Sonntag, 25. März 2012

Zirkus der Träume, Traumzirkus

Liest man das nicht recht oft, dass der Schauplatz die eigentliche Hauptperson einer Geschichte sei? Der Nachtzirkus macht daraus kein Geheimnis, schon der Titel kündigt es an, und entsprechend präsent bleibt der Zirkus, der nur nachts seine Pforten öffnet, im weiteren Verlauf der Geschichte. Kurze Vignetten, eingestreut in die Geschichte, lassen den weißschwarzen Zirkus lebendig werden, lassen den Leser darin eintreten. Es geht um Magie in dieser Geschichte, und um einen Wettstreit zwischen Zauberern. Aber nach welchen Regeln wird gespielt? Wer ist Spieler, wer nur Statist? Und ist der Schauplatz nur ein Schauplatz, oder hat er darüber hinaus noch eine Bedeutung?

Wie ein Zirkus wird auch diese Geschichte von einem Ensemble getragen. Zunächst nehmen die häufigen Schnitte zu anderen Charakteren und Schauplätzen der Entwicklung etwas Fahrt und Übersichtlichkeit, und bei manchen wunderte ich mich, wo dieses Puzzleteil seinen Platz finden soll. Doch schließlich fügt sich alles zusammen und entwickelt eine gelungene Dynamik, vor allem im Finale. Und natürlich ist das auch ein Reiz der Geschichte, dass der eine in den Hintergrund tritt, und der andere unerwartet Bedeutung gewinnt.

Zwei weitere Pluspunkte für die Geschichte sind die relativ große Präsenz von homosexuellen Charakteren, und das von mir geschätzte Stilmittel, Passagen verbatim zu wiederholen oder leicht abzuwandeln um Parallelitäten aufzubauen. Abstriche gibt es dafür, dass manche Stellen mir anachronistisch erschienen, und dass ein Teil der Auflösung vorauszuahnen war. Letzteres ist natürlich eine Gratwanderung zwischen Vorhersehbarkeit und Deus ex Machina, die je nach Leser und Lesesituation anders ausgeht.

Das Hörbuch wurde von Matthias Brandt eingelesen, dessen Stimme ruhig aber ohne ältliches, getragenes Timbre ist, da sie Souveränität und Unbestimmtheit gleichermaßen ausstrahlt. Ausgewählten Charakteren gibt er subtil eine individuelle, markante Sprechweise, ohne dies zu übertreiben – keine davon sticht als Verstellung hervor oder lässt den Charakter zur Karikatur werden. Die Vignetten aus dem Nachtzirkus setzt er gelungen vom Rest der Geschichte ab, vermittelt die Mysteriosität des Ortes auf wunderbare Weise. Störend ist allerdings, dass manche Worte ohne erkennbaren Grund englisch ausgesprochen werden – etwa der Titel des ersten Kapitels, Primordium. Eine besonders peinliche Panne ist, dass der Name Hugin (in diesem Fall nur ein relativ gewöhnlicher Rabe) wie das englische huggin’ klingt, und sein Pendant entsprechend. Doppelt ärgerlich, da in Hörbüchern ja keine Korrekturen für kommende Auflagen gemacht werden – etwas, was mich über Druckfehler zumindest ein wenig hinwegtröstet.

Insgesamt eine schöne Geschichte, die eine ganz besondere Atmosphäre kreiert und bis zum Schluss aufrecht erhält, nahezu perfekt als Hörbuch umgesetzt. Sowohl der Stimme der Autorin ebenso wie der des Sprechers war es ein Genuss zu lauschen.

Erin Morgenstern: Der Nachtzirkus. Übersetzt von Brigitte Jakobeit. Gelesen von Matthias Brandt. Hörbuch Hamburg 2012. Ungekürzte Lesung, 11 CDs, 849 Minuten. ISBN 978-3-89903-355-7.

5 Kommentare:

moyashi hat gesagt…

Schön, dass die Geschichte noch jemandem gefällt. :)
Allerdings fällt mir gerade partout kein Beispiel für die homosexuellen Parts ein. Habe ich da etwas überlesen? (Reine Neugier, nicht dass ich etwas dagegen hätte, ich finde es sehr erfreulich, wenn das Thema ganz natürlich eingebunden wird).

Gruß,
moya

Eosphoros hat gesagt…

Dass Lefèvre schwul ist, wird ja recht deutlich gesagt; und außerdem meine ich, dass die Schlangenfrau (deren Namen ich mich nicht traue nur vom Hören zu schreiben) am Ende enthüllt












ihre Gegenspielerin geliebt zu haben bzw. sogar dass sie eine Beziehung hatten.

moyashi hat gesagt…

Da muss ich wohl nochmal nachlesen, denn das ist mir überhaupt nicht aufgefallen bisher. Bei den beiden angesprochenen Frauen hatte ich das auch erst so gesehen, dachte aber es wäre dann doch durch ein eher Geschwistern-ähnliches Verhältnis erklärt worden.
Aber vielleicht war ich auch zu sehr von den traumhaften Zirkuszelten abgelenkt.^^
Danke für den Hinweis jedenfalls, da weiß ich immerhin wo ich suchen muss beim nächsten Re-Read!

Berit* hat gesagt…

Das mit Lefévre ist mir auch aufgefallen, noch recht am Anfang wird erwähnt, wie er Marco anguckt/wahrnimmt, da wird das schon sehr deutlich.

Mir hat das Buch auch verdammt gut gefallen :)

Eosphoros hat gesagt…

So, da ich das Buch jetzt auch in schriftlicher Form konsumiert habe, habe ich gleich noch alle relevanten Stellen rausgesucht. Auch hier gilt: SPOILER! (Die Seitenangaben beziehen sich auf die Taschenbuch-Ausgabe von Vintage, London 2012.)

»[Chandresh über Celia:] “[…] Quite attractive, too, I should think, if one’s predilections run in that direction.”«
S. 98

»Chandresh’s glances at his handsome assistant grow more obvious with each glass of wine, and Celia suspects Mr. Alisdair is well aware of it […]«
S. 170

»[Celia zu Marco:] “It’s precisely what you do. You enchant. You’re clearly good at it. You have so many people in love with you. Isobel. Chandresh. […]”«
S. 261

»[Tsukiko:] “[…] You love her, do you not?”
“More than anything in the world,” Marco says.
Tsukiko nods thoughtfully.
“My opponent’s name was Hinata,” she says. “Her skin smelled of ginger and cream. I loved her more than anything in the world, as well. […]”«
S. 438–439

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.