Dienstag, 4. Februar 2014

The Narnian

Biographien über C.S. Lewis gibt es einige. Interessant an ihnen ist immer, wie sie die kontroversen Aspekte von Lewis’ Leben behandeln: Einige geben sich pietätvoll und gucken lieber nicht so genau hin, wenn irgendetwas nicht ins Bild passt. Andere sind wagemutiger und geben sich nicht mit einer Wiederholung der diversen Mythen zufrieden, die um »Onkel Jacks« Lebensgeschichte gewoben wurden. The Narnian von Alan Jacobs gehört zu letzteren.

Wer über Lewis schreiben will, muss sich dem Problem stellen, dass es nicht nur einen Lewis gibt, sondern drei: Den christlichen Apologeten, der so clever gewesen sein soll, dass er seine atheistischen und agnostischen Widersacher_innen mit ihren eigenen Waffen schlug. Den weltberühmten Autor der Kinderbuchreihe Chronicles of Narnia. Und den relativ unbekannten Literaturwissenschaftler, Verfasser von wunderbaren Büchern wie The Discarded Image und An Experiment in Criticism. Sieht man in Lewis vor allem den Verteidiger des christlichen Glaubens, dann liegt es nahe, sein Leben als eine Art folgerichtige Entwicklung mit geradezu vorherbestimmten Ziel zu sehen: Lewis ist als Kind im Christentum erzogen worden, verlor aufgrund erschütternder Ereignisse seinen Glauben, bis ihn seine eigene Vernunft im Erwachsenenalter zunächst zur Annahme der Existenz Gottes und schließlich zum Glauben an Jesus Christus zurückführte. Lewis selber zeichnet allerdings ein sehr viel komplexeres Bild seiner spirituellen Entwicklung. So sah er in seiner späteren Bekehrung keineswegs eine Rückkehr zum Glauben seiner Kinderzeit. Er betonte vielmehr, dass er als Kind eine quasi magische Auffassung von Religion gehabt habe. Der Glaube an die Wirksamkeit dieser ›Magie‹ sei ihm jedoch abhanden gekommen, als er gemerkt habe, dass Gebete seine früh verstorbene Mutter nicht wieder zum Leben erwecken konnten. Auch viel später noch zeigte sich bei Lewis eine sporadisch aufflackernde Begeisterung für Okkultes und Magisches, eine Tendenz, die er an sich selbst zu bekämpfen versuchte. Es ist verständlich, dass der reife Lewis, als gefeierter Laientheologe in der Öffentlichkeit stehend, eine strikte Unterscheidung zwischen seinem christlichen Glauben und seiner Faszination für Magie vornahm (auch wenn es ihm selber nicht immer ganz gelang, die Unterscheidung auch einzuhalten).

Alan Jacobs leugnet nicht die traumatische Wirkung, die der Tod der Mutter auf das Kind Jack Lewis hatte. Er geht jedoch darüber hinaus und sieht Lewis’ bewusste Hinwendung zum Atheismus als Rebellion gegen den gefühlsbetonten, redseligen, der Kirche aus sentimentalen Gründen (und bürgerlicher Wohlanständigkeit) verbundenen Vater an. In der Tat ist es nicht zuviel gesagt, dass die Charaktereigenschaften seines Vaters angetan waren, Lewis rasend zu machen, so dass es mindestens einmal sogar zum offenen Zerwürfnis zwischen den beiden kam. Die Annahme, dass Lewis als junger Mann eine betont rationalistische Weltsicht kultivierte, um sich vom Vater abzugrenzen, liegt also nahe. Zugleich bekämpfte er damit aber die imaginative, sich für das Phantastische begeisternde Seite seines eigenen Charakters. Nach dem Studium in Oxford entschied Lewis sich zunächst, eine Karriere als Philosophiedozent zu verfolgen. Dies kam seiner pedantischen, zum Argumentieren und zum Streitgespräch neigenden Seite entgegen, die er zu stärken versuchte. Zugleich kam er nicht los von seiner Begeisterung für Märchen und Sagen, für die frühe Fantasy von George MacDonald, H. Rider Haggard und David Lindsay – nur schien diese Begeisterung keinen Platz zu haben in dem Bild, das er von sich selber entwarf.

