. Ein Gottfried Benn etwa ließ sich darauf bereitwillig ein. Gerhart Hauptmann wahrte dagegen eher Distanz.

Das Ziel der NS-Literaturpolitik lag in einer möglichst umfassenden Kontrolle sämtlicher Aspekte des Literaturbetriebs durch Staat und Partei. Dem Reichspropagandaministerium unter Joseph Goebbels unterstand die Reichskulturkammer, der eine Einzelkammer für Literatur angegliedert war. Dieser Reichsschrifttumskammer mussten sämtliche Personen angehören, die in irgendeiner Weise mit dem Schreiben, der Herstellung und dem Vertrieb von Büchern befasst waren. Eine Nichtmitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer kam einem Berufsverbot gleich. Auch darüber hinaus gab es umfassende Zensurmöglichkeiten. Das Reichspropagandaministerium unterhielt eine »Liste des unerwünschten und schädlichen Schrifttums«, die für die Öffentlichkeit nicht einsehbar war. Verboten werden konnten Einzelwerke ebenso wie das Gesamtwerk von unerwünschten Autor_innen. Ebenfalls eingeschränkt werden konnten Übersetzungen und der internationale Vertrieb von Büchern.

Neben dem Reichspropagandaministerium konnte auch die SS unter Heinrich Himmler Bücher verbieten lassen. Das war in der Präambel von Goebbels’ Zensurliste ausdrücklich festgelegt. Diese zusätzlichen Bücherverbote wurden vom SS-Reichssicherheitshauptamt ausgesprochen, dem der SD (als Geheimdienst) und die Gestapo (als politische Polizei) unterstanden.

Der erbitterte Konkurrent des Reichspropagandaministeriums war, wie verschiedentlich erwähnt, Alfred Rosenberg als »Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP«. Rosenbergs Amt war allerdings keine staatliche Behörde, sondern eine Dienststelle der Partei. Bücher verbieten konnte sie deshalb nicht. Rosenberg war es ein Dorn im Auge, das Goebbels relativ großzügig verfuhr, wenn Schriftsteller_innen sich nicht regimekritisch äußerten und sich in den Apparat seines Ministeriums einspannen ließen.* Er war der fixen Überzeugung, dass literarisches Können ›rassisch‹ bedingt sei. Diejenigen Autor_innen, die 1933 eine plötzliche Kehrtwende vollzogen oder sich in der Folge dem NS-Literaturbetrieb anpassten, konnten in Rosenbergs Augen nur Wölfe im Schafspelz sein, die dem deutschen Faschismus bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken fallen würden. Die BFÜ-Dienststelle unterhielt deshalb ein Amt für »Schrifttumspflege« unter der Leitung von Hans Hagemeyer. Dieses ordnete sämtliche Neuerscheinungen penibel danach, ob sie von der Partei zu fördern seien oder nicht. Außerdem gab sie die Zeitschrift Bücherkunde heraus, mit der die Lesegewohnheiten von Partei und Bevölkerung beeinflusst werden sollten.

Die Kompetenzen der BFÜ-Dienststelle überschnitten sich mit denen der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums (PPK), die vom Chef der Führerkanzlei der NSDAP, Philipp Bouhler, geleitet wurde. Die PPK sollte sicherstellen, dass Autor_innen sich nicht ohne Genehmigung als offizielle Stimmen der NSDAP gerierten (etwas, das viele offenbar nur allzu gern taten). Dahinter steht die Tatsache, dass die NSDAP selbst ein einflussreicher ökonomischer Player im Bereich Literatur und Publizistik war. Sie unterhielt mit dem Eher Verlag einen parteieigenen Verlag mit angeschlossener Buchhandlung, der sich mit der Zeit zu einem gigantischen Medienunternehmen entwickelte. Als Verlagschef fungierte Max Amann, der Reichspresseleiter der NSDAP. Erfolgreichste Veröffentlichung bei Eher war natürlich Mein Kampf. Amann und Hitler verdienten sich mit Hilfe ihres hauseigenen Medienkartells dumm und dämlich. Der PPK kam insofern die Aufgabe zu, unerwünschte Konkurrenz auf dem Bücher- und Pressemarkt auszuschalten. Da das Amt Rosenberg für die inhaltliche Überwachung der nationalsozialistischen Literatur zuständig war, kam es immer wieder zu Rangeleien zwischen Bouhler und Rosenberg.

Es gab also nicht weniger als vier verschiedene Machtzentren im NS-Staat, die sich der Kontrolle des Literaturbetriebs verschrieben hatten: das Reichspropagandaministerium bzw. die Reichsschrifttumskammer unter Gobbels, die SS unter Himmler, Rosenbergs BFÜ-Dienststelle und die PPK unter Bouhler. Das ist typisch für die polykratische Struktur des Dritten Reiches, in der Behörden und Institutionen mit unklar begrenzten Zuständigkeiten miteinander konkurrierten und insofern von der persönlichen Gunst Hitlers abhängig waren.

