Montag, 19. September 2016

Das Kind bei Ende und Tolkien

J. R. R. Tolkiens Lord of the Rings (1954/55) verhält sich zu Terry Brooks’ Sword of Shannara (1977) wie Michael Endes Unendliche Geschichte (1979) zu Heike und Wolfgang Hohlbeins Märchenmond (1982). Dabei ist zu beachten, dass es sich um eine Strukturanalogie handelt: In beiden Fällen hat sich gezeigt, dass sich ein erfolgreiches Imitat herstellen lässt.* Damit liegt zwischen den beiden englisch- und den deutschsprachigen Büchern eine Art Relation der Relationen vor. Unzulässig wäre es, die Analogie auf die einzelnen Autor_innen auszudehnen: Ende ist kein Tolkien.

Der Unterschied zwischen Ende und Tolkien lässt sich in ihrer Stellung zum Kind ausdrücken. So sagt Ende:
Ich glaube, daß die Werke der großen Dichter, Künstler und Musiker dem Spiel des ewigen und göttlichen Kindes in ihnen entstammen – dieses Kind, das ganz unabhängig vom äußeren Alter in uns lebt, ob wir neun Jahre alt sind oder neunzig, dieses Kind, das nie die Fähigkeit verliert zu staunen, zu fragen, sich zu begeistern; dieses Kind in uns, das so verletzlich und ausgeliefert ist, das leidet und nach Trost verlangt und hofft; dieses Kind in uns, das bis zu unserem letzten Lebenstag unsere Zukunft bedeutet.
Nichts liegt Tolkien, der die Rede vom ewigen Kind im Menschen als waggery bezeichnete (meines Erachtens zu recht), ferner als diese mythische Kind-Vorstellung:
I think this is an error; at best an error of false sentiment, and one that is therefore most often made by those who [...] tend to think of children as a special kind of creature, almost a different race, rather than as normal, if immature, members of a particular family, and of the human family at large.
So Tolkien im Abschnitt über Kinder in »On Fairy-stories«. Kinder als besondere Geschöpfe, als eine Spezies für sich zu sehen, ist genau der Fehler, den Ende begeht. Zwar könnte man sagen, dass Ende in dem obigen Zitat gar nicht von realen Kindern spricht, sondern lediglich von einem bestimmten ästhetischen Vermögen des Menschen, das er in einer Laune als das ewige und göttliche Kind bezeichnet. Ende wäre aber kaum zu einer solchen Aussage gekommen, wenn sie nicht von seiner Sichtweise auf reale Kinder inspiriert wäre. In jedem Fall ist »dieses Kind, das [...] in uns lebt« merkwürdig passiv: Es leidet, ist verletzlich und ausgeliefert. Sein aktives Tun besteht nur darin, zu staunen und sich zu begeistern – und ab und an darf es mal eine Frage stellen. Nun ist kein Zweifel daran, dass Kinder tatsächlich oft leiden und ausgeliefert sind. Ende weigert sich jedoch zu sehen, was Kinder tun, um diesem Zustand zu entkommen: Reale Kinder wollen nicht leiden und ausgeliefert sein. Gerade weil sie diesen Zustand so gut kennen, wollen sie ihm entrinnen. Tolkien schreibt über seine Kindheit:
I had no special ›wish to believe‹. I wanted to know. Belief depended on the way in which stories were presented to me, by older people, or by the authors, or on the inherent tone and qualitiy of the tale. [...] But humility and innocence [...] do not necessarily imply an uncritical wonder, nor indeed an uncritical tenderness.
Und er schließt daraus:
Children are meant to grow up, and not to become Peter Pans. Not to lose innocence and wonder, but to proceed on the appointed journey: that journey upon which it is certainly not better to travel hopefully than to arrive, though we must travel hopefully if we are to arrive.
Tolkien betont das Recht des Kindes, Wissen zu erlangen, um der Hilflosigkeit zu entkommen. Kinder sollen nicht nur fragen, sondern hinterfragen, was Erwachsene ihnen präsentieren. Wenn Ende dagegen sagt, er »schreibe überhaupt nicht für Kinder. [...] Ich schreibe für ›das Kind in uns allen‹, das schöpferisch ist und fähig Schicksal zu erleben«, dann präsentiert er allen realen Kindern sein inneres Idealkind als Vorbild – ein mythisches Kind, das passiv und ausgeliefert sein und nicht erwachsen werden will, das also letztlich eher kindisch als kindlich ist. Wie aber Tolkien sagt, dass es Erwachsene sind (niemals die Kinder selbst), die den »error of false sentiment« begehen und Kinder mit dem mythischen »ewigen und göttlichen« Kind verwechseln, so sind es auch stets nur Erwachsene, die nicht erwachsen sein wollen.

* Das ist übrigens kein Verbrechen. Sogenannte Unterhaltungsliteratur lebt davon, dass Muster sich erfolgreich variieren lassen.

Mittwoch, 14. September 2016

A Preliminary Map of the Railsea

Update: A Working Map

I have wanted to create a map of the Railsea for a long time now. Today I gave in & started. Note that this is very much work in progress!
Now, a re-read is in order, with the map at hand, to try & fill in some names. (The south-western landmass ought to be Manihiki, I guess?)


southern marking: Streggeye Land
northern marking: speculative position of the abyss

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.