Um seine philosophische Tätigkeit machen vor allem diejenigen viel Aufhebens, die in Lewis den brillanten Apologeten sehen wollen. Doch wenn man ehrlich ist, wird man selbst bei größter Sympathie für Lewis nicht um die Erkenntnis herumkommen, dass er keinen sonderlich überzeugenden Philosophen abgab. In der akademischen Philosophie der Zeit spielte Oxford die zweite Geige, während die spannenden Entwicklungen vor allem in Cambridge stattfanden. Dort wurde von George Edward Moore, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein die analytische Philosophie entwickelt, während man an der Themse einer theistisch-idealistischen Hegel-Interpretation huldigte, die heute weitgehend vergessen ist. Dass Lewis zum Ende seiner philosophischem Laufbahn hin theistische Auffassungen vertrat, hat mehr mit seiner Oxforder Prägung als mit der rationalen Überzeugungskraft des christlichen Gottesbildes zu tun. Lewis postulierte Gott, weil der Theismus ihm als »the least objectionable hypothesis« unter den philosophischen Optionen der Zeit erschien. Das spricht nicht für Brillanz, sondern eher für intellektuellen Kleinmut. Lewis schreckte vor den radikaleren Implikationen seines eigenen Atheismus zurück, bis er ihn schließlich ganz aufgab.

Zwei Entscheidungen bewahrten Lewis davor, an diesem unzufriedenstellenden Punkt zu verharren: Er gab die Philosophie auf und verlegte sich auf Literaturwissenschaft. Damit räumte er seiner persönlichen Liebe zur Literatur den gebührenden Platz in seinem akademischen Leben ein. Und er bekehrte sich zum Christentum. Alan Jacobs ist der Ansicht (und es spricht einiges dafür), dass diese Bekehrung für Lewis’ Charakter vor allem die Befreiung seiner imaginativen Seite bedeutete. Lewis liebte die Mythologie, aber sein selbstgestellter Anspruch, ein Vernunftansprüchen gehorchender, sachlicher Mensch zu sein, zwang ihn dazu, die geliebten Geschichten als bloße Lügen anzusehen. Sie mochten ästhetisch ansprechend sein, aber sie waren unwahr. Unter dem Einfluss von Tolkien, Barfield und den anderen Inklings gelangte er zu einer überraschenden Lösung für sein Dilemma: Wenn die christliche Erzählung von Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi ein wahrer Mythos war (wovon er jetzt überzeugt war), dann kam von dieser Wahrheit her auch allen anderen Mythen eine besondere Würde zu. Wenn sie auch weiterhin nur Erfindungen des menschlichen Geistes waren, wurden sie Lewis’ Empfinden nach doch in eine Position versetzt, die sie zur geeigneten Beschäftigung für erwachsene Menschen machte.

Das Christentum, das Lewis für sich entwickelte, trägt denn auch nicht zufällig stark mythologische Züge. Lewis glaubte, dass schon vor der Entstehung des Menschen ein kosmischer Krieg zwischen Himmel und Hölle, Engeln und Dämonen begonnen habe. Die Aufgabe des Menschen in dieser übernatürlichen Auseinandersetzung war es, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Auch nichtreligiöse Menschen stehen Lewis zufolge vor der Entscheidung zwischen Himmel und Hölle, wenn sie zwischen moralisch richtigem und falschem Handeln wählen müssen. Diese Auffassung – Lewis’ persönliche Mythologie – liegt implizit oder explizit den meisten seiner belletristischen Werke zugrunde, von Out of the Silent Planet über The Screwtape Letters und The Great Divorce bis zu den Chronicles of Narnia. Was immer man von seiner Weltanschauung halten mag, sie befeuerte Lewis’ mythopoetische Phantasie ganz erheblich.

Jedoch wird in der Betrachtung von Lewis’ Christentum meist auf seine Tätigkeit als Apologet fokussiert. Diese Sichtweise ist so selbstverständlich geworden, dass häufig sein gesamtes schriftstellerisches Werk unter dem Aspekt der Verbreitung des christlichen Glaubens gesehen wird. Jacobs weist jedoch zu recht darauf hin, dass nur drei von Lewis’ Büchern, alle aus den 40er Jahren, Apologien des Christentums im engeren Sinne darstellen: The Problem of Pain, Miracles und die einzelnen Teile von Mere Christianity. Daneben trat der Apologet Lewis im Socratic Club, dem er 1942–1954 als Präsident vorstand, in Erscheinung. Diese Oxforder Gesellschaft veranstaltete regelmäßige Diskussionsforen, bei denen Vertreter_innen christlicher und areligiöser Positionen sich Streitgespräche lieferten. Seine apologetischen Bücher und die Diatribe, die Lewis im Rahmen des Socratic Club hielt, werden insbesondere von evangelikalen und anderen konservativ-christlichen Lewis-Fans in ehrfürchtigem Andenken gehalten. Die Begeisterung dieser Kreise kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele von Lewis’ Ausführungen über die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott (und an die Göttlichkeit Jesu) argumentativ gesehen Humbug sind.