Nun sind noch einige Worte darüber zu verlieren, wie die von der NS-Führung gewünschte und geförderte Literatur eigentlich aussah. Schriftsteller_innen, die das Wohlwollen von Staat und Partei genossen, wurden regelmäßig mit Pöstchen im Kulturbetrieb, Preisen und Ehrungen belohnt. Die Romane und Erzählungen, die sie schrieben, gehörten zumeist spezifischen Genres an: historische Romane, Familienromane, Kolonialromane, Kriegsromane und Bauernromane. Die Crux ist, dass diese Werke meist einer irrationalistischen Blut-und-Boden-Metaphysik verhaftet sind, von ihren Schöpfer_innen und der offiziellen Literaturpolitik aber als durch und durch realistisch angesehen wurden. Das ist nur konsequent. Wenn alles, was Menschen tun und lassen, ›rassisch‹ bedingt ist, dann gehen auch fiktionale Weltdarstellungen unmittelbar aus der Biologie ihrer Autor_innen hervor und können gar nicht anders als Abbildungen der Realität sein. Dass diese Realität eine wahnhafte ist, lässt sich aus der Binnenperspektive selbstverständlich nicht erkennen.

Phantastische Literatur konterkariert diese verquere Realismusauffassung. Ihre Autor_innen waren deshalb im Dritten Reich nicht eben wohlgelitten. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt gemeinhin als Hochzeit phantastischer Literatur in deutscher Sprache. Dafür stehen Namen wie Gustav Meyrink, Alfred Kubin oder Leo Perutz. Eine ganze Reihe von Vertreter_innen dieser Phantastik sympathisierte offen mit dem Nationalsozialimus: Hanns Heinz Ewers war Parteimitglied und schrieb Propagandaromane. Karl Hans Strobl war ebenfalls Parteigenosse. Franz Spunda gehörte dem NS-Lehrerbund an. Willy Seidel unterzeichnete das »Gelöbnis treuester Gefolgschaft«.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die NSDAP das Liebäugeln der Phantast_innen mit dem Faschismus keineswegs mit Gegenliebe beantwortete. Ihre Romane wurden von der Regimepresse oft als triebhaft, dekadent und sensationsgierig geschmäht. Unmittelbar nach der Machtübernahme stellte ein Berliner Bibliothekar in vorauseilendem Gehorsam eine schwarze Liste von Büchern zusammen, die dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund übergeben werden sollte, gleichsam zur Koordination der Bücherverbrennungen.** Bereits diese Liste enthält Verbotsforderungen gegen Alexander Moritz Frey, Gustav Meyrink, Hanns Heinz Ewers und Alexander Lernet-Holenia.

Nicht unamüsant ist der Fall Ewers. Fasziniert von Rausch und Erotik, sa er als literarische Vorbilder Hoffmann, Heine und Wilde an. Seine Weltanschauung bildete eine krude Mischung aus Philosemitismus und Deutschlandmystik. 1931 trat er in einem unverhohlen opportunistischen Akt der NSDAP bei und schrieb darauf die Propagandaromane Reiter in deutscher Nacht und Horst Wessel. Seine (ziemlich illusionäre) Hoffnung war, die Partei werde ihn im Fall der Machtübernahme zum hochrangigen Kulturfunktionär machen. 1934 dämmerte den Tugendwächtern des neuen Systems dann, was für einen zweifelhaften Propagandisten sie ihrem spießbürgerlichen Publikum zugemutet hatten. Ewers’ Bücher, mit Ausnahme der beiden Propagandaromane, wurden aus dem Verkehr gezogen; der Autor mit einem generellen Publikationsverbot belegt.

Letztlich gab es nur einen namhaften Vertreter der deutschsprachigen Phantastik, der vom Regime wirklich gefördert wurde. Der Österreicher Karl Hans Strobl war schon vor dem »Anschluss« ein begeisterter Nazi. Belohnt wurde er damit, dass er die Wiener Landesleitung der Reichschrifttumskammer übernehmen durfte. Ich vermute allerdings, dass die Förderung nichts mit der Phantastik zu tun hatte: Strobl war auch als Verfasser von typisch völkischen Kriegs- und Studentenromanen bekannt.

Die abschließende Frage ist, welches der verschiedenen Machtzentren der NS-Literaturpolitik einer faschistischen Mythopoeia am ehesten günstig war. Ich habe bereits gezeigt, dass Rosenberg mit seinem Mythus des 20. Jahrhunderts dafür kaum in Frage kommt. (In der Tat sah Rosenberg sich als Hüter des Realismus in der deutschen Literatur an. Wo er sich im Mythus konkret mit der Frage beschäftigt, welche Autoren eine Vorbildfunktion für die NS-Literatur haben könnten, nennt er folgerichtig Keller, Raabe und Meyer.) Mein nächster Post in dieser Reihe wird zeigen, dass eine eigenständige faschistische Mythopoeia sich am stärksten im Umfeld der SS entwickeln konnte.

* Das zeugt natürlich nicht von einer humanen Gesinnung, sondern davon, dass Goebbels den propagandistischen Wert von Schriftsteller_innen erkannte, die keine überzeugten Nazis waren. Goebbels war klar, dass es zu einer vollständigen kulturellen Einkapselung gekommen wäre, wenn ausschließlich die Überzeugten für andere Überzeugte geschrieben hätten. Genau das war aber Rosenbergs Ziel.
** Diese Liste kam allerdings nicht zum Einsatz. Die faschistischen Nachwuchsakademiker wussten auch so, welche Bücher sie abfackeln wollten. Als offizielles Zensurinstrument wurde dann die oben erwähnte Liste des Reichspropagandaministeriums geschaffen.

Keine Kommentare:

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.