Kein Zweifel, Lewis hielt es für ein ausnehmend wichtiges Unternehmen, in der Öffentlichkeit für den christlichen Glauben zu werben. Aber bildet es auch den Mittelpunkt seines Wirkens? Die Beantwortung dieser Frage hängt ganz wesentlich davon ab, wie man sich Lewis’ um 1950 herum erfolgte Abkehr von der apologetischen Tätigkeit erklärt. Alan Jacobs weist auf die schwierigen Lebensumstände hin, mit denen Lewis Ende der 40er Jahre zu kämpfen hatte: Neben der arbeitsintensiven Lehrtätigkeit in Oxford hatte er sich um seinen alkoholkranken Bruder Warnie zu kümmern, der sich auf seinen ausgedehnten Sauftouren immer wieder ins Delirium trank. Außerdem verkomplizierte sich die Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin Jane Moore, deren exzentrische, fordernde Charakterzüge zu dieser Zeit stärker in den Vordergrund traten. Es spricht alles dafür, dass Lewis schlicht überlastet war und sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs befand. Zugleich gibt es aus dieser Zeit eine oft wiederholte Geschichte, die wahrscheinlich bereits in Lewis’ persönlichem Umfeld entstanden ist: 1948 fand im Socratic Club eine Diskussion zwischen Lewis und der Philosophin Elizabeth Anscombe statt, bei der Anscombe Lewis nachwies, dass er in seinem Buch Miracles unsauber argumentiert hatte. Anscombe und Lewis scheinen die Debatte eher als freundschaftlichen Schlagabtausch verstanden zu haben (der im Übrigen damit endete, dass Lewis seinen Fehler zugab). Im Nachhinein wurde jedoch verschiedentlich behauptet, von Anscombe im Streitgespräch besiegt zu werden, sei für Lewis eine tiefe Demütigung gewesen und habe zu einer existentiellen Krise geführt, die bis zur Infragestellung seines Glaubens gegangen sei. Die Implikation dieser Geschichte ist klar: Lewis hat sich enttäuscht und verletzt von seiner wahren Bestimmung als scharfzüngiger Verteidiger des Christentums abgewandt und anstelle dieser ernsthaften Tätigkeit mit dem Schreiben von Kinderbüchern begonnen.

Jacobs macht deutlich, dass biographisch eher wenig dafür spricht, dass es sich so verhalten haben könnte. Im Gegenteil, seine Darstellung von Lewis’ Leben wirft die Frage auf, ob man in der Apologetentätigkeit nicht eine verwandelte Form von Lewis’ alter Obsession, sich zum unbestechlichen Vernunftmensch zu modellieren, erblicken kann. Der Hang zur Engstirnigkeit und Rechthaberei, der vor allem in den apologetischen Schriften zum Ausdruck kommt, spricht sehr dafür. Wie dem auch sei; für die Nachwelt ist es ein Glück, dass Lewis um 1950 herum die Notwendigkeit verspürte, sich stärker als zuvor dem Erzählen von Geschichten zu widmen. Das Ergebnis sind die sieben Bände der Chronicles of Narnia und der Roman Till We Have Faces – die einen sein beliebtestes, der andere sein angesehenstes literarisches Werk.

Es sollte deutlich geworden sein, was ich als das Hauptverdienst von Jacobs’ Biographie ansehe: Sie befreit den Erzähler C.S. Lewis, der Geschichten liebte (und als Literaturtheoretiker zu bemerkenswerten Einsichten gelangte), aus der Umklammerung seiner evangelikalen Rezeption. Dieses Unternehmen ist Jacobs umso höher anzurechnen, als dass er selber Christ ist. The Narnian will »the life of a mind, the story of an imagination« sein und nicht eins jener zahlreichen Bücher, die Jacobs folgendermaßen beschreibt:
Long ago the writers of books and articles concerning “What C.S. Lewis Thought About X” ran out of subjects and began to write books and articles concerning “What C.S. Lewis Would Have Thought About X if He Had Lived Long Enough to See It.”
Das ist nicht übertrieben. Ich erinnere mich an einen Artikel, dessen Inhalt sich mit »Warum C.S. Lewis sich dem Katholizismus zugewandt hätte, wenn er nicht kurz davor gestorben wäre« zusammenfassen ließe.

Obwohl ich gegen Jacobs’ von Sympathie geprägte Herangehensweise grundsätzlich nichts einzuwenden habe, führt sie mitunter doch dazu, dass er an kritischen Punkten viel zu nett bleibt. Jacobs streitet nicht ab, dass Lewis’ Werk von Rassismus und Sexismus durchzogen ist, doch wenn er darauf zu sprechen kommt, geht er schnell dazu über, Lewis als Kind seiner Zeit zu verteidigen (und geht damit der Auseinandersetzung faktisch aus dem Weg). Auch frage ich mich, ob er nicht ein einseitiges Bild zeichnet, wenn er sagt, Lewis sei stets bereit gewesen, die Frauen unter seinen Studierenden zu fördern. Die Erinnerungen A.S. Byatts, die in Cambridge bei Lewis studierte, mögen dazu dienen, diese Behauptung ein wenig zu relativieren:
I did have the feeling that he was a very clever schoolboy who had never grown up. He was sheltered. I didn’t feel he knew anything about the world I was in, with babies and nappies and money problems. I think he didn’t like women.
Auffällig ist auch, dass Jacobs sich über die obskurantistischeren Züge von Lewis’ Weltanschauung – er glaubte z.B. an die Möglichkeit, erkrankte Haustiere durch Handauflegen zu heilen – höflich ausschweigt. Weniger Rücksicht nimmt er, wenn es um die Eigenheiten von Lewis’ Freunden geht. So kommt er zu amüsanten Urteilen über Charles Williams (»rather creepy«) oder Tolkien (»Tact was not a virtue Tolkien cultivated with much enthusiasm«). Allein schon deshalb lohnt es sich, The Narnian zu lesen.

The Narnian: The Life and Imagination of C.S. Lewis von Alan Jacobs ist 2005 bei HarperCollins erschienen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Lewis schreckte vor den radikaleren Implikationen seines eigenen Atheismus zurück, bis er ihn schließlich ganz aufgab."
Was meinst du damit? Möchtest du suggerieren, dass Atheismus besonders radikal ist?

Murilegus rex hat gesagt…

Nein, nicht Atheismus im Allgemeinen, sondern eher in Lewis’ speziellem Fall. Er kam aus einem bürgerlichen nordirisch-protestantischen Elternhaus, in dem der Kirchgang einfach Teil des bourgeoisen Selbstverständnisses war. Lewis’ Atheismus lässt sich vor diesem Hintergrund, wie gesagt, als Rebellion gegen den Vater verstehen: Lewis senior war den Beschreibungen zufolge ein ziemlich anstrengender Mensch, der seinen beiden Söhnen emotional unglaublich auf die Pelle rückte, weil er ihnen nicht nur ein perfekter Vater, sondern auch noch ein perfekter Freund und Vertrauter sein wollte.

1919, in seiner atheistischen Phase, veröffentlichte Lewis unter dem Pseudonym Clive Hamilton einen Gedichtzyklus namens Spirits in Bondage (sein erstes Buch). Darin sind einige »Satan Speaks« betitelte Abschnitte, in denen es etwa heißt: »I am the fact and the crushing reason/To thwart your fantasy’s new-born treason.« Daraus wird m.E. ziemlich deutlich, was die atheistische Identifikation mit Satan für Lewis bedeutete – »fact« und »crushing reason« waren seine Waffen gegen die sentimentalen väterlichen Phantastereien von einer glücklichen Familie. Interessanterweise beteuerte Lewis zur gleichen Zeit in Briefen an seinen Vater, weiterhin ein braver Christ zu sein.

Zum rebellischen Satan erklärte Lewis sich eben nur unter Pseudonym oder im Gespräch mit engen Freunden, während er sonst die Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit aufrecht erhielt. Dazu passt, dass er vom Katheder in Oxford, seinen Zweifeln zum Trotz, eine theistische Philosophie lehrte. Das meinte ich damit, dass Lewis vor den radikaleren Implikationen seines Atheismus zurückschreckte: Er wagte es nicht, konsequent mit der sentimental-religiösen bürgerlichen Atmosphäre seiner Kindheit zu brechen.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.